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3 METHODISCHER ZUGANG

5.2 Arbeiten, wo frau gebraucht wird

5.2.2 Büroarbeit als wenig herausfordernde Frauenarbeit

Der Einstieg ins Berufsleben in Form der Lehre erweist sich für Martina als sehr schmerz-hafte Erfahrung, da es im Lehrbetrieb so ganz anders ist als im Praktikum: „Naja, ich habe im 1. Lehrjahr noch den Vergleich gehabt zu dem, wie es bei meiner Mama in der Arbeit war, vom Klima und vom… Ja, generell vom Arbeiten, da war ich dann sehr enttäuscht bei mir in der Firma. (..) Und da war es dann so, dass die gewissen Leute halt zusammen waren (..) Ich habe mir gedacht, um Gottes Willen, ich will da gar nicht her und was machst du da. Und ich mein, da war es dann schon, dass ich teilweise heimgekommen bin und dann voll geweint habe, weil sie mich wieder voll fertig gemacht haben und weil ich einfach bei meiner Mama in der Firma arbeiten wollte, weil mich da alle voll mögen haben.“ Neben den massiven Problemen mit den Arbeitskolleginnen (bis auf den Vorgesetzten sind die Arbeitskolleginnen ausschließlich

weiblich) und der fehlenden Integration ins Team bekommt sie auch „die ganzen faden Arbeiten“

zugeteilt. Ihr Arbeitsbereich beschränkt sich zu Beginn auf das Stempeln und Sortieren von bezahlten Rechnungen. Auch Katrin235 berichtet davon, gerade im ersten Lehrjahr zur Bürokauf-frau stark unterfordert gewesen zu sein.

Martinas Arbeitssituation bleibt angespannt, weshalb sie die Abteilung wechseln darf und sich alles „ins Positive“ dreht. Sie versteht sich besser mit den Arbeitskolleginnen und auch ihr Aufgabenbereich erweitert sich. Sie wird gebraucht und fühlt sich bei bestimmten Aufgaben unentbehrlich, was ihr gefällt: „Mir machen eben die Arbeiten Spaß, die ich kann und sonst niemand, so gesehen (lacht). Ich mein, da kenn ich mich aus und da rufen mich alle an und da fühl ich mich dann wichtig, na [nicht wahr]. Das ist dann super.“ Die Ansprüche an die Tätigkeit erhöhen sich im Verlauf auch bei Katrin und Anita236 und doch bleibt immer eine latente

Unterforderung spürbar, da die Arbeit als Bürokauffrau eine Reihe von Routinearbeiten beinhal-tet. Während Martina eher den Eindruck vermittelt, dass sie dadurch die Sicherheit gewonnen hat, Aufgaben gut erledigen zu können, fühlen sich die beiden anderen Bürokauffrau-Lehrlinge eher gelangweilt und freuen sich über jede Abwechslung. Eine solche Abwechslung, die alle drei nennen und die allen Spaß macht, ist es, ins Lager zu gehen, vor allem weil dort ausschließlich Männer arbeiten.

Insgesamt scheint der Beruf (als „Berufung“) in Martinas Leben, wie auch in dem von den beiden anderen Bürokauffrauen, eher eine untergeordnete Rolle zu spielen, genauso wie eine berufliche Selbstverwirklichung in ihrem Lebensentwurf kein Thema ist. Zwar hat sie dem kaufmännischen Chef schon mitgeteilt, dass sie auch nach dem Lehrabschluss gerne weiterhin für die Firma tätig wäre, „wenn sie darf“, sollte das nicht der Fall sein, mache sie sich aber auch keine Sorgen und wäre auch nicht wirklich traurig darüber. Zu schaffen macht ihr nur die Ungewissheit. Denn drei Monate vor Lehrabschluss weiß sie noch immer nicht, ob sie übernom-men wird oder nicht. Ihre beruflichen Erfahrungen als Bürokauffrau haben nicht wirklich ihre Leidenschaft entfacht und so hängt sie auch nicht am Beruf. Wie die meisten befragten jungen Frauen zeigt sie sich daher überaus flexibel, wenn es um ihre berufliche Laufbahn bzw. um Arbeitsfelder insgesamt geht. Das dürfte auch stark damit in Verbindung zu sehen sein, dass sie, ebenfalls wie eigentlich alle anderen Befragten, keine Ambitionen in Richtung einer beruflichen Karriere (z.B.: Führungsposition) hat. Bei Martina hängt das vor allem damit zusammen, dass sie sich beispielsweise die Bekleidung einer beruflichen Führungsposition nicht zutrauen würde:

235siehe Kapitel 5.1.1

236siehe Kapitel 5.1.2

„Naja, ich kann mich nicht sehen so als Person, die da so Leute herumkommandiert, sondern ich bin eher so eine, die braucht immer irgendwen der sagt, ja mach das und das noch und das und das, na [nicht wahr]. Das ist für mich, dass ich einfach ein wenig weiß: Das habe ich noch zu tun und meine gewissen Arbeiten halt, die ich machen sollte.“ Dieses Bedürfnis nach klaren Aufga-ben und wenig Verantwortung, gepaart mit der Assoziation, dass eine leitende Funktion von einer autoritären, tendenziell herablassenden und maßregelnden Person besetzt sein muss, teilt sie mit den meisten Gesprächspartnerinnen. Interessant im Fall von Martina ist, dass Erwerbsarbeit, so scheint es, für sie vordergründig nur ein weiterer möglicher Ort ist, wo frau ihren Beitrag leisten kann, gebraucht wird, aber auch ein sozialer Ort, wo frau gemeinsam mit ihren Kolleginnen eine angenehme Zeit hat. Insofern betont Martina beim Thema Arbeit auf die eine oder andere Art immer das Betriebsklima und die soziale Komponente von Arbeit, bevor sie irgendwelche anderen beruflichen Aspekte thematisiert. Neben dem Gebraucht-werden ist es für sie auch wichtig, dass sie ihre Arbeit gut erledigt und keine Fehler macht, vor allem, um nicht sanktioniert zu werden, „weil, dass ich immer eine am Deckel krieg‘ und dann immer Fehler ausbessern und das ist einfach, das mag ich nicht“.

Wie schon zuvor im schulischen Kontext bewegt sich Martina, wie ihre Berufskolleginnen Katrin und Anita, mit dem Einstieg in die Bürokauffrau-Lehre erneut in einem stark geschlech-tergetrennten und -hierarchisierten Feld. Als sie zu lernen beginnt, arbeiten in der gesamten Buchhaltungsabteilung, mit Ausnahme des Buchhaltungsleiters, ausschließlich Frauen (ca. 20 Mitarbeiterinnen). Das hat, laut Martina, zwar den Vorteil, dass man sich im Büro auch über sehr frauenspezifische Themen unterhalten kann, doch im Wesentlichen beschreibt sie die Situation als „Zickenterror“. Daher schätzt sie es, wenn sie ab und zu in die Werkstatt gehen muss: „Ich muss eh hin und wieder in die Werkstatt gehen, wo voll viele Männer sind halt und da ist es hin und wieder schon besser, weil ich mir denke, ja, nicht lauter Frauen und da ist dann halt mehr Gaudi.“ Trotzdem stört es sie nicht, dass sie in einem Frauenberuf arbeitet und tut sich, wie Margit, die Köchin,237 schwer mit der Vorstellung, dass Männer in solche Felder vordringen, auch weil diese einfach andere, männlich konnotierte Berufe präferieren. Wie tief verwurzelt der geschlechter-segregierte Arbeitsmarkt in ihrem Denkschema ist und wie stark die Irritationen sind, wenn davon abgewichen wird, zeigt ein Beispiel in Martinas unmittelbarem Arbeitszusam-menhang. Seit Kurzem hat Martina tatsächlich einen männlichen Arbeitskollegen, der „früher einen anderen Aufgabenbereich gehabt hat und sogar Chef von einer Firma war. Das hätten wir uns nie gedacht. (..) Und jetzt ist er halt bei uns. Aber mhm, jetzt arbeitet er ein wenig langsam, also langsamer wie normal und der kaufmännische Chef: Ja gebt‘s ihm halt ein bisschen Zeit und lasst ihn ein wenig (mit nachäffender Stimme; lacht auch) und er muss sich erst einleben. Aber schaun wir mal, wie er dann tut und wie es wird. Jetzt ist es halt recht amüsant zurzeit (lacht). Ich mein‘, jetzt kannst nicht mehr jedes Thema reden unter Frauen, sondern da musst‘ jetzt ein wenig aufpassen.“ Die traditionellen Geschlechterverhältnisse erscheinen nach wie vor derart tradiert, dass eine scheinbar harmlose Situation (neuer Kollege kommt) auch Unsicherheiten im hierarchi-schen Sinne hervorruft, die, wenn eine Kollegin dazugestoßen wäre, niemals zur Debatte

gestanden hätte: „Wir haben dann nicht gewusst, ob wir ihn dann mit Du oder Sie anreden dürfen, müssen.“ Obwohl der Kollege dieselbe hierarchische Berufsposition wie die Kolleginnen einnimmt, ist zunächst unklar, wie das im täglichen Umgang wirklich funktionieren soll.

237siehe Kapitel 5.5

Gleichzeitig stellt Martina fest, dass sowohl Frauen als auch Männer bei der Besetzung von beruflichen Positionen diskriminiert werden, was sie auf einer normativen Ebene ablehnt: „Was ich zum Beispiel gemein finde ist, dass wenn zum Beispiel eine Frau jetzt Mechaniker werden will oder als Mechanikerin arbeitet, dann wird die meistens ein wenig diskriminiert, so von den Betrieben her: Nein, wir wollen keine Frau und hin und her. (..) Also ist eh bei Männern auch, wenn sie Buchhalter werden wollen. Also ich seh‘ das bei uns in der Firma. Da werden dann, da kommen die Bewerbungen hin und werden dann eigentlich gleich wieder zurückgeschickt am nächsten Tag.“ Zwar kann sie nicht mit Sicherheit ausschließen, dass diese Herren aufgrund fehlender Qualifikationen nicht genommen werden, doch ihr Gefühl sagt ihr etwas anderes.

Obwohl sie diese Situation „eigentlich schon unfair“ findet, ist sie in dieser Hinsicht gleichzeitig unbestimmt optimistisch: „Das finde ich schon ein wenig gemein, aber ja. Das wird sich auch alles umstellen (lacht ein bisschen).“ Sie geht davon aus, dass sich eine entsprechende Gleichstel-lung mit der Zeit automatisch ergeben wird. Insofern stellt sich für Martina eigentlich auch nicht die Notwendigkeit, die tradierten Geschlechterverhältnisse kritisch zu reflektieren, und außerhalb des Interview-Settings und in ihrem praktischen Lebenszusammenhang stellen sich solche Fragen ohnehin nicht.

Martinas Erzählungen zu ihrem Arbeitsalltag offenbaren, wie tief die geschlechtsspezifi-schen Handlungs- und Werteschemata verwurzelt sind und wie wenig politisch-normative Emanzipationsdiskurse, auch wenn sie auf einer oberflächlichen Ebene befürwortet werden, faktisch Einfluss haben. Während sich Martina auf der einen Seite sicher ist, dass Betriebe in Zukunft offener werden, auch wenn sie heute sowohl Männer als auch Frauen diskriminieren, ist es auch für sie, zumindest temporär, überaus problematisch, z.B. wenn ein Mann in ihr Feld vordringt. Der neue Bürokollege wirft eine Reihe von Fragen hinsichtlich der hierarchischen Verhältnisse in der etablierten Bürokultur und der Kompetenzen auf. Zweifel werden laut, ob das funktionieren kann und frau zeigt sich überrascht, dass sich ein Mann überhaupt auf so eine niedrige Position herablässt. Selbst hingegen hat frau kein Problem damit, in einer untergeordne-ten Rolle zu arbeiuntergeordne-ten, es trifft sogar eher das Gegenteil zu. So bedeutet „Karriere machen“ für Martina, Leute herumzukommandieren, was ihr vollkommen widerstrebt. Sie bevorzugt es, klare Anweisungen zu bekommen und misst beruflichen Erfolg daran, Aufgaben zufriedenstellend zu erledigen und gebraucht zu werden. Dieses Beispiel zeigt nachdrücklich, dass die Beherrschten an der eigenen Unterdrücktheit antizipieren und diese zu verfestigen suchen. Zentrales Moment ist hier sicherlich der Wunsch nach Kontinuität und mithin nach möglichst wenigen Veränderungen und Irritationen.

5.2.3LÄNDLICH-TRADITIONELLER WEIBLICHER HABITUS MIT MODERNEM ANSTRICH