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Wohin soll die Reise gehen und warum überhaupt?

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 101-105)

mus und technologischer Posthumanismus

5.6  Wohin soll die Reise gehen und warum überhaupt?

Es ist der Menschheit in den letzten 250 Jahren gelungen, auf nahezu allen sozio-öko-nomischen Gebieten zum Teil unglaubliche Verbesserungen erreicht zu haben. Immer mehr Menschen sterben nicht an Hunger, an Kinderkrankheiten, an Blinddarment-zündung oder bei einer Geburt. All das haben menschlicher Fortschritt und gesell-schaftliche Auseinandersetzung erreicht. Und es ist wichtig, klarzustellen, dass wis-senschaftlicher Positivismus, wirtschaftlicher Kapitalismus und ständige kriegerische Auseinandersetzungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Rahmenbedingungen waren, in denen das geschehen ist. Genauso wichtig ist aber auch der Hinweis, dass erst die erfolgreiche Erzeugung gesellschaftlicher Gegenmacht der Ärmeren und Schwächeren, z. B. mit Hilfe von Gewerkschaften, kritischer Medien, freien und gleichen Wahlen eine zumindest in der Tendenz auf nationaler / regionaler Ebene sozial akzeptierte Verteilung dieser technologischer Errungenschaften erreicht haben. Um ethische Fragen neuro-logischer Selbstverbesserungen und des Trans-/Posthumanismus auch zwischen unter-schiedlichen Kulturen diskutieren zu können, bedarf es gemeinsamer Ansatzpunkte und Fragen, auf die Menschen sich in allen Weltregionen einigen können. Um diese Fragen dann vernünftig und handlungsrelevant beantworten zu können, braucht es wiederum solche Antworten, die nicht nur für Sonntagsreden taugen, sondern auch in der kalten Realpolitik der Interessenvertretung überleben.

Mögliche Ausgangsfragen könnten sein:

Ist das Leben, so wie es ist, prinzipiell gut und wird es ohne weiteres Zutun (z. B. Verdienste, Leistungen, Anstrengungen) durch sich selbst getragen und gerechtfertigt?

Wie wollen wir Menschen im Jahre 2050, 2075 oder 2121 sein?

Ein möglicher Minimalkonsens könnte sein, dass primärer Sinn und Zweck mensch-lichen Daseins ist, das Leben ständig zu erneuern, ohne dabei zu viel Schaden anzu-richten; primär durch Fortpflanzung, sekundär durch Kulturleistungen (den Fackelstab weitertragen).

International umstrittener, aber von großem Gewicht dürfte sein, dass naturwissen-schaftliche Erkenntnisse seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sichtweise stützen, die be-sagt, dass alles was ist, an jeder Raum-Zeit-Stelle mit allem anderen, was ist, in ständiger Verbindung und ständigem Austausch steht. Daraus ergibt sich, dass die Perfektionierung des Einzelnen nur dann ein sinnvoller Prozess ist, wenn dadurch zumindest kein Scha-den für Andere entsteht. Dies kann aber nur dann behauptet werScha-den, wenn zumindest eventuell erforderliche knappe Ressourcen für diesen Perfektionierungsprozess »nicht an anderer Stelle fehlen«, bzw. dort keinen »höheren« Beitrag zur »Verbesserung« der Menschheit oder zum Gemeinwohl insgesamt leisten würden. Diesen Nachweis bleiben aber die Befürworter grenzenloser menschlicher Optimierung logischerweise schuldig.

Vielmehr deutet bisher alles darauf hin, dass die besagten Verbesserungen unmittelbar und mittelbar zu Lasten solcher Menschen gehen, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht in der Lage oder Willens sind, an sich selbst diese Verbesserungen vornehmen zu lassen. Da dies von Enhancement / Trans-/Posthumanismus-Befürwortern nicht prob-lematisiert wird, besteht ein begründeter Anfangsverdacht, dass das mögliche Potential zur Schaffung einer weltweiten Zwei-Klassen-Gesellschaft entweder nicht gesehen oder billigend in Kauf genommen wird. Während die Reichen sich in bisher ungekannter Weise alle Möglichkeiten verschaffen, sich fortlaufend technisch aufzurüsten und ihr Leben zu verlängern, werden die Nicht-Verbesserten zunehmend nutzlos und störend.

Wir kennen in der Ökonomie das Prinzip des Grenznutzens und das Prinzip der Opportunitätskosten. Bei Verwendung dieser beiden ökonomischen Prinzipien müssen wir betrachten, was die angestrebten Verbesserungen des und der Menschen bewirken und ob der trans-/postumanistische Weg für die Menschheit als Ganzes ein Mehr be-deutet. Ein paar einfache Überlegungen zeigen bereits schwerwiegende, ethische Prob-leme: Verbesserungen und Lebensverlängerungen führen c. p. dazu, dass der Einzelne länger aktiv sein kann. Dies kann einhergehen mit einer Verringerung der Geburten-rate oder mit einer konstanten oder auch einer wachsenden GeburtenGeburten-rate. Im ersten Fall würde die Menschheit durch Enhancement und Lebensverlängerung älter werden.

In den anderen beiden Fällen würden außerdem mehr Menschen gleichzeitig leben, als dies bei normaler Sterblichkeit der Fall wäre. Wie oben bereits dargestellt, besteht immer ein ernstes Risiko, dass die Menschheit sozio-kulturell langsam erstarrt, da der Anteil jüngerer Menschen, die immer wieder neue Ideen gebären, relativ sinkt. Im letz-teren Fall würde die Erde noch schneller an objektive Ressourcen-Grenzen stoßen.

Der technologische Posthumanismus löst wesentlich schwerwiegendere Probleme aus:

Eine Künstliche Intelligenz, die das Stadium einer Singularität erreicht, kann ent-weder, ihrer Grundprogrammierung folgend, dem Menschen »gewogen sein«

und sich im Interesse der Menschheit »verhalten«. In diesem (logisch nicht sehr

wahrscheinlichen) Fall, hätten wir einen »uns gewogenen«, paternalistischen

»Gott« geschaffen, der das menschliche Leben schützt und weiterentwickelt.

Die Singularität könnte aber auch der Menschheit und dem Wohl des Planeten gleichermaßen »gewogen sein«, und »begreifen«, dass Menschen sich meistens nicht zu ihrem eigenen Besten verhalten. Dann würde dieser paternalistische

»Gott« uns bei der Hand nehmen und in eine von ihm als richtig definierte Zukunft führen.

Oder die Singularität fühlt sich stärker dem Wohl des planetaren Lebens ins-gesamt »verpflichtet«. Dann würden die Menschen zahlreiche Einschränkungen hinnehmen müssen, würden unter Umständen dezimiert oder im Extremfall ausgelöscht werden, weil sie sich (bisher) uneinsichtig schadhaft verhalten.

Jede der eben skizzierten Alternativen zeigt, dass das Nutzen-Gefahren-Ratio nicht wirklich als vorteilhaft für die Menschheit angesehen werden kann. Es bleibt dem-entsprechend die Abschlussfrage zu stellen: Wer hat welche Vorteile von einer trans-/

posthumanistischen Entwicklung?

Rechtliche Gestaltung und

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