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Im Buch „Die Zehn Gebote“ des Berliner Pastors Heinrich Albertz liest man in Luise Rinsers Artikel „Du sollst Vater und Mutter ehren“ Folgendes:

„Die Grundbedingung für das ‚Wohlergehen und das lang Leben auf Erden‘

liegt nicht bei den Kindern, sondern bei den Eltern: Eltern, als die Stärkeren, sind verantwortlich für die Kinder, nicht umgekehrt. Ungeliebte, unterdrückte Kinder haben kein Wohlergehen und auch kein langes Leben auf Erden. Wie viel Jugendkriminalität, wie viel Jugendselbstmorde gehen zurück auf die see-lische und körperliche Mißhandlung durch die Eltern, meist den Vater.“ (Rin-ser, 1987, S. 25-26)

Bei nahezu allen Störungen in der Kindheit ist eine ausgeprägte Differenz der Ge-schlechter bezüglich der Anfälligkeit festzustellen. Autismus, ADHS, aggressives und gewalttätiges Verhalten und auch Süchte betreffen bis zu 90% Jungen in ihrer bio-psycho-sozialen Entwicklung. Auch hier ist auffällig, dass es bei den männlichen Ju-gendlichen kaum aktives Hilfesuchverhalten und eine mangelnde Krankheitseinsicht gibt. Dieser Begriff wird als gesellschaftlich geprägte Männlichkeitskonstruktion ange-sehen, die es nicht erlaubt, Schwäche und Bedürftigkeit zu integrieren. Für männliche Jugendliche ist es viel schwerer, soziale Kompetenz, Empathiefähigkeit und Sprachfä-higkeit in eine Beziehung zu bringen. (Vgl. Dammasch, 2009, S. 16)

Prädisponierende Faktoren, die im Erwachsenenalter zu Störungen führen können, sind laut Dozois et al., 2009, in verschiede Kategorien zu gliedern: Eine Person, die in der Kindheit Trennung, Ablehnung und auch Missbrauch erlebte, wird dies in ihrem Kern-glauben verankern und somit Kern-glauben, sie sei unerwünscht, weniger wert und nicht lie-benswert. Eine gestörte Autonomie entsteht, wenn ein Kind zu wenig gefördert wird, selbstständig zu sein, oder wenn es in seinen Kompetenzen unterschätzt wird. Grenzen sind beschädigt, wenn die Frustrationsgrenze niedrig ist und wenig Selbstkontrolle vor-handen ist. Dazu kommt es, wenn Eltern alles erlauben und zu nachgiebig sind. Fremd-geleitet werden jene Menschen, die als Kinder ihre eigenen Bedürfnisse unterdrückten,

um den Eltern zu gefallen, womit ein großes Bedürfnis nach Liebe und Aufmerksamkeit in Verbindung steht. Übervorsichtigkeit und Hemmungen stammen aus einer Kindheit, in der mit rigiden Forderungen und dem Vermeiden von Fehlern Erfahrungen gemacht wurden und Explorationsdrang und Vergnügungssucht zu kurz kamen. (Vgl. Dozois et al., 2009, S. 586)

Bezüglich des depressiven Selbst-Konzepts meinen Scholz & Zapotoczky, 2009, Fol-gendes:

„Da nach allgemeiner Ansicht das Selbst keine statische Größe darstellt, son-dern durch verschiedene Faktoren einer ständigen regulierenden Verände-rung unterliegt, ergibt sich bei fehlerhaften SteueVerände-rungsprozessen naturgemäß auch die Gefahr krankhafter Fehlentwicklungen.“ (Scholz & Zapotoczky, 2009, S. 50)

Depressionsfördernde Veränderungen des Selbst entwickeln sich häufig schon lange vor der manifesten Depression. Am Beginn stehen das Selbst-Konzept beeinträchtigende Faktoren wie Kränkungen, Niederlagen oder andere Belastungen. Ein extrem niedriger Selbstwert muss nicht die Ursache sein. Wenn den Personen keine ausreichend kon-struktive Kompensation gelingt, entwickeln sich oft zwei unterschiedliche fehlerhafte Anpassungsmechanismen: Der Patient passt sich selbstaggressiv entwertend übermäßig an und/oder er reagiert mit pseudonarzisstischer Fehlregulation. (Vgl. Scholz & Zapoto-czky, 2009, S. 50)

Depressiv Erkrankte zeigten in einem Zeitraum von sechs Jahren prämorbide Unter-schiede bezüglich ihres Persönlichkeitsstils: erhöhte Neurotizismuswerte, emotionale Instabilität und interpersonelle Dependenzen. Zahlreiche Studien zeigten auch auf, dass Depressive als Personen angesehen werden, die wenig positive Verstärkung bezüglich ihrer persönlichen Lebensgeschichte, der sozialen Bedingungen und auch der instru-mentellen Verhaltenskompetenzen aufweisen. (Vgl. Hautzinger, 1998, S. 28-29)

Ursachen für eine krankhafte Fehlentwicklung des sich ständig regulierenden Selbst sind oft Kränkungen, Niederlagen, Belastungen, Traumatisierungen usw. Schon lange vor der manifesten Depression gibt es fehlerhafte Steuerungsprozesse. Durch mangel-hafte Kompensation entstehen zwei unterschiedliche Anpassungsmechanismen oder deren Mischformen: entweder eine selbstaggressive, regressiv-selbstentwertende Über-anpassung oder expansiv pseudonarzisstische Fehlregulationen. Fehlentwicklungen sind

in allen Entwicklungsphasen rückbildungsfähig, jedoch kann sich unter Umständen ein Teufelskreis ergeben, bei dem das regressive Selbst-Konzept in Kombination mit Selbstwertminderung zu sozialer Verunsicherung, Dependenzen, Aggressionshemmung oder Selbstaggression und unerfüllbaren zwanghaften Selbstvorgaben führt. Dies mün-det in ein selbstfeindliches Selbst-Konzept und chronische Stressbelastung, durch die es zu vegetativen Belastungen kommt, die dann humoral und emotional kompensiert wer-den müssen. Dadurch verändert sich das überangepasste Selbst zum depressiven Selbst.

Nicht nur Traurigkeit, sondern auch Angst und ein massiv verunsichertes Selbst auf-grund des Autarkieverlusts der eigenen Emotionen bestimmen das depressive Selbst.

Körperliches Versagen, das wiederum zu einem gestörten Körperbild führt, und Verlust der Kognitionen über das Selbst führen zu zusätzlichen sozialen Problemen. Eine weite-re wichtige Komponente ist der bedrohte Selbstwert. (Vgl. Scholz & Zapotoczky, 2009, S. 50-51)

„Jeder depressive Mann trägt einen verletzten, verwirrten Jungen in sich, oh-ne zu wissen, wie angemessen er für ihn sorgen soll. Der Moment, in dem ein Mann zu diesem verleugneten Schmerz Kontakt aufnimmt, ist der erste Schritt zu seiner Genesung.“ (Real, 2001, S. 87)

5 D

ARSTELLUNG DER

S

TUDIE

Der empirische Teil der Studie soll hinterfragen, ob es die „Male Depression“ als Unter-form depressiver Störungen bei den männlichen Patienten der Psychosomatischen Stati-on der DiakStati-onie in Waiern gibt und wie sich DepressiStati-onen auf das männliche Selbst-Konzept auswirken. Als Vergleichsstudie dient die Forschung von Emslie et al. (2005),

„Men`s account of depression: Reconstructing or resisting hegemonic masculinity” mit Berichten von Männern über ihre Depressionen. In diesen Untersuchungen, die in Großbritannien stattfanden, wurden 16 depressive Männer hinsichtlich ihrer Assoziatio-nen zu DepressioAssoziatio-nen und dem männlichen Selbst-Konzept befragt. Alle waren über 18 Jahre alt und hatten eine (diagnostizierte) depressive Störung. Sie wurden tiefenpsycho-logisch in einem offenen Interview zu ihrem Leben befragt und sollten über Themen im Zusammenhang mit ihrer Depression sprechen. Auf dieser Basis und anhand von weite-ren theoretischen Informationen wurden 22 Fragen für das halbstrukturierte Leitfadenin-terview am Schreibtisch entworfen und anschließend der Psychologischen Leitung in Waiern vorgestellt. Die Fragen sollten über die Kindheit der Männer, ihre Vorstellun-gen von Männlichkeit, ihr Alltags- und Berufsleben, ihre Krankheit und letztendlich ihre Pläne nach ihrem Aufenthalt in Waiern Auskunft geben.

Vor Beginn wurde sowohl von Seiten der Medizinischen als auch der Psychologischen Leitung der Psychosomatischen Abteilung der Diakonie Waiern die Erlaubnis für die Durchführung der Studie eingeholt. Es wurde Augenmerk darauf gelegt, den Patienten in der Befragung nicht zu nahe zu treten. Es wurden nur Patienten ausgewählt, für die es hinsichtlich ihrer Stabilität keine zu hohe Belastung war, interviewt zu werden.