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Der Praxisfall: Standortsuche für den Flughafen Berlin Brandenburg International 296

ERFAHRUNGEN MIT AUSGEWÄHLTEN PRAXISFÄLLEN

4. Mediation in der Bundesrepublik Deutschland

4.5. Der Praxisfall: Standortsuche für den Flughafen Berlin Brandenburg International 296

Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Situation in Berlin mit drei innerstädtischen Flughäfen an den Standorten Tegel, Tempelhof und Schönefeld, deren Gesamtkapazitäten nach einschlägigen Prognosen Anfang der 90er Jahre etwa ab dem Jahr 2005 erschöpft sein dürften, beschlossen die Bundesländer Berlin und Brandenburg, einen Standort für einen neuen Flughafen zu suchen, der die drei bestehenden Flughäfen in Berlin ersetzen soll.

Im Oktober 1992 erhielt die MEDIATOR GmbH, Oldenburg, den Auftrag vom brandenburgischen Umweltministerium, ein Konzept für eine breite Bürgerbeteiligung, die weit über den gesetzlich erforderlichen Rahmen einer Öffentlichkeitsbeteiligung hinausgehen sollte, zu erarbeiten. Dieses Konzept wurde anschließend mit den Behördenvertretern, der Berlin Brandenburg Flughafen Holding GmbH (BBF), an der die Länder Berlin und Brandenburg mit je 37% Anteilen und der Bund mit 26% Anteilen beteiligt sind, der Wirtschaft, den

295 Insgesamt kritisch mit dem Verfahren und den Ergebnissen setzen sich Vorwerk/Kämper und Roch auseinander. Vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (1997) und 1997a).

296 Vgl. MEDIATOR GmbH (1996).

Arbeitnehmerorganisationen, den Bürgerinitiativen und den Umweltverbänden beraten und abgestimmt.

Der „Bürgerdialog Flughafen Berlin Brandenburg International (FH BBI)“ begann offiziell im Juli 1993 parallel zur Durchführung des vergleichenden Raumordnungsverfahrens für die potentiellen Standorte Jüterbog Ost, Sperenberg und Schönefeld-Süd. Im Anschluss daran wurde der Bürgerdialog von 1995 bis August 1996 nach dem Wechsel der behördlichen Zuständigkeiten unter die Verantwortung des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr parallel zur anstehenden Standortentscheidung und zur Vorbereitung eines darauf folgenden Planfeststellungsverfahrens weitergeführt. Im Juni 1996 beschlossen die Gesellschafter der BBF, die ihre eigenen Interessen verfolgten und einen negativen Ausgang des Verfahrens intendierten, dass der bereits bestehende Standort Schönefeld durch den Bau einer neuen Start- und Landebahn „qualitativ aufgewertet“ werden sollte. Bedingt durch finanzielle Engpässe des Landes Brandenburg wurde in Erwägung gezogen, dass die weitere Finanzierung des Bürgerdialogs durch die BBF sichergestellt werden sollte. Trotz eines eindeutigen Votums der Teilnehmer des Mediationsverfahrens (Bürgerdialogs) für diese vorgeschlagene Finanzierungslösung, konnte sich die Geschäftsführung der Holding nicht dazu entschließen, dem Votum der Teilnehmer zu entsprechen. Folgerichtig endete somit der Bürgerdialog Flughafen Berlin Brandenburg International Ende im September 1996. Die wesentlichen Bausteine des Bürgerdialogs stellten sich wie folgt dar:

Die folgenden Gruppen und Institutionen waren im Bürgerdialog vertreten:

Bürgerinitiativen, Umweltverbände, Wirtschaft, Gewerkschaften, lokale Politikvertreter, lokale Behörden, Umwelt- und Verkehrsministerium Brandenburg, Umwelt- und Verkehrssenat Berlin, Bundesverkehrsministerium, Flughafenkoordination Brandenburg, Flughafen Holding BBF. Insgesamt waren rund 30 Personen beteiligt.

Zu den wichtigsten Konfliktthemen gehörten: Frage nach der generellen Notwendigkeit eines Flughafens BBI; Bedarfsprognosen für BBI; die Sozialverträglichkeit von bestehenden und neu zu bauenden Flughäfen; der Ausbau des Flughafens Schönefeld; die landesplanerische Beurteilung des BBI, sowie eine geeignete Finanzierung desselben.

Eine Verknüpfung zwischen dem Bürgerdialog und den potentiellen Standortbereichen Schönefeld-Süd, Sperenberg und Jüterbog-Ost (letztere Gruppe

ist im Februar 1995 ausgeschieden) wurde über drei lokale Gruppen hergestellt. In diesen Gruppen waren zusätzlich noch einzelne Bürger, Kirchen, Land- und Forstwirtschaften vertreten. Insgesamt waren je zwischen 20 und 30 Personen beteiligt.

Zu den wichtigsten Konfliktthemen der Gruppen gehörten u.a.: Lärm- und Gesundheitsauswirkungen; Auswirkungen auf die Natur, Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen, klimatische Auswirkungen, Entwicklung der Forstwirtschaft und Grundwasserproblematik; Altlastensanierung, sowie ökonomische Auswirkungen auf die Region.

Regelmäßige öffentliche Veranstaltungen, um den Diskurs mit einer größeren Anzahl interessierter und betroffener Bürger, die nicht direkt in den Bürgerdialog eingebunden waren, zu ermöglichen. Das Bürgerbüro des Flughafens BBI hatte die Organisationsaufgabe des gesamten Mediationsverfahrens und gleichzeitig die Funktion einer dauerhaften Anlaufstelle für die Teilnehmer und der interessierten Öffentlichkeit. In diesem Büro konnten die zahlreichen Unterlagen und Materialien von den Verfahrensteilnehmern eingesehen werden.

Charakteristisch für diesen Bürgerdialog stellt sich die Mischung aus Elementen von Moderations- und Mediationsverfahren dar. In Folge der großen Zahl an Teilnehmern, der Verfahrenszeitdauer und der besprochenen Themenvielfalt ergab sich eines der größten Verfahren dieser Art in Deutschland. So fanden im Rahmen des Regionalen Flughafen Forums und der lokalen Gruppen rund 100 Sitzungen statt.

Obschon im Bürgerdialog extrem unterschiedliche Präferenzen und Werteordnungen zum Ausdruck kamen und vor diesem Hintergrund keine gemeinsam getragene Standortempfehlung für den Flughafen BBI realistischerweise erwartet werden konnte, lassen sich einige verfahrensbezogene und inhaltliche Ergebnisse feststellen:

· Durch die von den Mediatoren initiierte Bereitschaft der Verfahrensteilnehmer, umfangreiche Informationen allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen, entstand eine weitgehende Transparenz.

· Der Bürgerdialog als Mediationsverfahren leistete einen substantiellen Beitrag zur Verbesserung der Planungsgrundlagen. Konkret konnten die Antragsunterlagen zum Raumordnungsverfahren durch zahlreiche Hinweise und konstruktive Diskussionen mit den Betroffenen inhaltlich optimiert werden. In Bezug auf die Zusammensetzung der Mediationsgruppenteilnehmer lassen sich

von einem Außenstehenden keine (theoretischen) Anmerkungen oder Fragezeichen anbringen.

· In die landesplanerische Beurteilung innerhalb des Raumordnungsverfahrens flossen viele im Mediationsverfahren erarbeiteten Sachverhalte in die Bewertungen und Auflagen für die potentiellen Standorte ein.

· Im Verlauf des Mediationsverfahrens gelang es, die vielfältigen Präferenzen und Werteordnungen der Gruppenvertreter sowie der Einzelpersonen wechselseitig transparent zu machen und den jeweils anderen Teilnehmern kommunikativ zu vermitteln. Im Verlauf des Mediationsverfahrens entwickelte sich eine Dialogkultur in Bezug auf „soziales Lernen“ durch die wechselseitige Akzeptanz der individuellen Sichtweisen der anderen Teilnehmer. In der Folge bildeten sich langfristig kooperative Beziehungen heraus, die weit über den zeitlichen Rahmen des Bürgerdialogs hinaus Bestand haben. So gibt es beispielsweise einen regelmäßigen kooperativen Austausch zwischen den Anwohnern des Flughafens Schönefeld und der BBF zu Fragen des Fluglärms.

· Aufgrund der gewählten methodischen Vorgehensweise veränderten sich individuelle Bewertungen von Teilnehmern hinsichtlich einzelner Sachthemen.

Dies ermöglichte Revisionen ursprünglicher Präferenzen, so beispielsweise bei der Bewertung der ökonomischen Effekte vor allem in Bezug auf die jeweilige Erreichbarkeit der potentiellen Standorte.

Kritisch anzumerken bleibt, dass die politischen Entscheidungsträger insgesamt eine sehr erhebliche zeitliche Verzögerung in der gesamten Projektplanung verursacht haben, die sich allenfalls politisch motivieren, aber nicht sachlich begründen lässt.

Schlussendlich fanden dann auch die im Bürgerdialog mit der Mediationsmethode erarbeiteten Erkenntnisse bei der Standortentscheidung (leider) kaum Berücksichtigung.

Im Juni 2001 wurde ein Planfeststellungsverfahren für den geplanten Großflughafen Schönefeld eingeleitet.297 Es sollte die bisher größte Bürgeranhörung in Deutschland stattfinden, die je zu einem Bauvorhaben anberaumt wurde. Obschon im Vorfeld dieser Bürgeranhörung ungefähr 68 000 Anwohner mit insgesamt 133 000 schriftlichen Einwendungen gegen den geplanten Ausbau des bestehenden Flughafens Schönefeld protestiert hatten und dabei teilweise sehr detaillierte Einwände äußerten, war die Beteiligung in den Bürgeranhörungen sehr gering. Aus der erwarteten größten Bürgeranhörung sind ganz normale Erörterungstermine

297 Vgl. Niendorf (2001).

geworden, die für umweltrelevante Infrastrukturinvestitionen üblich sind. Geblieben ist der außergewöhnlich hohe Aufwand bei der Durchführung. So saßen an einigen Erörterungsterminen lediglich fünfzig Flughafengegner vier Moderatoren und etwa zwanzig Vertretern der Flughafengesellschaft sowie Mitgliedern der Deutschen Bahn AG gegenüber, die eine neue Bahntrasse nach Schönefeld bauen will. Selbst zur Auftaktveranstaltung der öffentlichen Erörterungstermine Anfang Juni 2001 waren nur etwa 1200 Flughafengegner erschienen. Nach anfänglichen Tumulten und Zwangspausen kehrten zwischenzeitlich routinemäßige Abläufe der Erörterungstermine ein. Im Verlauf der ersten sieben Verhandlungstermine wurden 700 Verfahrensanträge gestellt, die allesamt - formaljuristisch korrekt im Sinne eines ordentlichen Planfeststellungsverfahrens - mit einem Bescheid beantwortet werden müssen. Viele schriftliche Einwendungen beschäftigen sich mit Themenkomplexen, die schon im Mediationsverfahren zu eindeutigen und einvernehmlichen Ergebnissen führten. Doch statt darauf zurückzugreifen, stehen jetzt wieder alle hochkomplexen Themen erneut zur Erörterung an und diesmal unter unvorteilhafteren kommunikativen Bedingungen. Die Gegner des Flughafenausbaus werfen den Moderatoren der Erörterungstermine vor, nicht neutral zu sein, denn neben dem Land Berlin und den Bundesvertretern ist auch das Land Brandenburg, also der oberste Dienstherr der Anhörungsbehörde, selbst Gesellschafter der Flughafen GmbH. Zu allen angesprochenen und mit schriftlichen Einwänden versehenen Themenkomplexen verfügt der Bürgerverein über Gegengutachten, die das Material der staatlichen Planer widerlegen sollen. Darüber hinaus geht der Bürgerverein davon aus, dass eine letztendliche Klärung vor den Verwaltungsgerichten stattfinden wird.

Ein Baubeginn ist noch nicht abzusehen.