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Rapido komplett – Anwendung durch Landwirte

9 Gute Lösungen für Umgangsarten mit erhöhter Gefährdung

9.5 Rapido komplett – Anwendung durch Landwirte

Die Ergebnisse der Expositionsabschätzung zeigen, dass die potenzielle dermale Exposition (Median) und die inhalative Exposition etwa ähnlich relevant sind. Ferner weist die RISKOFDERM-Modellierung darauf hin, dass die Exposition des Körpers ohne Hände einen Anteil von etwa 83 an der gesamten potenziellen dermalen

Expo-sition aufweist. Das Produkt ist auf dem Produktetikett und im Sicherheitsdatenblatt bei oraler, dermaler und inhalativer Aufnahme als giftig (R23/24/25) gekennzeichnet.

Da der Wirkstoff Dichlorvos zudem als hautsensibilisierend (R43) eingestuft ist und in dem Produkt mit 4 % vorliegt, wäre das Produkt ebenfalls als hautsensibilisierend zu kennzeichnen (Kennzeichnungsgrenze: ≥1 %, substanzspezifische Konzen-trationsgrenzen liegen nicht vor). Sowohl im Sicherheitsdatenblatt als auch auf dem Etikett wird allerdings lediglich eine Einstufung als augen- und atemwegsreizend (R36/37) vorgenommen. Zudem kann das Produkt beim Verschlucken Lungenschä-den verursachen (R65) und die Dämpfe können Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen (R67) (s. Kapitel 8.3.6.4).

Während der Begehung wurde eine Bekämpfung von Essig- und Stubenfliegen im Schweinestall durch einen Landwirt mit einer Ausbringung per Spritze (kein übliches Handgerät, sondern 35 L-Weißel-Spritze mit separatem Kompressor) überwiegend auf gleicher Höhe beobachtet. Dem Anwender steht das Etikett auf der Produkt-flasche als Informationsquelle zur Verfügung.

Das Produkt ist im Rahmen des „Einfachen Maßnahmenkonzeptes Gefahrstoffe“ auf-grund der Kennzeichnung als giftig der Schutzstufe 3 zuzuordnen. Zudem besteht aufgrund der Kennzeichnung als giftig bei Hautkontakt (R24) nach diesem Konzept ein „sehr hoher Maßnahmebedarf“. Insgesamt erfordern sowohl die Schutzstufe 3 als auch der „sehr hohe Maßnahmebedarf“ hinsichtlich dermaler Risiken eine intensive Ersatzstoffsuche. Dieser Aspekt wird hier nicht weiter betrachtet, da von der Anwen-dung des Produktes ausgegangen wird und vorgeschaltete Maßnahmen im Rahmen dieses Projektes nicht betrachtet werden.

9.5.2 Gute Lösungen

9.5.2.1 Gute Lösungen aus Sicht der Anwender und Arbeitgeber Technische Maßnahmen

Die Anwendung erfolgt in regelmäßigen Abständen von mehreren Wochen in den gleichen Ställen. Technische Maßnahmen zur Expositionsreduzierung sind unter den Bedingungen der Schweinezucht kaum zu realisieren.

Der Produkthersteller gibt auf dem Etikett an, dass bei der Ausbringung und bis 24 Stunden danach der Stall gut gelüftet werden soll. In modernen Zuchtställen ist übli-cherweise eine zentrale Lüftung installiert, die für einen konstanten Luftwechsel sorgt, allerdings auch anderen Rahmenbedingungen wie Temperatur, Vermeidung von Zug etc. gerecht werden muss. Die Lüftung kann im belegten Stall nicht beliebig variiert werden.

Die Ausbringung erfolgt an Wände, die starken Fliegenbefall aufweisen. Eine lange Verweilzeit des Aerosols in der Luft ist nicht erforderlich und nicht beabsichtigt. Die Bezeichnung der bei der Begehung verwendeten Düse liegt nicht vor. Es handelte sich um eine Rundstrahldüse mit relativ großer Öffnung (1,5 mm). Mit dieser verwen-deten Düse resultiert ein Aerosol mit relativ großen Tropfen (bei der Modellierung nach Stufe 2 wurde ein Median von 200 µm angenommen, siehe Kapitel 8.3.6.1), das eine geringe Inhalationswahrscheinlichkeit hat und rasch sedimentiert.

Die Ausbringung erfolgte bei der Begehung mit einer extralangen Lanze von 1,5 m Länge. Diese Maßnahme ist tatsächlich gut geeignet, um die Exposition des Anwen-ders zu verringern. Die Ausbringung sollte am von der Tür entferntesten Ort im Stall beginnen. Der Anwender entfernt sich dann rückwärts von den bereits besprühten Bereichen.

Organisatorische Maßnahmen

In modernen Betrieben der Schweinezucht ist allein aus hygienischen Gründen (Kon-trolle der Einschleppung von pathogenen Keimen) der Zugang reglementiert und kontrolliert. Beim Eintritt in den Stall wird die Kleidung gewechselt und geduscht.

Dies reduziert automatisch die Möglichkeit der Sekundärexposition („bystanders“) und gewährleistet auch, dass Kontaminationen auf Kleidung nicht verschleppt wer-den.

Das Produkt (Volumen 1 l) wurde bei der Anwendung während der Begehung kom-plett in den Vorratsbehälter entleert. Die Verpackung wurde mit Wasser ausgespült, die Spüllösung ebenfalls in den Vorratsbehälter gegeben. Dadurch wird das Risiko bei der Handhabung des Konzentrats minimiert (kein Wiederverschließen der ange-brochenen Konzentratflasche mit ggf. Kontamination an der Außenseite, keine Lage-rung angebrochener Gebinde).

Die Bewegungsrichtung des Anwenders wurde bereits oben in Zusammenhang mit der Verwendung einer extralangen Lanze erörtert.

Auf der Verpackung wird nur von Ausbringung „auf Flächen“ gesprochen. Es ist wahrscheinlich, dass ein Sprühen auf Deckenflächen mit einer deutlich höheren Ex-position einhergeht. Bei der Begehung wurde nur auf Wandflächen appliziert. Auf diesen Unterschied sollte hingewiesen werden und, wenn möglich, nur auf Wände appliziert werden.

Die Spritze wird nach Entleeren mit Wasser gespült und nochmals entleert. Auch mit dieser Vorgehensweise wird die Exposition nach der Anwendung gering gehalten.

Persönliche Schutzausrüstung

Der Schutzausrüstung kommt zentrale Bedeutung bei. Bei Rapido komplett handelt es sich um ein Produkt mit giftigen Wirkstoffen. Zwar liegen die Wirkstoffe Dichlorvos und alpha-Cypermethrin in der Anwendungslösung in Konzentrationen unter 1 % vor, die Expositionsabschätzung hat jedoch relevante Luftkonzentrationen und eine rele-vante potenzielle dermale Exposition ergeben. Auch die Handhabung der Lanze während der Anwendung führt zu einer relevanten dermalen Exposition.

Der Landwirt trug bei der Anwendung einen wasserdichten Reinigungsoverall, Che-mikalienschutzhandschuhe, Gummistiefel und einen Atemvollschutz (Pro Flow 2 120 mit ABEK-P3-Filter) mit Augenschutz. Diese Schutzausrüstung ist für diese Art von Anwendung geeignet. Gummistiefel, sofern hochwertig und in gutem Zustand, wer-den sowohl aus Akzeptanzerwägungen (sonst wäre häufiges Wechseln bei verschie-denen Arbeitsschritten erforderlich) als auch wegen der Benetzung mit dem Aerosol und der leichten Entfernbarkeit als geeignet angesehen. Wichtig ist, bei den Über-gängen (Handschuhe - Schutzanzug, Gummistiefel - Schutzanzug) auf Dichtigkeit zu achten, bzw. darauf, dass ablaufende Flüssigkeit nicht eindringen kann.

Das Anlegen der Schutzausrüstung beruhte in diesem Fall auf persönlichen Erfah-rungen. Der Landwirt berichtete von gesundheitlichen Problemen bei Anwendung ohne Schutzausrüstung und von Symptomen leichter Vergiftungen bei einzelnen Tie-ren, wenn diese während der Anwendung im Stall waren. Zusätzlich bestand beim Anwender eine generelle Sensibilisierung bezüglich des Themas Chemikalien-wirkungen. Nach seiner subjektiven Einschätzung ist die Verwendung von Schutz-kleidung im Bereich der Landwirtschaft individuell sehr unterschiedlich und hat teil-weise große Akzeptanzprobleme. Dies deckt sich mit der Erhebung von Ott (land-wirtschaftliche BG Baden-Württemberg), wonach weniger als 20 % der Landwirte die Herstellerempfehlungen zum Tragen von Augen- und Körperschutz befolgen (OTT, 2007).

Inwieweit sich diese Situation durch eine verbesserte Ausbildung verbessern ließe, kann nicht abgeschätzt werden. Ausgebildete Landwirte (Landwirtschaftsmeister, Agraringenieure) besitzen in der Regel die Sachkunde Pflanzenschutz und sollten mit den grundsätzlichen Regeln der Anwendung von Gefahrstoffen vertraut sein. Am Beispiel Rapido komplett ist sichtbar, dass Landwirte unter Umständen Produkte ein-setzen, die bezüglich ihrer Gefährlichkeit und Expositionsintensität bei der Anwen-dung nicht hinter AnwenAnwen-dungen professioneller Schädlingsbekämpfer zurückstehen.

(Allerdings ist in der Landwirtschaft die Häufigkeit der Anwendung deutlich geringer.) Eine differenzierte Ausbildung im Umgang mit diesen Produkten wäre also zu for-dern. Die Ausweitung der Sachkunde Pflanzenschutz auf den Bereich Biozid-Produkte wird aus dieser Sicht für sinnvoll gehalten. Dabei ist anzumerken, dass eine bewusste Unterscheidung zwischen Biozid-Produkten und Pflanzenschutzmitteln durch den Landwirt in der Regel nicht vorgenommen wird.

Schlussfolgerungen für gute Lösungen

Bei der Anwendung von Rapido komplett ist nach der Expositionsabschätzung so-wohl mit einer relevanten inhalativen als auch dermalen Exposition zu rechnen. Eine Expositionsminderung ist über organisatorische und individuelle Maßnahmen zu er-reichen. Im Zusammenhang mit der Anwendung von Biozid-Produkten in der Land-wirtschaft ist die Heterogenität im Kenntnisstand und in der Befolgung von Schutz-maßnahmen hervorzuheben. Es sollte untersucht werden, inwieweit diese durch Än-derungen in der Ausbildung verbessert werden können.

Dem Produktetikett kommt (bei üblicherweise nicht zu Verfügung stehendem Sicher-heitsdatenblatt) eine zentrale Bedeutung als Informationsquelle zu. Alle Informatio-nen, die zur guten Handhabung des Produktes als notwendig angesehen werden, sollten auf dem Etikett verfügbar sein.

Zusammenfassend umfassen gute Lösungen somit folgende Empfehlungen:

• Technische und organisatorische Maßnahmen durch den Anwender

− (wenn möglich) komplette Verwendung einer Konzentrat-Packung und vollständiges Entleeren des Spritzenreservoirs

− Lange Lanze (1,5 m) verwenden

− Düse mit größerer Öffnung (> 1 mm) für großtropfiges Aerosol verwenden

− Anwendung so organisieren, dass der Weg aus dem Applikationsbereich heraus führt

− Applikation über Kopf (an die Decke) vermeiden

• Persönliche Schutzausrüstung des Anwenders

− Standardschutzanzug (Pflanzenschutz) nach DIN 32781 (sollte in allen landwirtschaftlichen Betrieben vorhanden sein, die Pflanzenschutzmittel anwenden) oder vergleichbare Schutzkleidung (z. B. Chemikalienschutz-anzug (mit spraydichten Verbindungen) Typ 4 nach DIN EN 14605)

− Atemvollschutz oder Halbmaske mit Augenschutz (Filter ABEK-P3)

− Schutzhandschuhe: Universal-Schutzhandschuh (Pflanzenschutz) aus Nitril mit langer Stulpe (ab 33 cm, dient als Auffangrinne)

− Dichte Gummistiefel

Die TRGS 523 schlägt beim Spritzen mit sehr giftigen, giftigen oder gesundheits-schädlichen Schädlingsbekämpfungsmitteln eine Halbmaske, Schutzkleidung, geeig-nete Unterbekleidung, Schutzhandschuhe und geeiggeeig-nete Schuhe vor. Die hier vorge-schlagenen Empfehlungen stimmen damit im Wesentlichen überein und berücksichti-gen die in landwirtschaftlichen Betrieben für die Ausbringung von Pflanzenschutz-mitteln vorhandene Schutzkleidung.

9.5.2.2 Gute Lösungen aus Sicht der Zulassungsbehörden und Hersteller

Die Information auf dem Produktetikett ist in der Regel die zentrale Informationsquel-le für den Anwender. Im vorliegenden Fall sind neben dem Hinweis auf gute Lüftung zu achten, im Wesentlichen nur die R- und S-Sätze abgedruckt, z. B. S36/37/39: Bei der Arbeit geeignete Schutzkleidung, Schutzhandschuhe und Schutzbrille/Gesichts-schutz tragen. Dies ist im Detaillierungsgrad vollkommen unzureichend. Auf dem Eti-kett sollten alle oben angesprochenen Aspekte der guten Lösung in ausreichender Detaillierung weitergegeben werden. Dies betrifft auch organisatorische Maßnahmen (Vermeidung der Applikation über Kopf, etc.).

9.6 Goldin – Streichanwendung durch Landwirte