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6. Pans Labyrinth

6.2. Die doppelte Identität Ofelias

Ein anderer gemeinsamer Punkt des Filmes und des literarischen Textes von Caroll ist die Identitätsthematik. Diese wird in der Adaption mit der ständigen Abwechslung zwischen der phantastischen und der „realen“158 Ebene zum Ausdruck gebracht. In der realen Welt ist Ofelia die Tochter eines Schneiders bzw. Stieftochter eines faschistischen Hauptmannes und in der phantastischen Welt eine Prinzessin. Als ihr der Faun erzählt,

„[sie] sei[…] die Prinzessin Moana, Tochter des Königs, der in der unterirdischen Welt herrscht“, erwidert sie: „Nein mein Vater war Schneider“ (LP: 21ʼ). Man erkennt durch die Großaufnahme, wie sie während dieser Aussage ihren Kopf schüttelt und den Faun verängstigt ansieht. Die Behauptung des Wesens, sie wäre jemand anderes beängstigt das Mädchen.

156vgl. Derry, 2009: 325

157 vgl. Friese 1995: 109

158 Mit dem Wort „real“ soll hier diejenige Handlungsebene des Filmes verstanden werden, in der nicht das Wunderbare herrscht.

73 Wenig später wird wie in Charmed die Spiegelsymbolik benutzt. Als die Hauptdarstellerin, sich im Badspiegel betrachtet, kann sie an der Schulter ihrer Reflexion ein Mal erkennen, ein Mondzeichen von dem der Faun bei ihrer Begegnung berichtet hat.

Laut ihm, ist dies der Beweis ihrer wahren Identität. In diesem Moment akzeptiert sie, dass sie „eine Prinzessin“ (LP: 27ʼ) ist. Sie nimmt ihre Rolle als Königstochter an und versucht alle drei Prüfungen zu bestehen. In der menschlichen Welt ist sie weiterhin Ofelia, aber wenn sie sich in die phantastische Welt begibt, ist sie eine Prinzessin. Ihre Identität wird durch Objekte (auch aus der magischen Welt z. B. Schlüssel) bestätigt und ist mit Räumlichkeiten verbunden, z. B. dem Labyrinth. Sie zweifelt nicht an ihrer Identität, aber ihr Umfeld, das nicht weiß, dass sie eine Königstochter ist. Als sie nach der Alraune (die zur Genesung der Mutter gedacht ist) unter dem Bett ihrer Mutter nachsieht, um sie erneut mit Bluttropfen zu versorgen, erwischt sie der Hauptmann: „Was ist das für ein Dreckszeug?“ fragt er. Darauf entreißt er die Alraune aus der Schüssel und die Mutter erwacht von Ofelias Schreien. Nachstehender Dialog wird geführt:

„Mutter: Lass sie. Lass sie. Ich bitte dich.

Hauptmann: Sieh mal das hatte sie unter deinem Bett. (Er hält die Alraunwurzel in seiner Hand) Hehh! Was sagst du dazu?

M: Ofelia! Was sollte denn dieses Ding unter meinem Bett? (Sie geht auf ihre Tochter zu.) Ofelia: Das ist eine Zauberwurzel. Die hat mir der Pan gegeben.

H: Das liegt an dem ganzen Schund, denn du sie immer lesen lässt. So was kommt dabei raus.

[…] (In der Folge verlässt der Hauptmann das Zimmer.)

M: Ofelia du musst deinem Vater gehorchen, du musst dich ändern.

O: Nein ich will weg hier. Bitte bring mich weg von hier, bitte Mama. Wir müssen weg von hier.

M: Leider sind die Dinge nicht immer ganz so einfach. Du wirst langsam älter. Und bald wirst du verstehen, dass das Leben nicht so ist, wie in deinen Märchenbüchern. Die Welt ist ein grausamer Ort. Und das wirst du lernen auch wenn es weh tut. (daraufhin schmeißt sie die Alraunwurzel in den Kamin)

O: Nein, nein…

M: Ofelia! Zauberei gibt es nicht. Die gibt es nicht für dich, nicht für mich, für niemanden.“

(PL: 79ʼ f.)

74 Der Satz „du musst dich ändern“ ist zuallererst eine Anspielung auf die Veränderung von Alice aufgrund ihrer multiplen Verwandlungen. Ofelia muss sich ändern, weil sie sich aus der Sicht der Erwachsenen merkwürdig benimmt. Ihr Benehmen wiederum bezieht sich auf ihr Prinzessin-Dasein. Jedes Mal wenn sie Objekte (Alraune, Schlüssel, Buch usw.) aus der magischen Welt benutzt, agiert sie als Prinzessin.

In den Großaufnahmen ist die Angst in den Gesichtern beider Figuren deutlich zu erkennen. Ofelia hat Angst vor ihrem Stiefvater und umarmt ihre Mutter. Sie wiederum fürchtet sich um das Wohlergehen ihrer Tochter, berührt sanft ihre Schulter und fleht sie an sich zu ändern. Diese Änderung ist Lebenswichtig für das Kind. Doch es handelt weiterhin nach Eigenwillen.

Derry behauptet, dass der Film vorwiegend folgende Botschaft enthält:

[I]t is our understanding of the real, sociopolitical world around us that marks the end of childhood. And by childhood, Del Toro does not mean the end of innocence, exactly, for children are never really innocent, but the end of fantastical, imaginative horror, which comes to be replaced with the real, plodding horror of the everyday.“159

Ofelia rebelliert, indem sie in die magische Welt flüchtet und die Aufgaben des Fauns erfüllt oder magische Objekte benutzt, um die menschliche Welt zu beeinflussen. Doch der „plodding horror of the everyday“ holt sie letztendlich ein. Der Hauptmann, Repräsentant des Faschismus erschießt sie. Dabei handelt es sich um einen gravierenden Unterschied zu der Erzählung, deren Protagonistin unversehrt nach Hause findet.

159 Derry, 2009: 327

75 7. Schlusswort

Das große Spektrum der Adaptionstheorie und die Schwierigkeit genau zu bestimmen was Adaption bzw. Literaturverfilmung ist, wurden erkannt. Adaption ist letztendlich Interpretation und nicht bloß die Anpassung eines schriftlichen Textes für das verwandte Medium Film. Die Existenz diverser Ansätze zur Intertextualitätstheorie und ihre Beziehung zu Filmen wurden ebenso deutlich. Filme bestehen nicht nur aus einer wörtlichen Ebene, den Dialog, sondern werden von der Kombination Wort, Bild und Ton konstituiert.

Szenische Vermittlung ergänzt die intertextuelle Beziehung, der in dieser Arbeit ausgewählten Einzelwerke, zu ihrer literarischen Vorlage.

Abgesehen davon hat die Erfahrung des „Anders-Sein“ Auswirkungen auf den Charakter der Hauptfigur. Alice wird verwirrt, verliert ihre Identität, im Extremfall wird sie sogar vom Tod bedroht.

Erwähnenswert ist, wie aktuell letztendlich die Identitätsproblematik des literarischen Textes durch die konkreten Filme wird. Bei Wenders und Charmed ist sie Alltagsbegleitung. Identität kann im alltäglichen Leben abhandenkommen, zugleich benötigt man sie, um den Alltag zu bestehen. In Pans Labyrinth wird sie als Schutzschild, gegen das Grauen einer Nachkriegswelt verwendet. In jedem einzelnen Fall entsteht ein Zusammenhang mit Objekten und Räumlichkeiten, bei Wenders sind es Geräte. Sie bestätigen oder verfremden die Identität, der jeweiligen Person, die sie verwendet.

Die besprochene Thematik variiert in den Adaptionen, weil die Hypertexte, also die Filme den (Hypo)-Text beliebig umwandeln. Doch die Identitätsthematik, auch wenn für die jeweiligen Eigenzwecke der Filme verändert, bleibt weiterhin vorhanden.

Schlussendlich ergänzen sich Text und Adaptionen gegenseitig. Letztere generieren neue Möglichkeiten zum Verständnis der Erzählung von Carroll. Zugleich sind sie ohne den Prätext auch nicht verständlich.

76 8. Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Buch:

- Carroll, Lewis (2007): Alice im Wunderland. Übersetzt und mit einem Nachwort von Christian Enzensberger. Mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger.

Zürich: Kein & Aber

Filme:

- Alice in den Städten. Regie: Wim Wenders. Deutschland: 1973

- El laberinto del fauno (Pans Labyrinth). Regie: Guillermo del Toro. Spanien: 2006

Serienepisode:

- Charmed – Zauberhafte Hexen (USA: 1998-2006) Episode 158 „Halliwells im Wunderland“ Produzent: Aaron Spelling; Idee: Constance M. Burge.

Sekundärliteratur:

- Albersmeier, Franz Joseph/ Roloff, Volker (Hrsg.) (1988): Literaturverfilmungen, FaM: Suhrkamp

- Arnold, Heinz-Ludwig (Hrsg.) (2009): Kindlers Literatur-Lexikon. In 18 Bänden.

(Band Bou-Chr) Stuttgart/Weimar: Metzler

- Beicken, Peter (2004): Wie interpretiert man einen Film?, Stuttgart: Reclam

77 - Bohnenkamp (Hrsg.) (2004): Literaturverfilmungen. Interpretationen

(Lernmaterialien), Stuttgart: Reclam

- Brauneck, Manfred (Hrsg.) (1980): Film und Fernsehen. Materialien zur Theorie, Soziologie und Analyse der audiovisuellen Massenmedien, Bamberg: Buchner

- Derry, Charles (2009): Dark dreams 2.0: a psychological history of the modern horror film from the 1950s to the 21st century, North Carolina: Mc Farland

- Faulstich, Werner (2002): Grundkurs Filmanalyse, München: W. Fink

- Ganter, Matthias (2003): Wim Wenders und Jacques Derrida: zur Vereinbarkeit des Filmschaffens von Wim Wenders mit Jacque Derridas dekonstruktiver Literaturtheorie, Marburg: Tectum

- Gast, Wolfgang (1993): Film und Literatur. Grundbuch, FaM: Diesterweg

- Gellhaus, Axel/ Moser, Christian/ Schneider, J. Helmut (Hrsg.) (2007):

Kopflandschaften. Landschaftsgänge. Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs.

Köln/ Weimar: Böhlau

- Graham, Allen (2000): Intertextuality, London/ New York: Routlegde

- Hurrelmann, Bettina (1995): Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Frankfurt am Main: Fischer

- Korte, Helmut (2004): Einführung in die Systematische Filmanalyse, Berlin: Erich Schmidt

78 - Lenzhofer, Karin (2006): Chicks rule!: die schönen neuen Heldinnen in

US-amerikanischen Fernsehserien, Bielefeld: transcript

- Paech, Joachim (1997): Literatur und Film, Stuttgart/ Weimar: Metzler

- Plett, F. Heinrich (Hrsg.) (1991): Intertextuality, Berlin/ New York: Walter de Gruyter

- Schikorsky, Isa (2003): Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur, Köln: DuMont

- Stam, Robert/ Alessandra, Raengo (2005): Literature and Film. A Guide to the Theory and Practice of Film Adaptation, Malden/ Mass: Blackwell

- Swinfen, Ann (1984): In Defence of Fantasy. A Study of the Genre in English and American Literature since 1945. London/Boston/Melbourne/Henley: Routledge

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Zeitschriften:

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79 - Falconer, Rachel (2009): The crossover novel: contemporary children's fiction and its

adult readership, Routlegde: New York, S. 103

- Flescher, Jaqueline (1969): “The language of Nonsense in Alice”. In: Yale French Studies, The Childʼs Part, No. 43, 1969 (128-144)

- Kincaid, R. James (1973): “Aliceʼs Invasion of Wonderland”. In: PMLA, Vol. 88, No. 1, 1/1973 (92-99)

- Light, Andrew (1997): “Wim Wenders and the Everyday Aesthetics of Technology and Space”. In: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 55:2, Spring 1997 (215-229)

- Rother, Carole (1984): “Lewis Carrolʼs Lesson: Coping with Fears of Personal Destruction”. In: Pacific Coast Philology, Vol. 19, No. 1/2, 11/ 1984 (89-94)

Internet- und andere Quellen:

- http://www.essays.cc/free_essays/c2/tda32.shtml besucht am 24/ 4/ 2010 - http://www.fernsehlexikon.de/497/charmed/ besucht am 20/ 8/ 2011 - http://www.imdb.com/title/tt0457430/trivia besucht am 21/ 09/ 2011

- http://www.umich.edu/~umfandsf/symbolismproject/symbolism.html/B/butterfly.htm lbesucht am 30/ 8/ 2010

- Dvd – Commentary, The story of Charmed: Genesis, 2006 CBS Studios