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Einblicke in die Welt der Normen und Standards 8.1.1 Normen- und Standardsetzung

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 128-134)

Normen und Standards

A. Normen und Standards für Digitalisierung

8.1  Einblicke in die Welt der Normen und Standards 8.1.1 Normen- und Standardsetzung

Normen und Standards werden sprachlich nur in Deutschland unterschieden, während sie international allgemein als standards bezeichnet werden.54 Der Geltungsbereich von Normen und Standards, die durch anerkannte Normungsorganisationen wie hierzulande das DIN gesetzt werden, liegt zwischen Gesetzen oder Verordnungen einerseits sowie par-tikularen Werknormen oder unternehmenseigenen Standards (wie z. B. apple Steckern) andererseits und kann durch folgende Pyramide (Abb. 8A.1) veranschaulicht werden:

53 Michael Barth danke ich ebenso für zweckdienliche Kommentare wie auch Frank Schmiedchen, v. a.

für kongeniale Redaktion und notwendige, aber schmerzliche Kürzungen des Kapitels. Eingehendere Darlegungen und Egänzungen v. a. zu den laufenden Normungsaktivitäten in den Plattformbeispielen sind daher einer späteren Publikation vorbehalten.

54 Alle folgenden Darstellungen zu DIN bzw. DIN / DKE / VDE und internationalen Aktivitäten sind den öffentlichen Verlautbarungen dieser Organisationen (v. a. frei zugänglichen Websites) entnommen und erfolgen insofern ohne spezifischere Quellenangaben.

Abb. 8a.1 (Quelle: DIN/DKE)

Abb. 8A.1: Pyramide des Geltungsbereiches von Normen und Standards. PAS steht dabei für publicly available specification. (Quelle: DIN / DKE)

Eine DIN-Norm ist ein Dokument, das Anforderungen an Organisationen, Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt. Damit Normen akzeptiert werden, sind eine breite Beteiligung von sogenannten interessierten Kreisen, Transparenz und Konsens Grundprinzipien. Theoretisch erhalten alle an einem Thema Interessierten die Mög-lichkeit, mitzuwirken und ihre Expertise in entsprechenden Ausschüssen einzubringen oder solche vorzuschlagen. Vor der endgültigen Verabschiedung werden Norm-Ent-würfe auch einer Öffentlichkeit bekannt gemacht, die Einsprüche formulieren kann, die abschließend in dem zuständigen Gremium zu behandeln sind. Die beteiligten Ex-perten in den Gremien sollen über die endgültigen Inhalte grundsätzlich einen Konsens erzielen, bevor sie zustimmen. Spätestens alle fünf Jahre werden Normen auf den Stand der Technik hin überprüft.

Eine Vornorm ist das Ergebnis der Normungsarbeit, das wegen bestimmter Vorbe-halte zum Inhalt, wegen eines im Vergleich zu einer klassischen Norm abweichenden Aufstellungsverfahrens oder mit Rücksicht auf die europäischen Rahmenbedingungen vom DIN nicht als Norm herausgegeben wird. Vornormen bieten der Öffentlichkeit die Chance, Ergebnisse aus Normungsvorhaben zu nutzen, die nicht als DIN-Norm veröffentlicht werden können, so z. B. die überarbeitete DIN VDE V 0826-1 mit detail-lierten Hinweisen zur Sicherheit in Smart Home-Anwendungen.

Die schnellere Möglichkeit, um eine Normung vorzubereiten und erste Regeln zu veröffentlichen, ist eine DIN Spezifikation (SPEC) nach dem sogenannten PAS-Ver-fahren (pas=publicly available specification), die von mindestens drei Parteien inhalt-lich erarbeitet (ohne Konsenspfinhalt-licht) und anschließend vom DIN veröffentinhalt-licht wird.

Sie gibt Herstellern eine hinreichende Sicherheit für Markterprobungen. DIN SPECs werden beispielsweise zu aktuellen Themen gelistet (wie Building Information Mode-ling (BIM), Blockchains, autonomes Fahren, künstlicher Intelligenz oder digitalisiertem Parken). DIN SPECs sind als Ergebnisse von Standardisierungsprozessen strategische Mittel, um innovative Lösungen schneller zu entwickeln, zu etablieren und zu ver-breiten. Eine SPEC soll nicht mit bestehenden Normen kollidieren, jedoch ergänzend veröffentlicht werden. Eine SPEC kann die Basis für eine neue Norm sein, wenn sie als nationale Vorarbeit55 Grundlage für internationale Standardisierungsvorhaben bildet, die von nationalen Normungsorganisationen (NSBs) vorgeschlagen werden.

Die offizielle Normung hingegen zielt auf die Formulierung, Herausgabe und Anwendung von Regeln, Leitlinien oder Merkmalen und soll auf den gesicherten Er-gebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basieren (dem sog. ›Stand der Technik‹) sowie auf die Förderung von Vorteilen für die Gesellschaft abzielen. Normen und Standards sind im Gegensatz zu rechtlich verbindlichen Regelungen grundsätz-lich freiwilliger Anwendungsnatur. Die industriewirtschaftgrundsätz-liche Praxis zeigt jedoch, dass Standards dennoch sehr bedeutend sind und allein schon deshalb angewendet werden, um den Marktzugang für das Produkt zu sichern. Eine Rechtsverbindlichkeit erlangen

55 international dann als PAS bezeichnet

Normen nur indirekt, wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen (z. B. EU-Richtlinien) auf sie verweisen oder wenn Vertragspartner die Anwendung von Normen privatrecht-lich in Vereinbarungen verbindprivatrecht-lich festlegen.

In Fällen, in denen DIN-Normen weder von den Vertragsparteien zum Inhalt eines Vertrages gemacht worden sind, noch durch den Gesetzgeber verbindlich vor-geschrieben werden, können sie dennoch im Streitfall als Entscheidungshilfe dienen (z. B. bei Haftungsfragen im Mängelgewährleistungsrechts, beim Delikt- oder Produkt-haftungsrecht), um zu beurteilen, ob der Hersteller die allgemein anerkannten Regeln der Technik beachtet und somit die verkehrsübliche Sorgfalt eingehalten hat (siehe auch vorangegangenes 7. Kapitel). Die Einhaltung von Normen bietet damit im Hinblick auf mögliche Haftungsfälle eine gewisse Rechtssicherheit. Deshalb haben sich freiwillige Regelungsverfahren bewährt. Weltweit werden in zunehmendem Maße technische Normen und Standards entwickelt und angewendet. Dabei ist die historische Funktion rein technischer Normen und Standards in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch auf gesellschaftspolitisch gewünschte Standards (wie z. B. zu den Themen Qualität, Umweltschutz und Nachhaltigkeit) weiterentwickelt worden.

Das im Jahre 1917 gegründete DIN ist die wichtigste nationale Normungsorganisation in Deutschland. Daneben ist die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) als Organ des DIN und des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) die in Deutschland zuständige Organisa-tion für die Erarbeitung von Standards, Normen und Sicherheitsbestimmungen, vor allem im Bereich der Digitalisierung. Das DKE ist als Plattform für elektrotechnische Normungsprojekte das zentrale Kompetenzzentrum für elektrotechnische Normung und deswegen auch für die Vertretung deutscher Interessen in den europäischen und internationalen Normungsorganisationen zuständig. Diese privaten Institutionen stel-len lediglich die administrativ-logistischen Voraussetzungen für Normungsaktivitäten zur Verfügung. Die inhaltliche Erarbeitung technischer Normen und Standards erfolgt hingegen durch externe interessensgeleitete Experten, die traditionell aus der Wirt-schaft kommen und ihre jeweiligen Unternehmens- oder Verbändeinteressen zu einem konsensfähigen Ausgleich bringen sollen.

Außerdem können themenabhängig weitere Interessensvertreter an den Aus-schüssen teilnehmen (z. B. Staat, Gewerkschaften, Wissenschaft, Normenanwender, Verbraucher und / oder Zivilgesellschaft). Die nationalen Ausschüsse (i. d. R. max. 21 Mitglieder) stellen auch für internationale Normungsprojekte die sogenannten Spie-gel-Komitees dar und entsenden aus ihren Reihen die nationalen Delegierten in die internationalen Gremien. Insofern handelt es sich um eine Art bottom-up-Ansatz unter-staatlicher Regelungsfunktion. Seit Beginn der 1990er Jahre werden neben technisch-wirtschaftlichen Aspekten zunehmend auch gesellschaftlich relevante Interessen bei den Normungsaktivitäten berücksichtigt (Umweltschutz, Klimawandel und andere Nachhaltigkeitsthemen).

8.1.2 Institutionelle Verzahnungen auf europäischer und internationaler Ebene

Auf europäischer Ebene bestehen drei große Europäische Normungsorganisationen (EOS): CEN (Europäisches Komitee für Normung), CENELEC (Europäisches Komi-tee für elektrotechnische Normung) und ETSI (Europäisches Institut für Telekommu-nikationsnormen). Als politisch wichtige europäische Besonderheit ist hervorzuheben, dass CEN auf Veranlassung der EU-Kommission auch rechtsverbindliche, sogenannte harmonisierte Normen durchführen kann (s. w. u.). Eine Übersicht zeigt die Spiegel-struktur von nationalen Zuständigkeiten auf nationaler, zur europäischen und inter-nationalen Ebene:

Die 1946 gegründete International Organisation for Standardization (ISO)56 ist die zentrale globale Vereinigung von Normungsorganisationen.

Sie ist jedoch nicht für die Bereiche Digitalisierung und Elektronik zuständig, für die es die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) gibt.

Für den Bereich Telekommunikation gibt es eine UN-Organisation, die Stan-dards setzt: Die Internationale Fernmeldeunion (ITU).

Gemeinsam bilden diese drei Organisationen die WSC (World Standards Cooperation).

Gemäß dem Wiener bzw. Frankfurter Abkommen zur technischen Zusammenarbeit zwischen ISO und CEN, bzw. IEC und CENELEC sollen Doppelarbeiten vermieden und die gleichzeitige Anerkennung als Internationale und als Europäische Norm

herbei-56 Das DIN ist seit 1951 Mitglied der ISO für die damalige Bundesrepublik Deutschland.

Abb. 8a.2 (Quelle: DIN/DKE)

„Normungs-Spiegelstruktur auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene“

Eingesetzt in 8. Normung, S. 105

Abb. 8A.2: Übersicht über die nationalen und internationalen Normungsorganisationen mit einge-rahmter Zuständigkeit von DKE / CENELEC / IEC, technischen Schwerpunkten, die für die Digitalisie-rung relevant sind. (Quelle: DIN / DKE)

geführt werden. Dabei gilt der Vorrang von ISO, bzw. IEC. Generell gilt das Prinzip von Ländervertretungen für ISO-Mitwirkungen.

8.1.3 Europäisches Normensystem: CE-Kennzeichnung und harmoni sierte Normen

Ein weltweit einzigartiger Sonderfall stellt die EU mit einem eigenen Normungssystem dar, das ganz aktuell auch für die weltweit erste gesetzliche Regulierung von KI-An-wendungen (s. 8.3) höchst relevant wird (s. u.). Die frühere »Neue Konzeption« (New Approach=NA) der Europäischen Gemeinschaft (1985), die 2008 durch das New Legis-lative Framework (NLF) aktualisiert wurde, verfolgt in der EU den Grundansatz einer Staatsentlastung57 für die Entwicklung eines einheitlichen Wirtschafts- und Warenver-kehrsraums sowie für das Inverkehrbringen von Produkten auf der Basis von (EWG, EG und heute EU-) Richtlinien (den sog. directives) und der damit verbundenen CE-Kennzeichnung.

Nicht alle technischen Details sollen und können für alle Mitgliedsstaaten top-down im Einzelnen geregelt werden: Nur die Rahmenbedingungen können auf EU-Ebene beschlossen werden, während die Ausgestaltungen den privaten EOS obliegen. Hierzu bestehen heute rund 30 EU-Richtlinien, die mehr oder weniger größere Produkt-gruppen umfassen (z. B. elektrische Betriebsmittel, Medizinprodukte, gefährliche Stoffe in Elektrogeräten, energieverbrauchsrelevante Produkte). Sie beschränken sich auf sogenannte grundlegende Sicherheitsanforderungen, während die technischen Kon-kretisierungen der Inhalte für die jeweiligen Produkte erst durch Regeln der Technik (Normen) definiert werden sollen. Für deren Erarbeitung sind die o. a. europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI zuständig. Die CE-Kenn-zeichnung wurde hinsichtlich der Elemente und der einzelnen Module der Konformi-tätsbewertung definiert: Alle in Liefer- und Vertriebsketten wirkenden Akteure müssen gewährleisten, dass nur die Produkte in den EU-Markt gelangen (das ist die Inverkehr-bringung), die den geltenden Rechtsvorschriften entsprechen. Die CE-Kennzeichnung dient also der Kontrolle über die zulässige Vermarktung der Erzeugnisse und stellt somit eine Art Reisepass für Produkte im europäischen Binnenmarkt dar. Es ist aber kein Qualitätssiegel und richtet sich nicht an Endverbraucher.58 Sie wird nicht von DIN betreut.

Hierbei spielt das ansonsten ungewöhnliche Konzept der Vermutungswirkung eine zentrale Rolle. Der Hersteller oder der Inverkehrbringer (z. B. im Handel) markiert

57 Grundgedanke des Neuen Konzepts, d. h. klare Trennung zwischen hoheitlicher Gesetzgebung und privater Normung

58 Die CE-Kennzeichnung ist kein Normenkonformitätszeichen, sondern ein EU-Richtlinien-Konformi-tätszeichen mit Funktion als Aufsichtszeichen, das z. B. den Gewerbeaufsichtsbeamten in den EU-Län-dern die Kontrolle über die zulässige Vermarktung (Inverkehrbringen) der Erzeugnisse erleichtern soll.

das Produkt gut sichtbar mit einem CE-Label. Damit sagt er aus, dass das Produkt alle entsprechenden Anforderungen voll und ganz erfüllt. Damit wird die Vermutung der Richtigkeit dieser Aussage nun automatisch unterstellt (Stichwort: Vermutungs-wirkung). Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass dem nicht so ist oder Schäden auftreten, hat dies unmittelbar rechtliche Konsequenzen.

Europäische Normen (EN) sind Regeln, die von einem der drei o. a. europäischen Komitees für Standardisierung ratifiziert worden sind. Alle EN sind durch einen öf-fentlichen Normungsprozess entstanden. Die Erarbeitung beginnt auch hier mit einem Normungsvorschlag, der von einem nationalen Mitglied der europäischen Normungs-organisationen wie z. B. dem DIN oder auch von der Europäischen Kommission oder von europäischen oder internationalen Organisationen eingebracht wird. Über die An-nahme als europäische Norm entscheiden die nationalen Normungsorganisationen in einer zweimonatigen Schlussabstimmung. Für die Annahme sind hier (anders als in ISO, bei dem die Regel gilt: one country, one vote) mindestens 71 % der gewichteten Stimmen der CEN / CENELEC-Mitglieder nötig. Die Ratifizierung einer europäischen Norm erfolgt automatisch einen Monat nach einem positiven Abstimmungsergebnis.

Danach muss eine europäische Norm von den nationalen Normungsorganisationen unverändert als nationale Norm übernommen werden. Entgegenstehende nationale Normen sind zurückzuziehen, um Doppelnormung zu vermeiden. Jede angenommene europäische Norm wird bspw. in Deutschland mit einem nationalen Vorwort als DIN-EN-Norm veröffentlicht. Das nationale Vorwort dient dem Normanwender als zusätz-liche Informationsquelle zur jeweiligen Norm und wird von dem zuständigen deutschen Spiegelgremium erstellt.59

Harmonisierte und mandatierte Normen

Der Begriff (europäisch) harmonisierte Norm (eHN) hat eine von der Europäischen Kommission im Rahmen der Neuen Konzeption (s. o.) festgelegte Definition:

für die Norm liegt ein Mandat bzw. Normungsauftrag der Europäischen Kom-mission und der EFTA an CEN, CENELEC oder ETSI vor, und

die Fundstelle der Norm wurde von der Europäischen Kommission im EU-Amtsblatt bekannt gegeben.

Alle von CEN, CENELEC und ETSI erarbeiteten Normen sind Ergebnis einer europäi-schen Harmonisierung und in diesem Sinne europaweit harmonisiert. Aber nur solche, welche die beiden o. g. Voraussetzungen erfüllen, sind als eHN im Rahmen einer EU-Richtlinie und der Legaldefinition der Europäischen Kommission anzusehen. Manda-tierte Normen gehen aus einem – politisch motivierten – und (mit-)finanziertem Auftrag (Mandat) der EU-Kommission hervor, bestimmte Europäische Normen zu entwickeln.

Für über 4600 Normen haben die EU und EFTA so genannte Mandate bzw.

Normungs-59 https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Norm

aufträge an CEN, CENELEC und ETSI erteilt, größtenteils im Rahmen von Richtlinien nach dem früheren NA bzw. dem NLF.60

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 128-134)