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Verbmodus und Satzmodus Imperativ im Russischen

51Zum Subjekt von Imperativen

4. Verbmodus und Satzmodus Imperativ im Russischen

4.1 Betrachten wir hingegen die Umgebungen, in denen imperativische Verben erschei- nen, so ergibt sich ein anderes Bild - wie oben angeführt war die Behauptung von Plat- zack/Rosengren, das Imperativmerkmal sei ein Satztyp-Kennzeichen, kein Verbmodus, es bestehe also ein 1:1 Verhältnis von Satztyp Imp und Verbform Imp. Interessanterwei- se scheint dies für die problematischeren Fälle der inklusiven Formen durchaus

zuzu-Zum Subjekt von Imperativen 55

16 Eine Behauptung, die er im übrigen sofort wieder verdunkelt, indem er kurz darauf eine Tabelle überschreibt als ״ Bildung der 1. (!) Pers.Imperai.“ und nicht in einer Form wie etwa 2 ״.Pers.Inkl.

Imperai.“ - Die Form 2.Pers.Inkl.Imp. напишемте hat noch eine weitere Bedeutung, nämlich die der höflichen Aufforderung an eine Person, die hier ausser Betracht bleiben soll.

17 Während in der rassistischen Tradition es durchaus selbstverständlich zu sein scheint, auch mit der Bildung von analytischen Imperativformen zu rechnen, worauf hier noch nicht eingegangen wur- de, so scheint dies in der germanistischen Tradition nicht anzutreffen zu sein. Die Imperativ- formen des Deutschen scheinen von der großen Mehrheit der Grammatiker (oder vielleicht allen) ausschliesslich als synthetische Formen gesehen zu werden, eine 2.Ps.Inkl.Imp. mit der Form laß (t) uns+ Inf scheint, soweit ich dies überblicke, niemand in Betracht zu ziehen - ausser eben Isačenko, der die Formen laß uns lesen!, let us read! ausdrücklich als analytische Imperativfor- men betrachtet (306, Anm.).

18 vgl. oben Anmerkung 12

treffen19, die ״ normalste“ Imperativform der 2.Ps.Sg. erscheint dagegen in einer Viel- zahl syntaktischer Umgebungen. Bei Isačenko (312-8) findet sich folgende, in Auszü- gen wiedergegebene Liste (die Erläuterungen sind z.T. heutigem Sprachgebrauch und

56 Horst Díppong

c) sehr produktiv das Imperativverb in ansonsten regulären Deklarativsät- zen mit expressiver (״ solP'-moda- 1er) Färbung:

vgl. auch mit arbiträrem Agens:

Все уш ли на прогулку, а см- dw2.Sg.Imp. дома! - Alle sind spazieren gegangen und ich soll zu Hause sitzen

70"l3.Sg.M asc. CKO*M2.Sg.Imp. лю бви _Und erschien mir doch im Traum in jener Nacht meine selige Mutter.

19 Ein interessanter Fall, wie trotz prinzipiellem Subjektsverbot der Ko-Agens oder die Agentes den- noch im Satz expliziert werden können, findet sich in Dialekten des Russischen:

Паедем в Рязань со м ной, я тебе нпределю адной учительнице. (Šapiro 1953, 135)

Das (Ко-) Agens erscheint in einer Präpositionalphrase (mit mir), nicht im Nominativ, was durch- aus als Evidenz fiir die Behauptung, die Agens-Konstituente dürfe nicht im Nominativ/aJs Subjekt erscheinen, gewertet werden kann.

20 Die ersten beiden Typen werden nach Auskunft Isačenko immer seltener, was noch mehr gilt für den hier gar nicht mehr aufgenommen Fall von Exklamativen des Typs сохрани бог!, не да14 богf, die entweder aussterben, oder wie спасибо (<cnacu бог!) zu Schaltwörtern werden.

21 Die Behauptung, Imperative könnten nicht eingebettet werden, ist für das Russische selbst in ka- nonischen Fällen bisweilen problematisch: Смотри, не упади! enthält zwei echte Imperative, wobei der zweite aber dem ersten logisch-semantisch untergeordnet ist: Pass auf (und) falle nicht!.

56456 innerhalb des Modalsystems immer zunächst mit dem Konjunktiv in Verbindung ge- bracht wird. Es handelt sich hierbei um Wunschsätze des Typs: ״ П ровались2.Sg.lmp.

бы 0HM3.Nom.Pl.e т арт ары !“ - Würden sie doch in die Tartarei verschwinden!

Es soll natürlich nicht behauptet werden, daß es sich hierbei um Imperative im ei- gentlichen Sinne handelt, es handelt sich um Vertreter für Optative, Indikative und an- deres mehr. Entscheidend ist, daß es sich immer um das Verb in der Imperativ/orm han- delt, ohne agglutinierende Elemente vom Reflexiv -сь abgesehen. Wenn das imperativi- sehe Verb tatsächlich immer ״ a specific imperative feature (a sentence type feature)“

(Platzack/Rosengren 1994, 28, FN) besitzt, das bewirkt, daß Sätze mit imperativischen Verben Imperativsätze sind, so können die oben angeführten Formen keine Imperativ- formen sein. Was aber sollten sie dann sein? Mal Optativ, mal Konjunktiv, mal modali- sierter Indikativ, mal gar Konditional? Dies ist alles wenig attraktiv, bleiben wir bei den Imperativformen als Imperativ formen. Zweifelsohne ist korrekt, daß es sich nicht um die Grundbedeutung, die diesen Formen zukommen, handelt, sondern um Fälle von grammatischer Transposition. Als die relevanten Faktoren, die die Transposition auslö- sen, nennt Isačenko die Veränderung in der Anredesituation, Sprecher oder Angespro- chener oder beide können ״ ausgeschaltet werden, was notwendigerweise zu Bedeu- tungsverschiebungen der Imperativform führt“ (311). In traditionellerer oder klassisch- strukturalistischer Grammatikschreibung ist dies nichts weiter besonderes. Wie aber soll vermerkt werden, daß das imperativische Verb in seiner imperativischen Grundbedeu- tung das Satztyp-Merkmal Imperativ trägt, das gleiche imperativische Verb in seinen transponierten Nebenbedeutungen aber ohne Satztyp-Merkmal in die Struktur einzuset- zen ist?

Das Russische hat nicht nur das Tempus-System weitgehend ״ eingedampft“ , auch das Modussystem reduziert sich weitgehend. Je nachdem, wie wir die Partikel бы wer- ten, können wir auch in Zweifel ziehen, ob das Russische überhaupt den morphologi- sehen Verbmodus Konjunktiv besitzt und letzterer nicht vielmehr über den Satztyp, also syntaktisch zu bestimmen wäre. Angesichts dieser Situation erscheint es wie ein Luxus, wenn der zweite morphologisch gekennzeichnete Verbmodus auch noch ausschliesslich für einen Satztyp Imperativsatz mit einem Satzmodus Imperativ/Direktiv reserviert wä- re. Es scheint nur naheliegend, daß die Sprache resp. deren Träger sich dieser Formen

was nichtambig mit Sieh zu, daß Du nicht fällst! wiederzugeben ist. Damit ist auch angedeutet, daß es sich nicht um eine Instanz des oben angeführten deutschen Beispiels handelt, das tatsächlich eine Nebenordnung und nicht eine (verkappte) Unterordnung darstellt: *Sei so nett, daß Du m ir hilfst.

bedienen, um auch andere Arten von Wirklichkeitsverarbeitung sprachlich zu verarbei- ten. Und genau dies scheint das Russische zu tun.

4.2 Der letztgenannte Luxus wäre vielleicht dann nachzuvollziehen, wenn denn der morphologische Verbmodus mit seinem notwendigen Satztyp samt asssoziiertem Satz- modus die einzige Möglichkeit darstellte, diesen Satzmodus zu realisieren. In bezug auf den imperativischen/direktiven Satzmodus kann hiervon für das Russische aber nicht die Rede sein, vielmehr verfügt das Russische über ein Vielzahl von Imperativiä/zeH, die ohne ein im perativisches Verb auskommen. Der Kürze halber sei nur an die

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Aufzählung Galkina-Fedoruks (1957, 123ff.) erinnert:

la) V e r b iß mit und ohne ״ Subjekt“ Ты сходи, проверь документы

Не п о й , красавица, при мне Ты песен Грузии печальной

lb) Da + Verb3.1nd.Präs Да здраствует КПСС!

lc) Indikativ

Vprät

Ну, пойдем ко мне

Ребята! не М осква ль за нами? У м рем - т е ж под М осквой, как наши братья умирали!

П ож алуйста, раздевайся. Расскаж еш ь все по порядку!

О днако в поле уж тем н о; скорей!

Пошел, пошел, Андрюшка!

ld) Konjunktiv Ах, уж ост авили бы вы мне в покое!;

Ты бы ушла, Настья!

le) Infinitiv Не ходит ь!

10 Infinitiv + Partikel Не ходит ь бы тебе туда!

lg) Doppelverben В озм и (да) скажи! - Д а й - к а я погляж у, ... - Ну давай заедем ...

2) m it S ubstantiven in diversen Kasus

Огонь!; Шампанского!

3) Adverbien in Prädikatsposition Вперед!

4) Durch Partikeln Д а ну же! - На! - Нате!

5) Interjektionen Айда на улицу, пока тихо!

Sicher mag man im Einzelfall diskutieren, ob Galkina-Fedoruks Klassifizierungen sinn- voll sind, wie man auch diskutieren mag, ob nicht bestimmte Formen wie eigentlich präteritales пош ел! (dialektal zu пш олт е! erweiterbar!) nicht beginnen, suppletive Im- perativformen darzustellen. In der Gesamtsicht scheint sich dennoch zu ergeben, daß das Russische über eine Vielzahl von syntaktischen Möglichkeiten besitzt, Direktive aufgrund feststehender Satztypen zu vollziehen. Wenn er es auch nicht widerlegt, so er- höht dieser Umstand doch auch nicht die Plausibilität der Behauptung, es gebe eine pri- vilegierte morphologische Form mit der ausschliesslichen Funktion, Imperative zu voll- ziehen.

Ю56456

5.1 W orin die Arbeit von Platzack/Rosengren überzeugt, ist, daß es sich bei den ״ Sub- jekten“ nicht um reguläre Realisierungen des Agens-Arguments des imperativischen Verbs handelt, sondern um den Adressaten, der im ״ Normalfalle“ identisch ist mit dem Agens der auszuführenden Handlung. Sinnvoll scheint auch durchaus die Annahme, daß diese Konstituente in der SpecV-Position und nicht bis in die Specl-Position (Spec- AgrS-Position) verschoben wird. Das Problem lautet also, warum sie nicht verschoben wird. Platzack/Rosengrens Antwort hierauf lautet, weil in Ermangelung einer AgrS- Konstituente gar nicht verschoben werden kann. Nun ist allerdings die Behauptung ei- nes fehlenden AgrS eng mit der behaupteten Sonderstellung des Imperativsatzes ver- bunden, die ihrerseits eng mit der Behauptung verknüpft ist, das morphologische Impe- rativ-M erkmal sei ein sentence type feature, nicht ein verbal mood feature. W enn wir letzteres nicht für überzeugend halten, weil morphologische Imperative auch, wie gese- hen, in einer Vielzahl anderer Konstruktionen erscheinen, so müßten wir die AgrS-Lo- sigkeit unabhängig vom morphologischen Imperativ und dem durch diesen angeblich induzierten Satztyp begründen. Wie dies nicht-zirkulär zu leisten wäre, scheint noch völlig offen.

Unter Lembarkeitskriterien scheint naheliegend zu sein, daß alle Satzstrukturen eine einheitliche Mindeststruktur (vor allem funktionaler Kategorien) besitzen, die nicht ab- hängig ist von der Verbmorphologie und die nur aufgrund des Thetarasters der einzel- nen Verben gegebenenfalls erweitert wird. Wenn wir also davon ausgehen, daß auch Imperativsätze sehr wohl über AgrS-, T- und C-Positionen verfügen, so stehen wir wie- derum vor dem Problem, was die Bewegung resp. die Überprüfung des Agens in AgrS verhindert.

5.2 An anderer Stelle (Dippong 1994, 2 4 Iff.) habe ich versucht, eine Theorie zu ent- wickeln, die erklärt, warum Infinitivsätze kein Subjekt im Nominativ besitzen, wobei der Referent allerdings im Dativ erscheinen kann: Тебе м о лча т ьі - D i r [ist zu]) schweigen! Zugrundegelegt habe ich dabei folgende Struktur:

(5-1) Infinitivsätze im Russischen:

CP

С AgrP

TnsP

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5. Alternativen?

/ \ Mod־

é i Ъ

S p é c ii __ в _

N P 1 NP1 Q.

» «

Dem wiederum lag folgendes Konzept zugrunde: Die Zuweisung (Überprüfung) des Kasus Nominativ erfordert eine ununterbrochene Kette von Spec-Positionen, die Zuwei- sung (Überprüfung) der Finitheitsmerkmale bedarf eines vollständigen Satzes dieser

erstens unterbricht er die Kette der Spec-Position, weshalb der Nominativ nicht zuge- wiesen (überprüft) werden kann, zweitens blockiert er die Mod-Konstituente, weshalb das Verb infinit sein muß, und drittens eröffnet er eine Argumentstelle für denjenigen, der der durch den M odaloperator festgelegten Modalität unterliegt. Dementsprechend sind die ״ Dativsubjekte“ in Infinitivsätzen nicht die Agentes zu V, sondern die Expe- riencer zu Q. Dabei sind Agens und Experiencer referentiell natürlich identisch, was eine gewisse Parallelität zu den Subjekten von Imperativsätzen zu ergeben scheint.

Dennoch ist eine Anwendung dieses Gedankengangs auf die Imperativsubjekte nicht möglich. Stimmt die Argumentation, so liegt bei Imperativen ja durchaus ein vollständi- ger Satz von Finitheitheitsmerkmalen vor, zugleich scheint kein Modaloperator vorhan- den zu sein, der dem Agens die Zuweisung des Nominativs blockieren könnte. Und letztlich scheint auch schwer vorstellbar, wie der (nicht-blockierende) Operator ausse- hen könnte, der dem Adressaten eine Überprüfung seines Nominativs erm öglichen könnte. Der Unterschied zwischen der skizzierten Analyse von Infinitivsatzsubjekten und dem von Imperativsatzsubjekten besteht darin, daß im ersten Falle Grammatik-ш- tern verblieben werden kann, während im letzteren Falle auf die Redesituation zurück- gegriffen werden muß: Letztlich besetzt die Anrede, die eigentlich ausserhalb der tem- porai und modal individuierten propositionalen Struktur stehen müßte: Не пой, краса- в и ц а , при мне Ты песен Грузии печальной -, parasitär eine Position in n erh a lb derselben: Н е пой, красавица, при мне Ты песен Грузии печальной. Voraussetzung für dieses Hineinrutschen - von einer grammatischen Bewegung im strengen Sinne soll- te wohl eher nicht gesprochen werden - in die eigentliche Struktur ist zum einen, daß es sich um ein Pronomen handelt und dieses bereits mit dem ״ Ersatz-Vokativ“ Nominativ ausgestattet ist, der per se nicht überprüft werden muß, weil er in seiner ״ normalen“

Stellung ausserhalb der Satzstruktur gar nicht überprüft werden könnte. Andererseits muß die Position leer sein, in die die Anrede hineinrutschen kann, was uns wieder auf die vorherige Frage zurückwirft und was wir nach wie vor nicht befriedigend beantwor- ten können: was verhindert, daß die Agens-spezifizierte Konstituente sich auf den Weg durch die Spec-Positionen macht? Drittens und letztens verbleibt die Frage, wie ein Theorie aussehen muß, derzufolge es möglich wäre, daß ein nicht-propositionales Eie- ment, das ausserhalb steht, in die Baumstruktur hineinrutschen und dabei auch noch eine obligatorische Position okkupieren kann?

Literatur

(AG 52, AG 70, AG 80), s. Vinogradov bzw. Švedova

Brandt, M., Reis, M., Rosengren, /., Zimmermann, I . 1992. Satztyp, Satzmodus und Ilio- kution. ln: Rosengren, 1. (ed.). Satz und Illokution. Bd 1. Tübingen. S. 1-90 Chomsky, N. 1992. A minimalist programm fo r linguistic theory, ln: M IT Occasional

Papers in Linguistics I . Cambridge, Mass.

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Dippong, H. 1994. Uber den Ort der Einstellungen im Satz. Überlegungen im Grenzge- biet von Syntax und Pragmatik. Ms. Hamburg.

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