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Verantwortliche Wege

Im Dokument Gut besser exzellent? (Seite 100-103)

Wie können verantwortliche Wege aus den Einbahnstraßen ambivalenter Forschungs- und Technikentwicklungen gefunden werden? Um diese Frage zu diskutieren, will ich mich jenseits eines rein utilitaristischen Optimie-rungsansatzes, der durchaus auch verlockend erscheinen mag, ausschließ-lich im Rahmen des kontinentaleuropäischen Denkrahmens bewegen. Dies ist aber eher der Platzökonomie dieses Beitrags geschuldet.

Ebene der Prinzipien

Zunächst soll die Prinzipienebene, in der grundsätzliche Leitlinien für das Handeln angesprochen werden, behandelt werden. Als Erstes sind hier in-dividual-ethische Postulate zu nennen. Immanuel Kants Imperativ, „hand-le so, dass deine Handlungsmaxime allgemeines Gesetz werden kann“, ist auch heute von Bedeutung, weil das menschliche Selbst Quelle aller Refle-xion auf menschliches Handeln, auch in der Forschung, bleibt. Hans Jonas (1979) hat – anknüpfend an Immanuel Kant – einen „globalen Imperativ“

für das Leben in der „technischen Zivilisation“ ausgearbeitet. Er lautet in seiner zentralen Formulierung folgendermaßen: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Jonas fordert unter anderem den

„Vor-rang der schlechten vor der guten Prognose“, d. h. Unheilsprophezeiungen sollen ein erheblich höheres Gewicht haben als jegliche Heilsversprechung.

Dies ist letztlich die Verabschiedung jeglicher Utopie – zumindest die Ab-kehr von einem linearen Fortschrittsmodell. Das Schwergewicht liegt ein-deutig auf dem Schutz des Bestehenden. Die offene Frage dabei ist: Welche scheinbar „natürlichen“ Verhältnisse sind eigentlich zu schützen und zu bewahren? Wenn darüber ein Konsens erzielt werden kann, könnte eine Folge der Befolgung dieses neuen Imperativs ein gewisses Stillstellen der Entwicklung auf Basis von Forschung und Technik sein. Es stellt sich die Frage, ob wir Menschen das so wollen. Jonas’ bleibendes Verdienst ist es, dass er das Prinzip der Erhaltung durch seine Überlegungen zu einem neu-en, globalen Imperativ explizit gemacht hat.

Ernst Bloch (1959) hat in seinem Prinzip Hoffnung eine Revi sion des Bacon’schen Programms und der naturwissenschaftlich-technischen Welt-aneignung gefordert. Er hat dies mit der Forderung nach einer Allianztech-nik, einer Technik in Allianz mit der Natur, auf den Begriff gebracht. Der nach vorne drängende Hunger des Menschen, sein Wunsch nach Lebens-fähigkeit für alle, nach Gerechtigkeit und Frieden wird anerkannt und gegen die Versuche der Stillstellung menschlicher, sozialer und technischer Ent-wicklung gesetzt. Dieses Vorwärtsdrängende soll in steter Wechselwirkung von sozialer und technischer Entwicklung zu konkreten Utopien weiterent-wickelt werden. Hierin kommt das Prinzip der Entfaltung zum Ausdruck oder die Programmatik einer technischen und sozialen Ko-Entwicklung im Einklang mit der Natur.

Diese Prinzipien sind von großer Bedeutung bei der Wegsuche und bei jeglichem Versuch, gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft ernst zu nehmen. Aber sie werden nicht ausreichen. Wie gehaltvoll können allgemeine Prinzipien sein, wenn konkretes Handeln in konkreten wissen-schaftlich-technischen Projekten ansteht? Was kann der einzelne Mensch heute noch alleine verstehen und so weit klären, dass die angemessenen Verhaltensweisen angesichts der hochkomplexen wissenschaftlich-techni-schen Welt, in der wir heute leben und offenbar leben wollen, eindeutig ableitbar erscheinen?

Leitprinzipien zu formulieren ist wichtig, um eine Debatte über eine grundlegende Ausrichtung des Handelns – gerade auch was Forschung und Technik angeht – führen zu können. Aber eine Konkretisierung in Hinblick auf die wissenschaftlich-technische Welt in ihren Einzelprojekten und -pro-grammen ist unvermeidlich. Daher soll eine zweite Ebene angesprochen werden, die des Wissens.

Formen des Wissens

Jürgen Mittelstraß hat in den 1980er-Jahren die Unterscheidung zwischen Verfügungswissen und Orientierungswissen in die Debatte eingeführt (Mit-telstraß 1982). Die „technische Kultur“ biete nur noch ein unvollständiges Verfügungswissen über Natur und Gesellschaft und kein Orientierungswis-sen in Natur und Gesellschaft. Verfügungswissen als Sach- und Herrschafts-wissen ist ein positives Wissen von Ursachen, Wirkungen und Mitteln; Ori-entierungswissen ist demgegenüber ein regulatives, handlungs leitendes Wissen begründeter Ziele und Zwecke. Mittelstraß beklagt die Übermacht und ein Überangebot des immer mehr produzierten Verfügungswissens und das Unterangebot an Orientierungswissen. Er befürchtet, dass die ge-sellschaftliche Welt sich nur noch als bloße Maschine begreift und unter den dominierenden Paradigmen technischer Rationalität die „kritischen und Orientierungspotenziale degenerieren“.

Mittelstraß entgeht der simplizistischen Versuchung, Verfügungs-wissen allein mit technischen und naturVerfügungs-wissenschaftlichen Vorgehenswei-sen zu identifizieren – unter anderem auch deshalb, weil er beispielsweise die Ökonomie hinzuzählt. Genauso wenig redet er einer Gleichsetzung von Orientierungswissen mit den Geisteswissenschaften das Wort. Vielmehr strebt er die Zusammenführung von Verfügungs- und Orientierungswissen an. Dabei fordert er eine interdisziplinäre – eigentlich transdisziplinäre – und eine politische Anstrengung ein, in der die Vernunft als orientierende Instanz wieder in ihr Recht gesetzt wird. Nur durch Zusammenführung der wissenschaftlichen und technischen Verstandeskräfte und das Potenzial der moralisch-politischen Vernunft sei wieder Einsicht gewinnbar und ein orien tiertes Handeln möglich.

Diese Überlegungen sind etwas abstrakt und bedürfen eines deut-licheren Bezugs zur wissenschaftlich-technischen Realität. Daher bin ich überzeugt, dass es noch einer dritten Wissensform bedarf, um konkret agie-ren zu können: Was fehlt, ist Gestaltungswissen. Wir brauchen Wissen, mit dem wir das, über das wir bereits im Begriff sind technisch zu verfügen oder über das wir zukünftig verfügen könnten, mit dem zusammenbringen, was wir eigentlich anstreben und gesellschaftlich erreichen oder eben nicht anstreben wollen (oder sollten).

Wir brauchen Untersuchungen, die sich auf konkrete Forschungs-programme, Forschungsfelder und -projekte beziehen und ihre Potenziale offenlegen. Moderne Forschung vollzieht sich in einem riesengroßen und vielfältigen Möglichkeitsraum. Das ist mit dem reinen Außenblick gar nicht

zu erfassen. Die Werthorizonte von relevanten Akteuren außerhalb und in-nerhalb der Forschung sind ebenfalls von Bedeutung. Es besteht zudem ein erheblicher Bedarf an Wissen, das die Einschätzung ermöglicht über

O die Erreichbarkeit erklärter Ziele (Überprüfung der Versprechungen),

O die Sinnhaftigkeit von Zielen (Überprüfung angestrebter Wirkungen bei Berücksichtigung anderer technischer oder nicht technischer Alternativen),

O Interessenskonstellationen (in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesell-schaft),

O (ungewollte) bereits absehbare Folgen,

O bereits sichtbare oder vorstellbare Risiken (im umfassenderen Sinn, inkl. Entwicklungsrisiken, also Hindernissen auf dem Weg der wis-senschaftlich-technischen Entwicklung),

O Unsicherheiten der wissenschaftlichen und der technischen Be-schreibungen selbst,

O Unsicherheiten innerhalb der sozio-technischen Prozesse, in die die Forschung eingebettet ist.

Dies kulminiert in der Forderung nach einer systematischen und antizipati-ven Anstrengung, die es kaum gibt, die aber nötig wäre, um rechtzeitig den wissenschaftlich-technischen Fortschritt als möglichen gesellschaft lichen Fortschritt gestalten zu können. Dies ist weit mehr als ein Diskurs über Risiken – oder gar ein Verhinderungsdiskurs –; es geht vielmehr um die positive Wegfindung und Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft.

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