• Keine Ergebnisse gefunden

3 METHODISCHER ZUGANG

4.7 Zentrale Befunde zum Feld „Duale Berufsausbildung“

Die Feldanalyse, welche auf einer Literatur- und Sekundärdatenanalyse sowie auf Befunden einer standardisierten Lehrlingsbefragung fußt, verfolgte den Anspruch, die Charakteristika des Feldes „Duale Berufsausbildung“ und die darin wirkenden Mechanismen203 sowie die Position von jungen Frauen herauszuarbeiten und somit die „Spielregeln“ und Grenzen des Feldes offen-zulegen (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996, 120ff). Durch die spezifische Verortung der dualen Berufsausbildung an der Schnittstelle „schulisches Bildungswesen“ und „Arbeitsmarkt“ erfolgte im Rahmen der Literatur- und Sekundärdatenanalyse auch eine fokussierte Auseinandersetzung mit diesen beiden Feldern und der Positionierung von jungen Frauen in diesen. Aufgrund der damit einhergehenden Komplexität wurde darüber hinaus der theoretische und empirische Forschungsstand, vor allem zum Aspekt Berufswahl, skizziert. Die Lehrlingsbefragung hingegen gab einen Überblick über die Ausbildungssituation und Berufswahl von jungen Frauen in den Top-Lehrberufen sowie eine erste grobe Einsicht in deren Lebenswelten.

Die Analyse des Feldes duale Berufsausbildung ergab ganz prinzipiell, dass angesichts des sozial selektiven österreichischen Bildungswesens überdurchschnittlich viele Lehrlinge aus niedrigen204 oder mittleren205 Bildungsschichten stammen und sich zu großen Teilen aus

AbsolventInnen der Hauptschulen und Neuen Mittelschulen rekrutieren. Auch 75% der befragten weiblichen Lehrlinge aus den Lehrberufen Einzelhandelskauffrau/-mann, Bürokauffrau/-mann, StylistIn sowie Restaurantfachfrau/-mann, Gastronomiefachfrau/-mann, Koch/Köchin in

Oberösterreich kommen aus niedrigen bis mittleren Bildungsschichten, während dieser Wert bei Studierenden an der JKU Linz vergleichsweise nur bei 55% liegt206 (vgl. Iller/ Lentner 2014).

Gleichzeitig absolvieren die befragten Lehrlinge aus höheren Bildungsschichten207 häufiger eine Lehre mit Matura. In einem derart konstituierten Bildungssystem steigt auch der Stellenwert von Bildungsentscheidungen, da trotz der formalen Durchlässigkeit eingeschlagene Bildungswege vielfach den weiteren Bildungsverlauf deutlich (mit)determinieren. Insofern ist, wie auch eine Vielzahl von empirischen Studien208 zeigt, von einer spezifischen, herkunftsbedingten Bildungs-aspiration auszugehen, die sich an den Bildungsverläufen der Eltern und des sozialen Umfeldes orientiert. Ganz allgemein ist im Zusammenhang mit der Bildungsexpansion (vgl. Hadjar/Becker 2011, 203) auch eine Erhöhung der Bildungsaspiration feststellbar, die sich in einem Beteili-gungsanstieg an maturaführenden Schulen bemerkbar macht. Dennoch ist gleichzeitig ein relativ konstantes Interesse an der dualen Berufsausbildung seit Mitte der 1990er-Jahre feststellbar (vgl.

auch Dornmayr/Löffler 2014, 96).

Wie das österreichische Bildungssystem insgesamt ist auch die duale Berufsausbildung als selektiv anstatt integrativ zu bewerten. Dabei erweist sich die konzeptionell vorgesehene Position der Lehrbetriebe in diesem Zusammenhang als Spezifikum der dualen Berufsausbildung. Denn die Lehrbetriebe bestimmen nicht nur über das Angebot am Lehrstellenmarkt und somit über die Zahl der möglichen Ausbildungsplätze, sondern auch darüber, welche(r) Jugendliche eine Chance erhält, eine Lehre zu absolvieren. Im Zusammenhang mit dieser Gatekeeping-Funktion bestehen

203Mit speziellem Fokus auf die Lehrberufe Einzelhandelskauffrau/-mann, Bürokauffrau/-mann, StylistIn, Restaurant-fachfrau/-mann, Gastronomiefachfrau/-mann und Köchin/Koch

204maximal Pflichtschulabschluss

205Sekundar-II-Abschluss ohne Reifeprüfung (BMS, Lehre)

206Würde man nur Personen aus niedrigen Bildungsschichten vergleichen, läge der Wert bei den befragten Lehrlingen bei 17% und umgekehrt bei den Studierenden der JKU Linz bei 7%.

207 Matura plus

208vgl. dazu etwa Bruneforth et al. 2012a, Steiner 2009, Bacher 2008, Schlögl/Lachmayr 2004

dabei keinerlei einheitliche Regelungen bzw. Standards, obwohl die Lehre ebenfalls konzeptio-nell nach wie vor auf schulisch leistungsschwächere SchülerInnen ausgerichtet ist. Dies wider-spricht jedoch grundsätzlich den gängigen Rekrutierungslogiken der Betriebe, die darauf abzielen, die/den beste(n) KandidatIn für die Lehrstelle zu gewinnen. Christian Imdorf (2005, 358f) arbeitet heraus, dass ein(e) gute(r) KandidatIn jemand ist, von der/dem angenommen wird, dass die Ausbildung möglichst reibungslos und mit minimalem Aufwand abläuft. Insofern, so Imdorf weiter, scheint sich ein Lehrverhältnis mit einem männlichen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund am lohnendsten. Während also der Grundgedanke, Lerninhalte stärker über einen praktischen anstatt über einen theoretischen Zugang zu vermitteln – gerade für Jugendliche, die sich mit dem schulischen Setting schwerer tun – zu befürworten ist, ist es aus einer (Bildungs-) Chancengleichheitsperspektive abzulehnen, die Chancen auf einen Sekundar-II-Abschluss und/oder in speziellen Berufsfeldern unterzukommen, von den Logiken der (Privat-)Wirtschaft abhängig zu machen. Diese Mechanismen wirken nicht nur insgesamt sozial selektiv, sondern strukturieren auch deutlich die Einstiegschancen von jungen Frauen (wie auch Männern) in bestimmte Berufsfelder mit.

Tatsächlich sind junge Frauen seit jeher im Bereich der dualen Berufsausbildung deutlich unterrepräsentiert.209 Gleichzeitig weisen Mädchen/junge Frauen seit den 1990er-Jahren höhere Bildungserfolge als Burschen auf (vgl. dazu etwa Bacher et al. 2008; Albert et al. 2010) und so wird auch das Phänomen der Bildungsexpansion auf deren Aufholprozess zurückgeführt. Dabei sind sie im Sekundar-II-Bereich überwiegend in schulischen (Berufs)Ausbildungen zu finden. Ein Grund für die Unterrepräsentanz in der dualen Berufsausbildung sowie die Fokussierung von Betrieben auf männliche Bewerber dürfte auch in der starken Verankerung der Lehre im produzierenden Bereich liegen (vgl. Dornmayr/Wieser 2010, 50). Ein Blick auf die Zahlen der Lehrstellensuchenden liefert überdies Indizien dafür, dass sich Burschen in der Rivalität um Lehrstellen erfolgreicher behaupten können. Denn gerade jene wenigen jungen Frauen, die sich für „atypische Berufe“ interessieren, scheinen einem deutlich stärkeren Konkurrenzkampf mit ihrem männlichen Gegenüber ausgesetzt zu sein (vgl. dazu auch Schreyer 1999). Gleichzeitig führt die stärkere Beteiligung von jungen Frauen in schulischen Berufsausbildungen auch zu Nachteilen, da diese im Vergleich zur dualen Berufsausbildung einen deutlich geringeren

Marktwert aufweisen und teilweise nur eine Vorstufe für eine weitere Berufsausbildung darstellen (vgl. Nissen et al. 2003; Lemmermöhle 2001, 182). Das ist auch dadurch bedingt, dass das

schulische Feld deutlich geschlechtsspezifisch segregiert ist. Mädchen konzentrieren sich im Sekundar-II-Bereich einerseits auf Allgemeinbildende sowie auf Berufsbildende Schulen, die (analog zu den Arbeitsmärkten) Kompetenzen vermitteln, welche auf der Verlängerungslinie der häuslichen Sphäre liegen. So ist auch das schulische Bildungswesen, aufgrund seiner Entwick-lungsgeschichte und der gebotenen Bildungswege (Stichwort: Fachschule mit Schwerpunkt Hauswirtschaft oder Kleinkind und Soziales), entgegen der arbeitsmarktpolitischen Bestrebungen, mehr Frauen für MINT-Berufe210 zu begeistern, strukturiert. Wenngleich die Bildungswege formal für alle offen stehen, zeigt sich insofern die geschlechtsspezifische strukturelle Ausgestal-tung, welche eine lange Tradition hat und nur zögerlich abgebaut wird, deutlich (vgl. Krüger 1991). Die bereits im Berufsausbildungssystem angelegten geschlechtsspezifischen Segregati-onsmuster setzen sich auf den Arbeitsmärkten fort.

209Aktuell machen sie 34% aller Lehrlinge aus.

210Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik

Fähigkeiten, die als Haushaltstugenden gelten, werden zu Geschlechtsspezifika der Er-werbsarbeit von Frauen gemacht (vgl. Becker-Schmidt 2007, 259). Überdurchschnittlich viele Frauen finden sich in beruflichen Feldern, die auf einer Verlängerungslinie der häuslichen Funktionen liegen (vgl. Bourdieu 2005, 163). Gleichzeitig weisen feminisierte Sektoren nur wenig Sozialprestige auf (vgl. Becker-Schmidt 2007, 261). „Je „zentraler“ ein Bereich für die Gesellschaft (definiert) ist, je „mächtiger“ eine Gruppe, desto weniger sind Frauen vertreten; und umgekehrt: als je „randständiger“ ein Aufgabenbereich gilt, je weniger „einflussreich“ eine Gruppe, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Frauen sich in diesen Feldern Beschäfti-gungsmöglichkeiten erobert haben“ (Beck 1986, 166). Darüber hinaus zeigen sich auch deutlich geschlechtsspezifische vertikale Segregationsmuster. Prinzipiell gilt, je höher die berufliche Funktion ist, umso weniger Frauen sind anzutreffen.211 Dabei wird die gesellschaftlich verankerte Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit und dementsprechend die geschlechtsspezi-fische Arbeitsteilung als ursächlich für die Schlechterstellung von Frauen am Arbeitsmarkt interpretiert.212 Da Frauen heute aber auch der Erwerbstätigkeit einen hohen Stellenwert im eigenen Lebenszusammenhang einräumen,213 hat sich gerade in Ländern wie Österreich die Teilzeitbeschäftigung als „Vereinbarkeitsstrategie“ herausgebildet (vgl. Hark/Villa 2010, 10).

Obwohl die Logiken der Ausbildungs- und Arbeitsmärkte eine erhebliche Rolle bei der ge-schlechtsspezifischen Allokation zu spielen scheinen und insofern primär strukturorientierte Erklärungsansätze angesprochen sind, kann dadurch nicht das gesamte Phänomen „geschlechter-stereotype Berufswahl“ erklärt werden. Ganz allgemein konzentrieren sich Burschen, faktisch, wie auf der Ebene der Wunschberufe auf männlich konnotierte und dominierte Berufe wie Metall-, Elektro- oder Kraftfahrzeugtechnik, während sich Mädchen, ebenfalls faktisch, wie auf Ebene der Wunschberufe auf weiblich konnotierte und dominierte Berufe, wie die Einzelhandels-kauffrau, die Bürokauffrau und die Stylistin oder klassische Gastronomieberufe fokussieren.

Gleichzeitig konzentrieren sich im Speziellen Mädchen auf nur wenige Berufe. Zwar hat sich im Laufe der Jahre die Berufspalette vergrößert, jedoch fand diese vermeintliche Öffnung in

Richtung neuer, spezifizierter, aber nach wie vor deutlich genderstereotyper Berufe, wie beispielsweise die Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin, statt. So manifestiert sich in der Betrachtung der Top-Lehrberufe der jungen Frauen die Stabilität der Berufswünsche sowie der Berufswahl von jungen Frauen, gepaart mit einer genderstereotypen Arbeitskräfte-Nachfrage.

Die Feldanalyse macht deutlich, dass es diesbezüglich in den letzten 25 Jahren kaum zu Veränderungen gekommen ist und frauenspezifische Förderprogramme bisher nur mäßig Wirkung gezeigt haben.214 Die Top-Lehrberufe der Mädchen waren und sind die Lehrberufe Einzelhandelskauffrau, gefolgt von Bürokauffrau und Stylistin. Aber auch die klassischen gastronomischen Lehrberufe spielen nach wie vor eine dominante, wenn auch abgeschwächte, Rolle. Alles in allem wird sichtbar, dass die Lehrberufe Bürokauffrau und Stylistin die eigentli-chen Wunschberufe der jungen Frauen sind, während die Einzelhandelskauffrau und die

gastronomischen Berufe die (gesellschaftlich vorgesehenen) eher unfreiwilligen Ausweichberufe sind. Dieser Befund zieht sich durch nahezu alle quantitativen Analyse-Ergebnisse und deckt sich mit vorangegangenen Lehrlingsbefragungen für Oberösterreich (vgl. Niederberger/Affenzeller 2004; Blumberger et al. 1994a). So betonen Stylistinnen wie auch Bürokauffrauen häufiger, dass

211vgl. dazu etwa Bock-Schappelwein 2015, Maurer 2014, Statistik Austria 2015, BKA 2010, Prenner/Scheibelhofer 2001

212vgl. dazu etwa Becker-Schmidt/Krüger 2009, Wetterer 2009, Bourdieu 2005, Nissen et al. 2003

213vgl. dazu das Konzept der doppelten Vergesellschaftung nach Becker-Schmidt 1989; 2010

214vgl. dazu etwa Gutknecht-Gmeiner 2011, Lassnigg/Baethge 2011, Chisholm 2010, Ihsen 2010, Nissen et al. 2003, Lemmermöhle 2001

dieser Beruf ihr Wunschberuf war und es scheinbar immer noch ist. Immerhin geben diese beiden Gruppen im Vergleich zu den anderen öfter an, sich auch aus heutiger Sicht wieder für diesen Beruf zu entscheiden. Darüber hinaus zeigen sie sich mit ihrer Ausbildungssituation insgesamt deutlich zufriedener. Bei den Bürokauffrauen kommt noch hinzu, dass diese es auch häufiger sehr begrüßen würden, von ihrem Lehrbetrieb übernommen zu werden.

Dennoch ist der Einzelhandel seit Beginn der Aufzeichnungen jener Beruf, der sowohl die Top-10-Liste der Lehrberufe allgemein215 als auch jene der Mädchen anführt. Der Beruf ist mittlerweile stark ausdifferenziert. Dabei zeigen sich innerhalb der 14 wählbaren Schwerpunkte erneut geschlechtsspezifische Segregationsmuster. Vor allem die Schwerpunkte Parfümerie, Schuhe, Uhren- und Juwelenberatung sowie Textilhandel sind nahezu zu 100% in weiblicher Hand. Gemessen am subjektiven Empfinden und dem Einkommen gehört die Einzelhandelslehre zu jenen Berufen, in denen nur eine geringe Chance auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn besteht. Außerdem sind fünf Jahre nach Lehrabschluss 56% aller AbsolventInnen nicht mehr im erlernten Beruf tätig (vgl. Niederberger/Affenzeller 2004, 139). Auch durch die Lehrlingsbefra-gung wurde deutlich, dass sich der Aspekt der Lehrberufswahl als Notlösung im Kontext

Einzelhandel für die Wenigsten in Wohlgefallen auflöst und sie sich „aus heutiger Sicht“ deutlich seltener vorstellen können diesen Lehrberuf noch einmal zu wählen. Sie sind unzufriedener mit ihrer Ausbildungssituation und empfinden andererseits den Job häufiger als frustrierende Pflicht mit wenig Entwicklungspotenzial.

Der Lehrberuf der/des Bürokauffrau/-mannes belegt seit Beginn der Aufzeichnungen den zweiten Platz der Top-10-Liste der Mädchen. Rund 80% aller Lehrlinge in diesem Beruf sind junge Frauen. Ganz allgemein kann in diesem Bereich eine geringe Fluktuation beobachtet werden und so handelt es sich im Vergleich zu anderen Lehrberufen in der Regel um auffällig stabile Berufskarrieren. Dementsprechend sind auch 72% aller Bürokauffrauen/-männer auch fünf Jahre nach Lehrabschluss noch im Beruf tätig (vgl. ebd., 95f; 134). Der Büroberuf erweist sich vielfach als Wunschberuf (vgl. Lentner 2011; Blumberger et al. 1994a, 19). Das führt zu einer erhöhten Konkurrenzsituation am Lehrstellenmarkt, zumal verstärkt AbbrecherInnen und AbsolventInnen von mittleren und höheren Schulen, im Speziellen jene aus den Handelsschulen und -akademien, in diesen Lehrberuf strömen (vgl. Schmid et al. 2014, 25; AMS Österreich 2015). Auf der Ebene der Lebensentwürfe zeigt sich, dass die befragten Bürokauffrauen im Gegensatz zu den Vergleichsgruppen eine höhere Bildungsaffinität aufweisen und doch häufiger eine auf das Privatleben-hin-orientierte Ausbildungswahl treffen. Diese jungen Frauen entschei-den sich aus subjektiver Sicht für einen potenziell geistig anspruchsvollen Traumberuf mit genügend Freizeit aber auch Entwicklungspotenzial. Der Aspekt des Traumberufs ergibt sich dabei nicht nur durch die Sicht auf das Tätigkeitsprofil und die gesellschaftliche Anerkennung des Berufs, sondern auch durch den Umstand, dass die Ausübung des Berufs ausreichend Freizeit lässt. Die befragten Bürokauffrauen können sich daher gut vorstellen, diesen Beruf dauerhaft auszuüben, auch wenn es langfristig gesehen nicht möglich ist, die eigenen Interessen beruflich auszuleben. Die geringe Fluktuation unter LehrabsolventInnen in diesem Berufsfeld lässt vermuten, dass diese grundsätzliche Haltung auch langfristig bestehen bleibt.

215 beide Geschlechter zusammen

Auch der Beruf der Stylistin erfreut sich seit langem einer großen Beliebtheit unter jungen Frauen.216 Heute sind 91% aller FrisörInnen-Lehrlinge weiblich.217 Die Beschäftigungschancen sind, laut AMS Österreich (2015) für gut ausgebildete LehrabsolventInnen mit Bereitschaft zur ständigen Weiterbildung recht gut. Allerdings scheint es langfristig gesehen und gemessen am subjektiven Empfinden und dem Einkommen, dass dieser Beruf nur geringe Chancen auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn bietet (vgl. Niederberger/ Affenzeller 2005, 265; Blumberger et al. 1994a, 25). Dennoch treffen die befragten Stylistinnen, die häufig in Kleinbetrieben tätig sind, zunächst sehr häufig eine bewusste, interessen-orientierte Berufswahl. Für sie, so scheint es, ist der Beruf eine Berufung: eine Möglichkeit, die eigenen Interessen (leidenschaftlich) ausleben zu können. Sie beschreiben ihren Beruf als einen, der einem alles abverlangt aber individuell auch viel zurückgibt. Diese Einschätzung, in diesem Beruf die eigenen Interessen langfristig ausleben zu können, bestärkt sie in der Berufseinstiegsphase im Wunsch, diesen Beruf dauerhaft auszu-üben, eventuell auch einmal als selbständige Stylistin.

Die drei „Klassiker“ der gastronomischen Lehrberufe – Restaurantfachfrau/-mann, Köchin/

Koch, Gastronomiefachfrau/-mann – finden sich ebenfalls seit Beginn der Aufzeichnungen unter den Top-10-Lehrberufen der Mädchen und doch sind sie, im Gegensatz zu den anderen Lehrberu-fen, nicht von jungen Frauen dominiert.218 Ein differenzierter Blick macht deutlich, dass der Beruf der/des Restaurantfachfrau/-mannes innerhalb der gastronomischen Lehrberufe die

eigentliche Frauendomäne darstellt, während auf die Köchin/den Koch das Gegenteil zutrifft. Der Bereich der gastronomischen Lehrberufe musste in den letzten 10 Jahren ganz allgemein mit massiven Einbrüchen in den Lehrlingszahlen kämpfen. Gleichzeitig sind in der Branche Tourismus und Freizeit insgesamt hohe Dropout-Quoten bei Lehrlingen beobachtbar (vgl.

Schmid et al. 2014, 38). Die befragten Gastronomie-Lehrlinge erweisen sich als die unzufrieden-ste Gruppe mit ihrer Ausbildungssituation. Daher können sich viele nicht vorunzufrieden-stellen, sich auch heute noch einmal für diesen Beruf zu entscheiden. Inwieweit das auf die vielfach schlechte Ausbildungsqualität (vgl. Haggenmiller 2014, 7; Niederberger/Affenzeller 2005, 142) und die schwierigen Arbeitsbedingungen (z.B. Sonn- und Feiertagsarbeit, häufige Überstunden, unregel-mäßige Arbeitszeiten, niedrige Entlohnung) (vgl. AMS Österreich 2015) zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Die vielen Berufswechsler, die sich dadurch ergeben, bedeuten für Fachkräfte (mit Spezialkenntnissen, z.B. Vollwertkost) gute Beschäftigungsmög-lichkeiten. Gemessen am subjektiven Empfinden und dem Einkommen gehört die Gastronomie aber zu jenen Arbeitsmarktsegmenten mit nur geringen Chancen auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn (vgl. Niederberger/Affenzeller 2005, 26). Gleichzeitig zeigen sich in diesem Feld auch geschlechtsspezifische Entwicklungs- und Karrierechancen. So werden in der Spitzengastronomie beispielsweise nach wie vor Männer bevorzugt (vgl. AMS Österreich 2015). Diese Einschätzung teilen die befragten weiblichen Gastronomie-Lehrlinge nicht. Sie beschreiben ihren Beruf als einen, der ihnen viel abverlangt aber auch viel zurückgibt, geistig anspruchsvoll ist und vor allem als einen Beruf mit Entwicklungs- und Karrierepotenzial. Ein nicht unerheblicher Teil kann sich dabei – langfristig gesehen – vorstellen, den Weg in die Selbständigkeit zu gehen. Aufgrund der hohen Unzufriedenheit im Beruf betonen aber auch viele, diesen Job nicht ewig machen zu wollen.

216Seit Beginn der Aufzeichnungen immer Platz 3 der Top-10-Liste der Mädchen

217Der Beruf der Friseurin/des Friseurs ist einer jener Berufe, die im Laufe der Zeit einen „Geschlechterwechsel“

vollzogen hat (vgl. Wetterer 2009, 46).

21847% aller Lehrlinge in den klassischen Lehrberufen der Gastronomie sind junge Frauen.

Auf der Ebene der Lebenswelten dieser jungen Frauen gab die Lehrlingsbefragung deutliche Hinweise darauf, dass die große Mehrheit der weiblichen Lehrlinge in einschlägigen Lehrberufen als „Familienfrauen“ mit unterschiedlich stark ausgeprägter traditioneller Ausrichtung bezeichnet werden kann. Das trifft insbesondere auf junge Frauen zu, auf denen der Forschungsfokus dieser Arbeit liegt: junge Frauen aus niedrigen bis mittleren Bildungsschichten. Sie räumen der Familie und der eigenen Rolle als zukünftige Mutter im eigenen Lebenszusammenhang einen sehr hohen Stellenwert ein. Spannend ist, dass auch jene jungen Frauen, die stark erwerbsorientiert sind und hohe Gleichberechtigungsansprüche haben (vor allem junge Frauen aus höheren Bildungsschich-ten), der Mutterrolle ebenfalls eine Sonderstellung einräumen und Zweifel haben, dass auch Männer eine gleichberechtigte Ausrichtung mittragen. Sie planen für sich „unabhängig“, wie auch Angela McRobbie (2010, 117f) herausarbeitet, die Vereinbarkeit von Erwerbsleben und

Kindererziehung/-betreuung sowie Haushalt und bauen auf staatliche Unterstützung (z.B. in Form von Kinderbetreuungseinrichtungen). Die Wertehaltungen der befragten jungen Frauen unter-scheiden sich insofern primär hinsichtlich der Einstellung zur Berufstätigkeit von Frauen. Dabei werden die nach wie vor gängigen partnerschaftlichen Arbeitsteilungsmodelle antizipiert. Der größte Teil – so scheint es – möchte grundsätzlich berufstätig sein und strebt eine Dazu-Verdienerinnen-Rolle an. Das bedeutet, nach der Absolvierung einer Berufsausbildung und während der Familiengründungsphase zunächst einen vorübergehenden Rückzug aus dem

Erwerbsleben, gefolgt von einer Teilzeit-Anstellung. Im Zentrum steht dabei der Anspruch, einen gewissen finanziellen Wohlstand zu erreichen und zu halten. Erwerbsarbeit wird daher als wichtiger Bestandteil im eigenen Lebenszusammenhang interpretiert. Umgekehrt gibt es auch einen nicht unerheblichen Teil, der im Zuge der Familiengründungsphase einen längerfristigen Rückzug aus dem Erwerbsleben anstrebt. Diese jungen Frauen wollen sich einmal ganz auf die Familie konzentrieren und sich eventuell noch ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagieren. Die eigene Erwerbsarbeit nimmt folglich nur einen geringen Rang im eigenen Lebenszusammenhang ein. Diese beiden Lebenskonzepte sind es auch, die die meisten Befragten von ihren eigenen Familien vorgelebt bekommen haben. Ein anderer Teil wiederum räumt vor allem der eigenen Berufstätigkeit einen besonders hohen Stellenwert ein. Diese jungen Frauen möchten auch im Fall einer Familiengründung so schnell wie möglich wieder ins Berufsleben zurück und befürworten den Verbleib der Kinder in staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen. Für sie ist Berufstätigkeit auch ein Mittel zur Selbstverwirklichung. Gleichzeitig wünschen sie sich auch in der häuslichen Sphäre eine gleichberechtigte Partnerschaft, in der die Kinderbetreuungspflichten und Hausarbeit gerecht aufgeteilt werden. Prinzipiell gilt aber auch: Ist der Lehrberuf auch der Wunschberuf, hat die Erwerbsarbeit insgesamt eine höhere Bedeutung im eigenen Lebenskontext.

Die Lehrlingsbefragung machte überdies deutlich, wie tief verwurzelt die Fokussierung genderstereotyper Berufe in den Köpfen der betroffenen jungen Frauen ist. So war der ergriffene Lehrberuf für 54% der Befragten die erste Wahl. Gleichzeitig benennen jene Mädchen, die eigentlich etwas anderes machen wollten, überwiegend andere geschlechtsspezifisch konnotierte Berufe (z.B. Sozial- und Gesundheitsberufe) als eigentlichen Wunschberuf.219 Aktuelle soziologi-sche Erklärungsansätze zur geschlechterstereotypen Berufswahl betonen daher auch das

komplexe Zusammenwirken gesellschaftlicher Strukturen und Zuweisungsprozesse sowie

subjektiver Konstruktionen und insofern ein dialektisches und auch konstruktivistisches Moment.

Obwohl diese Ansätze im Kontext Forschungsstand als die aktuellsten erscheinen (vgl. Nissen et al. 2003; Faulstich-Wieland 2014), kann festgehalten werden, dass sich eigentlich nur vier

219vgl. dazu auch Lentner 2011, 101

AutorInnen(-Gruppen)220 identifizieren lassen, die solche Konzepte im Kontext Berufswahl verfolgen und auch näher ausführen. Außerdem fanden solche Erklärungsansätze bisher kaum Berücksichtigung in der pädagogischen bzw. psychologischen Literatur zur Thematik. Überdies ist anzuführen, dass die vorgestellten soziologischen Ansätze zur geschlechtsspezifischen Berufswahl in ihren Ausführungen auf die Struktur Kategorie Geschlecht fokussieren und insofern der Aspekt der sozialen Herkunft außer Acht gelassen wird, was auch bedeutet, dass junge Frauen nicht im Kontext ihrer sozialen Lage gefasst werden.

Ganz allgemein kann in Bezug auf die soziologische Auseinandersetzung mit dem Thema Übergang Schule-Beruf/Ausbildung konstatiert werden, dass sich diese primär mit den Auswir-kungen der Transformationsprozesse im Kontext Arbeitsmarkt beschäftigt. Dabei wird betont, dass Übergänge heute aktiv gestaltet werden müssen, was eine gewisse Kompetenz(entwicklung) voraussetzt, auch weil vorgegebene Pfade nicht mehr vorhanden sind.221 Dementsprechend hat die einschlägige Literatur, welche aber vor allem im Bereich der Pädagogik und Psychologie angesiedelt ist, einen sehr angewandten Charakter und fokussiert stark auf das handelnde Subjekt bzw. die Ausgestaltung möglicher Unterstützungsstrukturen (z.B. Schule und Berufsorientie-rung). Im Rahmen dieses arbeitsmarktpolitischen Charakters wird auch der Aspekt der ge-schlechtsspezifischen Berufswahl thematisiert und primär empfehlungs-orientiert herausgearbei-tet, wie frauenspezifische Förderungsprogramme gestaltet sein müssen, um mehr junge Frauen, vor allem für den MINT-Bereich, zu begeistern. „Fast gebetsmühlenartig wird betont, dass die Auflösung der Geschlechterdifferenz und Geschlechtsunterschiede auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen sei, würden Mädchen und junge Frauen nur endlich die richtigen Berufe - sprich

Männerberufe - wählen oder das richtige - sprich technische - Fach studieren“ (Nissen et al. 2003, 45). Gleichzeitig kann auch festgestellt werden, dass gerade solche Programme bis heute nur bedingt Wirkungen erzielen.222

Auf Basis dieser Erkenntnis und dem aktuellen soziologischen Verständni,s geschlechtsspe-zifische Berufswahlentscheidungen als Ursache eines komplexen Zusammenspiels von individu-ellen Handlungsmustern und strukturindividu-ellen Bedingungen zu interpretieren, gepaart mit dem Umstand, dass nur wenige empirische Studien vorhanden sind, die den Berufsfindungsprozess in umfassender, ganzheitlicher Weise in den Blick nehmen und diese überdies die Beharrungsten-denzen nicht erklären können (vgl. Nissen et al. 2003, 119; Faulstich-Wieland 2014, 42),

erscheint das Heranziehen eines verstehenden, praxeologischen Struktur- und Handlungsansatzes überaus fruchtbar. Um dieser ganzheitlichen Perspektive sowie den Grundsätze eines praxeologi-schen Forschungsstils, welcher durch eine enge Verzahnung von Theorie und Empirie charakteri-siert ist,223 entsprechend Rechnung zu tragen, wurde eine qualitative Analyse der Lebenswelten von jungen Frauen realisiert. Ziel war es, über die Identifikation von individuellen Lebenskon-struktionen die dahinterliegenden Logiken sozialer Praxen im Weber‘schen Sinn zu verstehen (vgl. Kaufmann 1999, 11) und insofern spezifisches Bildungs- und Berufswahlverhalten.

220vgl. dazu Heinz et al. 1985, Lemmermöhle-Thüsing 1990, Kühnlein/Paul-Kohlkopf 1996, Faulstich-Wieland 2014

221vgl. dazu etwa Heinz 2010, Aulenbacher/Riefgraf 2009, Sennett 2006, Heinz 2005, Paul-Kohlhoff/Zybell 2005, Stauber/Walther 2004, Lemmermöhle 2001, Beck et al. 1999, Voß/Pongratz 1998, Beck 1986

222vgl. dazu etwa Gutknecht-Gmeiner 2011, Lassnigg/Baethge 2011, Chisholm 2010, Ihsen 2010, Nissen et al. 2003, Lemmermöhle 2001

223siehe dazu im Detail Kapitel 3

5 L EBENSKONSTRUKTIONEN WEIBLICHER L EHRLINGE

Die qualitative Analyse enthält zwei zentrale inhaltliche Stränge. Zu Beginn werden alle Gesprächspartnerinnen224 und deren biografische Charakteristika, vor allem auch in Bezug auf die Bildungs- und Berufswahlprozesse skizziert, um einen vollständigen Überblick zu erhalten. Diese Skizzierung aller Fälle dient aber nicht nur dem Anspruch, allen auskunftsbereiten jungen Frauen – ohne deren Offenheit dieses Forschungsprojekt nicht möglich gewesen wäre – einen entspre-chenden Raum in der Arbeit zu geben, sondern die Datengrundlage offenzulegen. Denn auch wenn nur in ausgewählten Fällen die Feinanalyse bzw. Rekonstruktionsarbeit im Detail darge-stellt wird, so wurden doch alle Fälle einer solchen Betrachtung unterzogen. Diese Analyse-Ergebnisse flossen einerseits in die Feinanalyse der dargestellten Fälle ein und andererseits vor allem in die abschließende Theoriebildung. Daher erschien es notwendig, zumindest einen groben inhaltlichen Überblick über alle Gesprächspartnerinnen zu geben.

Im zweiten Teil der Analyse werden die Lebenskonstruktionen (vgl. Bude 1987), die sozia-len Praxen und die ihnen zugrundeliegenden (subjektiven) Handlungs(logiken) im Sinne eines Struktur-Handlungs-Ansatzes anhand vier ausgewählter Fallbeispiele mittels Feinanalyse rekonstruiert. Diese Fälle eint auf biografischer Ebene zunächst, dass sie alle eine Berufsausbil-dung auf mittlerem Niveau gezielt anstrebten und die Lehre225 keine Ausweichstrategie nach einem Scheitern in einer höheren Schule darstellte und/oder durch ein biografisches, familiäres Schlüsselereignis (z.B. Tod der Mutter) eingeleitet wurde. Darüber hinaus erweisen sie sich jeweils als aufschlussreiche „Repräsentantinnen“ für ihren Lehrberuf, womit der Anspruch erfüllt werden kann, alle fokussierten Berufsbilder durch mindestens einen Fall in Form der dargestellten Feinanalyse zu verdeutlichen. Diese exemplarische Darstellung von „nur“ vier Fällen bedeutet aber nicht, dass sich die abschließende Synthese nur auf diese vier bezieht.

224mit Ausnahme der vier Fallbeispiele zur Tiefenanalyse

225in einem Fall die BMS