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Was sind Drohnen und AWS und welche Entwicklungen finden statt?

Im Dokument Wie wir leben wollen (Seite 172-176)

Tödliche Autonome Waffensysteme – Neue Bedrohung und neues Wettrüsten?

10.1  Was sind Drohnen und AWS und welche Entwicklungen finden statt?

Unbemannte, bewegliche Plattformen gibt es seit den 1940er Jahren. Die Weiterwicklung der ersten ballistischen Großrakete V-2 bis hin zu modernen Interkontinentalraketen erfolgt seit langem. Marschflugkörper wiederum verwenden Turbinen, operieren in

der Atmosphäre und sind Bestandteil des modernen Militärarsenals geworden, ebenso wie Torpedos. Diese Waffenträger sind nur einmal nutzbar und ermöglichen, schwere Nutzlasten über große Reichweiten zielgenau zu transportieren. Zum modernen Ar-senal haben sich unbemannte Flugkörper (Unmanned Aerial Vehicles) hinzugesellt, die automatisch landen oder starten, fernlenkbar und mehrmals verwendbar sind. Je nach Ausstattung sind sie lange einsetzbar, ermöglichen Flugzeiten von Stunden bis zu mehreren Tagen und setzen dabei keine Pilotenleben aufs Spiel. In der Öffentlichkeit wird die Debatte meist unter dem Begriff »Drohne« subsummiert und alles damit be-zeichnet, was unbemannt fliegt. Je nach Reichweite und Technologie sind verschiedene Drohnenkategorien zu unterscheiden. Recht einfach aufgebaute Drohnen haben eine niedrige Flughöhe und kurze Reichweite, während taktische Drohnen für mittlere Flug-höhen und längere Reichweiten gedacht sind.117 Zunächst sind Drohnen im Militär zu Aufklärungs- und Überwachungszwecken, in vielfacher Form eingeführt worden.118 Das Dual-Use Potenzial dieser Entwicklung wird deutlich, wenn man die verschiedenen zivilen Drohnentypen im Freizeitbereich oder bei Polizei, Feuerwehr, Landwirtschaft, Wissenschaft etc. beachtet. Sie sind jeweils von einem Operateur am Boden ferngelenkt zu steuern, sei es mittels einer TV-Verbindung oder vorprogrammiert. Es liegt nahe, dass die Fernsteuerung zunächst bei Fluggeräten Anwendung fand, allerdings nimmt auch die Bedeutung von unbemannten Land- oder Wasserfahrzeugen zu. Teilautonomie kommt bei einigen bereits vorhandenen Drohnensystemen ins Spiel, da Teilfunktionen wie automatisches Starten oder Landen bereits autonom delegiert und durchgeführt werden können.

Bewaffnete Drohnen: Die Pandora-Box ist geöffnet

Technisch liegt es nahe, diese »passiven« Flugobjekte auch aktiv zu bewaffnen. Bei Bewaffnung spricht man dann von »Unmanned Combat Aerial Vehicle« (UCAV).119 Der Schritt von der Aufklärungs- zur Kampfdrohne liegt für Militärs nahe, aber auch nichtstaatliche Akteure zeigen Interesse an diesen Systemen, da sie vermeintlich »chi-rugische Schläge« in sicheren Distanzen ermöglichen. Verfügt ein Land über eine ent-wickelte Luftfahrtindustrie, so sind sowohl Eigenentwicklungen, Lizenzentwicklungen als auch Importe von anderen Drohnenherstellern möglich. Die ersten Kampfdrohnen wurden im Jom Kippur Krieg 1973 eingesetzt. Seitdem bauten insbesondere die USA und Israel diese Technologien aus. Die Kampfdrohnen der USA vom Typ Predator oder Reaper wurden zuerst von den USA 2001 in Afghanistan eingesetzt. Die USA sind

117 Man spricht auch von MALE-Systemen: Medium-Altitude, Long-Endurance.

118 Die Bundeswehr setzt seit 2010 die von Israel geleaste Aufklärungsdrohne »Heron« in Afghanistan und seit 2016 in Mali ein.

119 Zu unterscheiden sind u. a. mehrfach verwendbare »Kampfdrohnen«, die aus sicherer Distanz ope-rieren, von einmal verwendbaren Kamikaze-Drohnen (»loitering munitiion«), bei denen Drohnen über ein Kampfgebiet fliegen, ein bestimmtes Ziel detektieren und zerstören.

bis heute in diesem Bereich der Trendsetter. Das MALE-Drohnenprogramm (Reaper, Predator) wurde massiv ausgebaut und führte zu tausenden Einsätzen alleine in Pa-kistan, Jemen, Afghanistan, Irak, Syrien und Somalia. Nach einer Analyse des »Bureau of Investigative Journalism« (BIJ) führten die USA in den letzten Jahren in den vier genannten Ländern mindestens 14.040 Drohneneinsätze durch.120 Ziel waren hier oft nicht-staatliche Akteure im Rahmen der Anti-Terrorkriegsführung. Zu unterscheiden sind somit Angriffe der US-Luftwaffe im Rahmen von Kampfhandlungen oder Ge-heimeinsätze, die vom Geheimdienst CIA ausgeführt werden (»targeted killing«). Die letztgenannte Strategie ist völkerrechtlich höchst umstritten und wird bis heute von vielen Staaten abgelehnt. Nötig sind für solche Einsätze nicht nur das Fluggerät selbst, sondern eine vorbereitete Infrastruktur d. h. je nach Reichweite: Bodenstationen, ver-schlüsselte Datenübertragung, sichere Landeplätze, eine Weltraumkomponente zur Datenweiterleitung etc.

Tabelle 10.1: Staatlicher Besitz, Beschaffung und Einsatz von fortschrittlichen Kampfdrohnen121

Es gilt: a U. S. Fabrikate, b israelische Fabrikate, c chinesische Fabrikate, d Entwicklung als Teil eines Konsortiums, e Ent-wicklung als Konsortialführer, bisher unbewaffnete Kampfdrohne, g unsichere Informationen oder steht noch nicht fest.

In den letzten Dekaden haben immer mehr Staaten in den Kauf oder die Entwick-lung von eigenen Kampfdrohnen investiert. Eine AufstelEntwick-lung von 2017 verzeichnet 35 Länder mit eigenen Kampfdrohnen, wobei die USA, China, Israel und die Türkei

120 Das Drone Warfare Projekt des Bureau of Investigative Journalism listet nach Auswertung öffentlich verfügbarer Quellen zwischen 2010 und 2020 zwischen 8,858–16.901 Tote in diesen vier Ländern auf.

10 %–13 % waren dabei Zivilisten. https://www.thebureauinvestigates.com/projects/drone-war

121 Datenquellen u. a. : Who Has What: Countries Developing Armed Drones. North America Foundation (NAF) World of Drones Webseite. Stand vom 20.01.20. Abrufbar unter: https://www.newamerica.org/

in-depth/world-of-drones/4-who-has-what-countries-developing-armed-drones/

Stande der Proliferation von Kampfdrohnen

Besitz

Eigenproduktion China, Georgien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, Südafrika, Türkei, Ukraine, USA Importiert / geleast

Ägyptenc, Aserbaidschanb , Frankreichaf, Großbritannienb , Irakc , Italiena, Kasach-stanc, Niederlandea f, Nigeriac, Saudi-Arabienc, Spanienaf, Turkmenistanc, Vereinigte Arabische Emirate ac

Bisherige Einsätze unter Waffengebrauch

Armenien, Aserbaidschan, Großbritannien, Iran, Irak, Israel, Nigeria, Pakistan, Russ-land Türkei, USA, Vereinigte Arabische Emiratec

Laufende Beschaffung

Entwicklung Deutschlande, Frankreiche, Griechenlandd, Großbritannien, Indien, Pakistan, Russland, Schwedend, Schweizd, Spaniend , Südkorea, Taiwan, Vereinigte Arabische Emirate

Import / Leasing Australienag, Deutschlandb, Indienb Jordanienc, Poleng, Schweizb,

die Hauptexporteure sind.122 Während 2011 nur die USA, Großbritannien und Israel über bewaffnete Drohnen verfügten, hat der Import von bewaffneten Drohnen seitdem drastisch zugenommen. Allein zwischen 2011 und 2019 haben 18 Staaten bewaffnete Drohnen erworben, 11 davon greifen auf chinesische Produkte zurück.

2019 hatten bereits 10 Staaten Kampfdrohnen eingesetzt, oft in völkerrechtswidriger Weise. Aufsehenerregend war der Drohneneinsatz der USA in Rahmen des »Grand War on Terror« gegen nicht staatliche Akteure (Al-Qaida und IS), aber auch die Er-mordung des iranischen Generalmajors Qasem Soleimani im Irak im Januar 2020. An-dere Staaten haben diese Muster übernommen, so führte die Türkei Drohnenangriffe gegen die kurdische Arbeiterpartei im eigenen Land durch, Nigeria gegen Boko Haram und der Irak gegen den »Islamischen Staat«. Saudi-Arabien und die VAE setzen Kampf-drohnen in Libyen und Jemen ein. Die Drohneneinsätze im Krieg in Syrien und Libyen durch die Türkei (z. B. in Idlib) und Russland haben Aserbaidschan ermutigt, ähnliche Einsätze zu offensiven Zwecken im 44-Tage Krieg gegen Armenien im Jahre 2020 in Koordination mit Panzern und Artillerie durchzuführen.123 Auch sensitive US-Ziele (UAV-Hangars, CIA-Gebäude etc.) wurden im Irak von »Kamikaze-Drohnen« von Schiiten-Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Inzwischen werden vom US-Militär fortgeschrittene Angriffsdrohnen als ernste Bedrohung angesehen (vgl.

Arraf / Schmitt, 2021). Die Pandora-Büchse der Nutzung von Kampfdrohnen ist somit global geöffnet. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die USA im Kampfdrohnenmarkt nicht mehr alleine agieren und mit China oder der Türkei Konkurrenz bekommen haben. Die heutigen Drohnen ermöglichen Präzisionsschläge auch gegen einzelne Panzer, machen das Kampffeld z. B. in Libyen, Syrien und in Armenien letaler und verändern deren Einsatz zugunsten des Angreifers, da Flugzeuge für andere Missionen frei werden. In der deutschen Debatte um die Anschaffung von Kampfdrohnen argu-mentieren die Befürworter, dass die anzuschaffenden israelischen Drohnen »Heron TP« zum Schutz der Bundeswehr angeschafft werden sollen. Es zeigt sich aber gerade, dass Kampfdrohnen besonders gut gegen schwächere Gegner offensiv nutzbar sind und auch einen psychologischen Effekt haben. Sie sind besonders gut als Interventions-waffe in asymmetrischen Konflikten zu handhaben, bei denen Luftüberlegenheit vor-handen ist (vgl. Erhart, 2021). Zwar werden Drohnen aufgrund ihrer Treffergenauigkeit als »chirurgische Waffen« bezeichnet, was technisch zunächst korrekt ist, da das Ziel genau fixiert oder getroffen werden kann als bei Streumunition, aber dennoch sind zivile Opfer keinesfalls ausgeschlossen. Das entscheidende bei angeblich »chirurgischer Kriegsführung« ist stets die Zielplanung zugunsten der Vermeidung von zivilen Opfern,

122 Die USA haben unter Präsident Obama den Export bewaffneter Drohnen auf der Grundlage des Missile Technology Control Regimes von 1987 beschränkt und nur unter Auflagen lediglich an UK und Frankreich geliefert. Unter Trump wurde diese Regelung gelockert und Lieferungen an Taiwan, VAE und Indien ermöglicht.

123 Baku nutzte israelische Kamikaze-Drohnen vom Typ »Harop«, um die Radarstationen Armeniens anzugreifen und die Luftverteidigung auszuschalten, bzw. die türkischen »Bayraktar TB2« Drohnen, um die Luftverteidigung und gepanzerte Fahrzeuge auszuschalten.

denn bei jeder Munition ist immer ein Kollateralschaden möglich. Eine Auswertung der öffentlich verfügbaren Quellen zeigt, dass 10 bis 13 Prozent der US-Angriffe auch Zivi-listen trafen. Durch eine örtliche Nähe von Kombattanten in von ZiviZivi-listen bewohnten Gebieten werden auch von den Kämpfern zivile Tote in Kauf genommen. Dies ändert aber zunächst nichts an der technischen Definition vom »Kollateralschaden« heutiger Waffensysteme und dem nötigen Aufwand, der auf der Basis der Prinzipien des Huma-nitären Völkerrechts getroffen werden muss.

Der kombinierte Einsatz von Marschflugkörpern und Drohnen hat bei den Angriffen auf die saudiarabischen Raffinerien in Abqaiq und Khkurais im Jahr 2019 erheblichen Schaden angerichtet, sodass die Ölversorgung signifikant unterbrochen wurde. Die Houthi-Rebellen im Jemen, die vom Iran unterstützt wurden, nahmen den Angriff für sich in Anspruch. Allerdings erfolgten die Angriffe nicht aus Richtung Süden (Jemen), sondern aus dem Norden (Irak) oder Osten (Iran): 25 unbemannte Flugkörper tra-fen am 14. September 2019 in zwei Wellen gut koordiniert und punktgenau Öltanks und Verarbeitungsanlagen von Aramco. Abgesehen vom Überraschungseffekt dieses

»Schwarmangriffs« war auch die stationierte Luftabwehr (Skygard, Patriot) wirkungs-los. In Zukunft sind solche Szenarien in Kriegsgebieten sehr wahrscheinlich.

Auch ist zu bemerken, dass heutige Drohnen, wenn sie erst einmal entdeckt sind, durchaus im Prinzip gut zu bekämpfen sind, da sie langsam fliegen, wenig manövrieren oder sich nicht selbst verteidigen können. Allerdings ist die Luftverteidigung darauf nicht eingestellt. Es liegt nun nahe, dass erhebliche Anstrengungen unternommen wer-den, um künftig Systeme zu entwickeln, die schwerer zu detektieren sind, ausweichen können oder schneller fliegen. Das technologische Wettrüsten wird somit weiter an-geheizt, wie das nächste Kapitel zeigen wird.

Neben den USA entwickeln europäische Staaten Drohnen mit Tarnkappentechnik (Stealth), aber auch andere Staaten wie China, Pakistan, Indien, Russland, Türkei fort-geschrittene bewaffnete MALE-Drohnen (siehe Tabelle 1 und nächstes Kapitel).

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