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3 METHODISCHER ZUGANG

5.5 Die Lehre als Notlösung in einer problematischen Lebensphase

5.5.2 Eine Lehre in der Gastronomie

Tagen ins zweite Lehrjahr und ich bleibe nicht mehr da! Ich hör‘ jetzt auf!“ Daraufhin erbittet sich die Mutter etwas Bedenkzeit und nach zwei Stunden kommt der erlösende Anruf: „Ja, hör‘

auf.“

Zurück zu Hause dauert es zwei Tage und ihre aktuelle Lehrstelle fällt ihr mehr oder weni-ger in den Schoß. Die Eltern ihres Ex-Freundes kommen mit einem ortsansässigen Freund und Gastronomen über seine Arbeitssituation ins Gespräch. Er klagt über zu wenig Küchenpersonal und zu viel Stress. Als er von Margit erfährt, ist er sich sicher: „Die will ich haben“. So geht alles ganz schnell, obwohl Margit noch ein Bewerbungsgespräch und zwei Tage Schnuppern einfor-dert. Der neue, viel kleinere, Lehrbetrieb ist in vielerlei Hinsicht ein absoluter Kontrast zum ersten und doch herrscht auch hier mitunter ein rauer Ton. In der Küche sind neben dem Chef und Margit noch ein Lehrling im ersten Lehrjahr und eine Abwäscherin beschäftigt, genauso wie die Ehefrau des Chefs zu Stoßzeiten immer wieder mal aushilft. Das Service-Personal setzt sich aus drei Kellnerinnen zusammen, mit denen das Verhältnis überraschenderweise „extrem gut“ ist.

Während im ersten Lehrbetrieb immer ein latenter Kampf zwischen Küchen- und Service-Personal herrschte, verstehen sich hier alle gut und man hilft sich sogar gegenseitig.

Hier im neuen Lehrbetrieb, so scheint es, ist sie nicht nur ein Lehrling, der vor allem für einfache Tätigkeiten zuständig ist (z.B. Gemüse schneiden, Erdäpfel schälen, am Buffet Essen austeilen), hier ist sie eine „vollwertige Arbeitskraft“. Dieses Phänomen ist auch ganz deutlich bei Yvonne267 beobachtbar. In ihrem ersten Lehrbetrieb, ein kleines Hotel in einem oberösterreichi-schen Tourismusgebiet, ist sie mit ihrer Doppellehre quasi alleine für alle im Hotel anfallenden Tätigkeiten zuständig und trägt erstaunlich viel Verantwortung. Auch Margits Aufgabenspektrum reicht nun von Liefer- bzw. Einkaufslisten schreiben über die Zubereitung der meisten Gerichte bis hin zum Schlussdienst inklusive Inventur und gründlichem Putzen. Obwohl sie es prinzipiell schätzt, so viel selbst entscheiden zu können und so viele Dinge tun zu dürfen, spürt sie doch auch die damit verbundene hohe Verantwortung als Belastung. Das führt auch dazu, dass sie nur schwer von der Arbeit abschalten kann. So kommt es schon mal vor, dass sie ihrem Chef „mitten in der Nacht“ eine SMS schreibt, um ihm zu sagen, dass sie etwas vergessen hat.

Gleichzeitig hat dieser erweiterte Verantwortungsbereich auch Auswirkungen auf ihre Ar-beitszeit. Während sie im ersten Lehrbetrieb aufhörte, wenn sie „von den Stunden her fertig“ war, kann sie nun erst dann nach Hause gehen, wenn sie ihre Arbeit erledigt hat. 52-Stunden-Wochen sind daher plötzlich keine Seltenheit mehr. Ähnliches berichtet auch Iris268 in Bezug auf ihre erste Lehre, wo lange Nachtdienste keine Ausnahme waren. Auch bei Yvonne kann keine Rede sein von einer 40-Stunden-Woche. Stattdessen verschärft sich bei ihr die Situation noch einmal durch einen akuten Personalmangel und den Umstand, dass sie sieben Tage die Woche im Hotel in einem sehr kleinen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer erreichbaren Ort lebt. Obwohl Iris schließlich auf Druck des Vaters aufgrund dieser Arbeitszeiten den Betrieb verlassen muss und auch Yvonne irgendwann genug hat, sind sich alle drei prinzipiell einig, dass es in der Gastrono-mie nun mal nicht anders geht. Den Lehrlingen wird also von Beginn an vermittelt, dass nur so der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Denn mehr Personal sei nicht finanzierbar und ohnehin nicht verfügbar.

267siehe Kapitel 5.1.6

268siehe Kapitel 5.1.4

Margit verortet in ihrem Fall im Zusammenhang mit der Arbeitszeit überdies eine große Ungerechtigkeit gegenüber dem zweiten Lehrling. Denn der, wahrscheinlich auch deutlich jüngere, andere Lehrling darf jeden Tag „um 20 Uhr nach Hause gehen“, unabhängig davon, ob Margit an diesem Tag schon mehr Stunden gearbeitet hat. Das bedeutet auch, dass Margit

„eigentlich immer“ alleine Schluss macht und alles alleine putzt. Sich damit abzufinden, fällt ihr sichtlich schwer. Allerdings liegt es nicht an arbeitsrechtlichen Aspekten,269 dass der junge Arbeitskollege vom Putzdienst ausgenommen ist und eigentlich immer früher aufhören darf.

Denn der Chef ist der Ansicht: „Er ist ein Bub, er muss das [Putzen] nicht können.“ Das sieht Margit erwartungsgemäß vollkommen anders. „Und nur, weil er ein Bub ist, heißt das nicht, dass er nicht putzen können muss. Und als Koch noch dazu, da musst du das auch können, ob du jetzt ein Bub bist oder nicht.“ Auch das war im ersten Lehrbetrieb ganz anders. Dort hat jede(r) putzen müssen, ganz egal, ob Koch oder „Schatzi“. „Das war für alle gleich. (..) Beim Putzen hat jeder geholfen. Da hat auch mal ein Koch einen Fetzen in die Hand genommen und hat was gemacht.“

Das würde ihrem jetzigen Chef nicht in den Sinn kommen.

Doch im Grunde ist Margit auch froh, dass sie die Putzarbeiten alleine machen kann bzw.

muss, erweist sich doch ihr Kollege, in den seltenen Fällen in denen er mithilft, als überhaupt keine Hilfe. „Und der putzt und es ist einfach nicht sauber. Weil, das bringt mir nichts, dann muss ich nur wieder drüber putzen. Soll er heimgehen, egal. Ich bin auch schneller ohne ihn.“

Und ein bisschen eine vorgezogene Schadenfreude hilft auch, die Ungerechtigkeit zu ertragen.

„Er [der Chef] wird dann eh drauf kommen, wenn ich nicht mehr da bin. Er hat dann noch ein Jahr alleine ohne mich. Er wird dann schon darauf kommen, dass er [der andere Lehrling] halt viel nicht kann.“ Aber auch sonst hat Margit zu ihrem Chef, „der immer so Stimmungsschwan-kungen“ hat, ein eher ambivalentes Verhältnis. „Öfter schreit er einfach so, wenn ihm was nicht passt. Oder wenn ich irgendwas vergessen habe zum Aufschreiben, was er einkaufen muss oder so. Manchmal ist es überhaupt kein Problem, dann sagt er, es passt schon, nehm‘ ich halt morgen mit und wenn er einen schlechten Tag hat, dann wird‘ ich schon mal 10 Minuten angeschrien.

Warum hast das vergessen und warum denkst nicht mit und schalt‘ dein Hirn ein und... ja.“ Dabei schwankt Margit zwischen Verständnis und Resignation. Sie betont auf der einen Seite, sich gar nicht mehr aufzuregen: „Ich mach einfach meine Arbeit und ich mach‘ es eh gut. Das weiß ich eh.“ Auf der anderen Seite sieht sie, wie „viel Arbeit“ der Chef hat und dass es unter solchen Umständen schon einmal schwer werden kann „immer so cool“ zu bleiben. Diese empathische Haltung gegenüber seiner Situation hilft ihr auch das „schlechte Gefühl“, wenn er sie anschreit, besser zu ertragen. „Weil, ich nehme das schon immer sehr persönlich. Meine Mama sagt zwar immer, ich darf nichts persönlich nehmen, was er in der Arbeit sagt zu mir. Aber das geht halt nicht immer, weil ich mir denk‘ [mit erhobener Stimme]: Jetzt hat er was gegen mich oder ich mach mir dann immer so viel Gedanken, ja. Das muss ich noch lernen…“

269Lehrlinge im Gastgewerbe dürfen bereits ab dem 16. Lebensjahr bis 23 Uhr arbeiten.

Aber anders als im Salzkammergut kann ihr jetziger Chef auch sehr nett sein und es kann durchaus spaßig werden. Wenn er wieder einmal eine neue Speisekarte zusammenstellt – was etwa alle zwei Monate der Fall ist – nimmt er sich viel Zeit zum Erklären und ist auch nicht zurückhaltend mit Lob. Auch wenn es Margit in stressigen Situationen zu viel wird, wirkt er beruhigend auf sie ein. „Er sagt dann immer: (..) Jetzt schnauf‘ einmal durch (..) und wenn du ruhig bist, dann arbeitest du weiter.“ So scheint sich für Margit die Arbeitssituation trotz

unerfreulicher Aspekte dennoch verbessert zu haben. Allerdings ändert das nichts daran, dass sie direkt nach dem Lehrabschluss die Ausbildung zur Krankenpflegerin starten möchte. Denn auch wenn der Beruf der Köchin irgendwie sehr spannend ist und man viel dabei lernen kann, will sie nicht in der Küche bleiben. „Es ist einfach nicht das, was ich gerne tu. Ich mein, ich koch zu Hause gerne. Ich koche gerne für meine Familie oder mich. Da gefällt es mir schon, wenn ich ein wenig herumkünstlern kann und ich richte es auch gern schön an, wenn ich für meine Mama oder so mal koche, aber ich mag das einfach nicht den ganzen Tag tun. Und ich mag mit dem nicht mein Geld verdienen.“ Insgesamt wird die Gastronomie, wie auch von Ina und Yvonne, als ein Arbeitsfeld beschrieben, in dem man sich einen längerfristigen Verbleib nur schwer vorstellen kann bzw. dieser nicht als erstrebenswert gilt. Denn auch wenn insgesamt eine wertschätzendere Atmosphäre herrscht, ist die Gastronomie – da sind sich alle einig, die in diesem Bereich bereits Arbeitserfahrungen sammeln konnten – auf Dauer einfach zu kräftezehrend. Allerdings hält dieses Bewusstsein, welches an sich bereits vor dem Einstieg in dieses Berufsfeld besteht, nicht davon ab, eine entsprechende Berufsausbildung zu absolvieren. Der Gedanke im Laufe der Erwerbsbiografie verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen, erscheint als Normalität. Es gilt das Kredo „Hauptsache ein Berufsabschluss“, genauso wie die Gastronomie durchaus Vorteile mit sich bringt (z.B. verfügbares Jobangebot, international leicht einsetzbare Fertigkeiten).