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3. Empirie: Vermögensverteilungen in ausgewählten EU-Ländern

3.4. Die Vermögensverteilung in Frankreich

Kurzes Länderprofil

Frankreich (fünfgrößte Volkswirtschaft der Welt bzw. zweitgrößte Volkswirtschaft der EU) ist ein demokratischer zentralistischer Einheitsstaat und weist eine Fläche von 668.763 km2 auf.

Im Jahre 2014 betrug das BIP 2.134,5 Milliarden Euro. In Frankreich leben derzeit 63,95 Millionen Menschen (Stand 2014) (Statista, 2015).

Für Frankreich ist eine lückenlose Untersuchung der Vermögensverteilung seit dem Ende des 18. Jahrhunderts möglich. Die Voraussetzung dafür wurde mit der Einführung einer Schenkungs- und Erbschaftssteuer (1791) sowie der Einführung von Vermögensverzeichnissen geschaffen. Ziel dieser Reform waren nicht nur die daraus resultierenden Steuereinnahmen sondern auch sämtliche Vermögensübertragungen zu erfassen, um somit jedem die uneingeschränkte Ausübung seines Eigentumsrechts zu garantieren. Diese ergiebige Quelle, die in den letzten beiden Jahrhunderten von den Steuerbehörden selbst angelegt wurde und die Auswertungen von Steuererklärungen durch Piketty (2014), stellen diese historische Datenbasis dar (Piketty, 2014).

In Abbildung 11 wird die historische Entwicklung der Vermögenskonzentration in Frankreich von 1810 bis 2010 dargestellt und zeigt die Hauptergebnisse von Piketty (2014). Von 1914 bis 1945 gibt es keine erkennbaren Tendenzen zum Abbau der Ungleichheit der Vermögen.

Es lässt sich sogar ein leichter Drift zur Verstärkung erkennen, die über das ganze 19.

Jahrhundert hinweg andauert und ein leichter Anstieg der Ungleichheit zwischen 1880 und 1913. In Zahlen bedeutet dies, dass das oberste Dezil zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits über 80-85 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Im 20. Jahrhundert sind es schon fast 90 Prozent. Betrachtet man das oberste Perzentil in den Jahren 1900 bis 1920, lässt sich feststellen, dass dieser einen Anteil von 60 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Es herrschte also schon im 18. wie im 19. Jahrhundert und bis zum Ersten Weltkrieg eine extreme Vermögenskonzentration (die nach Piketty nicht nur Frankreich allein betrifft). Heute besitzt das oberste Dezil 60-65 Prozent des Gesamtvermögens (Piketty, 2014).

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Abbildung 11: Die Vermögensungleichheiten in Frankreich, 1810-2010 (Quelle: Piketty, 2014, S.453)

Wie in Abbildung 11 ersichtlich, waren die Vermögensungleichheiten bis zum Ersten Weltkrieg enorm, wuchsen immer mehr an, nahmen jedoch dann wieder ab und beginnen ab dem 21. Jahrhundert wieder zu wachsen. Die Konzentration der Vermögen (-Einkommen) hat sich von den Schocks der Jahre 1914 bis 1945 nie erholt. 1910 betrug der Anteil des obersten Dezils 90 Prozent des Gesamtvermögens und fiel zwischen 1950 bis 1970 auf 60-70 Prozent zurück. Betrachtet man das oberste Perzentil, war der Verlust noch größer: von 60 Prozent auf 20 bis 30 Prozent des Gesamtvermögens. Der Erste Weltkrieg stellte einen Bruch im Trend dar. Trotzdem ist die Vermögensungleichheit ab den 1980er Jahren wieder gewachsen. Durch die finanzielle Globalisierung wird es immer schwieriger die Verteilung der Vermögen im nationalen Kontext zu messen. Die Vermögensungleichheit wird im 21.

Jahrhundert mehr auf globaler Ebene betrachtet werden müssen. Historisch gesehen ist die Vermögensungleichheit heute deutlich geringer als sie es vor einem Jahrhundert war. Ein Grund dafür ist, dass es inzwischen eine vermögende Mittelschicht gibt (Piketty, 2014).

Nach Piketty (2014) und der Datenlage von 2010/2011 beläuft sich der Anteil der reichsten zehn Prozent am Gesamtvermögen auf 62 Prozent, jener der ärmsten 50 Prozent auf vier Prozent. Das durchschnittliche private Vermögen teilt sich in Immobilienbesitz sowie in Geld- und Betriebsvermögen (Piketty, 2014).

In Frankreich besaß das reichste Prozent im Jahr 2013 18 Prozent des gesamten Vermögens (Hans Böckler Stiftung, 2015 und HFCS, 2013).

38 Wie bereits erwähnt, entwickelte sich die Akkumulation von Vermögen unter anderem durch die Vererbung. Da für Frankreich eine bemerkenswerte Datenbasis vorhanden ist, ist es möglich, den Anteil des ererbten Vermögens am Gesamtvermögen von 1850 bis 2010 darzustellen (siehe Abbildung 12). Im 19. Jahrhundert lagen die ererbten Vermögen bei 80-90 Prozent des Gesamtvermögens, im 20. Jahrhundert ist dieser Anteil auf 40-50 Prozent gesunken. Allgemein steigt der Anteil der ererbten Vermögen am Gesamtvermögen seit den 1970er Jahren und könnte im 21. Jahrhundert wieder auf 80-90 Prozent steigen. In Frankreich macht das ererbte Kapital im Jahr 2010 etwa zwei Drittel des Privatkapitals aus (nur ein Drittel stammt aus Ersparnissen). Für die Zukunft bedeutet dies, dass der Anteil der ererbten Vermögen bis 2020 über 70 Prozent beträgt (Piketty, 2014).

Abbildung 12: Anteil der ererbten Vermögen am Gesamtvermögen in Frankreich, 1850-2010 (Quelle: Piketty, 2014, S.533)

3.4.1 Fazit für Großbritannien und Frankreich

Für Großbritannien und Frankreich ist es aufgrund zahlreicher Schätzungen des Nationalvermögens möglich in der wissenschaftlichen Betrachtung des Vermögens bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts zurückzugehen. Darüber hinaus stellen diese beiden Länder die wichtigsten Kolonial- und Finanzmächte im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20.

Jahrhunderts dar (Piketty, 2014). Nach der Auffassung Pikettys (2014) ist die Entwicklung der Vermögenskonzentration in Frankreich sowie in Großbritannien sehr ähnlich verlaufen.

Seit den 1970er Jahren hat die Ungleichheit wieder sprunghaft zugenommen, natürlich mit Abweichungen zwischen den einzelnen Ländern, aufgrund von institutionellen und

39 politischen Differenzen. Auch wird man durch Arbeit und Studium nicht den gleichen Wohlstand erreichen können wie durch Erbschaften und Vermögenseinkünfte. Aktien und Gesellschaftsanteile sind der Bestand der größten Vermögen, hingegen besteht wirklicher Reichtum aus Finanzaktiva und Betriebsvermögen (Piketty, 2014).

Um die Trends (der starke Abbau von Vermögensungleichheit aufgrund der Schocks zwischen 1914 und 1945 sowie die rückkehrende Ungleichheit) für die enorme Vermögenskonzentration in Großbritannien und Frankreich (aber auch allgemein für Europa) im 19. Jahrhundert sowie bis zum Ersten Weltkrieg zu erklären, gibt Piketty (2014) in seinem Buch (S. 466) folgende Tatsache an: es handelt sich um Wirtschaften, die sich durch schwaches Wachstum und eine Kapitalrendite auszeichnen, die deutlich und dauerhaft über der Wachstumsrate liegt. Im 18. und 19. Jahrhundert war die Welt von einem schwachen Wachstum geprägt (0,5-1 Prozent pro Jahr). Die Kapitalrendite lag bei 4-5 Prozent pro Jahr und war somit sehr viel höher als die Wachstumsrate. Für Piketty (2014) liegt genau darin der Kern der Ungleichheit. Denn konkret bedeutet dies, dass die in der Vergangenheit akkumulierten Vermögen noch schneller wachsen (zum Beispiel durch Sparen) als die Wirtschaft selbst (auch wenn kein Arbeitseinkommen vorhanden ist). Folglich werden auch die Vermögensungleichheiten tendenziell zunehmen (Piketty, 2014).

Auch in Frankreich zeigten sich diese Bedingungen (Abbildung 13). Hier lag von 1820 bis 1913 die Kapitalrendite (r) mit durchschnittlich fünf Prozent deutlich über der Wachstumsrate (g) die mit leichten Schwankungen bei circa einem Prozent pro Jahr lag (Piketty, 2014). Für detaillierte Information zur Kapitalrendite-Wachstumsrate-Beziehung siehe Piketty, 2014 und S.468 fortführend.

Abbildung 13: Kapitalrendite und Wachstum in Frankreich, 1820-1913 (Quelle: Piketty, 2014, S.467)

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