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Zeitdauer, Veranstaltungsort und Teilnehmerzahl

(Verfahrensdesign) und Anforderungen an das Mediatoren-Team

5. Praxisorientierte Durchführungsregeln

5.3. Zeitdauer, Veranstaltungsort und Teilnehmerzahl

„Knappe Zeit ruiniert Werte und letztlich jede Form von Rationalität und Konsens, strukturierte Zeit erstickt Spontaneität und Kreativität, zuviel Zeit lähmt Entscheidungen und Aktion, Zeitbindungen deflexibilisieren und lassen erstarren, Zeitlosigkeit verhindert die Ausbildung von Perspektiven und Orientierungen, Zeit kann zuviel und zuwenig Vertrauen wecken und beide Male für ´böse Überraschungen´ sorgen“ 251 Eine große Schwierigkeit hinsichtlich der zeitlichen Wahrnehmung der Individuen besteht darin, dass beim Glauben an den Zeitfaktor das Moment der Plötzlichkeit der Veränderung den Menschen völlig abhanden gekommen zu sein scheint. Trotzdem besteht die Erwartung, dass sich im Zeitverlauf schon alles regeln werde. Von Konflikten, zu deren Lösung sich die betroffenen Individuen außer Stande sehen, wird insgeheim erwartet, dass die fortschreitende Zeit diese schon wird lösen können, ohne dass das einzelne Individuum das Risiko einer

250 Vgl. Oppermann/Langer (2000), S. 51.

251 Bardmann (1997), S. 60.

Entscheidung und die Verantwortung dafür übernehmen muss. Das Auftreten von Zeit-Inkonsistenzen macht den Menschen in seiner Individualität zu einem Geschöpf, das sich selbst binden und beherrschen können muss. Seine individuelle Identität muss durch Verhalten, das durch Selbstbestimmung und Selbstkontrolle bestimmt ist, hergestellt werden. Diese Selbstbestimmung mittels Regeln ist die Voraussetzung der Konstruktion einer langfristig gültigen individuellen Nutzenfunktion. Ein Individuum mit sehr guten kognitiven Verarbeitungskapazitäten, das sich nicht an vereinbarte Regeln halten würde, hätte über den Zeitverlauf hinweg keine Einheit in der Person, sondern würde in eine Reihe von zusammenhanglosen Episoden von Einzelhandlungen zerfallen und damit seine persönlichkeitsbildende Identität verlieren.252

Kommunikative Prozesse kosten zwar kurzfristig Zeit, aber sie sparen auch langfristig Zeit, indem sie zu Verhaltensänderungen führen, zwischenmenschliche Beziehungen durch Aufbau von reziprok wirkenden Vertrauen gestalten, Ziele klar definieren und die dabei entstehenden Zielkonflikte ausräumen helfen. Je besser und effektiver dabei die Kommunikationssteuerung durch den Mediator ist, desto größer ist der Umfang der eingesparten Zeit, was sich dann auch wieder positiv in einer Nutzen-Kosten-Rechnung auf die Vorteilhaftigkeit der praxisorientierten Mediationsmethode auswirkt und für deren Einsatz spricht. Die chronologische Gestaltung des praxisorientierten Mediationsverfahrens, dieses „zeiten“,253 versetzt die Menschen in eine produktive, subjektiv als nicht unangenehm empfundene Spannung. Ob und wie Kommunikationsprozesse von betroffenen Beteiligten empfunden werden, hängt einerseits davon ab, ob man in der Zeitgestaltung sich als weitgehend frei wahrnimmt und andererseits davon, wie der Prozess insgesamt läuft oder was dabei als Resultat herauskommt.

Alle Individuen haben, wie Focault feststellt,254 Angst vor dem unkontrollierten, oft auch plötzlichen Moment der Kommunikation. Hier begegnet uns wieder die bekannte Gefahr, angesichts einer überkomplex wirkenden Anhäufung von Informationen, in Form von Daten, Fakten und Bewertungsergebnissen, die kein

252 Vgl. Schefczyk (1999), S. 11f. „Ein wichtiges Argument für die multiple-self-theory ist die abnehmende Verbundenheit zwischen gegenwärtig und zukünftigen Zuständen einer Person. In üblicher Interpretation wird das Bestehen der Zeitpräferenz jedoch als Folge des ´weakness of imagination´ (Ramsey), dargestellt. Ein perfekt rationales Wesen würde daher zukünftige Zustände seiner Selbst nicht systematisch unterschätzen. Gleichwohl würde es auch bei vollkommenem Vorstellungsvermögen in Episoden von Individuen zerfallen, wenn man von alternierenden Präferenzzuständen ausginge.“ Schefczyk (1999), S. 12 Fußnote 15.

253 Vgl. Heidegger (1977; Bd. 2), S. 435.

254 Vgl. Focault (1977), S. 35.

subjektives Bewusstsein mehr zu beherrschen vermag, in die Barbarei zurückzufallen.255 Bezogen auf den Zeitlichkeitsfaktor sind Fehler als Lernchancen aufzufassen, mithin also die Fähigkeit, die Sachverhalte so anzusehen, als sehe das Individuum sie zum ersten Mal. Die Dinge sind von einem zuvor noch nicht eingenommenen Standpunkt anzuschauen, um dadurch bisher nicht oder nicht genügend beachtete Aspekte zu entdecken. Bei diesem Entdeckungsprozess kann ein professioneller Mediator wertvolle katalysatorische Dienste leisten. Der Mediator als neutraler Kommunikationssteuerer, der sich nicht systemisch innerhalb der die Mediationsgruppe bestimmenden Beziehungen verstrickt hat, hat den Überblick und die dazu notwendige Zeit. Doch gleichzeitig steht der Mediator vor der Aufgabe, eine schwierige Balance zu halten: „Kommt er zu glanzvoll daher, kann er die Botschaft stören; bleibt er zu diskret, vermag er nicht zu vermitteln“.256 Die Schlussfolgerung aus den vorstehenden Überlegungen lässt sich damit umschreiben, dass es für einen praxisorientierten Mediationsprozess keine eindeutige und für alle gleichartigen Verfahren in derselben Weise gültigen ex-ante-Zeiteingrenzung geben kann.

Dennoch ist es ökonomisch notwendig, mit ungefähren Angaben über den Zeitbedarf für einzelne methodische Teilschritte im Sinne einer Grobplanung zu operieren.

Grundsätzlich obliegt die Zeitplanung der Gestaltungsfreiheit des professionellen Mediatoren-Teams, das aber aus Fairnessgründen sich der Zustimmung der Mediationsgruppe im Vorfeld und bei Änderungen im laufenden Mediationsprozess versichern sollte, um keine unnötigen kommunikativen Störungen zu provozieren.

Gelegentlich wird es als problematisch angesehen, wenn die diskursiven Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, was einerseits die Nachprüfbarkeit der sprachlichen Äußerungen erschweren würde und andererseits die Legitimation der Ergebnisse nachhaltig negativ gegenüber den am Prozess nichtbeteiligten betroffenen Individuen beeinflussen würde. Aus diesem Grund wird in der Literatur immer wieder ausgeführt, dass sich für praxisorientierte Mediationsverfahren nur die Konfliktfälle eignen würden, in denen die relevante Wissensbasis klar abgesteckt und übersichtlich ist, die generalisierenden Ziele nicht umstritten sind und die emotionale Betroffenheit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Damit sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich die unterschiedlichen Standpunkte der potentiellen Beteiligten an einem solchen diskursiven Verfahren lediglich auf Interessensunterschiede kaprizieren. Doch wenn dem so ist oder sein sollte, dann

255 Vgl. Serres (1992), S. 48.

256 Serres (1995), S. 101.

wird in der Literatur immer wieder die Anwendung von entscheidungsanalytisch oder spieltheoretisch fundierten Prozessen des Interessenausgleichs vorgeschlagen. Diese Abgeschiedenheit einer Klausurtagung ist aber demgegenüber eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg unseres praxisorientierten Mediationsverfahrens, weil nur so eine hinreichende Vertrauensbildung unter den repräsentativen Vertretern möglich ist. Damit ist eine Rückbindung an die jeweilige Basisgruppe ist für einen bestimmten, zeitlich limitierten Zeitraum unterbrochen, damit sich so etwas wie eine persönliche Identifikation und Selbstverantwortung bei jedem einzelnen Repräsentanten eines Gruppeninteresses bilden kann. Dies wiederum ist die Voraussetzung für eine einvernehmliche Lösung, die dann auch die Chance auf einen mittel- und langfristigen Bestand bei einer Diskussion in der Basisgruppe nach Beendigung des praxisorientierten Mediationsverfahrens hat.

Es ist vor Beginn des Mediationsprozesses vom Mediator darauf zu achten, dass die Repräsentanten von Gruppeninteressen ein imperatives Mandat besitzen und so nicht nach dem Mediationsverfahren von den Basisgruppen hinsichtlich der Bindung ihres Mandats nachträglich „ausgehebelt“ werden können und über diesen Weg die Stabilität einer im praxisorientierten Mediationsverfahren gefundenen einvernehmlichen Lösung gefährdet wird. Gleichzeitig ist das Mediatoren-Team gehalten, zu überprüfen, ob die Repräsentanten einen ausreichenden Entscheidungs-und Handlungsspielraum für ein diskursives Verfahren haben Entscheidungs-und diese Flexibilität sollte dann auch nicht dadurch eingeschränkt werden, dass die Repräsentanten während des laufenden Mediationsverfahrens zur Berichterstattung und Abstimmung der strategischen Vorgehensweise zu Konsultationen mit ihren jeweiligen Basisgruppen zurückgerufen werden. Im Vorfeld des Mediationsprozesses ist jeweils für die Repräsentanten festzustellen, inwieweit diese verbindliche Zusagen machen dürfen, um die Gruppenvertreter nicht während des Prozesses in einen Gewissenskonflikt zu stürzen. Konkret schlagen wir zur praxisorientierten Umsetzung eine pressefreie Zone vor, d. h. die Tagung sollte an einem streng abgeschirmten Tagungsort stattfinden. Eine Kontaktaufnahme mit der Basisgruppe sollte vorher mit dem Mediator abgesprochen sein und nur dann erfolgen, wenn es prozessförderlich ist, weil beispielsweise der Entscheidungsspielraum eines einzelnen Repräsentanten als zu wenig flexibel oder als zu gering eingestuft wird und damit der Gesamtprozess im weiteren Fortgang gefährdet erscheint. Sollte die Mediationsgruppe dennoch sich veranlasst sehen, Presseinformationen verlautbaren zu lassen, so ist dies nur sinnvoll, wenn dies im Einvernehmen mit der Gesamtgruppe

geschieht und durch das Mediatoren-Team nach außen getragen wird. Es empfiehlt sich hier die Schriftform, um nicht ungewollt Informationen „durchsickern zu lassen“, die dann von interessierter Seite für strategische Informationen missbraucht werden kann.

In Bezug auf die Teilnehmerzahl ist mit maximal 15 bis 20 Personen die Grenze der Verhandlungsfähigkeit erreicht. In der Konzeptionphase ist für eine gleichberechtigte Berücksichtigung aller möglichen Interessengruppen durch das Mediatoren-Team Sorge zu tragen. Eine Möglichkeit, die Teilnehmerzahl im Sinne einer Arbeitsfähigkeit im Mediationsverfahren zu begrenzen, bildet das Delegierten-Modell. Alle wichtigen Akteursgruppen werden durch je einen Delegierten vertreten.

Teilnehmer können aus folgenden Bereichen oder Institutionen stammen:

· Investoren für umweltrelevante Investitionsvorhaben

· Kommunalverwaltung

· Experten aus Wissenschaft und Anwendungspraxis

· Anwohner und örtliche Bürgervereine

· Überörtliche Bürgerinitiativen und Verbände bzw. Interessengruppen257

· Überregionale Entscheidungsträger aus Verwaltung und politischen Gremien, gemäss Förderalismusprinzip

· Interessierte Öffentlichkeit

257 Die ökonomische Funktion von Verbänden bzw. Interessengruppen liegt in deren Informationsvermittlungs- und Konsensfindungsfunktion und stellt eine erhebliche Ressourcenersparnis dar. Zur Selbstbindung und Verantwortung von Gruppen und Verbänden, die primär auf die Schaffung von Sondervorteilen für ihre Mitglieder angelegt sind, vgl. Hartwig (1994), S. 759-772.