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Wie oben bereits erwähnt, ist ein gegenwärtiger und aktiver Vater maßgeblich an der Förderung der Sozialisation beteiligt: für ein gesundes Durchsetzungsvermögen und Anerkennung von Regeln, aber auch für den Respekt gegenüber dem Gegner, für In-tegration, Konfliktlösung und Sicherheit. (Vgl. Le Camus, 2000, S. 46-49)

Für die Identifikation mit dem Vater stellt sich die wichtige Frage: „Wer ist denn der Vater?“ Zur Beantwortung sind vier Ebenen zu unterscheiden: auf der biologischen Ebene ist es der Erzeuger, auf der gesetzlichen Ebene derjenige, der das Kind als seines anerkennt, auf der sozialen Ebene ist es der Erzieher und auf der symbolischen Ebene der Vater, der es vor dem Gesetz vertritt. (Vgl. Le Camus, 2000, S. 131-136)

Schon Platon warnte vor dem Zusammenbruch väterlicher Autorität, der eine Ursache für die „Tyrannis“ sei. Doch auch weiter über die Jahrhunderte hielt sich das Klischee, dass Vaterfiguren despotische Herrscher sein müssten. In der Aufklärung erfordert Er-ziehung eine Zuwendung, basierend auf der herausragenden Position des Vaters, der die Kinder die Charakterfestigkeit und Verstandesbegabung des Mannes lehren sollte. Die Mutter wurde zum ausführenden Organ des Vaters. Kinder galten als höchster Ausdruck der Liebe der Eltern. Im 19. Jahrhundert sprach man vom humanen Vater, der sich durch seine Kinder auf seine eigene kindliche Natur rückbesinnen konnte, was offen ausgedrückte Gefühle und Emotionalität inkludierte. Während der Industriellen Revolu-tion jedoch kam es erneut zu einem Anforderungsprofil, das Männern Strenge, Diszip-lin, Gehorsam und Leistung abverlangte. So mussten sich die Männer über ihre Arbeit definieren und infolgedessen erforderte die Kindererziehung Distanziertheit und Stren-ge. Auch die Mutter war in die Arbeit vertieft. Zu Hause ließ sich vor allem der Vater durch autoritäres Verhalten für die Demütigungen in der Arbeit entschädigen. Staatliche Institutionen wurden auch für die Kindererziehung zuständig, was ebenfalls zu einer erzieherischen Abwertung des Vaters führte. In weiterer Folge ergeben sich auch durch die zwei Weltkriege Zeiten, in denen Väter nicht heldenhaft, sondern als gebrochene Menschen aus dem Krieg zurückkehrten und auf Frauen trafen, die gelernt hatten, selbstständig zu sein. Dies führte dazu, dass die Väter nicht mehr als Ideal gesehen wurden. (Vgl. Aigner, 2002, S. 19 und S. 40-44)

Im 20. Jahrhundert wurden fünf Vatergenerationen geboren, die sich erheblich vonei-nander unterscheiden: Die um 1930 geborenen Väter waren autoritär und streng, oft er-zogen sie ihre Kinder sogar tyrannisch. Sie idealisierten Hitler als Vaterersatz, da ihre eigenen Väter in den Zweiten Weltkrieg gezogen waren. Deren Söhne schämten sich ihrer Väter und fühlten sich für sie schuldig, was oft zum Aufspalten in ein „gutes“ und ein „böses“ Vaterbild und dadurch zu einem zerrissenen Selbst führte. Um 1940 wurden Väter geboren, die den Wiederaufbau miterlebten. Die Menschen wurden wieder wohl-habender und praktizierten einen liberaleren Erziehungsstil, obwohl diese Generation vom Zweiten Weltkrieg historisch noch extrem geprägt war. Das Selbst dieser Väter ist jedoch verunsichert, da sie ohne eigene Väter aufgewachsen sind, die Frauen veränderte Anspruchshaltungen hatten und unabhängiger von den Männern wurden. Die 1950er-Väter waren Kinder des Wirtschaftswunders, deren 1950er-Väter sie weitgehend demokratisch erzogen und mit denen sie sich auch identifizieren konnten. Dadurch entwickelte sich das wohl seelisch stabilste und am meisten freiheitlich orientierte Vaterbild im 20. Jahr-hundert. So konnte diese Männergeneration auch den Forderungen der Frauenbewegung nachkommen, allerdings nur der Teil der alternativen Väter. Sie hatten Freude am Va-tersein und nahmen aktiv am Leben ihrer Kinder teil. Viele Väter waren weiterhin ge-prägt von Haltungen aus der Nazizeit. Väter, die in den 1960er und 1970er Jahren gebo-ren wurden, erlebten durch die Fortschritte in der Technologie und den Zerfall des stabi-len Familienverbandes einen Verlust der Sicherheit. Eine Abwertung ihrer Väter und auch eine Idealisierung führen dann zu einer Widersprüchlichkeit in ihrem Denken und zur teilweisen Entfremdung. Durch diese „Trennungserlebnisse“ verlieren sie Sicher-heit, die sie der nächsten Generation nicht geben können. So ist ihr Selbst resignativ und hilflos, es werden Väter von gewalttätigen Jugendlichen. (Vgl. Petri, 1997, S. 24-32) Basierend auf dem Ödipuskomplex entwickelt der Knabe nach Freud im Alter bis zu ca.

fünf Jahren geistige Vorstellungen, die auf den Denkweisen des Vaters beruhen. Im Prozess der Mentalisierung fühlt sich der Sohn in den Vater hinein, der von seinem jun-gen Konkurrenten als Liebhaber der Mutter bedroht wird. Es wird anjun-genommen, dass die ödipale Situation wichtig für die geistigen Konsolidierungsprozesse des Mannes ist.

Unter dem Aspekt der modernen Psychoanalyse betrachtet, beruht das Charakterbild des feindlich unterdrückenden Vaters auf Beziehungsmustern der westlichen Kulturen und nicht auf den geistigen Strukturen der „Urhorde“. Demnach wird das Bild des

Va-ters innerhalb der Kernfamilie folgendermaßen geprägt: Bis vor nicht allzu langer Zeit bekam man wenig Zuwendung und Feinfühligkeit von ihm. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass Kinder ihm gegenüber mit feindseligen Gefühlen auf unerfüllte Bindungsbedürfnisse reagieren. (Vgl. Fonagy & Target, 2005, S. 74-76)

Heute beeinflussen mehrere Faktoren das väterliche Engagement: Persönlichkeitszüge, Einstellungen, Lebenspläne, aber auch die aktuelle Lebenssituation des Mannes und das Verhalten der Mutter sind wesentlich für das Ausüben der Rolle des Vaters. Je mehr sich der zukünftige Vater auf seine Nachkommen freut und je weniger er die bevorste-hende Geburt fürchtet, desto stärker beteiligt er sich später am Großwerden der Kinder.

Natürlich ist dabei nicht das Ausmaß des beruflichen Engagements zu vernachlässigen, denn auch davon hängt es im Wesentlichen ab, inwieweit sich der Vater aktiv am Fami-lienleben beteiligen kann und verfügbar ist. Oft ist es den Vätern kaum möglich, ihre Kinder zu sehen, außer wenn sie schlafen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Belast-barkeit der Väter. Wenn sie beruflich so gefordert sind, dass sie an ihre Grenzen stoßen, werden sie sich kaum um zusätzliche Aufgaben, die mit der Versorgung der Kinder an-fallen, kümmern können. Oft wirkt sich dies auch auf die Qualität der Partnerschaft er-heblich aus. (Vgl. Fthenakis, 2008, S. 63-70)

Wenn nun Umstände und Charakter passend sind, dann ist der Vater für das Ausmaß der Gefühlsabspaltung verantwortlich. Bei emotionaler Präsenz und vielerlei menschli-chen Gefühls- und Verhaltensweisen, wie sie z.B. Liebe, Freude, Fürsorge, aber auch Strenge, Angst und Trauer darstellen, wird es einem Sohn leichter fallen, gewisse Ge-fühle in seinem Selbst zu integrieren. So wird er selbstständiger und kann ein stabiles Selbst-Konzept ausbilden. Auf diese Weise wird auch die emotionale Abhängigkeit von Frauen reduziert. Ein gleichgültiger und harter Vater hingegen lässt in seinem Sohn das Gefühl von Schwäche und Zurückweisung entstehen. Diese Verletzungen und die dar-aus entstehende Trauer müssen abgewehrt werden. So behandelt sich der Sohn selbst mit ähnlicher Gleichgültigkeit und Härte, wie sie ihm der eigene Vater gezeigt hat. Er identifiziert sich mit dem Aggressor. Dadurch werden alle schwachen, weiblichen Ge-fühle verachtet und als Konsequenz wird der später erwachsene Mann nicht nur hart zu sich selbst sein, sondern auch mit Härte auf die Gefühle der anderen reagieren. Mög-licherweise will der Junge die schmerzlichen Gefühle der Zurückweisungen ertragen. Er wird sich dann aber von der emotionslosen Welt der Männer losreißen und sich stark

mit seiner Mutter identifizieren. Gefühle, die mit dem Vater in Zusammenhang stehen, wie Ärger und Wut, werden geleugnet. Extrem abwehrende Reaktionen folgen dann auf die eigenen aggressiven Impulse. (Vgl. Süfke, 2010, S. 53-56)

Wie zuvor schon erwähnt, gibt es viele Frauen, die in sozialen Berufen tätig sind. Wenn heute vom „sozialen Vätern“ oder „Public Fathers“ gesprochen wird, also von Män-nern, die an der Erziehung beteiligt sind, geschieht dies meist in einem negativen Zu-sammenhang mit Gewalt oder sexuellem Missbrauch. Sie stellen eher eine Gefahr dar, als dass sie positive Bezugspersonen sein könnten. Daraus entsteht ein Mangel an männlichen Rollenmodellen, die insbesondere für junge Männer wichtig wären. Auch stellt sich die Frage, wie die Öffentlichkeit das Bild des Mannes darstellt. Wird er in den Medien als mächtig, alltäglich, Angst machend, uninteressant, kinderfeindlich, ig-norant dargestellt oder als hilfreicher, uneigennütziger Förderer von Kindern und Ado-leszenten? (Aigner in Dammasch et. al., 2009, S. 53-60)

Je früher der Vater in der Kindheit verloren wird, desto einschneidender sind die Ver-lusterfahrungen, die in seelischen und psychosomatischen Erkrankungen, Suizidgefähr-dung, Süchten oder sozialem Scheitern durch Kriminalität oder Gewalttätigkeit resultie-ren können. (Vgl. Mahr in Hofer et al., 2008, S. 43)

Im Detail betrachtet soll also der Vater vor allem beim männlichen Kind die „Desidenti-fikation“ mit der Mutter (als einer Penislosen) erleichtern. So kommt es zu einer Machtverschiebung von der allmächtig erlebten Mutter zum bewunderten und mächti-gen Vater. Obwohl diese Theorien nicht unumstritten sind, haben sie auch heute noch Gültigkeit. In psychoanalytischen Fallgeschichten betreffen Vaterprobleme alle Störun-gen: Ein Mangel an väterlicher Fürsorge führt zu einer misslungenen Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Vater. Daraus entsteht ein Fehlen der Bestätigung, was zu narzisstischen Größenphantasien führen kann. Auch soll die Ursache für viele sexu-elle Funktionsstörungen bei Männern und Frauen darauf beruhen, dass sie von ihren Vätern mangelnde Anerkennung erhielten bzw. Missachtung erfuhren. In der Folge prägten sie schlechte Identifikationsmöglichkeiten. Bei der Perversion, einer Abwehr von Kastrations- und Verschmelzungsängsten wegen eines Mangels an Geschlechtsi-dentität, liegen solche Ursachen nahe. Allerdings beruhen einige Störungen auch darauf, dass der Vater als negativ, bedrohend und extrem entwertend ebenfalls die

Identifikati-on erschwert. Bei Anamnesen vIdentifikati-on Krankheiten, denen eine psychosomatische Ursache zugrunde liegt, wird der Vater ebenfalls oft als abwesend, unbeherrscht, schwach, unzu-verlässig oder brutal beschrieben. (Vgl. Aigner, 2001, Seite 74-79)