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Vom Chronotopos und der Dialogizität hin zum Intertextualitätsbegriff Kristevas

3.2. Intertextualitätsmodelle

3.2.1. Vom Chronotopos und der Dialogizität hin zum Intertextualitätsbegriff Kristevas

Der Entwurf des Chronotopos von Bakhtin verhilft dazu die Beziehung zwischen Zeit und Raum sowohl in Texten, in diesem Fall auch in Adaptionen zu verstehen bzw. zu

78 vgl. Gast, 1993: 49ff.

79 vgl. Stam/ Raengo, 2005: 25

34 ordnen. Im Allgemeinen wird anhand dieses Begriffes klar, wie die in Romanen

„erbauten“ Räume und Zeiten, die innerliterarische Realität echt wirken lassen. Raum und Zeit stehen über den Handlungsmöglichkeiten der Protagonisten. Erstere existieren in Zusammenhang und zugleich getrennt vom Text. Mit anderen Worten der Chronotopos:

„provides diegetic fictional enviroments implying historically specific constellations of power“80 und diese Funktion ist auch für Filme gültig. Ein chronotopisches Modell würde dazu helfen Themen wie Handlung, Gattung und letztendlich die Gestaltung von Raum, Zeit und Lokalitäten in Filmen leichter zu untersuchen.81

Die Bereiche Film und Adaption sind mit der Intertextualitätstheorie und -Analyse eng verbunden. Zuerst muss doch geschildert werden wie das Feld Intertextualität entstanden ist. Aufgrund dessen muss gezeigt werden inwiefern sich Kristeva auf die Theorien Bakhtins stützt, um ihre eigene zu formulieren. Die „Dialogik“

„refers in the broadest sense to the infinite and open-ended possibilities generated by all the discursive practices of a culture, the matrix of communicative utterances which ,reachʻ the text not only through recognizable citations but also through a subtle process of indirect textual relays.“82

Es ist folglich die Rede über ein undurchschaubares Geflecht von mehreren Texten. So wird der Begriff von Bakhtin aufgefasst. Auf dieser Theorie stützt sich Kristeva im Nachhinein, um ihren Begriff Intertextualität abzuleiten.

In ihrem Werk „The Bounded Text“ aus der englischen Übersetzung, erklärt Kristeva, dass originale Texte, Prototype nicht existieren. Anscheinend befinden sich alle Texte in einem ständigen Wechsel und Austausch mit anderen ihnen vorangegangenen Texten.

Demzufolge erscheinen in einem Text Auszüge aus anderen, die sich gegenseitig neutralisieren. Doch ein Werk wird ebenso von der Kultur und all ihren

„Begleiterscheinungen“ gebrandmarkt. Solche Begleiterscheinungen sind Sprache ob

80 Stam/ Raengo, 2005: 26

81 vgl. ebd.

82 Stam/ Raengo, 2005: 27

35 gehoben oder vulgär, Institutionen und Normen, die das Endprodukt nicht unverändert lassen. Ein Text steht also nicht allein, sondern immer in Zusammenhang mit „kultureller Textualität“. Die intertextuellen Bezüge eines Werkes können also nur ihrem (kulturellen und textuellen) Kontext bezüglich untersucht werden.83

Nach Kristeva kann ein (Inter-)Text mit „practice and productivity“84 gleichgestellt werden. Einerseits, weil in einem solchen speziellen Text sein erwählter Aufbau von Wörtern und Phrasen, die schon vorher in anderen Texten existiert haben, auch nach deren Gebrauch im Ziel-Text weiterexistieren werden. Andererseits haben Worte von selbst keinen Gehalt, sondern dieser wird immer vom inner- und außertextuellem Kontext bzw. der Gesellschaft und der Frage was überhaupt Sprache sei, beeinflusst. Die Folge einer derartigen Auffassung ist, dass Texte keinen eigenen und einheitlichen Sinn besitzen sondern er wird von den Veränderungen der Gesellschaft bzw. des „sozialen Textes“ beeinflusst. Der Text kann somit laut Kristeva als „Ideologem“ bezeichnet werden. Aufgrund dieser Doppeldeutigkeit von Texten verschmilzt das Text- Innere und –Äußere zu Einem.85

Ein anderer Begriff, der von Bedeutung für Kristeva ist, heißt „poetic language“ und ist nicht nur in Romanen zu treffen, wie Bakhtin gemeint hat, sondern auch in anderen literarischen Gattungen. Sie benutzt die Bezeichnung „literary word“, damit sie die Interaktion bzw. den Dialog zwischen mehreren Instanzen (Autor, Adressat, kultureller Kontext) benennt. Die Vermittlung zwischen Autor und Leser ist eng mit den präsenten intertextuellen Hinweisen zu früheren Texten verflechtet. Die Termini „dialogue“ und

„ambivalence“ von Bakhtin werden durch die Bezeichnungen horizontale und vertikale Dimension des „literary word“, von Kristeva ersetzt. Beide Aspekte von Texten sind identisch; dies stellt den Terminus Intertextualität anstatt dem der Intersubjektivität im Vordergrund.86

83 vgl. Graham, Allen (2000): Intertextuality, London/ New York: Routlegde, S: 35f.

84 ebd.: 36

85 vgl. Graham, 2000: 35f.

86 vgl. ebd. 38f.

36 3.2.2. Das Zitat

Nach diesem kurzen Exkurs über die Definition von Intertextualität laut Kristeva werden Kennzeichen, um die Morphologie von Zitaten besser zu erfassen beigelegt. Zitate werden alltäglich von Priestern benutzt, die die Bibel sinngemäß zitieren, oder in wissenschaftlichen Arbeiten. Um deren Funktion in (literarischen) Texten zu verstehen, müssen folgende Merkmale näher erläutert werden. Der Ziel- und Ausgangtext, sowie der Textauszug per se. Das geschieht anhand der Begriffe Qualität, Quantität, Frequenz, Interferenz und der Markern (Kennzeichen), die einen Textauszug als Zitat bekennen.

Zitate sind normalerweise klein, beschränken sich auf Wörter, oder Sätze. Dagegen werden seltener größere oder ganze Texte zitiert (Quantität). In literarischen Subtexten sind veränderte Passagen aus Prätexten vorhanden. Ihnen wird ein neuer Sinn zugerechnet. (Qualität) 87

Textpunkte wie Anfang, Mitte und Ende eignen sich, um mit Zitaten gefüllt zu werden.

Durch diese Stellen wird ein Text auch besser verstanden. Insofern kann Titel oder der beginnende Satz eines Textes ein Verweis auf einen anderen Text sein. (Distribution).

Der Kontext eines Textes gewinnt an Wichtigkeit, wenn nicht viele Zitate innewohnend sind. Dabei verlieren die Zitate selbst, an Wichtigkeit. Wenn sich dagegen viele Zitate in einem Text anhäufen, löst sich das Interesse am Kontext ab und wenn Zitate einen Text ganz und gar beherrschen, dann verliert sein Kontext komplett an Bedeutung, weil dessen Platz die Zitate davor und -nach einnehmen (Frequenz).88

Zitate verursachen Konflikte, da der Kontext, aus dem sie abgelöst und der neue, dem sie zugestellt werden, sich unterscheidet. Auf das Phänomen der Interferenz beruhen

87 vgl. Plett, E. Heinrich (1991): “Intertextualities”. In: Plett, F. Heinrich (Hrsg.) (1991): Intertextuality, Berlin/ New York: Walter de Gruyter, S. 8f.

88 vgl. ebd.: 10f.

37 Abweichungen zwischen Auszügen des Prätextes und dem neuen Kontext bezüglich

„language, dialect, sociolect, register, spelling, prosody etc.“89

Markers deuten darauf hin, ob in einem Text Zitate vorhanden sind. Es existieren zwei Typen von Markern, der explizite und der implizite. Der explizite Typ wird anhand von Phrasen erkennbar, die ausdrücklich zeigen, dass Zitate vorhanden sind („ich zitiere“), oder es wird direkt an die Quelle, der wortwörtlichen Wiedergabe verwiesen.

Peritextuelle Elemente90 zählen ebenso zu dieser Kategorie von Markern. Andererseits verraten „inverted commas, colons, italics or empty spaces“91 die Anwesenheit von Zitaten. Dies sind die impliziten Marker.92

Eine Zitat-Art, die in den folgenden behandelnden filmischen Adaptionen benutzt wird, ist das „poetic“ bzw. literarische Zitat93. Der Gebrauch solcher spezieller wörtlicher Wiedergaben ist nicht ziellos. Damit kann beispielsweise Realitätsabstand erzeugt werden. Da Literatur mit Fiktion gleichzustellen ist, sind Zitate, also „Teile“ aus anderen Texten noch weiter von der Realität entfernt. Und doch „[t]he reality of literature made up of literature is – literature.“94

Davon abgesehen werden Zitate in einem Ausgangtext nicht immer identifiziert. Dafür können sowohl Autor als auch Leser die Schuld tragen. Einerseits, weil Markern den Textauszügen hinzugefügt wurden und andererseits, weil dem jeweiligen Leser die bedingte Kenntnis von literarischen Texten fehlt. Diesbezüglich muss erwähnt werden, dass intertextuelle Bezüge bei manchen Schriftstellern schwer wahrnehmbar sind.95

89 Plett, 1991: 11

90 s. Kapitel 3.2.3. Transtextualität

91 Plett, 1991: 12

92vgl. ebd.

93 Hingegen zu diesen Arten von Zitaten, die öfters in wissenschaftlichen Texten auftauchen, s. Plett, 1991:

13

94 ebd.: 15

95 vgl. ebd.

38 Zitate erschweren das Begreifen eines Textes. Dies geschieht von den Verbindungsstellen zwischen einem Textauszug und seinem Kontext. Davon wird auch die Texteinheit bedroht. Ein letzter Punkt in diesem Zusammenhang ist die Stagnation. Der Status von Zitaten erstarrt, infolgedessen werden sie in Aphorismen oder sinnlose, wörtliche Wiedergaben („dead metaphors“) verwandelt. Dieser Fall trifft nur bei sehr bekannten Texten bzw. Zitaten ein und auch nur, wenn sie aufgrund ihres Berühmtheitsgrades von ihrem Originalkontext gelöst werden.96

Ein anderer besonderer Aspekt der Intertextualitätstheorie, der mit Zitaten vergleichbar ist, sind Namen. Diese verweisen in vielen Fällen auf Figuren anderer literarischer Werke. Dabei handelt es sich um die veränderte oder unveränderte Übernahme eines Namens. (Interfiguralität)97

3.2.3. Transtextualität

Genette begibt sich auch auf kleinere textliche Einheiten wie Zitate, Anspielungen oder Plagiate, die er als intertextuelle Elemente wahrnimmt und entfernt sich dem kulturellem und textuellen Zusammenhang, der dem Intertextualitätsphänomen bis jetzt (von Kristeva) zugemäßen wurde. Zudem berührt seine Auffassung nicht der Bereich Semiotik sondern den des Strukturalismus.98

Genettes Intertextualitäts-Konzept lautet Transtextualität. Es bezeichnet die Beziehung eines Textes zu mehreren Texten. Transtextualität ist ein Überbegriff, der die Wortschöpfung Intertextualität von Kristeva enthält.99

96 vgl. Plett, 1991:16f.

97 vgl. Müller, G. Wolfgang (1991): “Interfigurality. A Study of The Interdependence of Literary Figures”.

In: Plett, F. Heinrich (Hrsg.) (1991): Intertextuality, Berlin/ New York: Walter de Gruyter, S. 102f.

98 vgl. Graham, 2000: 100

99 vgl. Stam/ Raengo, 2005: 27

39 Genette setzt sich in seinem Gesamtwerk intensiv mit dem Gegenstand der Poetik auseinander, also mit der Frage wie eine literarische Gattung definiert wird, oder was für Merkmale ein Text besitzen muss, um einer konkreten Gattung oder Form anzugehören.

Genauer genommen überwindet er, die auftauchenden Probleme, indem er dieses Feld neu tauft, nämlich Transtextualität bzw. transzendentale Textualität. Darin wird der Archi-Text zum Gegenstand der Untersuchung.100

Von Architextualität wird bei Filmen in diesen Fällen gesprochen, in denen, Titel und Untertitel die Beziehung mit der Inspirationsquelle bestätigen oder verleugnen.

Adaptionen erhalten andere Titel als die Originalwerke, aus denen sie zu Stande kommen.101 Aber indem man den Terminus benutzt, um textuelle Aspekte zu charakterisieren kommt die Verwirrung zwischen literarischer Gattung und Form zu Vorschein, da ein Roman mit einer konkreten Aussage auf seinem Buchdeckel z. B.

Detektiv-Roman einer bestimmten Gattung angehört, oder diverse Antizipationen hervorruft.102

Es existieren noch vier andere Arten von Transtextualität. Eine davon heißt Paratextualität. Paratextuelle Elemente sind „titles, prefaces, postfaces, epigraphs, dedications, illustrations, and even book jackets and signed autographs“103. All diese Elemente, die nicht zum Haupttext gehören, ohne diese, er auch nicht vollendet ist, bilden genauergenommen den „peritext“.104 „Posters, trailers, reviews, interviews with the director and so forth“105 konstituieren analog paratextuelle Elemente für Filme, deren spezifischer Name „epitext“ lautet.106 Auch Szenen, die zwar gedreht, aber in der Endfassung nicht einbezogen werden („deleted scenes“), gelten als solche Elemente. Sie geben den Zuschauern die Möglichkeit über das Gelingen oder Misslingen des

100 vgl. Graham, 2000: 100

101 vgl. Stam/ Raengo, 2005: 30

102 vgl. Graham, 2000: 102

103 Stam/ Raengo, 2005: 28

104 vgl. Graham, 2000: 103

105 Stam/ Raengo, 2005:28

106 vgl. Graham, 2000: 103

40 Endproduktes zu urteilen.107 Nach Genette wird der Paratext von diesen Elementen zusammengesetzt, die letztendlich einen Text in ein Buch verwandeln. Des Weiteren kann man erschließen, inwiefern die genannten Kennzeichen dazu verhelfen einen Text richtig zu verstehen bzw. richtig zu lesen.108 Dieselbe Funktion kann auch ein Bild auf einem Buchdeckel bewerkstelligen. Ein Bild ruft diverse Konnotationen hervor anhand deren man einen Text unter einer konkreten Perspektive liest.109

Der dritte Unterbegriff Genettes lautet Metatextualität, darunter versteht man die Verbindung zweier Texte, entweder indem ein Text von einem anderen offen zitiert wird, oder wenn die Adaption nur auf ihren Prätext anspielt. Die Verbindung kann in Form von Kommentar, Kritik oder Feindlichkeit gegenüber dem Ausgangtext oder den früheren Adaptionen desselben Textes erscheinen. Bloße Anspielungen gestalten es schwierig die Beziehung zwischen Literaturverfilmung und literarischem Werk zu erörtern, oder gar Adaptionen als solche zu bezeichnen. Dieser Begriff sorgt noch dafür, dass Adaptionen als Interpretationen oder Lesarten empfunden werden. Unter dieser Bezeichnung versteht man auch längst bekannte Romane, die neu geschrieben werden und in denen die Neben-, oder die im Originaltext nicht existierende Figuren zu Hauptfiguren werden. Bei einem derartigen Vorgang wird ein bekannter Roman unter einer neuen und insofern anderen Perspektive gelesen. Dieser Begriff bezeichnet auch die filmische Adaptionen, deren Bezug zu einem Text, oder einer literarischen Gattung undeutlich ist.110

Die mit der Adaption am meisten verwandte Kategorie, heißt Hypertextualität.

Dementsprechend existiert ein Hypotext (Vorlage), der von einem Hypertext auf verschiedene Weisen umgewandelt wird. Daher gelten die unterschiedlichen filmischen Adaptionen eines Werkes als hypertextuelle Lesarten bzw. Interpretationen desselben Hypotextes. Nach Derrida, verleihen die diversen Verfilmungen eines Romans dem Original ansehen und sie erzeugen einen großen Hypotext, der dem Regisseur dient. In

107 vgl. Stam/ Raengo, 2005: 28

108 vgl. Graham, 2000: 104

109 vgl. ebd.: 105

110 vgl. Stam/ Raengo, 2005: 28f.

41 diesem Fall, kommt ein unzerbrechlicher Kreis intertextueller Bezüge zu Stande, in dem Texte immer wieder aus anderen Texten entstehen und letztendlich die Inspirationsquelle ins Vergessen gerät.111