• Keine Ergebnisse gefunden

technologisches Machtinstrument

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 143-151)

Michael Barth

Die ursprünglich politikferne Normungs- und Standardisierungswelt hat sich vor allem im Zusammenhang mit der steigenden umfassenden Vernetzung durch Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend zu einem Instrument der globalen Ein-flussnahme entwickelt. Dies liegt sicherlich zum einen am bereits angesprochen univer-sellen Charakter dieser Technologiebereiche, sind sie doch Querschnittstechnologien, die nicht nur einzelne Branchen, sondern die komplette Wirtschaft, das Staatswesen und die Gesellschaft betreffen, zum anderen aber sicherlich auch an den der Infor-mations- und Kommunikationstechnologie zugrundeliegenden Regeln die Markt- und Investitionsdynamiken betreffend:

Hohe Innovationsversprechen und starke Wachstumsraten ziehen ungleich hö-here Investitionen nach sich als in klassischen Industriebereichen

Schnelles Wachstum führt zur Marktbeherrschung (»The winner takes it all«)

Lock-In-Effekt des Nutzers als Teil vieler Geschäftsmodelle

Dabei müssen die folgenschweren Unterschiede zwischen Normen und Standards in Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien und Standards in anderen Technologiebereichen aufmerksam analysiert werden. Ein wesentlicher Unterschied besteht beispielsweise darin, dass die Auswirkungen des umfassenden Einsatzes nicht national kontrollierbarer Digitaltechnologien wesentlich schneller in Abhängigkeiten führen, als dies zum Beispiel bei Maschinenbaukomponenten der Fall wäre. Am Beispiel von über Cloud-Technologien verfügbaren Dienstleistungen lässt sich das im Vergleich zu industriewichtigen Maschinenbaukomponenten besonders deutlich nachvollziehen: Sind Komponenten einmal in Anlagen verbaut, so laufen sie

78 https://www.bundestag.de/auswaertiges#url=L2F1c3NjaHVlc3NlL2EwMy9BbmhvZXJ1bmdlbi 84NDM2MjgtODQzNjI4&mod=mod538410.

79 HBS 2020: Technical standardisation, China and the future international order – A european perspec-tive

8B Normung und Standardisierung als geopolitisch-technologisches Machtinstrument

mit entsprechenden mechanischen Wartungszyklen ohne weiteres über mehrere Jahr-zehnte. Mit added services unter Nutzung von digitalen Fernwartungsmöglichkeiten ist es demgegenüber ein leichtes, diese Komponenten von einem Moment auf den anderen von vorausschauender Wartung und auch Regelungsmechanismen zum Leistungserhalt auszuschließen. Noch deutlicher wird dies bei rein digitalen Diensten, die im B2C-Ge-schäft genauso existieren wie im Bereich B2B. Mit dem Ende der Zahlung endet der Zugang zum Service und damit auch zu den genutzten Daten. Dies tritt auch dann ein, wenn aufgrund eines Unfalls (oder Hacker-Angriffs) Systeme heruntergefahren werden müssen. Nicht umsonst ist eine wichtige Anforderung von Business-Kunden an ihren Dienstleister die Datenportabilität auf andere Services, die Global Player der Digital-branche häufig mangels Alternative zu verhindern wissen.

Sicherheitspolitisch wird dieser Sachverhalt am Beispiel von Sanktionen oder Ex-portsperren transparent: Maschinen können nach Auslösung von Sanktionen noch einige Zeit weiterlaufen, mit mangelnder Ersatzteilversorgung sinkt die Leistungsfähig-keit über einen längeren Zeitraum. Bei digitalen Produkten endet der Zugang mit der Entscheidung des bereitstellenden Unternehmens oder auch des dahinterstehenden Staates von einem Moment auf den anderen, was Sanktionen viel leichter durchsetzbar und auch wirksamer macht.

Die Kontrolle der Standardisierung und damit die nachhaltige Beeinflussung von Standards im eigenen Interesse eignet sich damit vor allem im Bereich der Digital- und Informations-Technologien als vielversprechendes und wirksames Instrument der Machtpolitik (vgl. Rühlig, 2021).

Diese Zusammenhänge manifestieren sich im Ringen um digitale Souveränität, das mittlerweile zum globalen Phänomen geworden ist, vor allem in den Weltregionen, in denen keine Global Player der Digitalbranche zuhause sind. Ebenso zeigen sie sich dort, wo »Kulturräume« der Digitalisierung aufeinandertreffen, beispielsweise die Ver-einigten Staaten von Amerika und die Europäische Union oder die VerVer-einigten Staa-ten von Amerika und die Volksrepublik China. Hier ist feststellbar, dass diese StaaStaa-ten versuchen, eigene digitale »Kulturräume« zu errichten, voneinander abzugrenzen und sie schließlich auszudehnen. Dies geschieht zum Beispiel durch Regulierung oder ge-sellschaftliche Normen, die die Nutzung digitaler Technologien und Dienste national zu kontrollieren versuchen, oder mit Auflagen zu versehen, die eine Anpassung an den jeweiligen »digitalen Kulturraum« fördern oder erzwingen. Auf europäischer Ebene ist hier zum Beispiel die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu nennen. In der Volkrepublik China geschieht dies durch die Cybersicherheitsgesetzgebung, die dem Staat und seiner Administration volle Kontrolle über die eingesetzten Technologien verspricht. In den USA bildet sich dies beispielsweise in der Beschaffungsmacht der öffentlichen Hand ab, die nicht nur bei digitalen Produkten auf »Buy American« setzt und Anbieter anderer Rechtssysteme kategorisch ausschließt. Abwandlungen dieser Tendenzen finden sich in allen hier angesprochenen Systemen.

Dieser Zusammenstoß der Systeme zeigt sich nicht nur in den handelspolitischen, technologischen und kulturellen Herangehensweisen, sondern auch im hier näher

be-trachteten Bereich der Normung und Standardisierung. Europa setzt wie in vielen ande-ren Themenbereichen auch auf einen Multistakeholderansatz. Wie im Abschnitt A von Eberhard K. Seifert geschildert, ist der europäische Ansatz stark regelbasiert. Standards und Normen werden zunächst auf nationaler Ebene diskutiert und aufgestellt, dann auf europäischer Ebene verhandelt und verabschiedet, um erst dann in die internationalen Gremien getragen zu werden.

Grundsätzlich entspricht das Vorgehen in den Vereinigten Staaten von Amerika dem europäischen Ansatz. Auch hier gibt es große Standardisierungsorganisationen, die amerikanische Entwicklungen auf die internationale Ebene trage. Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass große Stellen wie beispielsweise das American National Standards Institute (ANSI) andere Stellen als Normungsstellen zertifizieren und damit eine Vielzahl an unterschiedlichen Standardisierungsorganisationen entsteht, derzeit allein bei der ANSI über 600. Jede einzelne dieser Stellen kann Normungsvorschläge einbringen, die, wenn sie bestimmten Auflagen genügen, zunächst zum nationalen Stan-dard werden und dann auf die internationale Ebene gebracht werden. Damit möchte das ANSI möglichst große Inklusivität schaffen und auch die Vielschichtigkeit der US-amerikanischen Wirtschaft repräsentieren. Gleichzeitig hat die Standardisierungs-dachorganisation ANSI auch die offizielle Aufgabe, US-Interessen in wichtigen Märk-ten wie China oder Europa zu vertreMärk-ten, wodurch auch in den USA eine zunehmende Vermischung zwischen Politik und Standardisierung feststellbar wird.80 Dies spiegelt sich auch in der historischen Funktion von Standardisierungsorganisationen in den USA wider. So wurde zum Beispiel das National Institute of Standards and Technology seinerzeit gegründet, um der wirtschaftlichen und technologischen Übermacht Groß-britanniens, Deutschlands und anderen konkurrierenden Systemen entgegenzuwirken.81 Die Praxis der zahlreichen kleineren zertifizierten Standardisierungsorganisationen ermöglicht es aber auch großen, marktbeherrschenden Unternehmen leichter, die Aktivitäten einzelner Standardisierungsorganisationen zu steuern und deren Ergebnisse stärker in ihrem Sinne zu beeinflussen. So bestimmen zunehmend starke Einzelunter-nehmen oder Konsortien im Bereich der IKT-Wirtschaft die Standards, an denen sich Wirtschaftsteilnehmer orientieren müssen, vor allem dann, wenn sie ein Interesse an Interoperabilität mit dem Marktführer haben. Die Vereinigten Staaten verlassen sich hier also auf die Innovationskraft der dort beheimateten IT-Unternehmen, die in vielen Bereichen Vorreiter sind.

Damit entziehen sich bereits jetzt die Digitaltechnologien in vielen Feldern den tradierten und eingeübten Mechanismen und der Gremienkultur, wie sie üblicherweise im Bereich der Normung und Standardisierung anzutreffen sind. Zwar ist die Schaffung von Normen und Standards auch hier weiterhin von Bedeutung, der Konsens inner-halb der Community wird jedoch wesentlich stärker vom jeweiligen Marktbeherrscher

80 Zur Rolle und zum Selbstverständnis von ANSI siehe: https://ansi.org/about/roles

81 https://www.nist.gov/about-nist

oder von Industriekonsortien herbeigeführt. So hat es beispielsweise starken Einfluss auf die Nutzbarkeit von gewissen Zertifikatstypen in Browsern, wenn Alphabet fest-schreibt, welche Zertifikate sie für den Chrome-Browser akzeptieren. Mittlerweile ist diese Mechanik auch an konkreten nationalstaatlichen Versuchen, Einfluss auf die Normungsprozesse zu nehmen, ablesbar. Ein Beispiel, an dem sich dies besonders gut verdeutlichen lässt, ist die Volksrepublik China. Früher reiner Produktionsstandort für die Welt, ist sie diesem Status sowohl im Selbstverständnis als auch in der Außenwahr-nehmung entwachsen. Die globalen machtpolitischen Ambitionen lassen sich nicht nur im Austausch mit anderen Staaten, in der Erschließung und Sicherung von Rohstoffen weltweit oder auch im Umgang mit einflussreichen Technologieanbietern erkennen (vgl. Bartsch, 2016). Sie finden auch in der Welt der Normung und Standardisierung ihren Niederschlag. So zeigt sich allein an der Anzahl der besetzten Sekretariate und Chair-Positionen ein starker Anstieg in der chinesischen Ambition (vgl. Rühlig, 2020):

Unterstrichen wird dies weiterhin durch konsequente Bewerbung chinesischer Vertre-ter auf vakante Leitungspositionen in inVertre-ternationalen Normungsgremien (vgl. Steiger, 2020).

Einen noch stärkeren Ausdruck findet dies in den strategischen Dokumenten, die sich von den Festlegungen der Mittel- und Langfristplanungen der Staatsführung ableiten. In direktem Bezug zu unserem Thema hat beispielsweise die nationale Standardisierungsbehörde eine Normungsstrategie 2035 abgeleitet. »China Standards 2035« ist in direktem Zusammenhang mit der nationalen Industriestrategie »Made in China 2025« zu sehen und soll diese stützen und mittelfristig absichern. Insgesamt sind diese Entwicklungspläne eingebettet proklamierten Ziel der Volksrepublik bis 2050,

Abbildung 8b.1

Abb. 8.B.1: Internationaler Vergleich der Anzahl der besetzten Sekretariate in internationalen Nor-mungsorganisationen durch China, den USA, Deutschland und Japan in den Jahren 2011 und 2020.

dem 100. Gründungsjahr, »politisch, kulturell, ethisch, sozial und ökologisch« weltweit auf Spitzenplätzen zu stehen. China Staatschef Xi Jinping formulierte, dass das Land bis 2035 globaler Führer in der Innovation sein müsse (vgl. Lamade, 2020). Die Außen- und Wirtschaftspolitik der Volksrepublik versetzt bereits jetzt nicht nur seine direkten Nachbarn in Sorge, sondern zwingt auch beispielsweise die Europäische Union zum Umdenken. Denn längst sichert sich China mit Direktinvestitionen nicht nur Einfluss in Entwicklungs- und Schwellenländern, auch Mitgliedsstaaten wie Ungarn, Griechenland oder Italien setzen sich größerem chinesischen Einfluss aus.

Während die Standards beispielsweise für 5G noch in industrieübergreifenden Kon-sortien entwickelt wurden und Anbieter wie Huawei hier die bestehenden Standards in einer Vielzahl von Patenten genutzt hat, soll »China Standards 2035« hier den nächsten Schritt für die Volkrepublik China begründen, nämlich das Setzen der Standards in wichtigen Zukunftsthemen wie der Informationstechnologie (hier vor allem die Felder der künstlichen Intelligenz und der Cybersicherheit) (vgl. Arcesati, 2019), Biotechno-logie, High-End-Produktion, aber auch ganz anderen wichtigen Zukunftsfeldern, wie dem Umweltschutz, der Landwirtschaft oder der Standardisierung von Urbanisierung.

Mit insgesamt 117 Einzelmaßnahmen will China sowohl national als auch inter-national Spitzenniveau in der Standardisierung erreichen. Dabei liegt das Hauptaugen-merk auf fünf Feldern:

Stärkung der strategischen Positionierung der Standardisierung

Intensivierung der Standardisierungsreform und -entwicklung

Stärkung der Standardisierungssystematik und Verbesserung der Fähigkeit zu führender Hochqualitätsentwicklung

Führungsrolle bei internationalen Standards übernehmen und die Internationa-lisierung chinesischer Standards verbessern

Stärkung des Wissenschaftsmanagements und Verbesserung der Effektivität der Standardisierungsbemühungen

Alle Felder sind darauf ausgerichtet, die Fähigkeit der Volksrepublik China zu stärken, Standards zu schaffen und diesen nicht nur national, sondern auch international zu Geltung zu verhelfen. Während es in zahlreichen Einzelmaßnahmen schlicht darum geht, die chinesische Wirtschaft und das nationale Standardisierungssystem, besser in die Lage zu versetzen, gute Standardisierung zu schaffen und auch zur Verbesserung der Produktion in unterschiedlichsten Feldern zu nutzen, so sind vor allem die letzten beiden Felder in ihren Maßnahmen strikt darauf ausgerichtet, die nationalen Verbesse-rungen in internationale Standardisierungserfolge umzumünzen. Dabei wird auch ein großes Augenmerk darauf gerichtet, die inländische Forschung und die internationalen Standardisierungsaktivitäten von chinesischer Seite staatlich zu unterstützen. Dies steht im Einklang mit der Strategie von der Werkbank der Welt zu einer Nation zu werden, die sogenannte companies schafft. Nach chinesischer Diktion setzen die Tier-one-companies Standards, während Unternehmen zweiten Ranges Technologien entwickeln und diese dritten Ranges lediglich Produkte für andere bauen. Die chinesische Führung

sieht also im Setzen von Standards die Möglichkeit, Technologien und Produkte zu kontrollieren. Dies wiederum fügt sich als technologiegetriebene Facette der regelba-sierten Machtprojektion der aktuellen Going-abroad-Strategie der Volksrepublik China ein (vgl. de la Bruyère / Picarsic, 2020).

Welch wichtige Rolle die Volksrepublik China bei Hochtechnologien spielt, zeigt sich bereits jetzt an Beispielen wie 5G, Künstlicher Intelligenz82 oder dem Internet der Dinge. Dies belegt auch der Argwohn, den westliche Regierungen der techno-logischen Vorreiterrolle Chinas entgegenbringen – jüngst beobachtbar am Verbot von Huawei-Komponenten im 5G-Netz Großbritanniens oder der Debatte um das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 zum Thema kritischer Komponenten (vgl. Schallbruch, 2020).

Das Gesetz erwähnt an keiner Stelle das Reich der Mitte, allen Beteiligten in der zuvor stattfindenden Diskussion war aber klar, dass es eigentlich darum ging, wie man »nicht-vertrauenswürdige« Komponenten aus den deutschen Netzen heraushalten könnte – zum Beispiel die der marktdominanten chinesischen Netzausrüster. So spielen auch im IT-Sicherheitsgesetz 2.0 nicht nur technische Maßgaben in Sachen Vertrauenswürdig-keit herangezogen, auch politische Einschätzungen der jeweiligen Herkunftsländer von Komponenten spielen zukünftig eine Rolle. In die Entscheidung, welche Komponenten privater Anbieter in volkswirtschaftlich wichtigen Installationen wie Kommunikations-netzen von privaten Anbietern verbaut werden dürfen, werden sich künftig das Innen-ministerium mit seiner IT-Sicherheitskompetenz sowie das WirtschaftsInnen-ministerium und das Auswärtige Amt einbringen. Dies stellt einen Paradigmenwechsel in der ansonsten an marktwirtschaftlichen Mechanismen ausgerichteten Wirtschaft- und Industrie-politik der Bundesrepublik Deutschland.83 Zu diesem Wandel passt auch die Befassung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, der sich ansonsten eher untechnischen Themen widmet, jüngst mit diesem Themenkomplex (vgl. Bundestag, 2021).

Inwieweit die chinesische Absicht von Erfolg gekrönt sein wird ist derzeit noch nicht vorhersehbar. Generell ist es im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft, aber auch der Wirtschaft, chinesische Unternehmen mit am »Standardisierungstisch« zu haben, verspricht das doch einen breiteren technologischen Konsens und auch im glo-balen Handel und Technologietransfer ein reibungsloseres Vorgehen. Die starke staat-liche Einmischung stößt aber sowohl den Industrieverbänden der weststaat-lichen Welt als auch den Entscheidungsträgern diesseits und jenseits des Atlantiks unangenehm auf, auch deshalb, weil China zuletzt immer häufiger versucht hat, nationale Standards in

82 Zur Standardisierung im Kontext von Künstlicher Inelligenz und des Balance Acts zwischen den USA und China: Ding, Jeffrey: Balancing Standards: U. S. and Chinese Strategies for DEveloping Technicsal Standards in AI, Oxford 2020, online abrufbar unter: https://www.nbr.org/publication/balancing-standards-u-s-and-chinese-strategies-for-developing-technical-standards-in-ai/

83 Auch die deutsche Industrie bringt ihre Sorge vor dem steigenden Einfluss der Volksrepublik China deutlich zum Ausdruck: Bundesverband der deutschen Industrie (Hg.): Grundsatzpapier China, Part-ner und systemischer Wettbewerber – Wie gehen wir mit Chinas staatlich gelenkter Volkswirtschaft um, Berlin 2019, online abrufbar unter: https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2019/01/BDI-Grundsatzpapier_China.pdf

anderen Nationen, die Nutznießer chinesischer Investitionen sind, durchzusetzen.84 In-sofern ist hier unabhängig von den Erfolgsaussichten ein weiterer »Kampf der Systeme«

zu erwarten, in dem um Normen und Standards gerungen wird.

Zwar hat die frisch in Kraft gesetzte chinesische Strategie zum Thema noch kei-nen direkten Impact in der Normungswirklichkeit gezeitigt, denn die »Mühlen« der Standardisierungsgremien mahlen nicht wie die geopolitische Lage. Dennoch macht die VR China mit den geschilderten und selbstdokumentierten Ambitionen klar, in welche Richtung sie gehen möchte und worauf sich die Standardisierungsansätze der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union einstellen sollten. Hier stehen auf der eine Seite sehr regelbasierte Ansätze und teilweise auch hochdynamische, von Einzel-unternehmen angetriebene Standardisierungsabsichten einer stark staatsgestützten, mit geopolitischen Interessen verwobenen Standardisierungspolitik gegenüber, die mit um-fangreichen Ressourcen sowohl personeller als auch finanzieller Natur ausgestattet ist und ein klar formuliertes Ziel verfolgt, dass nicht zwangsläufig das der interoperabelsten Technologie ist. Hierzu müssen sich die Machtsysteme USA und EU zusätzlich zu vie-len anderen globavie-len Herausforderungen verhalten (vgl. Semerijan, 2016/2019). Dies wird um so schwerer in einem System sein, das sich auf die konsolidierte Einschätzung und Einigung zu Normen und Standards durch viele Industrieteilnehmer verlässt.

Europa sitzt damit auch in diesem Feld durch seinen konsensualen Ansatz zwischen zwei Systemansätzen (dem der Vereinigten Staaten und dem der Volksrepublik China) unter Druck. Allerdings zeigt auch bereits die strategische Einschätzung der Europäi-schen Kommission im Hinblick auf Standardisierung deutlich die Notwendigkeit des Handelns vor allem im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnologien.

Hier werden die entscheidender Felder benannt und auch unterstrichen, wie wichtig der Einfluss auf Technologien in einer sich wandelnden geopolitischen Landschaft ist (vgl.

EU KOM, 2021). Im Hinblick auf Entwicklungsgeschwindigkeit und den Aufbau von technologischem Druck sind der US-amerikanische und der chinesische Ansatz dem europäischen System wahrscheinlich überlegen85, womit auch hier leider für Europa gilt: »Between a rock and a hard place.« Alleine die Verknüpfung zwischen politischer Agenda und Standardisierungsagenda auf europäischer Ebene zeigen jedoch, dass der Handlungsbedarf erkannt wurde.

84 Zu diesem Konflikt aus US-amerikanischer Sicht auch umfangreich: Strategie der Vereinigten Staaten gegenüber der Volksrepublik China, veröffentlicht auf Deutsch auf der Homepage der US-Botschaft in Deutschland: https://de.usembassy.gov/de/strategie-der-vereinigten-staaten-gegenueber-der-volksre-publik-china/

85 Zusätzlich laufen von Seiten der NIST bereits erste Aktivitäten, die chinesischen Aktivitäten einem As-sesment zu unterziehen und Reaktionsmöglichkeiten abzuleiten: https://www.nextgov.com/emerging-tech/2021/05/nist-wants-help-assessing-chinas-influence-emerging-technology-standards/174052/

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 143-151)