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3 METHODISCHER ZUGANG

3.3 Empirische Erhebung II – Qualitative Erhebung und Analyse

3.3.3 Auswertungsprozess

Die Auswertung des qualitativen Materials erfolgte in einem zweistufigen Prozess. Am Be-ginn stand die Rekonstruktion der habituellen Strukturen der Gesprächspartnerinnen und insofern die Analyse des Subjekts als „Projektionsfläche von habituellen Wirkungen“ (vgl. Bourdieu 1981, 171). Inhaltlich lag der Fokus auf den Lebenskonstruktionen und den sich darin entfalteten Bildungsverläufen und Berufswahlprozesse. Zur Veranschaulichung dieser Rekonstruktionsarbeit werden in Kapitel 5 vier ausgewählte Fälle47 im Detail skizziert.

In einem zweiten Schritt erfolgte eine reflexive Theoriebildung, erneut auf Basis der Tech-nik des verstehenden Interviews (vgl. Kaufmann 1999, 111ff). Ziel dieses zweiten Auswertungs-schrittes war die Reduktion der Komplexität des Wirklichen und insofern eine auf die Empirie rückgebundene Modellbildung hinsichtlich der Berufswahlprozesse von jungen Frauen aus ländlichen Sozialräumen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, wie Kaufmann betont, nicht in alten Kategorien gefangen zu bleiben. Konkret bedeutet das, dass anhand des Materials ständig neue Hypothesen gebildet werden, welche immer wieder überdacht, aneinander gerieben und gegebenenfalls verworfen werden. Für Kaufmann geht das mit einer bestimmten Haltung der Forscherin/ des Forschers einher. „Die Auswertung des Materials muß in aktiver und produktiver Weise stattfinden; es besteht hier also eine Art pausenlose Pflicht zur Entdeckung, ohne die die Forschungsarbeit als gescheitert betrachtet werden müßte“ (ebd., 113f). Obwohl dies eine Art leidenschaftlichen Wissensdurst voraussetzt, gilt es, in der Auswertungsphase Emotionen

47siehe dazu im Detail Kapitel 5

auszuschließen bzw. weitest möglich zu kontrollieren. Die Hypothesenbildung erfolgt, im

Gegensatz zur klassischen Theoriebildung nicht auf Basis von freischwebenden, abstrakten Ideen, die es erlauben, sich alle möglichen „Verknüpfungen“ auszudenken, stattdessen wird die

empirisch fundierte Theorie durch die Empirie begrenzt und die Bewegungsfreiheit einge-schränkt. Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf den Umgang mit Fakten, Statistiken oder Interviewauszügen. Während die klassische Theoriebildung diese lediglich zur Hintergrundillust-ration und als Argumentationsstütze heranzieht, sind sie in der empirisch fundierten Theorie ein eigenständiges Element der Argumentation. Darüber hinaus tragen bei letzterer „(..) alle zur Sprache gekommenen Kategorien unabhängig von ihrem Status in der Wissenshierarchie – von der niedrigsten, normalsten, gewöhnlichsten und alltäglichsten bis hin zur legitimsten und mit dem Ruhm ihrer Präsenz in soziologischen Handbüchern ausgestatteten – zur Konstruktion des Gegenstandes bei“ (ebd., 127). Insofern erweist sich die ständige Konfrontation von lokalem (autochthone Kategorien) und globalem Wissen (abstrakte Konzepte) als zentral für empirisch fundierte Theorien. Wesentlich ist immer, die autochthonen Kategorien zu verstehen, denn der

„normale Mensch“ ist im Verständnis des verstehenden Interviews TrägerIn einer unbekannten Kultur, die es zu entdecken gilt. So bleibt das lokale Wissen, auch wenn mehr über seine Bestimmungsfaktoren herausgefunden wird und es dadurch immer rudimentärer, partieller, illusorischer und ausschnitthafter erscheint, die Quelle aller theoretischen Entwürfe.

Der Ursprung einer Hypothese liegt, im Sinne der Methode des verstehenden Interviews, in der Gleichzeitigkeit einer „unerwarteten Verknüpfung“ und der Konzentration auf eine kleine Anzahl von Ideen begründet. „Im Zentrum des Schaffensprozesses steht somit die Aufmerksam-keit, die auf die Verknüpfung als solche gerichtet ist. Die ideale Verknüpfung geht von einem beobachteten Tatbestand aus und verbindet ihn mit einer zentralen Hypothese, die dadurch gleichzeitig transformiert wird“ (ebd., 130). Wesentlich ist, dass eine Hypothese nie alleine steht, sondern in ein Gesamtmodell eingebettet ist, wodurch sie kontrolliert und aufrechterhalten wird, genauso wie sie mit dem Modell in Wechselwirkung steht. Bei der Entwicklung des Modells wird dem Entdeckungsszenario der Vorrang und „Gegenbeispielen“ eine Chance gegeben, in dem diese genau angeschaut werden, statt sich im Modell einzuschließen. Denn es gibt niemals zwei Fälle, die ein Modell auf ein- und dieselbe Weise illustrieren, stattdessen erhält das Modell durch jeden Fall eine Spezifikation. Das finale Modell funktioniert aber wie eine lineare Erzählung und so ergibt sich der rote Faden durch eine Reihung von Leitideen.

Zur Erreichung dieses Anspruchs schlägt Kaufmann mehrere Techniken und Hilfsmittel vor.

Unter der Verwendung von drei technischen Werkzeugen – der Aufnahme/ dem Transkript, dem Karteikasten (Sammlung von Daten und Hypothesen), der Gliederung, die ständig weiterentwi-ckelt wird – wird mit einem Fragenkatalog im Kopf das empirische Material bearbeitet. Zunächst wird alles, was einem in den Sinn kommt, auf Karteikärtchen notiert. Dieses Aufschreiben dient vor allem dazu, das Denken zu schärfen und voranzutreiben. Am Ende werden die Kärtchen und insofern die Hypothesen geordnet. Kaufmann räumt in diesem Prozess dem gesprochenen Wort einen besonders hohen Stellenwert ein. Er betont, dass das gesprochene Wort einen direkten Zugang zu Gefühlen und das intensive Eintauchen in die Lebensgeschichte ermöglicht. Dies erweist sich wiederum als Voraussetzung, um dem soziologischen Gegenstand Volumen zu geben und diesen möglichst nah an der Empirie zu entwickeln. Das geschriebene Wort (Transkript) ist für Kaufmann hingegen bereits sehr reduktionistisch und eignet sich insofern gut für eindimen-sionale Präsentationen, zum Sortieren und Ordnen sowie zum Bilden von Kategorien und Typologien. Trotz dieses Plädoyers für das gesprochene Wort wurden im Rahmen dieser Arbeit

alle Gespräche vollständig transkribiert,48 wodurch die Transkripte auch eine zentrale Grundlage der Auswertungsarbeit bildeten. Das gesprochene Wort in Form der Aufnahmen wurde aber nicht außer Acht gelassen und bereicherte die Arbeit nachhaltig.

Neben der allgemeinen Erläuterung der Auswertungstechnik benennt Kaufmann drei we-sentliche Hilfsmittel zur Modellbildung (vgl. ebd., 140ff). Zunächst gilt es, auf ständig wieder-kehrende Sätze zu achten. Diese verweisen auf den „common-sense“, auf Dinge, die als Selbst-verständlichkeit übernommen und weitergegeben werden. „Es sind die banalsten und beiläufigs-ten Sätze, die gesellschaftlich gesehen die wichtigsbeiläufigs-ten sind“ (ebd., 141). Diesen begegne man, so Kaufmann weiter, häufig in ständig wiederkehrenden Äußerungen, welche auf gesellschaftliche Markierungen hinweisen. Darüber hinaus müssen Widersprüche in den Diskursen aufgespürt werden, da diese darauf aufmerksam machen, dass unterschiedliche Logiken am Werk sind.

„Individuen werden nicht in großen, genau begrenzten und stabilen Rollen sozialisiert, sondern pendeln fortwährend innerhalb eines ganzen Bündels von Rollen hin und her, wodurch Sozialisa-tionsrahmen aufeinandertreffen, die sich gleichzeitig sehr nah sind und sich sehr stark voneinan-der unterscheiden“ (ebd. 145). Abschließend muss voneinan-der Fokus auf die Schnittmenge von wievoneinan-der- wieder-kehrenden Sätzen und Widersprüchen gerichtet werden. Denn ständig wiederkehrende Wider-sprüche sind ein zentrales Element der Beweisführung und Illustration.

48Kaufmann (ebd., 119) selbst sieht immer von einer vollständigen Transkription ab und notiert auf seinen Karteikärt-chen nur, was interessant sein könnte, im Sinne einer partiellen Transkription.

4 F ELD DUALE B ERUFSAUSBILDUNG

Die folgende Feldanalyse gliedert sich in zwei zentrale Teile, in eine Literatur- und Sekun-därdatenanalyse sowie in eine Skizzierung der Befunde aus der quantitativen Lehrlingsbefragung.

Dabei wird der Anspruch verfolgt, die Charakteristika des Feldes „Duale Berufsausbildung“ und die darin wirkenden Mechanismen49 sowie die Position von jungen Frauen in diesen herauszuar-beiten und somit die „Spielregeln“ und Grenzen des Feldes offen zu legen (vgl. Bourdieu/

Wacquant 1996, 120ff).

Durch die spezifische Verortung der dualen Berufsausbildung an der Schnittstelle schuli-sches Bildungswesen und Arbeitsmarkt erfolgt im Rahmen der Literatur- und Sekundärdatenana-lyse auch eine fokussierte Auseinandersetzung mit diesen beiden Feldern und der Positionierung von jungen Frauen in diesen. Aufgrund der damit einhergehenden Komplexität wird überdies der theoretische und empirische Forschungsstand, vor allem zum Aspekt Berufswahl, skizziert.

Die Befunde aus der Lehrlingsbefragung sollen wiederum ein umfangreiches und doch überblicksartiges Detailwissen über die Lebenswelten von weiblichen Lehrlingen in den Top-Lehrberufen der jungen Frauen liefern, welches in dieser fokussierten Form nicht verfügbar war.

Neben soziodemografischen Aspekten sowie Informationen zur Ausbildungssituation stehen inhaltlich einerseits die Berufswahl sowie der Stellenwert des (Lehr)Berufs im eigenen Lebenszu-sammenhang im Mittelpunkt und andererseits Lebenswünsche und Zukunftsperspektiven.

Insofern soll die quantitative Befragung weiblicher Lehrlinge in den Top-Lehrberufen der Frauen auch einen ersten Einblick in deren Lebenswelten liefern.