• Keine Ergebnisse gefunden

Angegriffene Privatsphäre der Frauen

4 Sozioökonomische Faktoren: Zur Lebenslage der Frauen

4.4 Politische und soziale Wende

4.4.4 Angegriffene Privatsphäre der Frauen

Die Lebenssituation der Frauen wird direkt auch durch ihre Lage in der Familie und durch ihre Möglichkeiten beeinflusst, sich in der privaten Sphäre nach eigenen Bedürf-nissen zu verhalten, um ein glückliches und vollständiges Leben führen zu können. In den letzten Jahren wurden in diesem Zusammenhang zwei wichtige Themen in der Slo-wakei zunehmend diskutiert. Es handelt sich um die weit verbreitete Gewalt an Frauen in den Familien und um das Abtreibungsgesetz. Die laufende Diskussion der letzten Zeit hat allerdings bewiesen, welche geringe Sensibilität für diese Themen in allen Schichten der Gesellschaft herrscht, und es gibt eine geringe Bereitschaft, bei ihrer Behandlung die Rechte der Frauen in Vordergrund zu stellen. In der Slowakei zeichnet sich damit eine Art von Emanzipationsasymmetrie ab. „Wir berühren das wichtige Problem der unterschiedlichen Anwendung der Emanzipationsideen im öffentlichen und im privaten Bereich. Im ersten Bereich wird das Recht der Frau auf Chancengleichheit, auf Selbstverwirklichung in ziemlich hohen Maße akzeptiert (obwohl es auch da Unter-schiede gibt, Frauen besetzen schlechter bezahlte Stellen und weniger verantwortungsvolle Funktionen usw.). Im zweiten Bereich bleiben die Männer, aber oft auch die Frauen noch im Bann der traditionellen Vorstellungen. Als ob die Idee der Emanzipation im beruflichen und im privaten Bereich ziemlich asymmetrisch ange-nommen wäre.“230 Während für die Regelungen in der öffentlichen Sphäre immer neue Gesetze zur Gleichstellung der Frauen diskutiert und teilweise auch erfolgreich geschaf-fen werden, bleibt die Behandlung der Ungleichheiten im privaten Bereich von den Bedürfnissen der Frauen noch sehr weit entfernt.

4.4.4.1 Gewalt gegen Frauen

In der Slowakei zeigt sich, dass seit ferner Vergangenheit ein sehr hohes Maß an Gewalt gegenüber Frauen in den Familien präsent ist. Anhand der vorliegenden Daten wird an-genommen, dass ca. 3/5 der slowakischen Frauen auch am Ende des 20. Jahrhunderst mindestens einmal im Monat von ihrem Ehemann geschlagen werden. Jede dritte Ehe-frau wurde täglich, oder mehrmals in der Woche geschlagen.231 Gewalt gegen Frauen in den Familien und ihr Ausmaß war in indirekter Weise seit jeher still geduldet. Sie wur-de in wur-der Slowakei zu einem folkloristischen Ritual erklärt, das einen festen Platz in wur-der

230 Farkašová 1998: 61.

231 Sopková, E., Šintalová, S.: Bité ženy na Slovensku. Internmaterial der Organisation Pro Familia, Hu-menné 1998.

Ehe hat und nicht in die Öffentlichkeit gezogen werden sollte. Die Privatsphäre der Fa-milie war in dem Sinne höher gesetzt als die Rechte der Frauen. Viele fragen sich, wie das möglich ist, dass dieses alte Ritual in den slowakischen Familien immer noch nicht ausgerottet wurde. Soziologen, die sich mit diesem Thema befassen, bewerten die Ge-walt an Frauen als männliche Verteidigung ihrer traditionellen Rechte.232 Der Sehnsucht der Männer nach den alten „Rechten“ wurde offensichtlich weder durch die kommunis-tischen noch durch die postkommuniskommunis-tischen Theorie und Praxis der Emanzipation beendet. Da aber viele Frauen im letzten Jahrhundert ihr Selbstbewusstsein erhöht ha-ben, wehren sie sich heute gegen diesen Trend und suchen Möglichkeiten diesen zu bekämpfen.

Seit Mitte der 90er Jahre wird das Thema dank der Bemühungen verschiedener Frauen-organisationen langsam enttabuisiert und in die Öffentlichkeit gebracht. Die ersten gesammelten Daten haben bewiesen, dass die relativ freie Entwicklung in der heutigen Transitionsgesellschaft keine Besserung, sondern eine Steigerung der Gewalttaten ver-ursacht.

Tabelle 4-29 Verübte Gewaltstraftaten an Frauen in der SR (1995 – 1997) Art der

Quelle: Mesežnikov, G. (Hg.): Slovensko 1998 – 1999. Bratislava 1999, S. 679.

Die angegebenen Zahlen dokumentieren nur einen Bruchteil aller verübten Taten. Viele Angriffe, die in der Familie verübt worden sind, wurden niemals gemeldet, vor allem die aus der privaten Sphäre. Wenn wir die Anzahl der Straftaten in der Öffentlichkeit und im Haushalt vergleichen, erkennen wir, dass in der Slowakei die Frauen vor allem zu Hause gefährdet sind. Während die Straftaten in der Öffentlichkeit keinen rasanten Zuwachs anzeigen, nehmen die gemeldeten Gewalttaten an Frauen im privaten Bereich

232 Lábadyová 1998: 104.

ständig zu. Im Jahr 1995 sind 2 166 angezeigten Gewalttaten an Frauen verübt wurden, zwei Jahre später waren es schon 750 Fälle mehr. Die Gewalt an Frauen ist vor allem in kleineren Städten und Dörfern immer noch Normalität des Alltags.233 Grund für die steigende Gewalt in der jüngsten Geschichte soll in großem Maß die finanzielle Krise vieler Familien sein. Arbeitslosigkeit, finanzielle Not löst viele Konflikte in der Familie aus, an deren Ende offene Gewalt entsteht. 234

Da dieses Problem jahrelang tabuisiert wurde, entwickeln sich nur langsam effektive Mechanismen, die den betroffenen Frauen Schutz bieten können. Die staatlichen Orga-ne bieten auch heute nur geringe Auswege und Lösungsmöglichkeiten. Es mangelt an Frauenhäusern, die eine sichere Unterkunft während und nach der Ermittlung für Frauen sichern könnten. Bis zum Oktober 2002 war es nur möglich eine Ermittlung zu starten, wenn die Angegriffene eine Anzeige erstattet hat. Seit kurzer Zeit ist eine Ermittlung aufgrund einer Anklage einer dritten Person möglich.

Es mangelt an Beratungsstellen, die den betroffenen Frauen Auskunft über ihre Rechte und Möglichkeiten geben können und unzureichend erscheint auch die Ausbildung von vielen Beratern, Polizisten und Staatsanwälten. Unter Hinweis auf die mangelnden ge-sellschaftlichen und staatlichen Leistungen wird von einer strukturellen Gewalt gegenüber Frauen in der Slowakei gesprochen. Nicht nur der Angreifer, sondern auch die laxe Gesellschaft und uneffektive staatliche Einrichtungen und Verantwortliche wer-den zu Mittätern.

Wegen der herrschenden Stagnation bei der effektiven Suche nach Lösungen, bleiben die betroffenen Frauen auf die Barmherzigkeit des Mannes angewiesen, der Staat schützt sie nur sehr wenig. Auf Grund der „geduldeten Gewalt“ entscheidet sich nur knapp ein Viertel aller geschlagenen Frauen zur Scheidung. Über die Hälfte der ge-schiedenen Frauen hat diesen Schritt erst nach mehr als zehn Jahren Gewalt ausgeführt.235 Damit lebt eine große Mehrheit der betroffenen Frauen weiterhin in einer nur schwer erträglichen Ehe. Es ist anzunehmen, dass sich diese erfahrene Abwertung und Misshandlung von Frauen in der Familie auch im Verhalten der Frauen in der

233 Breier in Bútorová 2001: 201–207.

234 Vgl. ebd.: 233.

235 Vgl. ebd.: 231.

fentlichkeit spiegelt. Betroffene Frauen schaffen es kaum sich gegen eine überall spür-bare Diskriminierung zu wehren, da sie Demütigung auch aus dem engsten, familiären Kreis kennen und täglich als Normalität erfahren müssen.

4.4.4.2 Abtreibungsrecht

Das nächste Thema, das nach der Revolution 1989 neu diskutiert wurde, betraf das Ab-treibungsgesetz. Eine gezielte Unterbrechung der Schwangerschaft war bis zum Jahr 1957 in der Slowakei streng verboten und strafbar. Das Gesetz Nr. 68/1957 brachte eine erste wichtige Änderung. Es wurden Kommissionen errichtet, die einem Gesuch auf Abtreibung unter bestimmten Bedingungen zustimmen durften.236 Im Jahr 1986 wurde das Gesetz noch weiter liberalisiert, dies erfolgte vor allem wegen der Liberalisierung in der internationalen Gesetzgebung (UNO,1979).237 Seitdem genießen Frauen auch in der Slowakei die freie Wahl bei ihrer Entscheidung zur Schwangerschaft bis zu ihrer zwölf-ten Woche. Nach der Revolution wurde das Thema neu behandelt. Vor allem Christliche Organisationen haben immer wieder für eine neue Bearbeitung des Themas gesorgt, da sie mit der Auflockerung des Abtreibungsverfahrens aus den 80er Jahren nicht einverstanden waren. Die Beratungskommissionen wurden Ende der 80er Jahre abgebaut und die Abtreibung wurde für jede Frau relativ leicht zugänglich. Die Sorgen der Kritiker, dass damit die Abtreibungsrate rapide steigen würde, haben sich jedoch nicht bestätigt. Die Interruptionsrate ging in den 90er Jahren kontinuierlich zurück, vor allem auf Grund der steigenden Möglichkeiten verschiedener Formen der modernen Schwangerschaftsverhütung.

Einen Wendepunkt in der Diskussion brachte die Unterschrift unter einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen der Slowakei und der Heiligen Stuhl im Vatikan im Jahr 2000.

Nach ihr sollte jede weitere legislative und gesellschaftliche Entwicklung der Slowakei im Einklang mit christlicher Tradition geschehen. Experten befürchten, dass die Ver-einbarung die zivilrechtlichen Prinzipien des Staates angreifen könnte, in dem sie die christliche Ethik als Richtlinie bei der Erziehung und Gesundheitsfürsorge vorsieht.238 Die KDH (Christlich-demokratische Partei) verstand jedoch die Vereinbarung als Bestä-tigung ihrer Kampagne gegen das herrschende Gesetz, das bis jetzt jeder Frau eine freie

236 Zavacká 2001: 26-28.

237 Zavacká 2001: 28-29.

238 Cviková 2001: 90-93.

Wahl ermöglicht hat. Ein allgemeines Abtreibungsverbot will die KDH umsetzen, das als Ausnahme nur den Fall einer Vergewaltigung oder eines gesundheitlichen Risikos der Mutter zulässt. Experten weisen darauf hin, dass durch die Bemühungen der Kirche und der KDH könne die höhenrangige Stellung des Rechtes des befruchteten Eies über das Recht der Frau erzielt werden.239 Während der Fötus von Anfang an durch das Ge-setz geschützt werden soll, würde die Frau ihre Möglichkeit verlieren, über eine Schwangerschaft und damit auch über ihre Lebensgestaltung frei zu entscheiden. Die Gegner des heutigen Abtreibungsgesetzes wollten, dass die Slowakei einen eigenen Weg geht und sich nicht nach internationalen Rechtlinien richtet. So wurde auch die Resolution über die sexuellen und reproduktiven Rechte und Gesundheit des Europäi-schen Parlaments vom Juli 2002, die das Recht der Frau zur Wahl zwiEuropäi-schen Schwangerschaft und Abtreibung vorsieht, von der KDH als unerwünschter Eingriff in die europäischen Konzeptionen der Menschenrechte und in die internationale Souverä-nität der Kandidatenländer der EU attackiert.240 Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, aber unabhängig davon, welche Entscheidung getroffen wird, ist anzu-nehmen, dass wichtige Signale über die Abwertung der Frau und Einschränkung ihrer Wahlfreiheit bereits in der Gesellschaft gelandet sind.

4.4.5 Fazit: Eine neue soziale Ordnung nach 1989/90 und neue