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Transhumanistische Motivation

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 94-99)

mus und technologischer Posthumanismus

5.3  Transhumanistische Motivation

Die wichtigsten Transhumanisten25 gehen über die rein pragmatisch verstandene Grundidee eines »Besser-ist-immer-nützlich« des Utilitarismus hinaus. Für sie geht es darum, die biologische Evolution auf der Erde (und im Kosmos allgemein) kulturell-zivilisatorisch-technisch zu ergänzen, bzw. zu ersetzen, um die Evolution zu beschleu-nigen und im Ergebnis zu verbessern (vgl. zum Extropianismus: Erdmann, 2005).

25 z. B. Nick Bostrom, Fereidoun Esfandiary (FM-2030), Eric Drexler, Ben Goertzel, Aubrey de Grey, Yuval Harari, James Hughes, Julian Huxley, Zoltan Istvan, Saul Kent, Timothy Leary, Ralph Merkle, Max More, Elon Musk, Gerard O’Neill, Larry Page, Martine Rothblatt, Anders Sandberg, Pierre Teil-hard de CTeil-hardin, Peter Thiel, Natasha Vita-More, Ken Warwick

Die im Wesentlichen erst im 20. Jahrhundert26 entstandene Idee des Transhumanis-mus (»über-den-Menschen-hinaus«) zielt darauf ab, den homo sapiens sapiens als Art weiterzuentwickeln (vgl. More, 2013; Kurzweil, 2014; Sorgner, 2018). Zahlreiche Eigen-darstellungen und Manifeste bekunden diese gemeinsame, grundlegende Überzeugung.27 Transhumanistische Konzepte teilen eine Sicht, in der die Menschheit sich nicht mehr an ihre ca. 300.000 Jahren existierenden Form (vgl. Gunz, 2017) gebunden fühlt. Viel-mehr werden mögliche sozio-technische Evolutionsschritte, auch solche, die über den Menschen hinausführen, als natürlich menschlich angesehen. So soll sich der biologisch verfasste Mensch in jeder ihm möglichen technischen Form verbessern. Das bejaht ausdrücklich, dass das Ergebnis einer solchen Synthese faktisch eine andere Kreatur ist (Transhuman, Cyborg) oder die Bewusstseinsinhalte des Menschen nur noch digitali-siert vorliegen; ein Traum, den Trans- und technologische Posthumanisten teilen. Eine solche Sichtweise gilt dann für alle technischen Eingriffe, die der Mensch vornimmt, um die Evolution (mit) zu gestalten. Welcher Art diese Eingriffe sind (z. B. genetisch, nano-technisch oder digital), ist dabei nicht relevant. Die Veränderungen entstammen mensch-licher Kreativität und sind in dieser Sichtweise somit natürlich (vgl. Sorgner, 2018).

Transhumanistische Konzepte sind keine verfestigten Ideenlehren, Ideologien oder Theorien. Sie sind vielmehr diverse und zum Teil widersprüchliche Vorstellungen, denen auch unterschiedliche philosophische Grundüberzeugungen zu Grunde liegen. Das Spektrum wird aber beherrscht von technologisch orientiert Denkenden, die oftmals auf streng atheistischen Überzeugungen, aber zum Teil auch auf protestantisch-calvinis-tisch oder jüdisch ableitbarem Glauben beruhen. Grundlage aller transhumanisprotestantisch-calvinis-tischer Vorstellungen ist, dass der Mensch in seiner heutigen Form nicht zu Ende entwickelt ist, sondern sich in einer permanenten Weiterentwicklung befindet, in der er selbst die Evolution durch wissenschaftliche Erkenntnisse und technischen Fortschritt aktiv über sein bisheriges Menschsein hinausträgt. Dabei stellt für manche Akteure der Szene der Transhumanismus eine Art Zwischenstadium zum Posthumanismus dar, so dass hier Grenzen schwimmend sein können.

Den transhumanistischen Konzepten liegt ein paradoxes Menschenbild zu Grunde, das den Menschen sowohl als unvollkommen beschreibt und die Notwendigkeit zu seiner Selbstverbesserung und Selbstüberwindung betont, als auch im Menschen den

»Erwecker« des Kosmos sieht, der diesem erst den Sinn verleiht. Insofern ist der Trans-humanismus auch transzendental orientiert und zielt auf das jenseits des Menschen Liegende, das aber von ihm erreicht werden kann (vgl. Coeckelbergh, 2018).

Der Mensch bedarf als schwaches und unvollkommenes Lebewesen der ständigen Verbesserung, um ganz zu sein. Der Mensch kann und soll seine genetische Ausstattung,

26 Manche Transhumanisten berufen sich auf antike Quellen. Da es aber noch nicht einmal heute eine stringente transhumanistische Theorie gibt, ist lediglich der Zeitraum relevant, in dem die meisten transhumansitischen Ideen entwickelt wurden.

27 Beispielhaft hierfür: https://humanityplus.org/; https://humanityplus.org/philosophy/transhuma-nist-declaration/; http://www.transhumanismus.demokratietheorie.de/docs/transhumanismus.pdf;

https://transhumane-partei.de/was-ist-transhumanismus/; (jeweils 03.01.2021)

physische und psychische Gesundheit, Wahrnehmung, seine emotionalen und kogniti-ven Fähigkeiten und seine Fertigkeiten schrittweise verbessern und seine Lebensspanne erheblich erweitern (vgl. Boström, 2008, S. 107–136).

Dies gelingt durch die dauerhafte Inkorporation von Technik (genetisch, digital, o. a.) (vgl Hayes, 2014).

Kernelement dieser Überzeugung ist, dass es die kognitiven Fähigkeiten sind, dass es die menschliche Intelligenz ist, die den Menschen zu Höherem beruft. Demgegen-über ist die biologische Körperlichkeit einschließlich der Emotionen nur Ausdruck bis-heriger Unzulänglichkeit der »blinden« Evolution bis in unsere Gegenwart. Dennoch sind alle transhumanistischen Konzepte in letzter Konsequenz in einem Paradoxon aus quasi-religiös-transzendentalem und materialistischem Denken verstrickt (vgl. Co-eckelbergh, 2018). Letztlich geht es um eine körperliche Vision der Verbesserung des Menschen, selbst wenn diese sich auf Gehirninhalte reduziert, die als Summe ihrer phy-sischen Erscheinungsform vollständig das Bewusstsein – den Geist bilden. Das hoch-ladbare Bewusstsein ist in diesem Sinne die Summe der zur Verfügung stehenden und verarbeiteten Informationen. Eben gerade deshalb kann der Geist in einen Computer hochgeladen werden, weil er materialisierte Information und nichts Anderes als das ist.

Trotz dieses naturwissenschaftlich reduktionistischen, materialistischen Grundver-ständnisses gibt es aber nicht nur eine inhärent quasi-religiöse Deutung des sich selbst überwindenden und erst dadurch selbst werdenden Menschen, sondern auch zahlreiche philosophische und historische Anknüpfungspunkte, beispielsweise zum Protestantis-mus, vor allem in seinen calvinistischen und evangelikalen Ausprägungen (z. B. aktuell stark bei den Mormonen) oder im Judentum (vgl. Samuelson / Tirosh-Samuelson, 2012, S. 105–132; Krüger, 2019, S. 110–115).

In der Aufklärung wiederum wurde, bis heute endgültig, menschliche Vernunft, Intelligenz und Sprachfähigkeit als Ausdruck und Zeichen der Berufung und Fähigkeit des Menschen zu Höheren identifiziert. Diese geistigen Eigenschaften zeigen an, dass der Mensch das Ebenbild Gottes ist.

Immer wieder werden implizit von Transhumanisten auch Bezüge zum Denken Herders hergestellt, der den Menschen als Mängelwesen beschreibt: Denn dieser ist das »Elendste unter den Tieren«. Hieraus ergibt sich bei ihm Möglichkeit und Not-wendigkeit, sich mittels seines Verstandes und der Sprache ständig zu verbessern und zu erhöhen (vgl. Herder, 1769, Zweiter Teil. Erstes Naturgesetz).

Demgegenüber galt weiterhin und seit dem viktorianischen 19. Jahrhundert noch deutlich verstärkt, dass des Menschen natürliche Körperlichkeit und die damit ver-bundenen Triebe (v. a. Sexualität) und Gefühle der Ausdruck ewiger Sündhaftigkeit und Minderwertigkeit seien, die es zu überwinden, bzw. zu erlösen gelte28 (vgl. Lüthy, 2013, S. 11–25; Mulder, 2013, S. 30–43; Samuelson, Tirosh-Samuelson, 2012, S. 105–132).

28 Im Gegensatz dazu betont Luther in seiner Diputatio de Homine die Unmöglichkeit, Vernunft als ein Definitionsmerkmal des Menschen zu bestimmen, da sie ebenso gut ein Ausdruck seiner »Sündhaftig-keit« sein könne.

Ende des 19 Jahrhundert wurde dann im Rahmen des Wachsens kapitalistischer Überzeugungen das protestantische Postulat vor allem in den USA zu einem »Der-Erfolgreiche-ist-erfolgreich-weil-Gott-ihn-liebt« weiterentwickelt. Schließlich werden wir auch ausgiebig fündig bei Bezugnahmen zu Nietzsche und seiner Notwendigkeit der Schaffung des göttlichen Übermenschen. Die Schaffung des Nietzsche’schen Über-menschen wirbt mit einem verlockenden transhumanistischen Angebot: Hat die erste kognitive Revolution den »unbedeutenden afrikanischen Affen« zum Herren der Welt gemacht, so wird die zweite kognitive Revolution den Menschen zum Herrn der Galaxis erheben, ganz friedlich mit Hilfe von Gentechnik, Nanotechnologie und Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer« (vgl. More 2010; Harari, 2017, S. 476f.).

In der Quintessenz führt dies zu einer posthumanistischen Sicht, dass die Evolu-tion insgesamt als unvollkommen anzusehen sei und deshalb durch eine wissenschaft-lich-technologische Evolution ergänzt oder abgelöst werden müsse (vgl. Sorgner, 2018;

Jansen, 2015, S. 219–234).

5.4 Posthumanismus

Der ebenfalls äußerst heterogene Posthumanismus teilt sich in ein technologisch orientiertes Mehrheitslager29 und ein kritisch orientiertes, kleines Minderheitenla-ger30 auf. Mit Ausnahme der relativ einflusslosen kleinen Gruppe kritischer Posthu-manisten verstehen alle Autoren sozio-kulturelle Fortschritte als Folge technologischer Entwicklungen.31

Technologische Posthumanisten vertreten die Auffassung, dass die (letzte) mensch-liche Schöpfung (our final invention) in Form der singularen Superintelligenz und ihre dann ohne menschliches Zutun geschaffenen »Nachkommen« den Kosmos erwecken werden, nicht aber der Mensch selbst (vgl. Barrat, 2013).

Ihr Ansatz führt sie also zur normativen Forderung der endgültigen und völligen Überwindung des Menschen durch seine technischen Erfindungen, da diese ihm über-legen sind. Die Menschheit soll demzufolge Platz machen für eine von ihm geschaffene und der gesamten Menschheit überlegene (digitale) Superintelligenz (Singularität), die als faktischer Gott, das Paradies auf Erden und im Kosmos schafft – nach ihrem Gut-dünken, mit oder ohne Menschen.

Während die »wirklichen« Transhumanisten nur die Verbesserung menschlichen Lebens auf einer höheren Evolutionsstufe anstreben und das Anthropozän nicht ver-lassen, sondern es ausdehnen wollen, sind viele sich auch transhuman äußernde Autoren letztlich technologische Posthumanisten32 und sehen in der Menschheit nur einen

not-29 z. B. Raymond Kurzweil, Marvin Minsky, Hans Moravec, Vernor Vinge, Eliezer Yudkowsky

30 z. B. Rosi Braidotti, Janina Loh, Stefan Sorgner

31 https://whatistranshumanism.org/ (02.3.2021)

32 Die Grenzen zwischen beiden Gruppen sind ohnehin nur philosophisch-analytisch zu bestimmen.

Siehe hierzu: Loh, 2018

wendigen Zwischenschritt zu höheren, nicht-menschlichen, aber mensch-induzierten Intelligenz- oder Lebensformen, die den Kosmos letztlich erwecken werden.

Damit aber kann, ohne sich übertriebener Vereinfachung schuldig zu machen, der technologische Posthumanismus als eine dem Menschen gegenüber feindlich gesinnte Denkströmung / Quasireligion bezeichnet werden. Wie mit Menschen umzugehen ist, die aktiv einen technologischen Posthumanismus anstreben, sollte deshalb möglichst rasch gesellschaftlich diskutiert werden.

In diesem Zusammenhang ist auch Folgendes bedeutsam: In der Auseinandersetzung zwischen »wirklichen« Transhumanisten und technologischen Posthumanisten bahnt sich vielleicht eine Auseinandersetzung epischen Ausmaßes an, die nicht nur auf dem Papier geführt werden wird. In diesem sich bereits abzeichnenen, möglichen (heißen) Krieg kämpft die transhumanistische Seite im Sinne eines erweiterten Humanismus-begriffs für den Fortbestand und die Weiterentwicklung einer technisch verbesserten Menschheit, während die technologischen Posthumanisten antihumanistisch die Menschheit durch eine neue »Technikspezies« überwinden will.

Die Gründung des Unternehmens Neuralink durch Elon Musk wurde von ihm ex-plizit damit begründet, dass die Menschheit sich für den unabwendbaren Krieg gegen die künstlich-intelligente Singularität über Mensch-Maschine-Schnittstellen aufrüsten müsste, um zu überleben.33

Neben den technologischen Posthumanisten existiert eine völlig anders ausgerichtete kleine Gruppe, die sich als kritische Posthumanisten bezeichnet. Diese strebt nicht die technologische Überwindung des Menschen an, sondern will eine menschliche Er-neuerung durch Überwindung humanistischer, anthropozentrischer Denk- und Ver-haltensweisen, mit denen der Mensch sich illegitim zum mörderischen Herren der Welt und all ihrer Lebensformen aufgeschwungen hat (vgl. Braidotti, 2014; Loh, 2018). Dabei werden technologische Werkzeuge auf diesem Weg aber nicht abgelehnt. Gemeinsam ist den kritischen mit den technologischen Posthumanisten lediglich die Forderung nach Überwindung des Anthropozäns. Aber die kritischen Posthumanisten wollen den Menschen nur vom Thron der Krone der Schöpfung herunterstoßen, damit er sich be-wusst in das organische Gesamtgefüge des Planeten einfügt, in das er ja ohnehin immer und vollständig eingebettet ist. So sollen vergangene und gegenwärtige sozial und öko-logisch verwerfliche Handlungen zukünftig vermieden werden (vgl. Braidotti, 2014, S. 197f.). Damit ist der kritische Posthumanismus eine Strömung des pseudo-linken (Il-)Liberalismus, den wir aus den identitätspolitschen, antihumanistischen Debatten kennen. Der kritische Posthumanismus wird im Mainstream trans-/posthumanistischer Diskussionen kaum wahrgenommen, vor allem nicht in den USA und der V. R. China.

Da der kritische Humanismus auch keine (primär) technologieorientierte Denk-strömung ist, wird sie in diesem Buch nur aus Gründen der Vollständigkeit erwähnt.

33 https://neuralink.com/; https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/press-briefing/details/

news/brain-computer-interfaces-hintergruende-zu-forschungsstand-und-praxis/; https://industrie-magazin.at/a/neuralink-warum-elon-musk-computerchips-direkt-ins-hirn-pflanzen-will

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 94-99)