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Viren besitzen keinen eigenen Stoffwechselapparat und sind somit außerhalb lebender Zellen nicht vermehrungsf¨ahig. Um sich vermehren zu k¨onnen, nutzen Viren die Synthe-semaschinerie von Zellen und funktionieren sie f¨ur ihre Zwecke um. Die Infektion einer Zelle beginnt mit der Anlagerung der Viruspartikel an die Plasmamembran. In diesem ersten Schritt binden die Virionen ¨uber virale Oberfl¨achenproteine an Molek¨ule auf der Zellmembran, die in diesem Zusammenhang als Virusrezeptoren bezeichnet werden. Die Bindung an die Zelle ist notwendig, um in einem zweiten Schritt die Plasmamembran penetrieren und damit die virale Erbinformation in die Zelle einschleusen zu k¨onnen. Bei beh¨ullten Viren ist hierzu die Fusion der Virusmembran mit der Plasmamembran bzw.

nach Endozytose mit der Endosomenmembran notwendig.

Das Vorkommen eines viralen Rezeptors kann den Tropismus und die Pathogenit¨at von Viren bestimmen. Als Rezeptoren k¨onnen sowohl Proteine und Lipide als auch Kohlen-hydrate dienen. Eine beispielhafte ¨Ubersicht ¨uber bekannte Virusrezeptoren gibt Tabelle 1.4. Viele Viren erkennen mehr als einen Rezeptor oder ben¨otigen zus¨atzlich zu ihrem zellul¨aren Rezeptor weitere Faktoren zur Etablierung einer Infektionin vivo. So sind z.B.

bei der Infektion von HIV-1 neben CD4 auch Proteine aus der Chemokinrezeptorfamilie beteiligt (Lapham et al., 1996; Trkola et al., 1996; Wu et al., 1996). Die Bindung an CD4 bewirkt eine Konformations¨anderung des HIV-Spikeproteins (gp120), wodurch

1.4. Virusrezeptoren 35

die Bindung an den Corezeptor aus der Chemokinfamilie (CCR5) erm¨oglicht wird. Diese zweite Interaktion bewirkt bei dem Transmembranprotein gp41 die Umwandlung in eine fusionsaktive Konformation. Erst dann l¨auft die Fusion zwischen Virus- und Zellmembran ab.

Der erste Virusrezeptor, der identifiziert wurde, war N-Acetylneuramins¨aure (Neu5Ac), die von Influenza-A- und -B-Viren sowie von einigen Paramyxoviren erkannt wird (Klenk et al., 1955;Gottschalk, 1958). Dieses Beispiel f¨ur einen Kohlenhydratrezeptor ist auf-grund der jahrzehntelangen Forschungen gut charakterisiert. Neu5Ac bindet ¨uber Wasser-stoffbr¨ucken und van-der-Waals-Kr¨afte in einer Rezeptortasche, die sich im globul¨aren Teil des Influenza-H¨amagglutinins befindet (Weiset al., 1988). Verschiedene Influenzast¨amme haben eine Pr¨aferenz f¨ur die α2,3- bzw. α2,6-gebundene Form der Sialins¨aure (Rogers und Paulson, 1983). Eine andere Sialins¨aure, die N-Acetyl-9-O-Acetylneuramins¨aure (Neu5,9Ac2), wird z.B. von Influenza-C-Viren als Rezeptordeterminante erkannt (Rogers et al., 1986). Inzwischen kennt man sowohl einige umh¨ullte als auch nicht-umh¨ullte Vi-ren, die Sialins¨auren als Rezeptordeterminante f¨ur die Einleitung einer Infektion nutzen (Tab. 1.4). Unter diesen Viren besitzen die umh¨ullten Viren i.d.R. zus¨atzlich ein rezep-torzerst¨orendes Enzym. Bei Influenza-A- und -B-Viren sowie Paramyxoviren handelt es sich hierbei um eine Neuraminidase, die die Sialins¨aure von der Galaktose abspaltet. Die Viren, die Neu5,9Ac2 als Rezeptordeterminante nutzen, besitzen eine 9-O-Acetylesterase, die die Acetylgruppe am C9 hydrolysiert.

Bei den Coronaviren sind bisher f¨ur einige Vertreter Proteinrezeptoren entdeckt worden.

Andere Coronaviren nutzen Sialins¨auren als Rezeptordeterminante. F¨ur die meisten Ver-treter der Serogruppe I wurde Aminopeptidase N (APN), eine Metalloprotease, die auf der Oberfl¨ache von Enterozyten, Lungenfibroblasten und Nierenepithelzellen vorkommt, als Rezeptor identifiziert (Delmaset al., 1992; Yeager et al., 1992; Tresnan et al., 1996;

Benbacer et al., 1997). Die Bindung an Aminopeptidase N scheint die Speziesspezifit¨at der Viren zu determinieren (Delmaset al., 1994). Bei TGEV (Delmaset al., 1992) und HCoV-229E (Yeager et al., 1992), f¨ur die als erstes die Bindung an APN gezeigt wurde, liegt die Bindungsstelle in unterschiedlichen Dom¨anen des Enzyms. F¨ur die Bindung von TGEV ist die Region zwischen Aminos¨aure 717 und 813 von APN essentiell (Delmas et al., 1994). Hingegen ist bei der HCoV-229E-Infektion ein Bereich zwischen Aminos¨aure

Tabelle 1.4: Ubersicht ¨¨ uber bekannte Virusrezeptoren (Beispiele).

Virus Rezeptor/-determinante

Coronaviridae

Virus der ¨ubertragbaren Gastroenteritis porzine APN (Delmas et al., 1992) Porzines respiratorisches Coronavirus porzine APN (Delmas et al., 1993) Virus der felinen infekti¨osen Peritonitis feline APN (Tresnan et al., 1996) Coronavirus der Hunde canine APN (Benbacer et al., 1997) Humanes Coronavirus (229E) humane APN (Yeager et al., 1992) Maus-Hepatitis-Virus carcinoembryonales Antigen (Williams

et al., 1991)

Bovines Coronavirus Neu5,9Ac2 (Vlasak et al., 1988b;

Schultze und Herrler, 1992) Humanes Coronavirus (OC43) Neu5,9Ac2 (Vlasak et al., 1988b;

Krempl et al., 1995) Herpesviridae

Epstein-Barr-Virus CD21 (Fingeroth et al., 1984;Frade et al., 1985; Nemerow et al., 1985) Humanes Zytomegalievirus Heparansulfat (Compton et al., 1993) Herpes-simplex-Virus Heparansulfat (WuDunn und Spear,

1989) Orthomyxoviridae

Influenza-A-, -B-Viren Neu5Ac (Klenket al., 1955;

Gottschalk, 1958)

Influenza-C-Virus Neu5,9Ac2 (Rogers et al., 1986) Paramyxoviridae

Masernvirus CD46 (Nanicheet al., 1993; D¨orig

et al., 1993)

Sendaivirus Neu5Ac (Paulson et al., 1979)

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1.4. Virusrezeptoren 37

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Virus Rezeptor/-determinante

Picornaviridae

Poliovirus PVR (Mendelsohnet al., 1989)

CD44 (Shepley und Racaniello, 1994)

Rhinovirus ICAM-1 (Greve et al., 1989; Staunton

et al., 1989; Tomassiniet al., 1989) Enzephalomyokarditis-Virus Neu5Ac (Burness und Pardoe, 1981) Papovaviridae

Polyomavirus Neu5Ac (Fried et al., 1981)

Retroviridae

HIV-1 CD4 (Dalgleish et al., 1984;

Klatzmann et al., 1984)

CXCR4 (T-Zell-trope St¨amme) (Berson et al., 1996; Feng et al., 1996)

CCR5 (Makrophagen und TH-Zell-trope St¨amme) (Alkhatib et al., 1996; Choe et al., 1996; Deng et al., 1996;Doranz et al., 1996; Dragicet al., 1996)

M¨ause-Leuk¨amie-Virus basischer Aminos¨auretransporter (Albritton et al., 1989)

Phosphattransporter (O’Hara et al., 1990)

260 und 353 in der N¨ahe des katalytischen Zentrums von hAPN von Bedeutung (Yeager et al., 1992;Kolbet al., 1996). FIPV und CCoV erkennen Dom¨anen, die dem von TGEV genutzten Bereich auf dem Enzym entsprechen (Tresnan et al., 1996;Benbaceret al., 1997). Die feline Aminopeptidase N wird nicht nur von FIPV und FCoV, sondern auch von CCoV, TGEV und HCoV-229E erkannt. Die felinen und caninen Coronaviren erken-nen jedoch die porzine und humane Form der Aminopeptidase nicht (Tresnan et al., 1996; Benbacer et al., 1997). So k¨onnen Katzen z.B. mit TGEV infiziert werden; der

Verlauf ist jedoch asymptomatisch (Reynolds und Garwes, 1979).

Die Maus-Hepatitis-Viren (MHV) als Vertreter der Serogruppe II der Coronaviren nut-zen Glykoproteine aus der Familie der carcinoembryonalen Antigene (CEA), die der Immunglobulin-Superfamilie zugeordnet werden, als Rezeptoren (Dveksleret al., 1991;

Williams et al., 1991; Dveksler et al., 1993b). Dieses von MHV genutzte CEA-Gly-koprotein befindet sich auf Zelloberfl¨achen von Leber, D¨unn- und Dickdarm. Diese Or-gane stellen Ziele der MHV-Replikation dar. Das Virus bindet an die aminoterminale Immunglobulin-artige Dom¨ane seines Rezeptors (Dveksler et al., 1993a). Zus¨atzlich erkennen einige MHV, die ein HE-Protein besitzen, Neu5,9Ac2. Diese zus¨atzliche Re-zeptordeterminante ist aber f¨ur die Virulenz zumindest in Zellkultur nicht notwendig (Gagneten et al., 1995).

Die Coronaviren BCoV, HEV und HCoV-OC43 nutzen Neu5,9Ac2 als Rezeptordetermi-nante (Vlasak et al., 1988b; Schultze et al., 1990, 1991a; Schultze und Herrler, 1992). Entsprechend besitzen sie mit ihrem HE-Protein ein rezeptorzerst¨orendes Enzym, die 9-O-Acetylesterase (Vlasak et al., 1988a;Schultze et al., 1991b).

2. Zielsetzung

Das ¨ubertragbare Gastroenteritis-Virus der Schweine (TGEV) ist ein typisch enteropatho-genes Coronavirus. Das S-Protein von TGEV besitzt zwei Bindungsaktivit¨aten. Die eine vermittelt die Bindung an den zellul¨aren Rezeptor, porzine Aminopeptidase N (pAPN), der f¨ur die Infektion in Zellkultur unerl¨asslich ist. Bei der zweiten Bindungsaktivit¨at handelt es sich um eine Sialins¨aure-bindende Aktivit¨at. Virusvarianten wie das porzine respiratorische Coronavirus (PRCoV) und bestimmte Mutanten besitzen die Bindungs-aktivit¨at an pAPN, binden jedoch nicht an Sialins¨auren. Diese Varianten und Mutanten k¨onnen Zellkulturen effizient infizieren, haben aber in vivo ihre Enteropathogenit¨at verlo-ren. Aus diesem Grund wird vermutet, dass die Sialins¨aurebindungsaktivit¨at eine wichtige Rolle f¨ur die Enteropathogenit¨at von TGEV spielt. Die Sialins¨aurebindungsstelle auf dem S-Protein von TGEV wurde bereits n¨aher charakterisiert. ¨Uber die Bindungspartner auf zellul¨arer Ebene — in Zellkultur und im Darmtrakt der Schweine — ist jedoch bisher noch nichts bekannt.

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, durch die Untersuchung der Interaktion von TGEV mit intestinalen Sialoglykokonjugaten wie Muzinen und Oberfl¨achenkomponenten von Darmepithelzellen, die Bedeutung der Sialins¨aurebindungsaktivit¨at f¨ur die Enteropatho-genit¨at von TGEV besser zu verstehen. TGEV eignet sich gut als Modell f¨ur die Unter-suchung molekularer Mechanismen, die zur virusbedingten Gastroenteritis f¨uhren, da es Mutanten und Varianten gibt, bei denen die Enteropathogenit¨at verloren gegangen ist.

Durch vergleichende Untersuchungen ist es so m¨oglich, die Faktoren, die f¨ur den Entero-tropismus des Virus von Bedeutung sind, zu erkennen und zu analysieren.

N¨ahere Informationen ¨uber die Bindungspartner, die TGEV ¨uber seine Sialins¨ aurebin-dungsaktivit¨at erkennen kann, sollten ¨uber drei Ans¨atze gewonnen werden:

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1. Der Vergleich von TGEV und E. coli F5 sollte Anhaltspunkte liefern, ob die beiden Krankheitserreger gleiche oder unterschiedliche Bindungspartner im Darm erken-nen. E. coli F5 wurde f¨ur den Vergleich ausgew¨ahlt, da dieses Bakterium Sialo-glykokonjugate des Darmtrakts zur Kolonisation nutzt, also wie TGEV ¨uber eine Sialins¨aurebindungsaktivit¨at verf¨ugt.

2. Die Untersuchung der Interaktion von TGEV mit Zellkulturzellen sollte kl¨aren, ob es neben pAPN noch andere Strukturen gibt, die ¨uber die Sialins¨ aurebindungsak-tivit¨at von TGEV erkannt und f¨ur die Bindung an Zellen genutzt werden k¨onnen.

Bei diesem Ansatz sollten die Mutanten HAD3 und m10, die nicht an Sialins¨auren binden k¨onnen, vergleichend eingesetzt werden. Die bei der Untersuchung der Zell-kulturzellen erarbeiteten Methoden sollten auf die weiterf¨uhrenden Untersuchungen mit Komponenten des D¨unndarms ¨ubertragen werden.

3. Intestinale Muzine und Oberfl¨achenstrukturen des Darmepithels sollten auf poten-tielle Bindungspartner f¨ur TGEV untersucht werden. Durch den Vergleich mit den Mutanten HAD3 und m10 sollten die Strukturen, die TGEV aufgrund seiner Sia-lins¨aurebindungsaktivit¨at erkennt, gefunden werden.

Mit diesen drei Ans¨atzen wurde im Rahmen dieser Arbeit die Bedeutung der Sialins¨ aure-bindenden Aktivit¨at f¨ur die Enteropathogenit¨at des Virus der ¨ubertragbaren Gastroente-ritis der Schweine n¨aher untersucht.

3. Material