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Wie kann man künftige LAWS­Entwicklungen begrenzen?

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 182-189)

Tödliche Autonome Waffensysteme – Neue Bedrohung und neues Wettrüsten?

10.3  Wie kann man künftige LAWS­Entwicklungen begrenzen?

Die vorbeugende Einhegung, Begrenzung oder das vollständige Verbot von LAWS ist im Prinzip durch ethische oder (völker-)rechtliche Verbote, Herstellungs- oder Wei-tergabeverbotsverpflichtungen, Rüstungsexportkontrolle oder Rüstungskontrollver-träge möglich. In den letzten Jahren hat es eine breite internationale Debatte sowie

diplomatische Initiativen zu LAWS gegeben. Dabei stellt sich die Frage, ob es im Be-reich der heutigen internationalen Beziehungen möglich ist, noch nicht vorhandene Waffensysteme präventiv zu begrenzen oder deren Einsatz ganz zu verbieten, so dass Staaten gar nicht erst in die Entwicklung und Beschaffung einsteigen oder den Ein-satz im Kriegsfall begrenzen. Dies ist die Aufgabe präventiver Rüstungskontrolle (»ius contra bellum«) und des Humanitären Völkerrechts (»ius in bello«), denen jeweils unterschiedliche Sachlagen, Prinzipien und Instrumente zugrunde liegen. Zu klären ist also, ob die Staatenwelt sich auf neue Verbotstatbestände, Überprüfungsmaßnahmen und Sanktionsmöglichkeiten verständigen kann. LAWS werden bisher von keinem der vorhandenen Rüstungskontrollverträge direkt verboten, begrenzt oder reguliert, alleine deshalb, weil die entsprechenden technologischen Entwicklungen zum Zeitpunkt ihrer Abfassung gar nicht möglich waren. Sowohl das Rüstungskontrollrecht als auch das Humanitäre Völkerrecht haben allerdings ein breites Portfolio an Prinzipien, Kriterien und Maßnahmen (z. B. Verifikation) entwickelt, das prinzipiell auf LAWS anwendbar ist. Zu unterstreichen ist, dass es in fünf Fällen gelungen ist, bestimmte Waffentypen zu verbieten: Chemische Waffen (C-Waffenkonvention), Biologische Waffen (B-Waffen-konvention), Anti-Personen Landminen (Ottawa-Konvention) und Clustermunition (Oslo-Konvention) sowie Blendlaserwaffen (VN-Waffenübereinkommen).

Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle

Abrüstung und Rüstungskontrolle tragen in erster Linie zur Risiko- und Bedrohungs-reduktion bei, indem sie sich am Kräftegleichgewicht bestimmter Waffensysteme und Akteure sowie deren Verifikationsmöglichkeiten orientieren. Bewährte Kriterien sind Nichtverbreitung, Krisenstabilität und Rüstungskontrollstabilität d. h., Vermeidung eines Wettrüstens. Sie beziehen sich entweder auf vollständige Verbote oder die Festle-gung von Obergrenzen definierter Waffensysteme oder zu erwartender Schadenswirkun-gen. Ein Schwerpunkt der im Kalten Krieg etablierten Verträge (siehe bspw. Tabelle 3) war die Begrenzung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. Die Verifikation dieser Abkommen bezog sich in erster Linie auf die gut identifizierbaren Trägersysteme. Dies könnten in Zukunft auch autonom agierende Waffensysteme sein, die somit im Prinzip Bestandteil von Rüstungskontrolle werden. In den in Tabelle 3 genannten Verträgen sind konsultative Kommissionen vorgesehen, in denen LAWS in die Vertragstatbestände einbezogen werden könnten. Der Vertrag über die konven-tionellen Streitkräfte in Europa (KSE) von 1991 sieht die umfassende Beschränkung von fünf konventionellen Hauptwaffensystemen in Europa vor, bei denen auch LAWS integriert werden könnten. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rüstungskontroll-krise ist der KSE-Vertrag zwar seit 2007 suspendiert, aber bei einer Neuauflage könnte auf jahrelang erprobte Verfahren und Kenntnisse zurückgegriffen werden. Dies bezieht sich auch auf das breite Instrumentarium der OSZE bzw. der Wiener Dokumente, in dem diverse spezifische, risikoreduzierende »Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maß-nahmen« (VSBM) verhandelt und erfolgreich angewendet wurden. Das Verbot eines

bestimmten festzulegenden Autonomiegrades von Waffensystemen alleine wird kaum zu verwirklichen (oder zu verifizieren) sein, da autonome Funktionen im Wesentlichen durch Elektronik und Software bestimmt werden. Einfacher wäre es, AWS entweder durch die Festlegung konkreter Einsatzbedingungen oder durch die Sicherstellung von

»meaningful human control« zu reglementieren, wobei zunächst offenbleibt, auf welche Charakteristika sich »meaningful human control« (MHC) stützt. Die britische NGO

»Article 36« hat das Konzept einer MHC ausgeführt und vertieft. Das HVR (siehe nächster Abschnitt) hält dazu Prinzipien und Kriterien bereit. So könnte die praktische Anwendung des Artikel 36 des Genfer Zusatzprotokolls I in Bezug auf die Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung neuer LAWS eine präventive Wirkung ha-ben. LAWS könnten aber auch Bestandteil präventiver Rüstungskontrolle und künftiger (regionaler) Rüstungskontrollregime werden (z. B. in Europa und Südasien oder im strategischen Kontext zwischen z. B. den USA, Russland und China) und so zur Krisen-stabilität und internationalen Sicherheit beitragen. Auch bei einer Wiederauflage oder Weiterentwicklung des KSE-Vertrages wären so z. B. zukünftige militärtechnologische Weiterentwicklungen wie LAWS mit zu berücksichtigen. Zudem könnten auch die internationalen Anstrengungen im Bereich der Nichtverbreitung autonomer Waffen-systeme intensiviert werden, auch wenn dies durch das Dual-Use Problem erheblich erschwert wird. Viele autonomierelevante Technologien entstehen im zivilen Bereich,

Rüstungskontrollvertrag Rahmen AWS Bestandteil des Vertrags? Verifikation Status KSE-Vertrag multilateral Wahrscheinlich AWS im

Allgemeinen* Ja suspendiert seit

2007

New START-Vertrag bilateral

Ja, autonome UCAVs oder UUVs;

falls sie Charakteristika eines

INF-Vertrag bilateral Umstritten, ob UCAVs ggf. Marsch-flugkörpern gleichzustellen sind

Ja, AWS im Allgemeinen, falls sie dazu bestimmt sind, in irgendeiner Form am Einsatz chemischer oder biologischer Waffen mitzuwirken

Ja (CWÜ)

Nein (BWÜ) in Kraft

* Falls AWS der Definition einer der

Tabelle 10.3: Rüstungskontrollverträge und ihre Anwendbarkeit auf LAWS (Alwardt / Neuneck / Polle)

können nicht verboten werden und verbreiten sich daher schnell. Erst die Integration zu einem LAW würde solch ein System als Waffe charakterisieren.

Die Stärkung von Rüstungsexportregimen in Hinblick auf AWS-Systeme oder wich-tige (identifizierbare) Schlüsseltechnologien wäre hier ein weiterer wichwich-tiger Schritt, um die Verbreitung gefährlicher Militärtechnologien zu verhindern oder zu dämpfen. Na-tionale Rüstungsexportkontrolle richtet sich auch nach internaNa-tionalen Regelungen und vertraglich vereinbarten Restriktionen bei der Lieferung strategisch wichtiger militär-relevanter Technologien. Beispiele für multilaterale Rüstungsexportabkommen sind das Missile Technology Control Regime (MTCR) von 1987128, das Wassenaar-Abkommen von 1994, der Arms Trade Treaty von 2013 oder das UN-Waffenregister zu Transparenz und Vertrauensbildung von 1991. LAWS könnten in nationale Exportkontrollregelungen einbezogen werden. Sie gehören aber nicht zum internationalen Rüstungskontrollrecht, da es sich hier um einseitige Lieferabsprachen bestimmter Staatengruppen handelt.

Humanitäres Völkerrecht: die CCW-Konventionen und die UN-GGE Zum Humanitären Völkerrecht (früher: Kriegsvölkerrecht) gehören in erster Linien Bestimmungen des Völkerrechts, die im Fall eines Krieges oder eines internationalen bewaffneten Konflikts den bestmöglichen Schutz von Menschen, Gebäuden und Infra-struktur sowie der natürlichen Umwelt vor den Auswirkungen der Kampfhandlungen zum Ziel haben (»ius in bello«) (vgl. Geiss, 2015). Im Zentrum stehen hier die vier Genfer Konventionen aus dem Jahr 1949 sowie zwei Zusatzprotokolle von 1979.129 Zen-trale Prinzipien für den Waffeneinsatz sind das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das Unterscheidungsgebot, das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der Vermeidung unnötigen Leids. Die sog. Martens’sche Klausel besagt für alle weiteren Fälle, die nicht interna-tional geregelt sind, dass Zivilpersonen und Kombattanten unter Schutz der Grund-sätze des Völkerrechts stehen, »wie sie sich aus den feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben.« 1980 wurde in Genf die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) oder das VN-Waffenübereinkommen, beschlossen, das 1983 in Kraft trat und bisher von 125 Staaten unterzeichnet wurde.130 Wie auch im vollständigen Titel der Convention on Certain Conventional Weapons, CCW, »Convention on prohibitions or restrictions on the use of certain conventional weapons which may be deemed to be excessively injuri-ous or to have indiscriminate effects« enthalten, besteht das Ziel der CCW darin, neue

128 Hier legt eine Gruppe von 35 Staaten auf informeller und freiwilliger Basis gemeinsame Exportstan-dards für ballistische Raketen, Marschflugkörper und UAVs fest. Die Webseite des MTCR ist abrufbar unter: http://mtcr.info/.

129 Genfer Konventionen (1949) und Zusatzprotokolle (1977). Abrufbar unter: https://ihl-databases.icrc.

org/applic/ihl/ihl.nsf/vwTreaties1949.xsp [28.09.2017].

130 Siehe: United Nations Treaty Collection, Chapter XXVI Disarmament, CCW (with Protocols I, II and III), Geneva 1980: https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-2&chapter=26&lang=en.

konventionelle Waffen daraufhin zu bewerten, ob ihr Einsatz »übermäßiges Leiden ver-ursachen oder unterschiedslos wirken könnte«, und sie daher in erklärten Kriegen oder bewaffneten Konflikten zu verbieten oder zu beschränken sind (vgl. BICC, 2013). In fünf Protokollen werden verschiedene Waffen- und Munitionstypen reglementiert und verboten, so (1) nicht entdeckbare Splitter in Schusswaffenmunition (1980), (2) Minen und Sprengfallen (1980, geändert 1996), (3) Brandwaffen (1980), (4) blind machende Laserwaffen (1995) und (5) explosive Kampfmittelrückstände (2003).

Im Rahmen von »humanitärer Abrüstung« gibt es seit Jahrzehnten zivilgesellschaft-liche Gruppen und Nichtregierungsorganisationen, die auch von einzelnen Staaten di-rekt unterstützt werden und es sich zur Aufgabe gemacht haben, einen besseren Schutz von Zivilisten im Kriegsfall und in der Nachsorge zu erreichen und gefährliche Waffen-systeme zu verbieten.131 Die »International Campaign to Stop Killer Robots« hat zum Ziel, vorbeugend die Entwicklung, Herstellung und den Einsatz von LAWS zu stoppen und zu verhindern. Auch das »International Committee of the Red Cross« (ICRC) hat sich in mehreren Stellungnahmen zu LAWS geäußert (vgl. ICRC, 2019). Das ICRC hat vorgeschlagen, Standards für die Art und Qualität von »meaningful human control«

festzulegen, damit die HVR-Prinzipien eingehalten werden können. Die internationalen NGOs richten sich nicht gegen Autonomie in Waffensystemen per se, sondern fordern das Verbot von bestimmten Waffensystemen, die ohne menschliche Intervention Ziele aussuchen und unter Beschuss nehmen können. Staaten wie Bolivien, Kuba, Ecuador, Ägypten etc. oder das Europäische Parlament unterstützen diese Position. Es gibt auch, mit unterschiedlicher Intensität, Zustimmung aus der Wissenschaft, der Religion, der

»AI Community« und vereinzelt der Industrie.

Seit 2014 fanden im Rahmen der CCW in Genf erste Expertengespräche zu recht-lichen, technologischen und militärischen Aspekten von LAWS statt, die ab November 2017 in eine UN Group of Governmental Experts (GGE) überführt wurden, die das Mandat bekam, »mögliche Empfehlungen zu Optionen im Zusammenhang mit neu entstehenden Technologien im Bereich LAWS im Kontext der Ziele und Zwecke des VN-Waffenübereinkommens zu prüfen und zu vereinbaren«. Die Erarbeitung einer ge-meinsamen Sprachgrundlage in Bezug auf den Autonomiebegriff und eine praktizierte Transparenz im Hinblick auf Entwicklungs- und Rüstungsbestrebungen im Feld von LAWS wären ein erster wichtiger Schritt. Zudem sollen nicht nur vorliegende Vor-schläge zur Transparenz und Vertrauensbildung diskutiert werden, sondern auch ge-prüft werden, unter welchen Umständen LAWS durch das Zusatzprotokoll I der Genfer Abkommen oder eine andere Regel des HVR verboten werden könnten. Am Anfang konzentrierte sich die Debatte auf die technologischen Kriterien von Autonomie und verlagerte sich dann auf den operativen Kontext eines LAWS-Einsatzes. Die

Abschluss-131 Hierzu gehören für die Landminenkampagne die »International Campaign to Ban Landmines«; das

»International Network on Explosive Weapons (INEW) und die »International Campaign to Abolish Nuclear Weapons« (ICAN) Stephen D. Goose; Mary Wareham: The Growing International Move-ment Against Killer Robots, in: Harvard International Review, Vol. 37, Nº. 4, 2016, Seite 28–33.

berichte der UN GGE zeigen einen sehr langsamen Fortschritt. 2018 gelang es der GGE 11 »guiding principles« festzulegen. 2019 einigte man sich, dass diese Prinzipien eine Basis für mögliche Empfehlungen bilden können und 2020 begann man auszuloten, wo Gemeinsamkeiten festzustellen sind.

Während sich im CCW-Kontext vornehmlich mit der Konformität von LAWS in Bezug auf die Prinzipien des HVR beschäftigt wird, fehlt es bisher an Bemühungen um die präventive Rüstungskontrolle von AWS oder an Anstrengungen zu ihrer zukünftigen Einbindung in konventionelle Rüstungskontrollmaßnahmen. AWS können bisher nur von einigen Rüstungskontrollabkommen (u. a. KSE-Vertrag), Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (u. a. Wiener Dokument) oder von Exportkontroll-regelungen implizit erfasst werden. Dies ist überwiegend nur aus dem Grund möglich, dass die dortigen, eigentlich auf bemannte Systeme abzielenden, Waffendefinitionen auch auf bestimmte unbemannte Systeme zutreffen können. Diese Abkommen haben aber entweder nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich, sind freiwilliger Natur oder werden nicht (mehr) vertragskonform praktiziert, so dass sie nicht die nö-tige Wirkung entfalten können, um den sicherheitspolitischen Implikationen von LAWS wirksam zu begegnen.

Der Militärhistoriker John Keegan kommt in seinem Buch »Die Kultur des Krieges«

(1995) zu folgendem Schluss:

»Die Friedenserhalter und Friedensstifter der Zukunft haben von anderen militärischen Kulturen viel zu lernen, und zwar nicht nur von denen des Orients, sondern auch von den primitiven. Den Prinzipien der freiwilligen Begrenzung (...) liegt eine Weisheit zugrunde, die wiederentdeckt werden muss. Und noch weiser ist es, der Ansicht zu widersprechen, daß Politik und Krieg nur Schritte auf ein und demselben Weg sind. Wenn wir dem nicht entschieden widersprechen, könnte unsere Zukunft (...) den Männern mit den blutigen Händen gehören« (Keegan, 1995, S. 553).

Teil III

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 182-189)