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9 Gute Lösungen für Umgangsarten mit erhöhter Gefährdung

9.1 Vorbemerkungen

Mit der Expositionsabschätzung nach Stufe 2 wurden 5 Umgangsarten mit erhöhter Gefährdung ausgewählt, für die nachfolgend „gute Lösungen“, d.h. alternative Um-gangsarten mit verminderter Exposition und Maßnahmenpakete beschrieben werden sollen. Es handelt sich dabei um folgende Produkte und Anwendungen:

• Ausbringung eines Stäubepräparats zur Wespenbekämpfung durch einen Schädlingsbekämpfer (Ficam D)

• Ausbringung eines Insektizids zur Schabenbekämpfung mittels Rückenspritze durch einen Schädlingsbekämpfer (Insektenil-continon-concentrat)

• Fliegenbekämpfung mittels Rückenspritze durch Landwirt (Rapido komplett)

• Fliegenbekämpfung mittels Wandanstrich eines Biozid-Produkts durch Landwirt (Goldin)

• Bekämpfung Deutscher Schaben mit einem Selbstvernebelungsautomat durch einen Hausmeister (Aco.mat DDVP 300).

Kriterien für die Auswahl waren insbesondere

• die Expositionsintensität

• die Gefährlichkeitsmerkmale der Wirkstoffe (ohne detaillierte Betrachtung der toxikologischen Eigenschaften)

• das Maß der Verallgemeinerbarkeit („typische Anwendungen“)

• das Vorhandensein von Randbedingungen, die die Gefährdung erhöhen, wie z. B. unzureichende Ausbildung/Sachkunde/Erfahrung oder Anwendungsbedin-gungen, die die sichere Handhabung erschweren.

Im Rahmen des BAuA-Projektes F 1929 „Beschreibung der ordnungsgemäßen Ver-wendung und einzuhaltender guter fachlicher Praxis bei der VerVer-wendung und Ent-sorgung von Biozid-Produkten“ (Dezember 2005) wurden drei Beispiele zur „guten fachlichen Praxis“ ausgearbeitet, darunter das Beispiel Schädlingsbekämpfung unter Verwendung von Rodentiziden sowie die Anwendung von Holzschutzmitteln (ein-schließlich bekämpfende insektizide Holzschutzmittel). Bei der Beschreibung der gu-ten fachlichen Praxis wurde ein Strukturvorschlag vorgestellt, der die Bedarfsermitt-lung, die Prüfung der Maßnahmen und Entscheidungsfindung, die Einbeziehung vor-beugender, nicht-biozider Maßnahmen, die sachgerechte Anwendung der Biozid-Produkten (einschließlich der Auswahl risikoarmer Produkte, der Minimierung der Biozideinsatzmenge, Maßnahmen zum Risikomanagement und Erfolgskontrolle) so-wie die Dokumentation und Hinweise zur Lagerung und zum Transport umfasst.

Gemäß der Aufgabenstellung sollen im laufenden Projekt gute Lösungen für die An-wendung beschrieben werden. Der Fokus liegt dabei auf Schutzmaßnahmen, die die

Exposition minimieren. Aspekte wie Vorbeugung, Bedarfsermittlung und Substitution werden deshalb hier nicht angesprochen. Im Rahmen der guten Lösungen wird auch nicht diskutiert, inwieweit die Handhabung des Produktes tatsächlich gesundheitlich unbedenklich ist (auf Basis eines Vergleichs von Exposition und toxischer Wirkung), dies bleibt dem Zulassungsverfahren vorbehalten.

Nach § 4 Arbeitsschutzgesetz gelten individuelle Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz als nachrangig. Zunächst ist zu prüfen, ob technische oder organisatorische Maß-nahmen zur Expositionsminderung ergriffen werden können.

Technische Maßnahmen sind bei der Anwendung von Biozid-Produkten der PA18/19 schwierig umzusetzen, da es sich in der Regel um ortsveränderliche Anwendungen mit zeitlich begrenzter Dauer handelt. Zudem zielen viele technische Maßnahmen darauf ab, die Freisetzung von Gefahrstoffen an der Entstehungsquelle zu vermin-dern. Bei der Schädlingsbekämpfung ist allerdings die effektive Freisetzung gerade Gegenstand der Maßnahme. Aus diesem Grund stehen in diesem Bereich organisa-torische und persönliche Schutzmaßnahmen oftmals im Vordergrund.

Unter organisatorischen Maßnahmen werden im Folgenden sowohl Aspekte der Aus-bildung und Sachkunde diskutiert als auch organisatorische Maßnahmen zum Ablauf der Anwendung und Verhaltensweisen, die expositionsmindernd wirken können.

In der Hierarchie der Schutzmaßnahmen an letzter Stelle stehend sind die individuel-len Schutzmaßnahmen (persönliche Schutzausrüstung) bei der Anwendung von in-sektizid wirkenden Produkten aus oben genanntem Grund von großer Bedeutung.

Nachfolgend werden einige Eckpunkte zur Entwicklung von guten Lösungen knapp vorgestellt. In den darauf folgenden Unterkapiteln werden dann gute Lösungen für die oben genannten 5 Umgangsarten diskutiert.

9.1.2 Schutzstufenkonzept der Gefahrstoffverordnung – einfaches Maß-nahmenkonzept – Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien

Gemäß dem Schutzstufenkonzept der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) sind die zu treffenden Maßnahmen in Abhängigkeit von der Gefährdungsbeurteilung (Einstufung der Gefahrstoffe, Arbeitsbedingungen, verwendete Stoffmenge sowie Dauer und Hö-he der Exposition) festzulegen. Grundsätzlich fallen alle Tätigkeiten mit Gefahrstof-fen, die als giftig oder sehr giftig eingestuft sind, unter die Schutzstufe 3.

Die Produkte, die bei den 5 ausgewählten Umgangsarten Anwendung finden, sind alle kennzeichnungspflichtig. Allerdings ist nur „Rapido komplett“ als giftig eingestuft.

Bei Aco.mat DDVP 300 liegt vermutlich eine Fehleinstufung des Herstellers vor und es sollte ebenfalls als giftig oder sehr giftig gekennzeichnet werden (siehe unten).

Teilweise liegen für die Wirkstoffe Arbeitsplatzgrenzwerte vor. Messungen zur Kon-trolle der Einhaltung werden in der Regel aber nicht vorgenommen.

Bei der Betrachtung guter Lösungen für die ausgewählten Umgangsarten wurde der Versuch unternommen, der Tätigkeit eine Schutzstufe zuzuordnen. Von der Bundes-anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurde ein „Einfaches Maßnahmenkon-zept Gefahrstoffe“ (BAUA, 2006) entwickelt, das kleinen und mittleren Unternehmen helfen soll, für Gefahrstoffe ohne Arbeitsplatzgrenzwerte geeignete Maßnahmen zu

identifizieren. Dieses Konzept wird auf Übertragungsmöglichkeiten für die disku-tierten Anwendungen geprüft.

Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK) enthalten für definierte Tätigkeiten mit Gefahrstoffen praxisgerechte Festlegungen im Rahmen der Gefährdungsbeurtei-lung, eine Beschreibung geeigneter Schutzmaßnahmen und Festlegungen zur Wirk-samkeitskontrolle. Bei Einhaltung der Festlegungen der VSK kann die Messung von Gefahrstoffgehalten in der Luft zur Prüfung der Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwer-ten entfallen. VSK werden vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) verabschiedet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gegeben (z. B. innerhalb von stoffspezifischen TRGS oder als VSK). Alte VSK im Anhang 1 und 2 der früheren TRGS 420 oder anderen „alten“ TRGS müssen vom AGS auf der Grundlage der neuen TRGS überprüft und als VSK nach der neuen GefStoffV verabschiedet und bekannt gegeben werden (VATER, 2006).

Bisherige VSK nach der alten TRGS 420 umfassen die VSK zur Einhaltung bzw. zur dauerhaft sicheren Einhaltung von Luftgrenzwerten (alter Anhang 1) sowie weitere VSK für die Arbeitsbereichsüberwachung (LASI/ALMA–Empfehlungen, BG/BIA–

Empfehlungen = alter Anhang 2; KLEINE, 2006). Unter den vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI, http://lasi.osha.de/) veröffentlichten VSK (u. a. Heben, Tragen, Ziehen, Schieben von Lasten und Bildschirmarbeit) finden sich keine für das Projekt relevanten VSK. Gleiches gilt für die BG/BIA–Empfehlun-gen. Das Aufstellen von VSK für die Anwendung von Biozid-Produkten der PA18/19 bereitet aus mehreren Gründen Schwierigkeiten: Zum einen ist durch die Anwendung an verschiedenen Orten und die Notwendigkeit der Anpassung an örtliche Gegeben-heiten eine hohe Variabilität in den Anwendungsbedingungen gegeben. Weiter ist eine Vielzahl von Wirkstoffen mit jeweils unterschiedlichen Gefährdungscharakteristi-ka im Einsatz. Nur zu einigen liegen Arbeitsplatzgrenzwerte vor. Zudem fehlen Expo-sitionsmessungen, um unter (durch die VSK) standardisierten Bedingungen die Ex-positionshöhe abschätzen zu können.

9.1.3 Ausbildung – Sachkunde

Im Zusammenhang mit der Vermarktung und Anwendung von Schädlingsbekämp-fungsmitteln sind unterschiedliche Arten von Sachkunde zu unterscheiden:

Stoffe oder Zubereitungen, die mit T oder T+ gekennzeichnet sind, dürfen nur von Personen mit Sachkundenachweis nach § 5 der Chemikalienverbotsverordnung (ChemVerbotsV) in den Verkehr gebracht und an Dritte nur unter Einhaltung der Be-dingungen in § 3 der ChemVerbotsV abgegeben werden. Im Versandhandel dürfen sie nur an Wiederverkäufer, berufsmäßige Verwender oder Forschungs-, Untersu-chungs- oder Lehranstalten abgegeben werden (§ 4 der ChemVerbotsV).

Nach der TRGS 523 sowie Gefahrstoffverordnung Anhang III Nr. 4 wird für die ge-werbsmäßige Anwendung von Schädlingsbekämpfung (gesundheitsschädliche, gifti-ge und sehr giftigifti-ge Stoffe und Zubereitungifti-gen) bei Dritten Sachkunde benötigt. Die Sachkunde nach TRGS 523 kann für folgende Teilbereiche anerkannt werden:

• Gesundheits- und Vorratsschutz sowie besonderer Materialschutz

• Pflanzenschutz

• Holz- und Bautenschutz

Professionelle Schädlingsbekämpfer und teilweise auch ausgebildete Gebäudereini-ger – bei entsprechender Zusatzausbildung – sind in der Regel im Besitz der Sach-kunde. Landwirte erwerben häufig im Zuge ihrer Ausbildung oder durch gesonderte Lehrgänge die Sachkunde im Pflanzenschutz.

Die Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung unterscheidet eine Sachkunde für die An-wendung und eine für die Abgabe von Pflanzenschutzmitteln. Bei der Abgabe von mit T oder T+ gekennzeichneten Pflanzenschutzmitteln ist zusätzlich der Sachkunde-nachweis gemäß Chemikalien-Verbotsverordnung erforderlich. Zu den Ausbildungs-inhalten gemäß Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung sind auch Schutzmaßnah-men zur Vermeidung gesundheitlicher Gefahren (Schutzkleidung, Atemschutz) zu rechnen.

Andere Anwender wie Hausmeister, die nur gelegentlich in von ihnen betreuten Ge-bäuden/Einrichtungen Schädlingsbekämpfungsmittel anwenden, besitzen in der Re-gel keine Sachkunde oder sonstige spezifische Ausbildung (siehe auch Kapitel 2.1;

die Ausbildungssituation bei den verschiedenen Nutzergruppen wurde dort bereits kurz diskutiert). Die TRGS 523 gilt nach Nr. 1.1 a) für Personen, die „gewerbsmäßig oder selbstständig im Rahmen sonstiger wirtschaftlicher Unternehmungen bei einem Dritten“ gesundheitsschädliche, giftige oder sehr giftige Schädlingsbekämpfungsmit-tel einsetzt. Wenn die Anwendung durch einen Hausmeister in einem von ihm be-treuten Objekt so zu verstehen ist, dann gilt auch für ihn die Sachkundepflicht.

9.1.4 Persönliche Schutzausrüstung

In der Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 9 GefStoffV kommt die persönliche Schutzausrüstung an letzter Stelle nach Prüfung anderer Optionen wie Substitution des Gefahrstoffs, Anpassung an den Stand der Technik, Absaugungs- oder Lüf-tungsmaßnahmen. Bei der Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit er-höhter Gefährdung ist i.d.R. davon auszugehen, dass eine Schutzausrüstung getra-gen werden sollte bzw. muss. Von Schädlingsbekämpfern werden üblicherweise Chemikalienschutzanzüge, Schutzbrillen, Schutzhandschuhe und Atemschutzfilter verwendet, zu denen ein umfangreiches technisches Normenwerk und Vorschriften der Unfallversicherer existieren (8. GPSGV; BGR 189). Nach diesen Normen lassen sich bestimmte Typen von Schutzkleidung hinsichtlich ihrer Dichtigkeit und Wider-standsfähigkeit gegenüber Chemikalien unterscheiden.

Bei Sprühanwendungen werden von Schädlingsbekämpfern üblicherweise Partikel-filter (P) und KombinationsPartikel-filter (Gas/PartikelPartikel-filter) benutzt, bei Begasungen auch von der Umgebungsatmosphäre unabhängige Isoliergeräte. Da das Benutzen von Atem-schutzgeräten immer mit einer zusätzlichen Belastung verbunden ist und bei Partikel-filtern der Atemwiderstand – und damit die Belastung des Anwenders – bei höheren Partikelfilterklassen größer als für die niedrigere, gilt der Grundsatz „Soviel Schutz wie nötig, sowenig Belastung wie möglich“ (BGR 190). Die Atemschutzfilter werden u. a. durch die Angabe des Vielfachen des Grenzwertes (VdGW) charakterisiert, bis zu dem das Gerät eingesetzt werden kann. Nach DIN EN 143 werden die Partikel-klassen P1 (geringes), P2 (mittleres) und P3 (hohes Abscheidevermögen) unter-schieden. Oftmals werden Kombinationsfilter des Typs A2P2 bzw. A2P3 verwendet.

Diese bestehen aus einem Filter für organische Gase und Dämpfe mit einem

Siede-punkt > 65 °C mit einem mittleren Aufnahmevermögen (A2) und einem Partikelfilter zur Anwendung bis zum 10-fachen (P2) bzw. 30-fachen (P3) des für das Aerosol zu-treffenden Arbeitsplatzgrenzwertes.

Die TRGS 523 zur Schädlingsbekämpfung mit sehr giftigen, giftigen und gesund-heitsschädlichen Stoffen und Zubereitungen behandelt neben anderen Aspekten auch in knapper Form (tabellarisch) geeignete persönliche Schutzausrüstung in Ab-hängigkeit von der Ausbringungsart. Bezüglich des Atemschutzes sind beispiels-weise beim Spritzen eine Halbmaske und beim Sprühen/Vernebeln eine Vollmaske mit Kombinationsfilter vorgeschrieben. Beim Vernebeln sollen die Übergänge der Schutzkleidung abgeklebt werden.

9.1.5 Erfahrungen aus angrenzenden Regelungsbereichen Gute fachliche Praxis im Pflanzenschutz

In den „Grundsätzen für die Durchführung der guten fachlichen Praxis im Pflanzen-schutz“ (Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 im Bundesanzeiger Nr. 58a vom 24.

März 2005, http://www.bmelv.de) wird u.a auf den integrierten Pflanzenschutz einge-gangen, der sorgfältige Abwägungsprozesse über alle Entscheidungen im Pflanzen-schutz beinhaltet. Die Grundsätze beinhalten vorbeugende Maßnahmen, die Ein-schätzung und die Entscheidung, ob ein Befall bekämpfungswürdig ist oder nicht, die sachgerechte Durchführung der Maßnahme, die Dokumentation der Anwendung und die Erfolgskontrolle. Es werden jedoch keine Details zu Arbeitschutzmaßnahmen an-gesprochen. „Um Gefahren abzuwenden, sind … die in der Gebrauchsanleitung auf-geführten Schutzvorschriften, insbesondere zum Körper- und Atemschutz, zu beach-ten…. Der Anwender trägt für die Einhaltung von Schutzmaßnahmen die volle Eigen-verantwortung.“ Auch in der Broschüre des Bundesministerium für Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV, http://www.bmelv.de) mit dem Titel „Gute fachliche Praxis im Pflanzenschutz - Grundsätze für die Durchführung“ gibt es zwar Beispiele zur guten fachlichen Praxis, es wird aber wiederum nicht auf Schutz-maßnahmen für den Anwender eingegangen.

Etwas detaillierter ist die BVL-Broschüre „Persönliche Schutzausrüstung beim Um-gang mit Pflanzenschutzmitteln. Richtlinie für die Anforderungen an die persönliche Schutzausrüstung im Pflanzenschutz“. Gleichwohl richtet sich dieses primär an Her-steller von Schutzausrüstung und gibt dem Anwender nur Hinweise, welchen Nor-men die von ihm ausgesuchte Schutzausrüstung entsprechen muss.