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6. Pans Labyrinth

6.1. Motive von „Alice im Wunderland“ im Film

Laut Derry wird der Film Pans Labyrinth auf bildlicher und narrativer Ebene nicht nur von Alice im Wunderland, sondern auch von dem Zauberer von Oz, David Copperfield und den Märchen von Hans Christian Andersen beeinflusst.149

In der ersten Szene die an den Text erinnert, folgt die kleine Ofelia dem Insekt im Wald aus Neugier, genau wie Alice dem Kaninchen. Sie sieht das eingemeißelte Symbol des

„Fauns“150 im Torbogen über dem Eingang des Labyrinths. Daraus kann der Zuschauer schließen, dass Ofelia einen Faun treffen wird. Es handelt sich um das Stilmittel Antizipation. Der Zuschauer sieht die Umgebung des Labyrinths mittels subjektiver Kamera, durch die Augen des Mädchens. Der Kopf des Wesens wird in Großaufnahme aus der Bauchsicht151 gezeigt. Daraufhin bewegt sich die Kamera wieder auf Augenhöhe

148 Derry, Charles (2009): Dark dreams 2.0: a psychological history of the modern horror film from the 1950s to the 21st century, Mc Farland: North Carolina, S: 316

149 vgl. ebd.: 324

150 Abgesehen von den englisch und deutsch sprechenden Ländern, Kroatien, Skandinavien und den Niederlanden wird wie im Spanischen (fauno) das Wort Faun anstatt Pan benutzt. vgl.

http://www.imdb.com/title/tt0457430/trivia besucht am 21.09.2011

151 Bauchsicht: Leichte Aufnahme eines Gegenstandes vom Boden. Faulstich, 2002: 119

70 (Normalsicht152). Eine Dienerin namens Mercedes findet sie vor Ort und rät ihr, „da nicht rein [zu gehen], sonst finde[…]t [sie] vielleicht nicht wieder zurück.“ (PL: 7ʼ)153 Dieser Satz ist meines Erachtens eine Anspielung auf die Funktion des Wunderlandes als Irrgarten im Ursprungstext; die kleine Alice irrt herum, bis sie aus ihm herausfindet. Die begleitende Off – Musik der Szene erzeugt beim Zuschauer Spannung und Ehrfurcht.

Nachts bemerkt Ofelia erneut das Insekt. Es nimmt die Form einer Fee an, um des Mädchens Vertrauen zu gewinnen und zeigt mittels Gesten, ihr zu folgen. „Ich soll mitkommen? Und wohin? Nach draußen?“ lauten ihre Fragen. In der nächsten Szene begibt sie sich ein zweites Mal ins Labyrinth. Der Eintritt ins Gebäude und das Hinabsteigen der Treppe zum Inneren der unterirdischen Höhle, verweisen auf den Fall von Alice in den Kaninchenbau. Der Wechsel der Aufnahmen (nah, amerikanisch, halbnah) und Perspektiven (Normalsicht, Vogelperspektive) bestimmt die Größe und insofern die Beziehung des Mädchens zur Lokalität. (PL: 17ʼ f.)

Zusätzlich erinnern mehrere Szenen in der Adaption, an den Eintritt von Alice in die zweite Welt, dadurch wird die Adaption repetitiv. Als die Protagonistin in der dreißigsten Minute in die große Baumöffnung geht, um ihre erste Prüfung zu bestehen, handelt es sich um eine Szene, die erneut an den Einstieg von Alice in den Kaninchenbau erinnert.

Gegenüber dem gigantischen Frosch in einer weiteren Szene scheint Ofelia klein zu sein, eine Anspielung an den Größenwechsel von Alice. Der Schlüssel, den sie ihm entreißen muss, ist ein Gegenstand, der ebenfalls in der Erzählung von Carroll auftaucht und der Textprotagonistin ermöglicht die kleine Tür zu öffnen, damit sie auf ihrer Reise vorankommt. Das hellblaue Kleid, welches das Mädchen, bevor es in die Baumöffnung steigt, auszieht und auf einem Ast ablegt, hat eine weiße Schürze. (PL: 30ʼ) Ofelias

152 Normalsicht, s. Beicken, 2004: 38

153El laberinto del fauno (Pans Labyrinth). Regie: Guillermo del Toro. Spanien: 2006, Im Folgenden werden die Zitate aus dem Film unter der Sigle PL erkannt, anhand von Minuten festgehalten und befinden sich im Text. Es wird aus der deutschen Synchronisation des Filmes zitiert, da die Ausgangssprache Spanisch ist.

71 Kleidung verweist an das Aussehen von Alice, wie es auf den Illustrationen von Teniell abgebildet ist.154

Ofelia teilt auch ihre Charakteristika mit Alice, wie Neugier, Spontaneität und Naivität.

Sie begibt sich zur Baumöffnung, um nach dem Schlüssel zu suchen, ohne auf Konsequenzen zu achten. Zur Enttäuschung ihrer Mutter erscheint sie verspätet zum Festmahl des Hauptmanns.

Der Tisch im Raum, in dem Ofelias zweite Prüfung stattfindet, verweist auf die Tischszene im Kapitel „Aberwitz und Fünf-Uhr-Tee“ der adaptierenden Erzählung. Er ist mit Obst, Kuchen und Gelee bedeckt, wie der Zuschauer mittels der Kamerabewegung feststellen kann. Diese Bewegung folgt der Bewegung des Mädchens parallel. Im Vordergrund des Bildes wird die Oberfläche des Tisches gezeigt und im Hintergrund befindet sich das Mädchen. (PL: 55ʼ) Doch der bedeckte Tisch deutet nicht nur auf den literarischen Text hin, sondern spiegelt eine andere Szene des Films wieder: das Festessen des Hauptmanns. Unabhängig davon, ist die szenische Darstellung del Toros angsterregender als die erwähnte Stelle des Textes aufgrund des Berges von Kinderschuhen, auf die hingedeutet wird. Diese rufen Konnotationen in Bezug auf den Faschismus hervor, „concentration camps and genocide“.155 Die vorher von dem Mädchen wahrgenommenen Fresken erfüllen den gleichen Zweck. Darauf ist das Ungeheuer während es kleine Kinder verspeist, abgebildet.

Durch den Faun wird Ofelia gewarnt nichts vom Tisch zu sich zu nehmen, da „[sie] […]

dort ein opulentes Festmahl sehen [wird]. Aber [sie soll] nichts [essen] und […] nichts [trinken]. Nichts! Absolut nichts… [Ihr] Leben wird davon abhängen“ (PL: 51ʼ) Das Essen in dieser Szene verweist auf die Kuchen und Fläschchen, aus denen Alice isst und trinkt. Infolgedessen wächst oder schrumpft sie, dadurch wie schon erwähnt wurde, verliert sie ihre Identität. Einige der Transformationen konfrontieren sie mit dem Tod.

154 Falconer, Rachel (2009): The crossover novel: contemporary childrenʼs fiction and its adult readership, Routlegde: New York, S.: 103

155 vgl. Derry, 2009: 327

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„Es könnte ja passieren […], dass ich am Ende völlig ausgehe wie eine Kerze.“ (AiW:

15) denkt sich Alice. Der Film „zitiert“ in dieser Szene die Thematik des Textes von Carroll aber auch die Todesgefahr. Für Derry teilt der Film mit der Erzählung, den Widerstand der Protagonistin gegen eine irrsinnige Erwachsenen-Welt. Es entsteht der Drang nach Ich-Findung, „die innere Kraft“ zu finden, etwas, das Alice gelingt, als sie die Karten als solche erkennt: „Ihr seid ja nichts weiter als ein Kartenspiel!“156

Zudem existieren noch weitere Andeutungen. Die Sanduhr, anhand der bestimmt wird wie lange die Protagonistin sich in der Räumlichkeit aufhalten kann, ist eine symbolische Anspielung an das veränderte Zeit-Raum Verhältnis des oben erwähnten Kapitels. Die Uhr des Hutmachers z. B. „ zeigt ja nur Tage an und keine Stunden“ (AiW: 68) bemerkt Alice.157