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Die Personen sprechen offen über ihre Träume. Die kleine Alice beschreibt ihren (Alp-) Traum im folgenden Auszug:

„Ich habe einen komischen Traum gehabt. Ich habʼ den Fernseher angemacht, hab mich auf einen Stuhl gesetzt, hab mich angebunden, und dann kam auf einmal ein Gruselfilm. Dann hab ich mich nie mehr losbekommen. Und ich konnte den Fernseher nicht ausschalten, ich konnte die Augen nicht zumachen; ich konntʼ mich nicht entfesseln und dann musste ich mir halt den Film anschauen.“ (AS: 48ʼ)

Indem das Mädchen von diesem Medium träumt, das Phillip in erster Linie für seine Existenzkrise verantwortlich macht, wird die enge Verbundenheit beider Charaktere deutlich, da Alice die Probleme reflektiert, die den Protagonisten bedrängen. Infolge dessen kann die gravierende Ähnlichkeit der Protagonisten von Film und Text erwähnt werden. Wie längst gesagt wurde, befindet sich die Textheldin in einem zweideutigen Zustand, sie ist weder erwachsen noch ein kleines Kind, sondern vereint gleichzeitig beide Zustände in einer Person. Die Ambiguität der Figur wird im Film gespalten und so steht Phillip für die erwachsene Seite von Alice. Die gleichnamige Heldin des Filmes dagegen verkörpert nur die kindliche Seite der Textheldin und auf dieser Weise ergeben beide erneut den Charakter der Protagonistin aus dem Text. Durch diesen Entwurf können ebenfalls die Melancholie Phillips und die kindliche Unschuld von Alice gegenüber gestellt werden, um die konfliktauslösenden Gefühle der Protagonistin des Textes zu veranschaulichen. Ganter dagegen meint, dass Alice die einzige Figur im Film ist, die sich selbst nicht entfremdet ist. Sie ist die Erwachsene und Phillip das Kind in ihrer Beziehung. Sie hat in Amsterdam gelebt und kann sich deshalb dort orientieren und gegen Ende des Filmes gibt sie dem Mann Geld, um sein Zugticket bezahlen zu können.

54 Das bedeutet nicht, dass Alice eine feste Identität besitzt, gerade weil sie ein Kind ist.

Zudem wird deutlich, dass das Erwachsensein nicht die Identitätsfestigung voraussetzt.129 Als beide Figuren des Filmes in Amsterdam sind, möchte das Mädchen raus aus dem Hotel in die Stadt, aber der Mann nicht. Darauf zeigt sich das Mädchen bereit ihn durch die Stadt zu führen. Die Gegensätzlichkeit des geschlossenen Raumes und das im Freien sein, die in diesen Szenen existiert, widerspiegeln ebenfalls die Gefühle der Figuren. Der Mann kapselt sich aufgrund seines Zustands ab, wobei das offenherzige Mädchen die Außenwelt sucht.

Der melancholische Zustand von Phillip kommt also vor allem durch die Inszenierung zum Ausdruck, durch die wiederholende monotone, Off-Musik130 und seinen Gesichtsausdrücken. Zudem bezeugt er noch selbst, dass er „Angst vor der Angst [hat]“

(AS: 75ʼ), aber er weiß nicht warum. Durch seine Schreiblockade belastet, sagt er zur Alice später „meinst du ich bin scharf drauf mit kleinen Mädchen durch die Gegend zu fahren und mein letztes Geld auszugeben? Ich hab weiß Gott anderes zu tun.“ Darauf antwortet sie: „Ich wollte ja auch in Amsterdam bleiben. Was hast du denn zu tun, du krickelst ja doch bloß in deinem Heft.“ (ebd.) Alice konfrontiert also Phillip mit einer für ihn unangenehmen Wahrheit. Er wiederum ist nicht in der Lage Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Dies wird klar als ihn Alices Mutter am Flughafen um Gesellschaft bittet und er darauf meint, „das k[ö]nn[e] [er] schon machen, aber […] sehr unterhaltsam [sei er nicht].“ (AS: 19ʼ)

Die Parallele zwischen Phillip und Alice besteht darin, dass sie verloren ist und er sein Selbst verloren hat. Auf dieser Art ähneln sie beide der Titelheldin von Carroll, die im Wunderland ebenfalls anfangs verloren ist. Phillip kann nicht mehr für Alice sorgen, er ist überfordert und deshalb bringt er sie zu einem Polizeiamt. Doch das kleine Mädchen

129 vgl. Ganter, Matthias (2003): Wim Wenders und Jacques Derrida: zur Vereinbarkeit des Filmschaffens von Wim Wenders mit Jacque Derridas dekonstruktiver Literaturtheorie, Marburg: Tectum, S. 104f.

130 Off-Musik: Diese Musik existiert in der außerfilmischen Realität, sie wird von der Figur nicht wahrgenommen. „Filmmusik ist dramaturgisches Element, eine Bauform des Erzählens“ Faulstich, Werner (2002): Grundkurs Filmanalyse, München: W. Fink, S 137

55 flieht und sucht ihn wieder auf. In der entsprechenden Szene wird zuerst in Halbtotaler131 Aufnahme gezeigt, wie Phillip sein Auto parkt. In den folgenden Einstellungen (groß) kann man anhand seines Gesichtsausdruckes erkennen, dass er sich freut, weil plötzlich Alice in den Wagen einsteigt. An dieser Stelle wird klar erkennbar inwiefern die Gegensätzlichkeit von Innen und Außen für den Film bestimmend ist. Eine menschliche Beziehung zwischen dem Mann und dem Mädchen ermöglicht sich nur in Fahrzeugen (Auto, Zug, Flugzeug) und daher mittels Bewegung; nicht in Zimmern bzw.

geschlossenen Räumen.132

In einer folgenden Szene, in der sie fahren, sagt er ihr, dass er ein Chuck Berry Rockkonzert besucht hat und darin sieht Light den Grund für seine Veränderung. Die Live-Musik steht im Gegensatz zur Radio-Musik, die er am Anfang des Filmes gehört hat. Die Teilnahme am Konzert als Teil des Publikums hilft ihm „a new thing-like relationship with the world“ zu schließen.133

Von diesem Moment an, in dem seine Stimmung fröhlicher wird, helfen sie sich gegenseitig. Sein Stimmungswechsel ist mit der Bewegung verbunden und die Reise ist das Mittel zum Zweck: zur Identitätsfindung. Das Mädchen bringt ihn zum Lachen und er hilft ihr das Haus ihrer Oma anhand eines Fotos, das sie besitzt zu finden. Dieses fungiert als Ersatz für ihr Gedächtnis, weil sie nicht weiß, wo ihre Oma wohnt. Die filmische Alice kann sich also auch nicht erinnern, wie die Protagonistin des Textes. So kommt erneut die weiter oben beschriebene Funktion von Fotos, als Repräsentant von Ortschaften zum Vorschein. Doch für Phillip hat dieses Foto nicht die gleiche Bedeutung wie seine Fotos. Im Gegenteil signalisiert dieses, „an end to the search“134 bzw. der Reise. Das abgebildete Haus ist ein Ort, der in Bezug zur Identität von Alice steht. Und mit dieser Person ist er jetzt verbunden. Als sie endlich das Haus finden, erfährt Alice, dass dort seit zwei Jahren eine Italienerin wohnt. Dabei handelt es sich um einen

131 Halbtotal s. Faulstich, 2002: 116

132 vgl. Gellhaus/ Moser/ Schneider, 2007: 328

133 vgl. Light, 1997: 223

134ebd.

56 Wendepunkt in der Geschichte. Das kleine Mädchen findet nicht wie erhofft ihre Großmutter, doch nach Lights Meinung ist das auch nicht die Intention des Filmes. An diesem Punkt wird das „Reisen durch die Landschaft“ per se legalisiert. Die konkrete Szene ist von Bedeutung, weil dieses Haus tatsächlich existiert. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Foto, das geschossen wurde, um etwas zu beweisen.135 „Here the narrative manages to subvert the flatness of the photographs which had been held up earlier in the film as an example of the flatness of technical reproduction faced with spatial homogeneity.“136 Der Film thematisiert den Unterschied zwischen reiner und

„reproduzierter“ Wirklichkeit, wobei letztendlich letzere zum Identitätsverlust des Protagonisten führt. Zeitgleich wird die Wichtigkeit der kindlichen Figur betont, da diese ihm hilft an sein Selbst zurück zu gelangen.

Alice ist eine „new lens“ mittels der, Phillip die gleiche Welt aus einer anderen Perspektive erblickt. Sie ist in gewisser Weise auch ein Medium und genauergenommen das Gegenstück zur Fotokamera und den geschossenen Fotos. Ferner entsteht daher der Gegensatz alt – neu, denn der menschliche Blick ist älter, als die Abbildungsmöglichkeiten einer Fotokamera. 137

Im Film existieren also einige Elemente analog zu denen des Textes, anhand deren die Protagonistin ihre Identität verliert. Das Nonsense, sowie die problematische Beziehung zu ihrem Aussehen und der Sprache werden auf den Protagonisten der Verfilmung übertragen und somit wird die zentrale Thematik ausgearbeitet. Identitätsverlust in der Großstadt des zwanzigsten Jahrhunderts wird durch Massenmedien verursacht. An diesem Punkt kann behauptet werden, dass der Film eine Art aktualisierende Adaption darstellt. Nicht etwa, dass der Text einen historischen Kontext besitzt, wird damit gemeint. Doch die Thematik ist trotzdem wichtig für die Gegenwart und vor allem ist die Verfilmung partiell, wie weiter oben vielfach bestätigt wurde. Das im Film agierende Mädchen trägt zwar den gleichen Namen, wie seine literarische Vorlage, aber es handelt

135 vgl. Light, 1997: 224

136 ebd.

137vgl. ebd.: 221

57 sich nicht um ein Duplikat. Es ist nicht Alice, die den Identitätsverlust durchlebt, sondern Phillip. Sie ist das Pendant Phillips und hilft ihm seine Identität zurück zu erlangen. Da die in den Figuren vorhandenen Konflikte transparent und ihre Gefühle und Ängste explizit beschrieben werden, handelt es sich meines Erachtens auch um eine psychologische Adaption.

5. Charmed – Halliwells im Wunderland

5.1. Inhaltsinformationen

„Charmed – Zauberhafte Hexen“ ist eine US-amerikanische Fantasyserie, die Constance M. Burge erschaffen hat. Es wurden 178 Episoden, á 40´ in 8 Staffeln, in 120 Ländern, darunter auch in Deutschland, wöchentlich ausgestrahlt. Im Mittelpunkt dieser Serie stehen drei Schwestern Piper, Phoebe und Paige, die von Geburt an Hexen sind. Jede der drei Personen besitzt eine eigenständige magische Fähigkeit, die sie nicht zum persönlichen Vorteil, sondern gemeinsam im Kampf gegen das Böse einsetzen sollen.138

Charmed ist eine Fantasy-Serie, wenngleich keine typische zweite Welt in ihr existiert, wie sie in einigen Filmen bzw. Serien des gleichen Genres vorhanden sind. Jedes wunderbare (marvellous) und magische Phänomen manifestiert sich in der primären Welt139, in der die Schwestern leben. Als separate sekundäre Welten können der Sitz der Ältesten, die Zauberschule und die Unterwelt betrachtet werden. Die magischen Kräfte der Hexen werden aber nicht dadurch erst aktiviert. Sie werden in beiden Welten beibehalten. Insofern koexistieren die primäre und die sekundäre Welt, die innerfilmische Realität und Fantasy.

138 vgl. http://www.fernsehlexikon.de/497/charmed/ besucht am 20/ 8/ 2011

139 Zu der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer, in dieser Arbeit auch menschliche und magische Welt genannt und dem Terminus Fantasy s. Swinfen, Ann (1984): In Defence of Fantasy. A Study of the Genre in English and American Literature since 1945. London/Boston/Melbourne/Henley:

Routledge, S. 5