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METHODISCHE BASIS EINES PRAXIS- PRAXIS-ORIENTIERTEN MEDIATIONSVERFAHRENS

1. Konflikte und Präferenzentwicklung

1.1. Konflikte und Konfliktdynamik

„Konflikt“ bedeutet in einer ersten Annäherung „Zusammenstoß“. Gemeint ist damit in der Folge ein Zerwürfnis auf der Basis eines Widerstreits der Werteordnungen oder ein Zwiespalt in den Präferenzrelationen von mindestens zwei beteiligten Indi-viduen. Aus einer handlungsorientierten Perspektive könnte mit dem Begriff Kon-flikt der Sachverhalt beschrieben werden, dass mindestens zwei Individuen etwas Unterschiedliches tun wollen und das Handeln des einen Individuums das andere aus dessen Sicht in der Erreichung seiner Ziele beeinträchtigt. Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass Individuen tendenziell die Unvereinbarkeit von Hand-lungszielen systematisch nicht erkennen. Individuen neigen dazu, nicht wahr-zunehmen, dass die Erreichung eines Zieles das Nichterreichen eines anderen Zieles zur Konsequenz haben kann. Dies hat wiederum einerseits vor allem mit der Be-grenztheit der Individuen zu tun, komplexe Sachverhalte adäquat gedanklich zu erfassen und andererseits mit dem Widerstand der Individuen, keine Entscheidungen bei Zielkonflikten treffen zu können, die allen Zielen gerecht werden. Zunächst ein-mal scheint es bei den konfliktbetroffenen Beteiligten gar nicht offensichtlich, dass sie unterschiedliche individuelle Präferenzordnungen haben. Es sind anfänglich un-terschiedliche subjektive Meinungen vorhanden und die Beteiligten können sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Dies ist solange unerheblich, wie die Konfliktbeteiligten nicht aufeinander angewiesen sind. Wenn die Beteiligten aber aufeinander angewiesen sind, kann es sein, dass die individuellen Präferenzen den jeweils Beteiligten bekannt sind und diese auch in einer klaren, widerspruchs-freien Art und Weise geäußert und dem jeweils anderen mitgeteilt werden können.

Dann ist die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Beteiligten bereit sind,

ihre Präferenzenstruktur offen zu legen. Strategisches Verhalten 31 bedeutet in diesem Kontext, dass mindestens ein Beteiligter eine Präferenzstruktur mitteilt, die nicht mit seiner wahren, d.h. internen Präferenzstruktur, übereinstimmt. Er tut das, weil er sich davon einen Vorteil verspricht. Konflikte lassen sich nach ihrem wesentlichen Gegenstand der Auseinandersetzung unterscheiden. Zentrale Konfliktarten sind:

· Ziel- und Wertekonflikt: Diese Konfliktart basiert auf differierenden Zielen und Wertvorstellungen von Individuen und Gruppen einer Gesellschaft.

· Ziel-Mittel-Konflikt: Bei dieser Konfliktart werden die Wege zu einem oftmals identischen Ziel von den Individuen unterschiedlich bewertet.

· Verteilungs-Konflikt: Diese Konfliktart tritt dann auf, wenn Individuen oder soziale Gruppen unterschiedlich an erstrebenswerten und häufig auch unterschiedlich knapp bewerteten Gütern partizipieren.

Konflikte werden immer dann besonders problematisch, wenn es neben einer sachlichen Kontroverse auch zu Beziehungsstörungen zwischen den betroffenen Beteiligten kommt. Erst die Kombination von Sach- und Beziehungskonflikt ruft das problematische Konfliktgeschehen hervor und lässt eine Konflikteskalation wahrscheinlich werden. Beziehungskonflikte zeigen sich zunächst in unscheinbaren Konfliktsignalen, wie beispielsweise in herablassenden Bemerkungen dem potentiellen Gegner gegenüber. Konflikte bleiben relativ lange latent. Zum Vorschein kommen meist nur wenig verstandene Konfliktsignale. Die meisten Individuen wiederholen im Konfliktfalle bestimmte individuell erlernte Grundeinstellungen, die die Differenzen personalisieren und Abwertungen für den Konfliktkontrahent mit sich bringen. Das Verhalten eines Individuums in einer konkreten Konfliktsituation ist geprägt von seiner grundlegenden Disposition hinsichtlich Wettbewerb und Konfrontation. Die Konflikttheorie 32 unterscheidet dazu vier Grunddispositionen:

· Individualistische Position: Der subjektive Vorteil steht ausschließlich im Fokus des Konfliktbeteiligten.

· Soziale Position: Gleichheit für alle Konfliktparteien ist das Ziel dieser Konflikteinstellung.

· Kompetitive Position: Wettbewerb steht im Vordergrund, wobei der subjektive Vorteil am Ende für das Individuum erkennbar sein muss.

31 „Als strategisch gilt ein Mensch, der ständig Hintergedanken hat, die er nicht mitteilt, nicht kommuniziert, ja der durchaus Dinge sagt, die er nicht denkt, der also lügt.“ Hösle (1992), S. 70.

32 Vgl. Altmann/Fiebiger/Müller (1999), S. 31-37.

· Kooperative Position: In dieser Grunddisposition werden Konsensüberlegungen deutlich. Am Ende des Konfliktes soll es allen betroffenen Beteiligten besser gehen. Die Einschränkung, die das Individuum vorübergehend in Kauf nimmt, dient im wohlverstandenen Sinne dem Fortschritt der Gemeinschaft.

Die Konfliktdynamik im Sinne einer zunehmenden Eskalation beruht darauf, dass Individuen häufig ihre Bedeutung als Person gefährdet sehen. Eine Wahrnehmungseinseitigkeit der Konfliktbeteiligten geht einher mit der zunehmenden Verbissenheit in der vordergründig sachlichen Auseinandersetzung um Präferenzen und Werteordnungen durch das Überhandnehmen kompetitiver Strategien.

Gleichzeitig werden die Unterschiede in den individuellen Werthaltungen immer stärker betont und in der Folge als unüberwindbar wahrgenommen. Die Kommunikation wird durch falsche und irreführende Informationen beherrscht.

Verstärkt wird ein solcher Prozess durch die grundsätzliche Disposition vieler Individuen, die von einer grundlegenden Ambivalenz von Konfliktangst und Konfliktregelung geprägt ist. Monokausale Konflikte sind eine ganz seltene Ausnahme. Jede Konfliktkonstellation hat seine Entwicklungsgeschichte und ist das Ergebnis verschiedener Prozesse, die in einer konkreten Konfliktsituation kulminieren. Ein Konflikt kann sich in seiner Entwicklung verschärfen, seine eigene Prozessdynamik entwickeln und schließlich eskalieren. Das Verhalten der Konfliktparteien verstärkt sich gegenseitig, wobei die Eskalation stufenweise in die wechselseitige Blockade führt, die gleichsam als Paralyse wahrgenommen wird.

Dabei kommt es zu dem beobachtbaren Phänomen, dass ein Individuum einem anderen widerspricht und dabei seine eigene Auffassung entwickelt. Die auf diese Weise entwickelte eigene Meinung tritt durch die ständige Berücksichtigung der anderen Auffassung immer schärfer hervor, häufig sogar übertrieben.33 Auf jeder dieser Stufen nehmen die betroffenen Beteiligten einen „point of no return“ wahr.

Mit jeder neuen Eskalationsstufe engen sich die Handlungsalternativen weiter ein und die Gewaltbereitschaft erhöht sich. Die Konfliktbeteiligten nähern sich sukzessive den Untiefen der menschlichen Natur, dem Hobbesianischen Dschungel, wo anscheinend keine Regeln gelten.34 Glasl hat in diesem Zusammenhang ein Phasenmodell der Konflikteskalation entwickelt.

33 Manchmal will ein Individuum auch nur in einer Auseinandersetzung mehr seine Grenzen und seine Potentiale erproben, als dem anderen schaden. Vgl. Nietzsche (1973), S. 388-395.

34 Vgl. Glasl (1990), S. 211.

PHASENMODELL der KONFLIKTESKALATION:35

I. Debatte und Verhärtungsphase > Moderation

II. Handlungen und Koalitionen > Moderation

III. Gesichtsverlust und Drohstrategien > Prozessbegleitung IV. Vernichtungsschläge und Zersplitterung > MEDIATION V. Point of no return (Hobbesianischer Dschungel) > Staatl. Machteingriff

In der ersten Phase bemühen sich die Konfliktbeteiligten anfänglich noch um eine kooperative Zusammenarbeit. Im weiteren Verlauf entwickeln sich aus Gesprächen kommunikative Debatten mit einer zunehmenden Polarisierung und schärferer verbaler Konfrontation. Aufkommendes gegenseitiges Misstrauen wird mit verstärktem Eigenwertgefühl ausgeglichen. In der zweiten Phase der Handlungen und Koalitionen entwickeln sich provozierende Handlungsaktivitäten, die die individuellen Ziele durchsetzen und die gegnerische Konfliktpartei blockieren sollen.

Diese Verhaltenweisen geschehen vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass in der ersten Phase keine Lösung zustande kam. Die individuelle Wahrnehmung ist in der zweiten Phase durch selbsterfüllende Prophezeiungen gekennzeichnet, und es geht fortan um Sieg oder Niederlage. In der dritten Phase des Gesichtsverlusts und der Drohstrategien erfolgen Angriffe auf die jeweilige individuell-persönliche Identität des Konfliktgegners. Identitätsverluste und moralische Dimensionen bestimmen das Selbst- bzw. Fremdbild. Keinerlei gegenseitiges Vertrauen ist mehr vorhanden.

Drohstrategien unterbinden eine konstruktive Kommunikation vollständig und bewirken eine Zunahme der Radikalisierung. Irrationales Verhalten und Handeln durch fixierte Selbst- und Fremdbilder bestimmen die Vorgehensweise. In der vierten Phase der Vernichtung richten sich systematische Vernichtungsschläge gegen das Sanktionspotential der gegnerischen Konfliktpartei. Weitergehend soll der Kontrahent „am Nerv“ getroffen werden, wobei die Macht- und Existenzgrundlage zersplittert und damit wirkungslos gemacht werden soll. In der fünften und letzten Phase des „points of no return“ droht die totale Vernichtung der Konfliktparteien,

35 Vgl. In Anlehnung an Glasl (1990), S. 261-361 modifiziertes Phasenmodell.

auch um den Preis der individuellen Selbstvernichtung. Gemeinsam in den Abgrund, weil es keinen Weg mehr zurück zu Verständigung gibt. Der praktische Nutzen des Phasenmodells der Konflikteskalation erweist sich in der Auswahlmöglichkeit für unterschiedliche Interventionsstrategien, die an den verschiedenen Phasen anknüpfen. Erst mittels einer konsensorientierten Bewältigung können Konflikte konstruktiv für den Prozess des sozialen Wandels nutzbar gemacht werden.36

Maturana hat festgestellt, dass man niemanden jemals rational von einer Auffassung überzeugen könne, die nicht bereits zu seinen Grundauffassungen gehört.37 Damit Individuen physisch und psychisch überleben können, benötigen sie ein widerspruchsfreies Bild der Welt, mithin eine konsistente Erklärung der Wirklichkeit. Schon Hume und Kant haben mit Nachdruck darauf verwiesen, dass wir niemals von „der“ Welt, sondern eben nur von „Bildern“ der Welt sprechen können. Verkompliziert und verstärkt wird diese Tendenz durch die Rolle der Medien. Medienberichterstattung polarisiert oftmals und greift bevorzugt negative Aspekte heraus. Konflikte werden häufig als Anlass für Berichte genommen, die Werteverletzungen zum Inhalt haben, wobei die Medien eine öffentliche Kommunikationsarena bilden. Häufig tragen dann die Medienberichterstattungen zu Dramatisierungen in einer funktionalen Weise bei, die von Wahrnehmungstäuschungen, übertriebenen individuellen Reaktionen, intensiver Emotionalität und einfacher Suche nach Aufmerksamkeit bis zu Medienhysterie führen können.38 Über den Weg des Geschichtenerzählens lässt sich Komplexität jedoch nicht reduzieren und bearbeiten. „Aus dieser methodischen Not finden wir nicht wirklich heraus“.39 Die Konfliktbeteiligten zwingen sich gegenseitig unbewusst in eine jeweils kompetitive Haltung, weil aus Gründen des individuellen Eigenschutzes selbst eine kooperative Haltung in einem solchen Umfeld nicht durchgehalten werden kann, ohne dass sich ein Individuum massiv selbst schädigt.

Es kommt zu dem psychologischen Umstand, dass ein kompetitiver Typ sich selbst bestätigt sieht, weil er letztlich immer und überall auf kompetitive Kommunikationspartner trifft, aber selbst nicht reflektiert, dass dies nur die Folge und er ein Opfer einer klassischen sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist. Der kompetitive Typ erweist sich als nicht lernfähig, denn er sieht nicht, dass auch ein anderes, ein kooperatives Verhalten möglich ist und zum Erfolg führen kann.40

36 Vgl. Dahrendorf (1961), S. 125.

37 Vgl. Maturana (1982), S. 80.

38 Vgl. Peters (2002).

39 Haft (2000), S. 21.

40 Vgl. Haft (2000), 163-196.

Kompetitive Fähigkeiten sind zweifellos notwendig im Rahmen von bilateralen Verhandlungen, sie sind aber nur als Selbstschutz sinnvoll. Werden sie als Angriffsinstrument verwendet, wirken sie rekursiv als „Bumerang“.