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2. Methodik: Verteilungsmaße

2.2. Der Gini Koeffizient veranschaulicht durch die Lorenzkurve

2.2.1. Die Lorenzkurve

Die Lorenzkurve dient zur grafischen Darstellung der (Un-) Gleichheit von Verteilungen. Je weiter außen sich die Lorenzkurve befindet, desto ungleicher ist die Verteilung (Krämer 2014/2015).

Bevor die Lorenzkurve visualisiert dargestellt werden kann, muss zunächst die Ausstattung, zum Beispiel von Vermögen, nicht absteigend geordnet werden, sodass y1 ≤……≤ yn. Auf der Abszisse (x-Achse) des Diagramms wird die relative kumulierte Häufigkeit (z. B.

Vermögen, aber in den meisten Fällen der Einkommensbezieher) dargestellt,

𝐹𝑖= 𝑖

𝑛 (2), kumulierte Häufigkeit der Einkommensbezieher)

wobei i den Index des jeweiligen (Vermögens)- oder Einkommensbeziehers und n die Gesamtzahl der Individuen bezeichnet. Auf der Ordinate (y-Achse) sind die dazugehörigen kumulierten Anteile am gesamten Vermögen oder Einkommen aufgetragen (Lüthi 1981).

Diese lassen sich nach Bleymüller et al. (2002) durch Gleichung 3 berechnen:

𝐿𝑖= 𝑦𝑗

𝑖𝑗 =1

𝑦𝑗

𝑛𝑗 =1

(3)

Die Strecke, die diese Wertepaare verbindet, wird als Lorenzkurve bezeichnet, (siehe Abbildung 3). Hier stellt die diagonale Linie (Equality Diagonal) perfekte Gleichheit dar.

Anhand der Lorenzkurve lässt sich ableiten, wie viel Prozent des Gesamtvermögens oder Gesamteinkommens (Ordinate) sich auf welchen Anteil der Bevölkerung (Abszisse) verteilt.

Die Lorenzkurve muss stets durch die Punkte (0,0) und (1,1) führen, da Null Prozent der Bevölkerung Null Prozent des Vermögens oder Einkommens erhalten, und sich das gesamte Vermögen oder Einkommen auf die ganze Bevölkerung aufteilt. Weiters wird ersichtlich, dass im Falle der Gleichheit der Bevölkerungsanteil dem Anteil des Vermögens oder Einkommens entsprechen muss, um somit die Lorenzkurve durch eine Winkelhalbierende (45° Linie) darzustellen (Lüthi, 1981). Da das Vermögen oder Einkommen nicht absteigend

19 geordnet ist, das heißt, sich die Individuen umso weiter links befinden, je weniger Vermögen oder Einkommen sie besitzen, sind nach Mosler und Schmid (2006) folgende Eigenschaften der Lorenzkurve essentiell: Die Lorenzkurve muss monoton steigend sein. Außerdem muss sich daraus ergebend die Lorenzkurve unterhalb der Winkelhalbierenden befinden (um zu vermeiden, dass in der Lorenzkurve die ärmsten zehn Prozent über 40 Prozent des Vermögens oder Einkommens verfügen). Daraus ergibt sich die Voraussetzung, dass die Lorenzkurve umso weiter von der Winkelhalbierenden entfernt sein muss, je größer die Ungleichheit innerhalb der Verteilung ist (Bleymüller et al. 2002). Somit könnte man meinen, dass die Fläche zwischen der Winkelhalbierenden und der Lorenzkurve als Maß für die Ungleichheit sinnvoll erscheint (Bleymüller et al. 2002).

Dadurch kann sich der Gini Koeffizient motivieren, der sich im Gegensatz zur Lorenzkurve durch eine einzige Maßzahl ausdrücken lässt und dem Verhältnis des grauen Bereiches (zwischen Lorenzkurve und Winkelhalbierenden) zur Dreiecksfläche unterhalb der Winkelhalbierenden entspricht (siehe Abbildung 3). Somit ergibt sich, wenn als A die Fläche unterhalb der Winkelhalbierenden und als B (siehe Gleichung 4) der Bereich unterhalb der Lorenzkurve bezeichnet wird, für Lüthi (1981) folgende analytische Darstellung des Gini Koeffizienten:

Nach Mosler und Schmid (2006) hat der Gini Koeffizient folgende Eigenschaften:

1) Der Gini Koeffizient ist Null, wenn Gleichheit zwischen den Individuen herrscht. In diesem Fall entspricht die Lorenzkurve der Winkelhalbierenden, sodass der Zähler des Verhältnisses, das durch den Gini Koeffizienten beschrieben wird, Null wird.

2) Der Gini Koeffizient ist 𝟏 −𝟏

𝐧, wenn komplette Ungleichheit unter den Individuen herrscht. Bei vollkommener Ungleichheit verfügt ein Individuum über das gesamte Vermögen bzw. Einkommen.

20 3) Der Gini Koeffizient liegt zwischen Null und Eins.

Abbildung 3: Der Gini Koeffizient veranschaulicht durch die Lorenzkurve (Quelle: Hale, o.J., S.8)

Abbildung 4 zeigt vier Beispiele mit unterschiedlichen Flächengrößen. Die mit Rosa ausgefüllte Fläche kennzeichnet die verschiedenen Verteilungen der jeweiligen Bezugsgröße (hier Einkommen) und soll zum besseren Verständnis dienen, welche Formen die Lorenzkurve annehmen kann. Die Grafik d zeigt die Lorenzkurve als gerade diagonale Linie (auch bezeichnet als die Linie der Gleichheit – Equality Diagonal). Dies bedeutet, dass alle Menschen die gleiche Größe (von Vermögen oder Einkommen) haben. Wenn es eine Ungleichheit gibt, wie im Falle b, fällt die Lorenzkurve unter die Linie der Gleichheit.

Abbildung 4: Lorenzkurven für unterschiedliche Verteilungen (Quelle: Crashkurs Statistik, 2014)

21 Laut Faik (2007, S.105), lässt sich der Zusammenhang des Gini Koeffizienten und der Lorenzkurve wie folgt definieren:

„Der Gini Koeffizient reflektiert im Lorenzkurven-Zusammenhang das Verhältnis aus der Fläche zwischen der Gleichverteilungsdiagonale und der Lorenzkurve einerseits sowie der

Gesamtfläche unterhalb der Gleichverteilungsdiagonalen andererseits“.

In der folgenden Tabelle 1 werden die aktuellen Gini Werte, Stand 2011 (im Bezug zu Einkommen) der ausgewählten EU-Länder Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Österreich dargestellt (OECD, 2015a). Weiters werden die Gini Koeffizienten, Stand 2012 (im Bezug zur Vermögensungleichheit) dargestellt (DIW Berlin, 2014).

Tabelle 1: Gini Werte der ausgewählten EU-Länder, Indikator: Einkommen (Quelle: eigene Darstellung, OECD 2015a; DIW Berlin, 2014)

Wie aus der Tabelle 1 ersichtlich ist, liegt der Gini Koeffizient (im Bezug zu Einkommen) der ausgewählten EU Länder im Bereich von 0.28 bis 0.34. Österreich weist im Vergleich zu den anderen drei Ländern die gleichste oder am wenigsten ungleiche Verteilung auf. In Großbritannien ist die Verteilung, im Vergleich zu den anderen drei EU-Ländern, am ungleichsten. Betrachtet man die Gini Werte im Bezug zur Vermögensungleichheit, wird deutlich, dass die Ungleichheit in der Vermögensverteilung höher ausfällt, als zur Einkommensverteilung.

Nachdem die aktuellen Gini Werte gezeigt wurden, werden im Anschluss die dazugehörigen Lorenzkurven, hier für Österreich (Abbildung 5) und Deutschland (Abbildung 6), abgebildet.

Im Anschluss werden Argumente für und gegen den Gini Koeffizienten artikuliert, um eine reflexive Auseinandersetzung mit dem Maß zu gewährleisten.

Wie aus Abbildung 5 ersichtlich ist, besitzen die obersten zehn Prozent der Bevölkerung knapp 61 Prozent des gesamten Vermögens in Österreich. Die unteren 80 Prozent besitzen im Gegenzug „nur“ 23 Prozent des Vermögens.

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Abbildung 5: Lorenzkurve Österreich, basierend auf den HFCS Daten (Quelle: Eckerstorfer et al. 2013b, S.10)

Abbildung 6: Lorenzkurve Deutschland (Quelle: Krämer, WS2014/2015)

Die Lorenzkurve für Deutschland zeigt, dass die Ungleichheit zugenommen hat (blaue Linie).

23 2.2.2. Vor- und Nachteile des Gini Koeffizienten

Der Gini Koeffizient stellt als Maß gleich mehrere Informationen bereit. Er ist wahrscheinlich das bekannteste und allgemein meist verwendete Maß in der ökonomischen Literatur zum Thema Gleich- bzw. Ungleichheit. Er ermöglicht den direkten Vergleich zweier Populationen, unabhängig von deren Größe. Mit anderen Worten: Der Gini Koeffizient ermöglicht den direkten Vergleich von Gleich- bzw. Ungleichheiten in einem Land (aber auch in einem Klassenzimmer). Auch wenn die eigentliche formelle Berechnung des Gini Koeffizienten anfangs etwas komplex erscheint, ist die visuelle Beschreibung elegant und leicht zu verstehen. Jedoch leidet der Gini Koeffizient unter dem Mangel einer „echten Null“ und der Notwendigkeit für einen Kontext. Während eine Verteilungspolitik, in der angenommen, jede Person unter der Armutsgrenze 1000 Dollar bekommt, echte Implikationen zeigt, sind die Auswirkungen einer fünf-prozentigen Reduktion des Gini Koeffizient viel unklarer (Hale, o.J.).

Haughton und Khandker (2009) kritisieren am Gini Koeffizienten, dass er nicht leicht zerlegbar ist, um detailliertere Ursachen der beschriebenen Ungleichheit aufzuzeigen. Daher ist der Gini Koeffizient für die beiden Autoren nicht ganz zufriedenstellend. Um diese Unzufriedenheit zu argumentieren, nennen Haughton und Khandker (2009) Kriterien, die ein gutes Maß für die Darstellung von Ungleichheiten erfüllen sollte:

 Mean Independence: Wenn alle Einkommen verdoppelt werden würden, würde sich das Ungleichheitsmaß nicht ändern. Der Gini Koeffizient würde sich allerdings ändern.

Laut Blümle (1975) ist dieses Kriterium ein weiterer Nachteil des Gini Koeffizienten, da er nicht auf proportionale Änderungen reagiert, sondern nur auf prozentualen Anteilen aufbaut.

 Population size independence: Wenn sich die Population ändert und sonst alles gleich bleiben würde, sollte sich das Maß der Ungleichheit nicht ändern. Der Gini Koeffizient würde sich auch hier ändern (Haughton und Khandker, 2009).

 Symmetry: Wenn Individuen ihr Einkommen tauschen, sollte es keine Veränderung im Maß geben. Der Gini Koeffizient würde sich hier allerdings, ebenso wie bei den beiden oben genannten Punkten, ändern (Haughton und Khandker, 2009).

Der Gini Koeffizient bleibt eine Zahl und hängt davon ab, welche Bezugsgrößen miteinberechnet werden bzw. wie die Interpretation erfolgt. Die Interpretation einzelner Gini

24 Koeffizienten erweist sich meist als schwierig, da es keine klar definierten Regeln gibt, ab welchem Wert eine Verteilung konzentriert oder unfair ist. Sinnvoller ist die Auflistung mehrere Gini Werte von Ländern, um diese dann zu vergleichen.

Laut Bohnet (1999) hat sich der Gini Koeffizient als aussagefähige Kennziffer zur Beschreibung der relativen Gleich- bzw. Ungleichverteilung bewährt. Ermöglich wird unter anderem, eine Aussage darüber zu treffen, ob sich eine empirisch ermittelte Verteilung der gewünschten angenähert, oder von ihr entfernt hat (Bohnet, 1999).

Der Gini Koeffizient ist ein statistisches Maß zur Berechnung der Ungleichheitsverteilung und drückt sich in einem Wert zwischen Null und Eins aus. Dies kann unter anderem zu Fehlinterpretationen führen, wenn keine sachgemäße Veranschaulichung vorliegt.

Beispielsweise kann es passieren, dass verschiedene Lorenzkurven den gleichen Gini Wert aufweisen. Verteilungsmaße wie der Gini- Koeffizient entstehen aus aggregierten Daten und versuchen die Komplexität in einem Sachverhalt zu reduzieren. Der damit verbundene Informationsverlust kann somit zu Fehlinterpretationen führen.

2.3. Das Maß von Atkinson

Schon 1970 schrieb Atkinson über die Messung von Ungleichheiten. Allgemein versuchte er in seiner Publikation (On the Measurement of Inequality, 1970), die Probleme der Messung von Ungleichheiten in der Vermögens- bzw. Einkommensverteilung zu untersuchen und kam zu dem Fazit, dass die meisten Verteilungsmaße unzureichend sind. Laut Atkinson (1970) liegt das Hauptproblem im Vergleich von zwei Häufigkeitsverteilungen eines Attributes (z. B.

Einkommen). In nahezu allen empirischen Arbeiten ist der herkömmliche Ansatz die Verwendung von Verteilungsmaßen (z. B. der Gini Koeffizient) ohne expliziten Grund für die Bevorzugung des gewählten Maßes. Dalton (1920) legte das Konzept der sozialen Wohlfahrtsfunktion vor. Auf dieser Wohlfahrtsfunktion beruht das Atkinson Maß. Atkinson (1970) konzentrierte sich vor allem auf die Annahmen und auf die Form der Funktion, die für die Wahl des Maßes implizit ist.

Mit dem Atkinson Maß (1970) werden einige Ungleichverteilungsmaße (Klassen) bezeichnet, mit denen unter anderem die Vermögensungleichheiten in einer Gesellschaft berechnet werden können. Jedem Atkinson-Maß liegt eine konkave Nutzenfunktion zugrunde. Von dieser zugrunde gelegten Nutzenfunktion kann bestimmt werden, wie stark das Atkinson-Maß auf Ungleichheiten reagiert. Üblicherweise wird ein (Gewichtungs-)Parameter ε (Epsilon, dieser misst die Aversion gegen die Ungleichheit) festgelegt, und gibt an wie groß

25 der Wohlfahrtsunterschied eines zusätzlichen Euros zwischen einem Individuum mit einem hohem und einem niedrigen Vermögen ist. Je größer Epsilon ist, desto stärker reagiert das Atkinson-Maß auf Ungleichheit. ε=0 bedeutet, dass die Verteilung der Vermögen gesellschaftlich unerheblich ist. In seinem Paper definiert Atkinson das Atkinson Maß wie folgt (Atkinson, 1970; S.251). invariant gegenüber relativen Transformationen ist, definiert als:

𝐴𝜀 = 1 −𝑦𝜀

𝑦 , (7)

wobei ye das „äquivalente Einkommen bei Gleichverteilung“ darstellt. Ye entspricht demjenigen Einkommen, das bei der Gleichverteilung der Einkommen genau das Wohlfahrtsniveau generiert, das gegenwärtig herrscht. Geht man von einer sozialen Wohlfahrtsfunktion mit konstanter Elastizität (siehe Gleichung 6) aus, stellt ye eine von Epsilon abhängige Größe dar. Findet ein Transfer zwischen Personen statt, die sich sehr in ihrem Einkommen unterscheiden, kann es aufgrund der Tatsache, dass der soziale Grenznutzen der vergleichsweise schlechter gestellten Person größer ist, durchaus der Wohlfahrtstellung gerecht werden. Das heißt, dass die Wohlfahrt bleibt, wenn dem schlechter gestellten Transferempfänger weniger gegeben wird, als dem besser gestellten weggenommen wird. Je höher der Parameter Epsilon gewählt wird, desto mehr muss dem besser gestellten weggenommen werden, wenn man dem schlechter gestellten eine Einheit zukommen lässt und die Wohlfahrt unverändert bleiben soll. Daraus ergibt sich, dass Epsilon auch oft als „Abneigung gegenüber relativer Ungleichheit“ bezeichnet wird (Lüthi, 1981).

𝑈(𝑦𝑖) =1−𝜀1 𝑦𝑖1−𝜀 (8)

26 Epsilon charakterisiert hier die Reaktionen auf einen Transfer, welcher von einer Person zu einer vergleichsweise schlechter ausgestatteten Person vorgenommen wird (Lüthi, 1981).

Nach Breyer und Buchholz (2009) gibt es für Epsilon keinen objektiven Wert. Trotzdem wurde es für die Wissenschaft möglich, flexible funktionale Formen zu entwickeln, die in der Lage sind, verschiedene Zielsetzungen zu berücksichtigen. Darin liegt der herausragende Beitrag von Atkinson zur Messung von Ungleichheit (Breyer und Buchholz, 2009).

Nachdem nun zwei gebräuchliche Verteilungsmaße vorgestellt und diskutiert wurden, beschäftigt sich das nächste Kapitel (drei) mit der historischen und aktuellen Vermögensverteilung in den ausgewählten EU-Ländern.

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3. Empirie: Vermögensverteilungen in ausgewählten EU-Ländern

Im vorliegenden Kapitel drei wird die Vermögensverteilung anhand von vier ausgewählten EU-Ländern (Großbritannien – Abschnitt 3.3, Frankreich – Abschnitt 3.4, Deutschland -Abschnitt 3.5 und Österreich – Abschnitt 3.6) vorgestellt. Somit wird eine internationale Vergleichbarkeit der Daten möglich.

Die historischen Hintergründe der Vermögensverteilung, die vor allem durch Piketty (2014), speziell für Großbritannien und Frankreich seit dem 18. Jahrhundert bis zum Jahre 2010 verfügbar sind sowie die derzeitige vorhandene Datenlage (Zeitrahmen 2009 bis 2015) für die vier gewählten Länder, werden erläutert.

Die weiteren Daten stützen sich auf empirische Analysen und Dokumentationen (siehe Messverfahren und Datenbasis) und sollen dem Leser einen Überblick über die derzeitige Vermögensverteilung in den vier Ländern geben. Bevor mit der Betrachtung der einzelnen EU-Länder begonnen werden kann, werden die essentiellen Begriffe bzw. Größenordnungen im Bezug auf die Vermögensverteilung definiert sowie die gegenwärtigen Institutionen bzw.

Einrichtungen, die sich mit der Verteilungsfrage der Vermögen beschäftigen, vorgestellt.

3.1. Begriffe und Größenordnungen

Vermögen wird hier auf Basis der Literatur von vier Sichtweisen betrachtet: Das Bruttovermögen bezeichnet das Vermögen (Sach- und Finanzvermögen) einschließlich der Schulden, das Nettovermögen bezeichnet das Bruttovermögen abzüglich der Schulden, das Privatvermögen beschreibt das für private Zwecke dienende Vermögen. Unter dem Begriff Gesamtvermögen wird die Summe aller Vermögenspositionen verstanden, die errechnet wird (vgl. Wirtschaftslexikon Gabler, 2015).

In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl von Größenordnungen etabliert, die versuchen, die Bevölkerung in Bezug auf ihre Vermögen darzustellen. Natürlich sind diese Begriffe allgemeiner Natur und diskussionswürdig (Piketty, 2014). Die gängigsten Formulierungen werden im Anschluss an Piketty (2014) erläutert.

die reichsten 10 Prozent (die Oberschicht, (Top 10 % wealth share)),

 davon: die reichsten 1 Prozent (die herrschende Schicht, (Top 1 % wealth share )),

 davon: die folgenden 9 Prozent (die wohlhabende Schicht),

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die 40 Prozent der Mitte (die Mittelschicht (hier ist zu betonen, dass die Mittelschicht laut Piketty (2014) keine vermögende Personengruppe darstellt3) und,

die ärmsten 50 Prozent (die Unterschicht)

Dennoch stützen sich die meisten Analysen auf statistische Begriffe wie den des Dezils (gleichzusetzen mit: die obersten zehn Prozent, die mittleren 40 Prozent, die unteren 50 Prozent) oder den des Perzentils (Hundertstelwerte), da ihre Einsetzbarkeiten sehr vielfältig sind und sie aussagekräftige Indikatoren darstellen, um die Ungleichheiten in Gesellschaften einzuschätzen (z. B. um die Zahl der Personen zu nennen, die sehr hohe Vermögen aufweisen) (Piketty, 2014).

Dezile werden beispielsweise verwendet, um die weit stärkere Konzentration der Nettovermögen pro Kopf zu verdeutlichen. Es ist hilfreich, wenn man die Personen nach der Höhe ihres Nettovermögens aufreiht, um somit die Anteile von Zehnteln der Bevölkerung ermitteln zu können. Man nennt dies eine Dezilsverteilung. Bei einer Gleichverteilung der Vermögen würde jedes Zehntel der Bevölkerung auch ein Zehntel der Nettovermögen pro Kopf besitzen. Die Abweichungen hiervon visualisieren die Ungleichheit (Hauser und Krämer, 2012).

Weitere Darstellungen von Vermögensverteilungen gelingen durch Vermögensklassen;

hierbei wird die Bevölkerung in Vermögenskategorien/Gruppen (z. B. Untere Hälfte, Obere Mitte, Vermögende und die Top fünf Prozent) eingeordnet (siehe Abbildung 18) (Eckerstorfer et al. a, b; Andreasch et al. 2012).

3.2. Messverfahren und Datenbasis

Aufgrund der fehlenden bzw. erst kürzlich publizierten Daten zur Vermögensverteilung ist es (noch) nicht möglich, ein fundiertes Gesamtbild über die Vermögensverteilung zu kreieren.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Forschung. Durch das steigende Interesse der Öffentlichkeit, der Politik sowie von Forschungseinrichtungen gibt es großes Potential, den Wissensstand der Vermögensverteilung auszubauen. Beispielsweise sind Steuerbelege und Vermögensverzeichnisse, je nach betrachtetem Land, länger oder kurzfristiger vorhanden.

Historische und wirtschaftspolitische Prozesse geschehen differenziert und führen ebenfalls zu Unterschieden in der Verteilung von Vermögen. Als problematisch stellt sich auch die

3 Nach Selbsteinschätzungen, zählt sich die Mittelschicht oft zu den vermögenderen Personen bzw. Haushalten.

29 Erfassung der hohen Vermögen heraus. Nicht immer kann vollständige Information, Richtigkeit und Transparenz bei Erhebungen gewährleistet werden.

Durch die Verbesserung computergestützter Auswertungsmethoden sowie allgemein durch die steigende Verfügbarkeit von Erhebungsdaten, lassen sich die Ungleichheiten in der Verteilung von Vermögen zusehends besser erfassen (Eckerstorfer et al. 2013a). Im Folgenden werden Institutionen bzw. Einrichtungen, die sich mit der Verteilung von Vermögen befassen, kurz vorgestellt. Auf die Ergebnisse ihrer Forschungen wird in Kapitel drei zurückgegriffen.

3.2.1. Der Household Finance and Consumption Survey 2013

Der Household Finance and Consumption Survey (HFCS Report) der europäischen Zentralbank (EZB) stellt die erste umfassende Erhebung zu Vermögen privater Haushalte in 15 EU-Ländern (mit Ausnahme von Irland und Estland), darunter auch Österreich, Frankreich und Deutschland, dar und erlaubt damit einen bislang nicht möglichen Einblick in die Vermögenssituation der Privathaushalte. Somit ermöglicht der HFCS Report erstmalig eine genaue Analyse der Vermögensbestände (Sachvermögen, Finanzvermögen, Verbindlichkeiten und Ausgaben privater Haushalte) bzw. der Vermögensverteilung im Euroraum (Eckerstorfer et al.; 2013a).

Der HFCS Report ist ein gemeinsames Datenerhebungs- und Forschungsprojekt der EZB und der nationalen Notenbanken der Eurozone. Der HFCS Report wurde im Zeitraum von 2008 bis Mitte 2011 durchgeführt und liegt seit April 2013 vor (Andreasch et al. 2013). Vor allem die prinzipielle Vergleichbarkeit der Daten lässt wertvolle Vergleiche zwischen den EU-Ländern zu (Eckerstorfer et al. 2013a). Das Hauptziel des HFCS ist es, Informationen zur Struktur der Vermögensbestandteile und Verbindlichkeiten der Haushalte zu erlangen (ÖNB, 2015).

Dennoch muss erwähnt werden, dass trotz der weitgehenden Harmonisierung der Daten einige Unterschiede aufgrund nationaler Besonderheiten zu berücksichtigen sind.

Insbesondere spielen historische, institutionelle und methodische Unterschiede der verschiedenen Länder eine wichtige Rolle (Andreasch et al. 2013). Hinzu kommt, dass die Befragungen auf freiwilliger Ebene erfolgten und somit die Gefahr von Informationsdefiziten entstehen können bzw. auch realistisch sind, sodass beispielsweise die Oberschicht (auch als oberer Rand bezeichnet) und die Verteilung von Finanzvermögen nur unzureichend abgedeckt werden können (Andreasch et al. 2012).

30 Durch den HFCS Report gibt es, wie bereits erwähnt, erstmalig Daten zur Vermögensverteilung. Dies zeigt, dass das Thema Vermögensverteilung wissenschaftlich und wirtschaftspolitisch bisher kaum von Bedeutung war. Auch die Debatte um Steuern (siehe Kapitel vier) interagiert mit dem Thema der ungleichen Vermögensverteilung. Weiters lässt sich vermuten, dass die Bevölkerung nur wenig über die tatsächliche Verteilung von Vermögen weiß (für mehr Informationen dazu siehe Andreasch et al. 2012.).

Wie bereits bei der Begriffsdefinition festgehalten wurde, wird Vermögen aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet. Abbildung 7 zeigt die Vermögensbilanz der privaten Haushalte nach dem HFCS Report. Das Sachvermögen setzt sich unter anderem aus Immobilien, Fahrzeugen und Wertgegenständen zusammen. Das Finanzvermögen beinhaltet unter anderem Sparbücher, Lebensversicherungen und Wertpapiere.

Abbildung 7: Vermögensbilanz der privaten Haushalte nach dem HFCS Report (Quelle: Andreasch et al. 2012, S.255)

31 3.2.2. Der D.A.CH Vermögensreport

Die Valluga AG betreibt internationale Vermögensforschung, welche sich insbesondere den Millionären und deren Vermögen widmet. Basierend auf der Forschung wird jährlich4 der sogenannte D.A.CH Vermögensreport erstellt (Valluga AG, 2015). Der D.A.CH Report (D für Deutschland, A für Austria und CH für Schweiz) erforscht die Anzahl und das Vermögen der Millionäre in den oben genannten Ländern, wobei für die vorliegende Arbeit nur Österreich und Deutschland relevant und von Interesse sind. Ein Millionär im Sinne des Reports weist ein Finanzvermögen von mindestens einer Million Euro auf (ohne eigengenutzte Immobilien).

Die statistische Auswertung erfolgt unter anderem durch folgende Inhalte: Vermögen als reines Finanzvermögen, Investmentverhalten der Millionäre und modifizierte Lorenzkurven-Modelle (hierbei werden die Gini Koeffizienten für die Einkommensverteilungen der jeweiligen Länder herangezogen), die die Vermögensverteilung der Bevölkerung berechnen (Valluga D.A.CH-Vermögensreport 2011).

3.2.3. Das Sozio-ökonomische Panel

Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative, jährlich wiederholte Befragung (seit 1985), die im Auftrag des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin stattfindet. Hierbei werden in Deutschland etwa 30.000 Personen unter anderem über ihre Vermögensbestände befragt (DIW Berlin, 2015a).

3.2.4. Thomas Piketty und Das Kapital im 21. Jahrhundert

Thomas Piketty (2014) schuf mit seinem Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ eine herausragende historische Datenbasis zur Vermögensverteilung. In der vorliegenden Arbeit wird auf die Daten zu Großbritannien und Frankreich zurückgegriffen. Er untersuchte die Veränderungen der Vermögensverteilungen seit dem 18. Jahrhundert.

Bevor mit der Darlegung der einzelnen EU-Länder begonnen wird, soll darauf hingewiesen werden, dass mit anhaltender hoher Vermögensungleichheit auch weitere Ungleichheiten entstehen können. Dies zeigt sich dadurch, dass dem individuellen Vermögen laut Hauser (2007) eine Vielzahl an Funktionen zukommen. Dadurch lässt sich auch das ökonomische

Bevor mit der Darlegung der einzelnen EU-Länder begonnen wird, soll darauf hingewiesen werden, dass mit anhaltender hoher Vermögensungleichheit auch weitere Ungleichheiten entstehen können. Dies zeigt sich dadurch, dass dem individuellen Vermögen laut Hauser (2007) eine Vielzahl an Funktionen zukommen. Dadurch lässt sich auch das ökonomische