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Ziel und Zweck der Arbeit – ein Plädoyer für die ladinische Literatur Literatur

Im Dokument Geschichte der ladinischen Literatur (Seite 34-38)

1.1 Ladinische Literatur – ein Überblick

1.1.1 Ziel und Zweck der Arbeit – ein Plädoyer für die ladinische Literatur Literatur

Eine der wichtigsten Zielsetzungen der vorliegenden Geschichte der ladinischen Literatur besteht darin, erstmals die auf fünf ladinische Täler verteilten und in sehr unterschiedlichen Publikationsorganen verstreuten literarischen Texte auf Ladinisch zusammenzutragen und in einer einheitlichen Sammlung zu prä-sentieren. Dieses Desideratum wurde bereits 1953 vom Gadertaler Geistlichen

Ujöp Pizzinini in seinem Artikel Literatüra ladina deutlich formuliert:1

An messess i chirì sö chisc (scrivagn tra la jent) y fa gni a lüm pur i fa laurè pur ‘l begn de düta la comunitè ladina. Na bela gran cosa fosse-l de cöi adüm tanc che an po’ ciamò ‘n ciafè de chisc scric, side poejies side in prosa y dè fora t’un libr stampè (Pizzinini 1953, 139).

Man müsste diese (Schreiber in der Bevölkerung) besuchen und vorstellen, um sie für das Wohl der gesamten ladinischen Gemeinschaft arbeiten zu lassen. Eine schöne Sache wäre es, alle noch auffindbaren Schriften zu sammeln, seien es Gedichte wie auch Prosaerzählungen, und sie in einem gedruckten Buch zu veröffentlichen.

Dieses ambitionierte Vorhaben haben wir uns zum Ziel gesetzt.

Diese Arbeit möchte aber auch mit dem – selbst unter Ladinern – heute noch verbreiteten Vorurteil aufräumen, es gäbe auf Ladinisch kaum oder nur wenig Literatur. Diesbezüglich stellte Belardi 1994, 185 vielsagend fest:

[…] ancora nella quarta edizione (1964) del […] manuale di linguistica romanza di Carlo Tagliavini (che fu grande esperto di ladino), Le origini delle lingue neolatine, si trova scritto che nella Ladinia sarebbe esistita (a quella data) soltanto ‘una modesta lette-ratura dialettale o di insegnamento religioso elementare, […]. Manca quasi completemante anche la poesia popolare.’ (e questo imparano ancor’oggi gli studenti universitari cui si con-siglia di studiare il ‘Tagliavini’).2

Wenn nun die Qualität dieser literarischen Produktion beanstandet wird, muss klargestellt werden, dass die ladinische Literatur einem Vergleich mit den benachbarten Regional- und Dialektliteraturen durchaus standhält und die moderne ladinische Literatur sich bemüht – zumindest in Teilbereichen – an

1 Erste Versuche von systematischen Sammlungen des ladinischen Schrifttums sind uns für Ampezzo von Andrea Constantini ( 2.5.0), für das Fassatal von Giosef Brunel bzw. Hugo de Rossi und für das Gadertal von Franz Canins ( 2.2.0) dokumentiert.

2 Dieser Satz ist auch in den weiteren Editionen (letzter Nachdruck: 1982, 514) des berühmten Handbuchs von Tagliavini beibehalten worden.

das Niveau von Hochsprachenliteraturen aufzuschließen. Doch erfahrungsge-mäß bleiben in der ladinischen Literatur gerade die Perlen, die es doch laut Camartin 1987, 280 zu erkennen bzw. zu finden gilt, oft unbeachtet und ungelesen. Der Grund für die Unkenntnis dieser Werke bei den Nicht-Ladi-nern sind, wie bei Minderheitensprachen so oft der Fall, schlicht und einfach die nicht vorhandenen professionellen Übersetzungen. Für die mangelnde Resonanz dieser Werke unter den Ladinern selbst muss hingegen der unzurei-chende Vertrieb und die geringe Lesebereitschaft auf Ladinisch, insbesondere anderer Idiome, verantwortlich gemacht werden. Wer hat die wirklich guten Werke der ladinischen Literatur – denn es gibt sie – auch tatsächlich gelesen?

Wer hat In Banun von Felix Dapoz, raìsh desmenteada von → Luciano Jellici oder die Ustories von → Frida Piazza gelesen? Zugegebenermaßen ist es mitun-ter auch mühsam und anstrengend, gute Limitun-teratur zu lesen.3 Wenn diese auf Ladinisch geschrieben ist, erhöht sich der Schwierigkeitsgrad noch einmal, denn der sprachliche Vorsprung der ladinischen Autoren gegenüber ihrer Leserschaft ist in der Regel enorm.4 Bekanntlich setzt sich der Großteil der Ladiner mit der eigenen Muttersprache fast nur mündlich auseinander und dementsprechend höher ist das Prestige der gesprochenen gegenüber der geschriebenen Sprache.5

Aber auch bei literarischen Texten in leicht verständlichem, mündlich gepräg-tem Ladinisch ist es nicht selbstverständlich, dass sie wahrgenommen werden.

Viele Ladiner sind es einfach noch nicht gewohnt, einen Roman oder längere Gedichte auch in ihrer Muttersprache zu lesen, ganz abgesehen davon, dass in ländlichen Gegenden allgemein weniger gelesen wird.6

Ein weiteres weit verbreitetes Vorurteil, das interessanterweise gerade von sol-chen Menssol-chen oft geäußert wird, die die ladinische Sprache selbst kaum oder nur schlecht beherrschen und ihre Literatur so gut wie gar nicht kennen, lau-tet, dass das Ladinische v. a. lexikalisch zu „arm“ sei, um den Anforderungen hoher Literatur gerecht zu werden. Doch sei zumindest eine Gegenfrage

3 Dies trifft auch für die „großen“ Literatursprachen zu. Werke wie z. B. Ulysses von James Joyce, La coscienza di Zeno von Italo Svevo oder Zettels Traum von Arno Schmidt werden nur von einer verschwindend klei-nen Minderheit der jeweiligen Sprachgemeinschaft gelesen.

4 Anspruchsvollere ladinische Literatur bleibt bis heute vielfach ungelesen mit der Begründung chësc ne ntën-di pa mpo no ‘das verstehe ich ja doch nicht’. Wenn ein Lantën-diner ein deutsches oder italienisches Wort nicht versteht, schreibt er dies seiner eigenen Unkenntnis zu, doch wenn er ein ladinisches Wort nicht versteht, wird dem Schreiber die Schuld gegeben.

5 Deutlich tritt der Primat der gesprochenen Sprache im Ladinischen in der oft sehr emotional geführten Diskussion um die Verwendung einer gemeinsamen ladinischen Schriftsprache, dem Ladin Dolomitan, zu Tage. Der tiefere Grund dieser Einstellung dürfte in der Ansicht liegen, eine Minderheitensprache wie das Ladinische könne nur als gesprochene Sprache überleben, wobei außer Acht gelassen wird, dass die schriftli-che Verwendung von Minderheitenspraschriftli-chen diese auch im gesproschriftli-chenen Bereich stärkt.

6 Vgl. dazu das Informationsblatt des Landesinstituts für Statistik astat info Nr. 20, Mai 2007 über die Lese-gewohnheiten der Südtiroler 2006. Von einer „Renaissance“ des Lesens, wie sie aktuell von elektronischen Medien wie dem e-book ausgehen soll, ist die ladinische Literatur bisher gänzlich ausgeschlossen geblieben.

erlaubt: Braucht ein gutes Gedicht nicht lediglich eine gewisse Anzahl an Wörtern, die jede Sprache der Welt zur Verfügung hat? Besteht die Kunst, ein wirklich gutes Gedicht zu schreiben, nicht eher in der richtigen Wahl und in der richtigen Anordnung dieser Wörter?7 In diesem Sinn kann festgestellt werden, dass der Wortschatz, um gute Literatur zu schreiben, in allen ladini-schen Idiomen vorhanden ist. Das Problem liegt eher in der Unkenntnis dieses Reichtums, was wiederum mit der Dominanz der gesprochenen gegenüber der geschriebenen Sprache zu erklären ist: In der gesprochenen Sprache dominiert nun einmal – erneut insbesondere bei Minderheitensprachen – die Alltags-sprache, während die Literatursprache fast schon per definitionem an die Pro-duktion und Rezeption schriftlicher Werke gebunden ist.8

In diesem Sinne möchte die vorliegende Arbeit den Zugang zur ladinischen Literatur erleichtern, indem sie die Autoren der fünf dolomitenladinischen Täler und ihre (z. T. noch unveröffentlichten) Werke vorstellt und übersichtlich präsentiert. Den Ladinern soll diese Literaturgeschichte auch Ansporn zum Lesen und Motivation zum Schreiben eigener literarischer Texte auf Ladinisch sein. Nicht zuletzt soll diese Sammlung ladinischer Autoren und ihrer Werke auch für die Schulen, sei es für Lehrer wie für Schüler, eine Anregung sein, sich mit ladinischer Literatur zu befassen.9 Denn eine ladinische Literaturge-schichte, die vergessene Autoren und unbekannte Texte erstmals präsentiert, erfüllt, regionalen Literaturgeschichten vergleichbar, durchaus auch die Auf-gabe einer Kulturgeschichtsschreibung.

1.1.2 Begriffsbestimmung: Rätoromanisch, Ladinisch, Rumantsch – Ladin – Furlan

In dieser Arbeit wird Rätoromanisch im Gartner’schen Sinn verwendet, d. h. als Überbegriff für die drei Hauptgebiete Bündnerromanisch (Rumantsch), Dolo-mitenladinisch (Ladin) und Friaulisch (Furlan). Hier ist weder der Ort, noch besteht die Notwendigkeit, diese Terminologie zu rechtfertigen oder die

Ent-7 Abgesehen davon, wird man sinnvollerweise nie eine Sprache für das Fehlen von hoher Literatur verant-wortlich machen, sondern eher danach fragen, aus welchen (historischen, geografischen, sozialen, politi-schen, kulturellen usw.) Gründen es ihre Sprecher nicht geschafft haben, hohe Literatur zu verfassen.

8 Diese Aussage treffen wir angesichts der Situation der Literatur-Rezipienten in den meisten Minderheiten-sprachen. Es ist aber unbestritten, dass auf der Seite der Literatur-Produzenten diese scharfe Trennung zwi-schen mündlicher und schriftlicher Sprache und zwizwi-schen Alltags- und Literatursprache nicht besteht. Es lässt sich durchaus in sehr enger Anlehnung an die Alltagssprache, in nähesprachlichen Registern, grosse Li-teratur verfassen. Ein berühmtes Beispiel für literarische Traditionen, die versuchen, mit einem extrem redu-zierten Grundwortschatz „große Texte“ zu schreiben, sind Peter Bichsels „Kindergeschichten“ (C. Riatsch).

9 Ein wichtiges Hilfsmittel diesbezüglich stellt auch das ladinische literarische Corpus VLL (Vocabolar dl Ladin Leterar, Vorstellung des Corpus in Videsott 2010) dar, das auf der Internetseite http://vll.ladintal.it die meisten der hier vorgestellten Texte in der Originalfassung sowie in einer in die heutige Orthografie umgeschriebenen Version zur Verfügung stellt.

wicklung dieser Idiome aus dem Lateinischen nachzuzeichnen; wir verweisen dafür auf die überaus zahlreich vorhandene einschlägige Bibliografie (vgl.

Videsott 2011b). Zwischen den genannten drei rätoromanischen Hauptge-bieten werden im Folgenden auch die Vergleiche innerhalb der Literaturpro-duktion gezogen, während das literarische Schrifttum in den halb- und perila-dinischen Idiomen des Nonsberg und des Cadore, auch wegen des vollkommen anderen soziolinguistischen Status dieser Werke, hier nicht berücksichtigt wird.

Das Rumantsch in Graubünden und das Ladin in den Dolomiten liegen bekanntlich in unterschiedlichen Dorf- und Talschaftsmundarten vor, die bis-her v. a. auf der Ebene von einzelnen Talschaften geschrieben bzw. standardi-siert worden sind. Die wichtigsten unter ihnen sind:

In Graubünden: das Sursilvan und Sutsilvan im Vorder- und Hinterrheintal, das Surmiran im Albulatal und Oberhalbstein, sowie das Puter und das Vallader im Ober- und Unterengadin (diese letzte Gruppe verwendet als Eigenbezeich-nung ebenfalls das Glottonym Ladin). Seit 1982 wurde in immer mehr Domä-nen die gemeinsame Schriftsprache Rumantsch Grischun eingeführt, die teil-weise auch im Literaturbetrieb Eingang gefunden hat (→ 3.6).

In der brixnerisch-tirolerischen Ladinia: Gherdëina in Gröden, Ladin scrit dla Val Badia (damit bezeichnet man die gadertalische Schriftkoine) im Gadertal, Fascian im Fassatal, Fodom in Buchenstein und Anpezan im Talkessel von Cortina d’Ampezzo. Die Talschaftsnormen in den dialektal stark gegliederten Tälern Gadertal und Fassa haben sich erst seit der Gründung der jeweiligen Kulturinstitute durchsetzen können, Buchenstein verschriftet noch heute die beiden Idiome Fodom und Ladin da Col getrennt. Insofern ist auch die moderne Literatur z. T. von diesen Untermundarten geprägt. Im Gadertal muss zumindest zwischen Mareo in Enneberg, Ladin de Mesaval im mittleren und Badiot im oberen Tal unterschieden werden, doch in der älteren Literatur erscheinen auch das Ladin da Rina, das Ladin da La Val und v. a. das Ladin da Calfosch, das in → Jan Batista Alton einen der herausragendsten ladinischen Autoren gestellt hat. Im Fassatal bestimmen die Idiome Cazet im oberen, Brach im mittleren und Moenat im untersten Tal noch immer die literarische Produktion, während die Verwendung des Ladin da Soraga in der Literatur v. a.

an → Giosef Brunel gebunden war. Die geringe dialektale Gliederung der Täler Gröden und Ampezzo spiegelt sich auch in ihren relativ einheitlich ver-schrifteten Idiomen wider. Die seit 1988 erarbeitete gemeinsame Schriftspra-che Ladin Dolomitan konnte bisher noch keine offizielle Domäne besetzen, ist aber von einigen Autoren als literarische Sprache verwendet worden (→ 3.6).

Im Friaul konnte sich hingegen über den gesprochenen Dialekten spätestens seit dem 19. Jh. die literarische Koiné etablieren. Die literarische Sprache der

Autoren, die sich der Koiné bedient haben, ist in meisterhafter Weise im Wör-terbuch von Faggin 1985 erfasst worden.

1.1.3 Literatur einer weniger verbreiteten Sprache vs. Literatur

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