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Technikphilosophische Fragen

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 85-91)

Stefan Bauberger16

Wertfreie Technik?

Ein naives Verständnis von Technik betrachtet diese als Werkzeug, das in sich wert-neutral ist, das aber zum Guten oder zum Schlechten gebraucht werden kann. Allein die Anwendung entscheidet also über den Wert von Technik. Ein Hammer kann zum Einschlagen eines Nagels verwendet werden, aber auch um jemandem den Kopf einzuschlagen.

Hinter diesem Bild steht die richtige Intuition, dass Technik keinen Selbstzweck in sich trägt, sondern dass sie den Menschen dienen soll. Eine differenzierte Betrachtung zeigt aber, dass diese Intuition keine Beschreibung darstellt, sondern dass sie ein Ideal und damit eine Aufgabe definiert, nämlich die Aufgabe diesen Dienstcharakter der Technik zu bewahren.

Manche Techniken tragen die Tendenz zu einer bestimmten Anwendung schon in sich. Eine Atombombe wird nie unmittelbar zum Guten eingesetzt werden, obwohl selbst da gute Anwendungen denkbar sind. Eine solche gute Anwendung wäre das utopische Szenario, einen großen Meteoriten, der auf Kollisionskurs mit der Erde ist, mittels einer Atombombe aus seiner Bahn abzulenken. Auch wenn ein solches Szenario denkbar ist, kann man dennoch nicht sinnvoll davon sprechen, dass die Entwicklung der Atombombe wertneutral ist.

Eine umgekehrte Betrachtung kann man für die Entwicklung von wirksamen und bezahlbaren Medikamenten anstellen – wobei auch diese missbraucht werden können, zum Beispiel durch die Einbettung in ein ungerechtes Gesundheitssystem. Dennoch kann man davon ausgehen, dass solche Medikamente ein Beispiel für Technik dar-stellen, die in der Regel in sich gut ist.

Digitale Techniken sind in den meisten Fällen tatsächlich ambivalent in dem Sinn, dass ihr Wert von der Anwendung abhängt. Dabei sind die Grenzen zwischen Entwicklung und Anwendung allerdings fließend. Ein Beispiel dafür sind die Entwicklungen von Künst-licher Intelligenz (KI) für die Militärtechnik. Bei diesen Entwicklungen geht es nicht nur um Weiterentwicklungen schon vorhandener Technik, sondern es sind ganz neue und er-schreckende Dimensionen der Kriegstechnik zu erwarten, falls diese Entwicklungen nicht durch internationale Abkommen gestoppt werden. Automatisierte Flugdrohnen zum Bei-spiel (die paradoxerweise umso gefährlicher werden, je kleiner sie werden), können zur gezielten Tötung oder für Sabotageakte gegen Infrastruktur eingesetzt werden, wobei der

16 Vgl. zu diesem Kapitel vom Autor: Bauberger 2020a und Bauberger 2020b.

Fragen

Angreifer kein eigenes Risiko eingeht und möglicherweise gar nicht identifiziert werden kann. Sie entgrenzen damit die Kriegsführung und senken die Schwelle für Kriegshand-lungen. Im 10. Kapitel macht Götz Neuneck dies eindringlich klar.

Größere Wirkungen durch die Einbettung in gesellschaftliche und ökonomische Zusammenhänge

Weiterhin ist gegen eine naive Anwendung der Werkzeugmetapher zu beachten, dass die Auswirkungen von technischen Entwicklungen oftmals – und das ist in Zusammenhang mit Digitalisierung und KI zu erwarten – nicht auf den konkreten Einzelfall der An-wendung beschränkt sind, sondern dass sie in Bezug auf ihre gesamte gesellschaftliche und ökonomische Wirkung betrachtet werden müssen.

Die Entwicklung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert und etwa 100 Jahre spä-ter die technische Nutzbarmachung von Elektrizität und die Erfindung der Massen-produktion mit dem Fließband hatten jeweils gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen zur Folge, mit ökonomischen Gewinnern und Verlierern. Noch gewaltiger war die Wir-kung einer der ältesten technischen Erfindungen, nämlich die des Ackerbaus vor etwa 10.000 Jahren. Erst dadurch war dichte Besiedelung möglich, erst dadurch konnten Städte entstehen, erst dadurch konnten von Einzelnen oder gesellschaftlichen Gruppen große Reichtümer angehäuft werden, und so weiter.

Ein Beispiel für die Relevanz dieser Einbettung in größere Zusammenhänge ergibt sich – wie bei den früheren industriellen Revolutionen – aus den Auswirkungen von Digitalisierung auf Ökonomie und Arbeitsmarkt. Es ist kein Zufall, dass mit den gro-ßen Digitalkonzernen in ganz kurzer Zeit neue Monopole und Formen der Plattform-wirtschaft entstanden sind. Die sehr niedrigen Grenzkosten bei der Anwendung von digitalen Techniken, ebenso wie »positive« Rückkoppelung durch Netzwerkwerkeffekte begünstigen eine »The-Winner-Takes-It-All«-Ökonomie.

4.1 Die Technik, die Moderne und das Menschenbild

Das moderne Menschenbild ist in vieler Hinsicht geprägt von den Naturwissenschaf-ten – so die verbreitete Auffassung. Mit den NaturwissenschafNaturwissenschaf-ten gehen Naturalismus, Materialismus, Physikalismus und Reduktionismus einher, oder zumindest werden sie zur ständigen Herausforderung für jedes Menschenbild.

Diese genannten Positionen sind philosophische Auffassungen. Sie sind nicht di-rekt das Ergebnis naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Sie werden aber gewöhnlich als eine geistesgeschichtliche Folge der Naturwissenschaften gesehen. Die Befürworter des Naturalismus verstehen ihre Auffassung insofern als Konsequenz der Ergebnisse der Naturwissenschaft, als diese nach ihrem Verständnis eine vollständige Erklärung der Welt, einschließlich der Stellung des Menschen, liefert. Der menschliche Organismus wird mechanistisch verstanden. Der Philosoph La Mettrie hat schon im 18. Jahrhundert den Ausdruck »L’Homme Machine« geprägt (De La Mettrie, 1748).

Diese naturalistischen und materialistischen Positionen können aus philosophischer Perspektive als Verabsolutierungen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis verstanden werden. Sie leiten aus dem Erfolg des naturwissenschaftlichen Programms einen Allein-vertretungsanspruch ab. Dabei beruht auch die Naturwissenschaft nicht auf reiner Objektivität, sondern sie ist das Ergebnis einer Objektivierung, in die viele Voraus-setzungen einfließen, die sich aus der Naturwissenschaft selbst nicht ableiten lassen.

Konkret steht die naturwissenschaftliche Erkenntnis immer auf dem Hintergrund einer lebensweltlichen Erkenntnis, die viel weiter ist, und die sich nie ganz objektivieren lässt, die aber für die Naturwissenschaft vorausgesetzt werden muss (vgl. Van Fraassen, 2002 und Bauberger, 2011).

Ernst Kapp, ein Pionier der Technikphilosophie, hat Technik in einem Wechselspiel verstanden: Technische Produkte sind einerseits eine »Organprojection«, also eine Ver-längerung der natürlichen Fähigkeiten von Menschen, geformt nach dem Muster dieser Fähigkeiten. Andererseits versteht sich der Mensch neu in dieser Projektion (Kapp, 1877)17, nach dem Vorbild seiner eigenen Schöpfung. Die Technik formt somit auch das Menschenbild. Die Selbst-Projektion des Menschen löst sich von ihm als ein Abbild, das als technische Schöpfung im jeweiligen Bereich perfekter ist als er selbst. Und der Mensch versteht sich dann aus dem Bild seiner Perfektion in der Technik. Dabei ist diese Perfektion allerdings immer nur eine Teilperfektion, die bestimmte Fähigkeiten des Menschen herausgreift und steigert. Dadurch wird das Selbstbild des Menschen neu akzentuiert, in Richtung auf dieses Ideal, das die Technik vorführt.

Das materialistische und mechanistische Weltbild lässt sich in dieser Sichtweise als Folge der Technisierung verstehen. Insbesondere die Entwicklung der Dampfmaschine und anderer Kraftmaschinen (Motoren) zeigte augenfällig, dass Bewegungen rein mate-riell verursacht sein können. Durch Digitalisierung und insbesondere durch KI wird ein neues Bild geformt: Der Mensch als informationsverarbeitendes System. Floridi, einer der führenden Digitalisierungs-Philosophen, spricht von der »Infosphäre« als neuem Modell der menschlichen Wirklichkeit: »Der nächste Schritt ist es, in Bezug auf die Wirklichkeit umzudenken und immer mehr ihre Aspekte in Informationsbegriffen neu zu denken.« (Floridi, 2015, S. 75) Er spricht von einer »Entmaterialisierung der Gegen-stände und Prozesse.« (Floridi, 2015, S. 101)18 Weizenbaum und Janich haben schon

17 Ein immer noch aktuelles Beispiel für diese rückläufige Projektion ist das Verständnis des Herzens als Pumpe (vgl. Kapp, 1877, 98), also nach dem Vorbild von mechanischen Pumpen. Den Hinweis auf die Bedeutung dieser Rückprojektion auf das Selbstbild des Menschen gerade in Zusammenhang mit der Computertechnik verdanke ich Eugen Wissner, im Rahmen einer Masterarbeit, die er an der Hochschule für Philosophie in München geschrieben hat.

18 Weitere Zitate von Floridi zur Verdeutlichung: »Der ›It-from-bit‹-Hypothese zufolge ist auch unser Körper im tiefsten Inneren aus Informationen (zusammengesetzt), nicht aus irgendeinem ultima-tiven materiellen Stoff, der sich von dem, was immateriell ist, unterscheidet.« (Floridi, 2015, 101) Über Privatsphäre: » … so verlangt auch die Privatsphäre nach einer entsprechend grundlegenden Umdeutung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass unser Selbst und unsere Interaktionen als Inforgs ihrer Natur nach informationell sind.« (Floridi, 2015, 159)

vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass dem philosophisch eine Hypostasierung und Naturalisierung des Informationsbegriffs zugrunde liegt, die sachlich unzutreffend ist (vgl. dazu Janich, 1997 und Weizenbaum, 1977, S. 207–241).

Parallel dazu führt die Durchdringung der Lebenswelt durch Computertechnik dazu, dass die Cyberwelt als Verwirklichung und Überhöhung dessen gesehen wird, was der Mensch eigentlich ist. Die materielle Wirklichkeit wird von einer scheinbaren geistigen Wirklichkeit übertroffen. Wiegerling warnt in diesem Zusammenhang vor einem »Widerständigkeitsverlust« (Wiegerling, 2011, S. 26ff ) aufgrund des »Wirklich-keitsverlustes« (Wiegerling, 2011, S. 13).

Die konsequente Überhöhung dieses Ideals führt zu radikal transhumanistischen Fantasien. Ray Kurzweil, Leiter der technischen Entwicklung bei Google, entwickelt die Vision, dass Roboter und Computer irgendwann die Kontrolle über die Welt nehmen, da sie aufgrund der fortschreitenden Entwicklung von KI den Menschen über-holen werden (Kurzweil, 2015). In seinem Sinn ist das kein Verlust, sondern es steht in der guten Logik der Evolution. Dahinter steht die Idealisierung von Intelligenz im Sinn von Datenverarbeitung, und in der Folge die Reduktion des Menschen auf dieselbe Funktion.

Die Auswirkungen von Digitalisierung auf das Menschenbild sind zum Beispiel im Bereich der in der Medizintechnik und bei der Altenpflege von besonderer Relevanz.

In diesen Bereichen herrscht (aufgrund der politisch gesetzten Rahmenbedingungen) ein hoher Kostendruck, der Effizienzsteigerung zum Ideal erhebt. Dazu gibt es auch un-abhängig von der Digitalisierung eine Tendenz zur Technisierung, die mit den Idealen einer um den Menschen zentrierten Medizin und Pflege konkurriert. Insbesondere in der Pflege müssen Menschen aber in ihrer leiblichen Dimension und mit ihren Gren-zen akzeptiert werden, auch mit geistigen Einschränkungen wie Demenz. Wenn das Menschsein nach dem Idealbild eines informationsverarbeitenden Systems definiert wird, können Pflegebedürftige nur noch als lästige Randerscheinungen der Gesellschaft verstanden und behandelt werden.

4.2 Kränkung, Entfremdung und Faszination

Günther Anders hat die menschlichen und gesellschaftlichen Folgen der Entwicklung der Technik als Abfolge von immer weitergehenden Kränkungen und Entfremdungen geschildert (Anders, 1957 und Anders, 1980). Gemessen an der Vollkommenheit der Technik, zum Beispiel an der Kraft, die Maschinen entfesseln, erfährt sich der Mensch als unvollkommen und machtlos. Insbesondere die Atombombe hat diese Machtlosig-keit in besonderer Weise demonstriert. Entsprechend kritisiert auch Heidegger in seiner Technikphilosophie eine Entfremdung des Menschen, die aus der von ihm losgelösten Macht der Technik entspringt (Heidegger, 1954).

Der Gegenpol zu dieser Kränkung ist die Faszination, die von hochentwickelter Technik ausgeht. Das Gute an dieser Faszination ist, dass Forscher mit großer Hin-gabe die Entwicklung von Technik vorantreiben. Andererseits birgt die Faszination der Technik die Gefahr in sich, dass Technik zum Selbstzweck wird.

4.3 Technische Lösungen für menschliche Probleme

»Die instrumentelle Vernunft hat aus Worten einen Fetisch gemacht, der von schwarzer Magie umgeben ist. Und nur die Magier haben die Rechte der Eingeweihten. Und sie spielen mit Worten und betrügen uns.« (Weizenbaum, 1977, S. 334) – So kritisierte Joseph Weizenbaum, einer der großen Pioniere der KI-Forschung, schon 1976 die übertriebenen Hoffnungen, die auf Computern ruhen. Er plädiert für eine »Vernunft, die sich wieder auf ihre menschliche Würde besinnt, auf Echtheit, Selbstachtung und individuelle Autonomie« (ebenda).

Weizenbaum kritisiert ein Paradigma der technischen Vernunft, die sich mit natur-wissenschaftlicher Rationalität verbindet und diese verabsolutiert. Probleme sind in diesem Paradigma dazu da, gelöst zu werden, und sie werden im Idealfall technisch gelöst. Dieses Paradigma geht über den Bereich der Anwendung von Technik hinaus, es hat sich insofern verselbständigt. Weizenbaum führt als Beispiel an, dass in den amerikanischen Studentenunruhen vielfach vorgeschlagen wurde, die Probleme durch eine bessere Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen der Universitäten zu regeln. »Aber diese Sicht des ›Problems‹ (…) verbirgt und verschüttet effektiv die Existenz realer Konflikte.« (Weizenbaum, 1977, S. 328) Dieser »Imperialismus der inst-rumentellen Vernunft« (Weizenbaum, 1977, S. 337) geht an der Wirklichkeit vorbei, be-ziehungsweise er reduziert diese Wirklichkeit auf alles, was technisch beschreibbar und lösbar ist. Damit geht die Menschlichkeit verloren. Im menschlichen Bereich ist vieles komplex, auch Probleme lassen sich vielfach nicht lösen, sondern müssen ausgehalten werden. Menschlicher Beistand ist weit über die Lösung von technischen Problemen hinaus von Bedeutung.

Unter der Prämisse, dass Technik dem Wohl der Menschheit dienen soll, ergibt sich als Fazit der technikphilosophischen Überlegungen, dass dieser Werkzeugcharakter der Technik keineswegs selbstverständlich gegeben ist. Vielmehr ist es eine bleibende Herausforderung, Technik dienstbar zu machen. In der Regel, aber nicht immer, ist dabei die Technik ambivalent. Der Einsatz der Technik muss aber jeweils im ge-sellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhang (mit den damit verbundenen In-teressen) betrachtet werden, es muss die Gefahr der Verselbstzwecklichung der Technik in Betracht gezogen werden, sowie auch die Auswirkung auf das Menschenbild.

Als Beispiel kann wieder der Einsatz von Digitaltechnik in der Medizin heran-gezogen werden, insbesondere wenn KI in der Zukunft viele diagnostische Aufgaben übernehmen kann. Im Idealfall der guten Anwendung von KI werden die technischen Aufgaben der ärztlichen Kunst auf die Technik übertragen, womit die Ärzte und Ärztin-nen frei werden für die Aufgaben, die mit den menschlichen Aspekten ihrer Tätigkeit verbunden sind: als fürsorgliche, mitfühlende Menschen, die zum Beispiel Therapie-möglichkeiten mit den Patienten besprechen, wobei die Entscheidungen nicht nur nach rein technischen Gesichtspunkten gefällt werden, sondern auch die Werte und Lebens-einstellungen der Patienten, sowie auch ihr Umfeld berücksichtigen. Im schlechten Fall verstärkt die Digitalisierung die technische Prägung der Medizin. Ökonomische Zwänge

und Lobbyinteressen innerhalb des Gesundheitssystems werden diesen schlechten Fall befördern. Dazu kommt das stark technisch geprägte Menschenbild innerhalb dieses Systems (der Mensch als biochemische Maschine) und das damit verbundene Para-digma der technischen Vernunft.

Nur in Kenntnis dieser Mechanismen kann es gelingen, die Anwendung dieser am-bivalenten Techniken der KI, die für die Medizin eben auch großartige neue Möglich-keiten erschließen, zum Guten zu wenden. Im Guten befördern diese Techniken die Humanisierung der Medizin, indem die menschlichen und zwischenmenschlichen As-pekte der Heilung dadurch an Wert gewinnen, dass mehr Technisches an Maschinen übertragen wird.

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 85-91)