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Vorbereitung in der Lehre

Im Dokument Gut besser exzellent? (Seite 106-110)

Qualitätsvolle Forschung ist nur möglich, wenn bei ihrer Planung und Durchführung die gesellschaftliche Verantwortung beständig mitreflektiert wird. Entsprechende umfassendere Verstehens-, Wissensgenerierungs- und Urteilsbildungsprozesse über disziplinäre Traditionen und Blickwin-kel hinaus sind an den Hochschulen immer noch die Ausnahme, jedenfalls nicht die Regel. Ich habe nur dann Hoffnung, dass dies doch noch in der Forschungspraxis ankommt, wenn sich bereits die Studierenden mit dieser Herausforderung vertraut machen können, dürfen – und müssen.

Es mag erstaunen, dass die Einforderung von Lehrinhalten im Be-reich gesellschaftlicher Verantwortung (Social Responsibility) integraler Bestandteil der Studiengangentwicklung innerhalb des Bologna-Prozesses geworden ist. Dies ist prominenter Teil der knapp formulierten sogenann-ten Dublin-Descriptors für Bachelor- und Masterabschlüsse von 2004. Un-ter jeweils fünf Spiegelstrichen, was als Qualifizierungsziel erreicht werden soll, findet sich je einer mit entsprechenden Formulierungen für Bachelor- und Master-Qualifizierungsziele:

O Für Bachelor: Students „have the ability to gather and interpret re-levant data (usually within their field of study) to inform judgements that include reflection on relevant social, scientific and ethical issu-es“.

O Für Master: Students „have the ability to integrate knowledge and handle complexity, and formulate judgements with incomplete or limited information, but that include reflecting on social and ethi-cal responsibilities linked to the application of their knowledge and judgements“.

Die Dublin-Descriptors haben teilweise in den Europäischen Qualifika-tionsrahmen Eingang gefunden, der im Mai 2005 von den europäischen Bildungsminister(inne)n auf der Bergen-Konferenz beschlossen wurde.

Entscheidend ist dabei sicherlich die Frage, wie solche Anforderungen an die Lehre in die Studienwirklichkeit, in entsprechende Curricula umge-setzt werden. Entsprechende Ansätze sind grob in additive und integrative einteilbar. Bei additiven Ansätzen wird Lehre aus anderen Fachbereichen importiert und es werden in der Regel die Studierenden von Ingenieur-, Technik- oder Naturwissenschaften mit ergänzenden Veranstaltungen an-gesprochen. Bei integrativen Ansätzen werden problemorientierte inter-disziplinäre Kurse entwickelt und den Studierenden aus verschiedenen

Fachrichtungen angeboten, wobei nicht mehr auf Natur- oder Ingenieur-wissenschaften alleine fokussiert wird, sondern bewusst auch die geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Studierenden angesprochen werden.

Dieser Ansatz hat unter anderem auch den Vorteil, dass die Lehrenden und Forschenden selbst mit in den gemeinsamen Lernprozess integriert sind.

Entscheidend ist dabei letztlich, dass die Studierenden (und teilweise auch die Lehrenden) eine Urteilsfähigkeit erhalten, die über den Rahmen der eigenen disziplinären Fachkompetenz hinausgeht.

Konsequenzen

Dringlich ist also die Etablierung verbindlicher, umfassender Lehranteile, die zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung vorbereiten. Wenn die zitierten Teile der Dublin-Descriptors ernsthaft umgesetzt werden, be-steht die Chance einer Erweiterung der Qualitätsmerkmale für gute For-schung und Lehre um gesellschaftliche Verantwortung.

Im Kern gesellschaftlicher Verantwortung stehen hierbei zunächst die Schärfung des Bewusstseins für die Wahrnehmung von Ambivalenzen und die zugehörigen Debatten über die Richtung des Fortschritts in For-schung und Technikentwicklung. Ein Testfall für das Gelingen dieser Öff-nung des akademischen Diskurses kann die Zivilklausel-Debatte sein, die gegenwärtig an einer Reihe von deutschen Hochschulen und Forschungs-einrichtungen geführt wird. Voraussetzung für eine konkretisierte Diskus-sion, die sich nicht in der Unverbindlichkeit des Allgemeinen verliert, ist Transparenz über die laufende Forschung. Zumindest über sämtliche For-schung an öffentlichen Einrichtungen sollten öffentlich zugängliche Infor-mationen vorliegen, die über Zielsetzungen, Beteiligte, Förderer und ggf.

Ergebnisse informieren.

Anhäufung von Verfügungswissen ohne Bezug zu einem Orientie-rungswissen ist defizitär. Die Herausforderung unserer Zeit ist deshalb die Erarbeitung von Gestaltungswissen. Nur so kann gesellschaftliche Verant-wortung in der Praxis bedeutsam werden und die Debatte über die Zukunft von Forschung und Technikentwicklung nicht auf kleine Zirkel des Wissen-schaftsmanagements beschränkt bleiben. Insbesondere die Leitlinien, die mit dem Konzept des prospektiven Technology Assessment verbunden sind, erscheinen als eine mögliche Basis für Gestaltungsprozesse von Forschung und Technikentwicklung. Forschung und Technikentwicklung gehen uns alle an, weil sie unsere gemeinsame Zukunft mit bestimmen.

Literaturverzeichnis

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D Qualität der Wissenschaft –

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