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3.3 Stand der Forschung zur „Male Depression“

3.3.2 Charakteristika und Komorbidität

Cochran & Rabinowitz, 2000, beschreiben die „Male Depression“ folgendermaßen:

„The masking of depressed mood may be a ‘face-saving’ strategy for many men, who are less skilled at emotional expression and more bound to societal expectations of masculinity“. (Cochran & Rabinowitz, 2000, S. 72)

Die Hauptsymptome der „Male Depression“ sind wie die depressiven Erkrankungen nach syndromalen Schwerpunkten eingeteilt:

 Affektive und kognitive Symptome: z.B. Ängste, Gedankenkreisen, de-pressive Verstimmung, Gefühl von Hilflosigkeit, Selbstwertminderung

 Antriebsstörungen und psychomotorische Störungen: z.B. Leeregefühl, Lust- und Antriebslosigkeit, psychomotorische Agitiertheit, psychomotori-sche Hemmung

 Vegetative Symptome: z.B. Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Spannungsgefühl, Schlafstörungen, Appetitstörung, Tagesschwankungen, Libidostörungen.

(Vgl. Wolfersdorf, 2009, S. 11)

Neben den oben erwähnten Symptomen und Verhaltensmustern muss auch eine Zeitsta-bilität von mindestens zwei Wochen gegeben sein. Typisch depressives Verhalten sind Rückzug, Appelle an das Umfeld und Entwertungen der eigenen Person. „Depressionen

entstehen an der Schnittstelle der Persönlichkeitsstruktur mit Verlust, Trauer, Belas-tungs-, Anpassungs- und Kränkungssituationen.“ (Wolfersdorf, 2010, S. 38) Sie können in hilf- und hoffnungslosen Situationen entstehen, bei biologischen und psychologi-schen Veränderungen der Lebensumstände, auch bei schweren körperlichen Erkrankun-gen, die das Lebenskonzept beeinträchtigen. Bei Männern kommen zur depressiven Kernsymptomatik noch Gereiztheit, Irritabilität, Aggressionen und Ärgerattacken hinzu.

(Vgl. Wolfersdorf, 2010, S. 38)

Ärgerattacken werden ähnlich Panikattacken als Zustände vegetativer Erregung mit Symptomen wie Schwitzen, Gesichtsrötungen, beschleunigter Atmung und Schwindel beschrieben. Kontrollverlust, Angst und im Nachhinein Scham über den als unangemes-sen empfundenen Ärger gehen damit einher. Die biologische Ursache dafür, dass Män-ner im Zuge von Depressionen (unipolare Depression mit Ärgerattacken) doppelt so häufig unter Ärgerattacken litten wie Frauen, ist eine serotonerge Dysregulation. Symp-tome von Irritabilität, Feindseligkeit und Aggressivität äußern sich oft auch schon im Vorfeld der depressiven Verstimmung. (Vgl. Meshkat, Kutzelnigg, Kasper & Winkler, 2010, S. 22)

Emslie et al., 2005, haben in ihrer Studie über „Men`s account of depression“ trotz vie-ler anderer gegenteiliger Forschungsergebnisse Männer gefunden, die über ihre Gefühle und Erfahrungen während und nach der depressiven Episode gesprochen haben. Sie be-richteten am häufigsten über Emotionen wie Trauer, Schuldgefühle, Distanziertheit, Är-ger und Angst. Auch über vergossene Tränen und die unkontrollierbare Misere der De-pression, über Gefühle der Isolation, Dunkelheit, Peinigung, des Dahinvegetierens in der Hölle oder in einem Loch ohne Licht wurde berichtet. Nach der depressiven Zeit fühlten sich die Befragten äußerst lebhaft und erleichtert, wie nach einer Flucht. Viele beschrieben sich als schwache und sensible Kinder, die die oben genannten Gefühle schon von Kindheit an kannten. Sie hatten sie durch die Pubertät begleitet und wurden durch unzählige Verletzungen in Bezug auf ihre Männlichkeit verstärkt. Einige berich-teten auch über Selbstmordgedanken. (Vgl. Emslie et al., 2005, S. 2250)

Pollack, 1998, schreibt folgende Symptome der „Male Depression“ zu:

 Vermehrter sozialer Rückzug, wird oft nicht zugegeben

 Berufliches Überengagement, das mit Stress bzw. Burn-out maskiert wird

 Verneinen von Kummer und Traurigkeit

 Rigide Forderungen, in Ruhe gelassen zu werden wollen

 Keine fremde Hilfe annehmen zu wollen

 Ab-/zunehmendes sexuelles Interesse

 Häufige Ärgerattacken

 Impulsivität

 Alkohol- und/oder Nikotinmissbrauch, Sucht nach TV und Computer

 Starke Selbstkritik, Versagensängste

 Feindseligkeit

 Anderen die Schuld an den eigenen Problemen zu geben

 Agitiertheit

 Schlaf-, Gewichts- und Konzentrationsprobleme. (Vgl. Pollack, 1998, in Cochran & Rabinowitz, 2000, S. 95)

Durch geschlechtstypische, aber depressionsuntypische Symptome wie Aggressivität, Irritabilität sowie Risikoverhalten und Süchte werden beim „Male Depression“-Konzept depressive Symptome als maskiert angesehen, die normalerweise durch Manuale darge-stellt werden können. Oft kommt es zu Fehldiagnostizierungen wie Alkoholmissbrauch oder Persönlichkeitsstörung. Eine genderspezifische Psychopathologie wurde wissen-schaftlich belegt. In klinischen Studien von unipolar Depressiven fanden sich bei Män-nern Ärger-attacken, Aggressionen, Alkoholmissbrauch sowie Irritabilität und antiso-ziales Verhalten. Männer kompensieren ihre depressive Krise öfter mit missbräuchli-chem Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen, aber auch durch exzessives Ar-beiten oder Spielsucht. Allerdings stellen sich bei diesem Konzept der „Male Depressi-on“ Abgrenzungsprobleme gegenüber anderen Konzepten dar. Beispielsweise sind bi-polare Erkrankungen hoch rezidivierende, unterdiagnostizierte und unterbehandelte Er-krankungen. Irritabilität ist als Hauptsymptom der gemischten Episode gegeben. Ty-pisch für die bipolare Erkrankung ist außerdem Alkohol- und/oder Substanzabhängig-keit. Dies könnte vermuten lassen, dass die „Male Depression“ zum bipolaren Spektrum gehören könnte. (Vgl. Hausmann, 2008, S. 46)

Campbell, 1997, fasst die wichtigsten Punkte eines Interviews der Autorin Cronkite mit dem an Depressionen erkrankten TV-Moderator Mike Wallace zusammen. Wallace ist

in den USA weithin bekannt, er interviewte zahlreiche Persönlichkeiten wie z.B. Putin, Dali und Ahmadinedschad. Der Auslöser für seine Krankheit waren Anschuldigungen und Verleumdungen. Er schied aus seiner Sendung „Sixty Minutes Overtime“ wegen seiner Depressionen aus. In dem Interview äußerte er sich bezüglich der Krankheit, es wurden typische Themen der „Male Depression“ angesprochen:

 The „Breakup“ of one`s usual self with its narcissistic aspirations (aggres-sive, spirited reporter)

 A marked sense of shame over both failure to live up to these aspirations, and an inability to cope, at the same time, with troubling affects („I was ashamed. It was a confession of weakness“)

 Fear of self-dissolution or falling apart („lose everything“ and „life is worthless“)

 Searching concerns about a pervasive sense of inadequacy, and fear of re-jection („I didn`t even tell my individual producers ...“)

 Modification of narcissistic aspirations (depression and recovery „made me moderate everything a little bit“), with the help of

 Sustaining self-objects pharmacology, psychotherapy, attentive friends („be patient, check in, listen, listen“) (Vgl. Campbell, 1997, S. 354-355)

Wie bereits mehrmals erwähnt können sich Depressionen zum Schutz einer erwünsch-ten männlich-starken Fassade anders äußern. So sind zwar die Kernsymptome der klini-schen Depression mit denen bei Frauen identisch, doch Männer maskieren ihre Proble-me mit Abwehrstrategien. So nennen männliche Patienten seltener Niedergeschlagen-heit, Müdigkeit und Schuldgefühle als Symptome, hingegen weisen einige Studien auf erhöhten Alkoholkonsum, Agitiertheit und Feindseligkeit hin. Typisch männliche Ab-wehrstrategien für Depressionen wären demnach Aggressivität, Ärgerattacken, Feindse-ligkeit, Irritabilität, Aktivismus und exzessiver Alkoholkonsum. Oft wird dies als anti-soziale Persönlichkeitsstörung bzw. Abhängigkeit fehldiagnostiziert. (Vgl. Möller-Leimkühler, 2010, S. 15-17)

In diesem Kontext stellen Rutz et al., 1992, fest: Obwohl es sich bei Depressionen um die häufigste psychiatrische Störung handelt, blieben sie in den 1990er Jahren zu selten diagnostiziert und falsch behandelt, oft werden ihre Symptome anderen Ursachen

zu-gewiesen. Ein häufiger Grund für das Nicht-Erkennen ist eine nicht entsprechende Aus-bildung der Allgemeinmediziner. Diese sollte verbessert werden. So wurde 1983/84 vom PTD (dem schwedischen Komitee zur Prävention und Therapie von Depressionen) ein Fortbildungsprogramm für Allgemeinmediziner organisiert. In den darauffolgenden Jahren gab es auf Gotland weniger Suizide und auch weniger Krankenstände wegen Depressionen und es wurden Antidepressiva häufiger verschrieben als Neuroleptika und Tranquilizer. 1988, vier Jahre nach Beendigung des Programms, häufte sich beides wie-der, Antidepressiva wurden weiterhin häufig verschrieben. Dies weist darauf hin, dass Früherkennung von Depressionen und die entsprechende Therapie die beste Methode sind, um Selbstmorde zu verhindern. (Vgl. Rutz et al., 1992, S. 83-88)

Studien haben gezeigt, dass alkoholabhängige Männer eine dreimal höhere Depressi-onsrate aufweisen als gesunde. Auf der Insel Gotland wurde von Rutz et al., 1992, „The Gotland ‚Male Depression‘ Scale“ entwickelt. Diese dient als Basis für das Konzept einer „Male Depression“. Sie wurde als Inventar im Zuge eines Suizid-Präventions-programms ausgearbeitet, bei dem Aggression eine wesentliche Komponente darstellt und zeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen Männlichkeitsideologien und De-pressionen besteht. Sie ist ein international anerkanntes Messinstrument, das depressive Männer aufgrund ihrer maskierten Abwehrmuster, wie z.B. Alkoholabhängigkeit, er-fasst.

Die Patienten werden nach folgenden Faktoren befragt:

 Stresslevel

 Aggressivität

 Burnout-Gefühl oder Gefühl von Leere

 Irritabilität, Ruhelosigkeit, Frustration

 Mühe, den Alltag zu bewältigen

 Schlafprobleme

 Angst, Unruhe, Schweregefühl besonders morgens

 Übermaß an Alkoholkonsum, Beruhigungsmitteln, Hyperaktivität, Essver-halten

 Selbsteinschätzung des eigenen Verhaltens

 Wahrnehmung seiner selbst oder durch andere als hoffnungslos, negativ etc.

 Wahrnehmung seiner selbst oder durch andere als selbstbemitleidend, kla-gend

 Alkoholmissbrauch, Depression, Selbstmord, Risikoverhalten innerhalb der Familie. (Vgl. Zierau et al., 2001, S. 265-268, Appendix C)

In vielen Studien über die GSMD (= Gotland Scale of „Male Depression“) wurde die Reliabilität bezüglich der Symptomunterschiede zwischen Männern und Frauen getestet (vgl. Möller-Leimkühler, 2004). Hinsichtlich der Subskalen „Stress und Depression“

und „Alkoholabhängigkeit“ forschten intensiv Zierau et al. , 2002. Dabei erwies sich die GSMD als international anerkanntes Manual. (Vgl. Zierau, Bille, Rutz & Bech, 2002, S. 265-271)

In der Studie von Innamorati et al., 2011, wurde getestet, ob die Symptome der „Male Depression“ auch für Frauen zutreffen und ob die GSMD geeignet ist, auf die Suizidge-fahr bei Patienten hinzuweisen. Es wurden 326 Personen untersucht, 174 davon waren Frauen aus Rom, die zu jener Zeit stationäre Patientinnen einer Universitätsklinik in Rom/Italien mit einer psychiatrischen Diagnose waren. Bei knapp 50% der Patienten lagen bereits Suizidversuche vor. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die italienische Ver-sion der GSMD gut dazu eignet, Suizidgefahren aufzudecken.

Es bestätigte sich auch die Studie von Möller-Leimkühler, 2004, dass sich die meisten der Items, die das „Male Depression“-Syndrom beschreiben, bei Frauen und Männern mit einer unipolaren Depression nicht differenzieren, dass es jedoch Unterschiede in der Symptomhäufung gibt, die genderabhängig sind. Zwischen Männern und Frauen gab es bezüglich der Symptome kaum erkennbare Unterschiede, außer dass sie eher auf Patien-ten zutreffen, die selbstverschuldetes aggressives VerhalPatien-ten zu ihren Persönlichkeitsei-genschaften zählen. (Vgl. Innamorati et al., 2011, S. 100)

Magovcevic & Addis, 2008, meinen, dass die „Gotland Scale for ‚Male Depression‘“

(Zierau et al., 2002, S. 256-271, Appendix A) ausgearbeitet wurde, um die Depressions-symptomatik von suizidalen Männern zu erforschen. Diese sollte es den Ärzten ermög-lichen, leichter eine Depression zu diagnostizieren und somit die Selbstmordrate auf der Insel Gotland in Schweden zu senken. Sie wird jedoch hinsichtlich ihrer Reliabilität und

Validität angezweifelt, da Männer mit der Diagnose einer Depression ja schon prototy-pische Symptome zeigen, weshalb sie nicht die passende Zielgruppe sind. Die GSMD wird hinsichtlich ihrer Validität bezüglich der Unterschiede der Depression zwischen Männern und Frauen ebenfalls angezweifelt.

Magovcevic & Addis entwickelten die „Masculine Depression Scale“. Sie testeten 102 Männer aus Massachusetts, die kürzlich einen belastenden Lebensabschnitt hatten, auf ihre unterschiedlichen Reaktionen: entweder den Symptomen der Depression nach DSM-IV entsprechend oder der „Male Depression“-Variante, je nachdem, welche Nor-men die Männer als wichtig erachteten. Die Studie ergab, dass annahmekonform jene Männer, die nach streng hegemonialen Regeln leben, in ihrer Depressionsphase ein ex-ternalisierendes Abwehrverhalten zeigten. Es wurde auch festgestellt, dass Männer, die in den letzten drei Monaten ein belastendes, stressiges Erlebnis hatten und ein Anstei-gen von depressiven Gefühlen erlebten, aber noch nicht die Kriterien einer depressiven Episode erfüllten, diesbezügliche Emotionen zu vermeiden versuchten, indem sie sich externalisierend verhielten, also aggressiv, risikofreudig oder Alkohol missbrauchend.

(Vgl. Magovcevic & Addis, 2008, S. 117)

Rihmer et al. analysierten von 1981 bis 1992 124 Selbstmörder, die bei der lokalen Po-lizei bekannt waren, bezüglich Alter, Wohnort, Art des Suizides, vorhergehender Selbstmordversuche, Lebensgeschichte und psychiatrischer oder medizinischer Störun-gen. Aufgrund dieser Daten ergaben sich diagnostische Re-Klassifizierungen, die den DSM-III-R-Kriterien entsprachen. Ein Ergebnis war, dass sich die meisten Männer auf violente Art (z.B. mit einer Waffe etc.) das Leben nahmen. Haupterkenntnis der Studie war, dass sich ein deutlich erhöhter Prozentsatz an depressionsbedingten Selbstmorden nach der PTD-Fortbildung zeigte und die „Bipolare Depression II“ am häufigsten di-agnostiziert wurde. Überraschend war auch, dass nach dem PTD-Programm bei einem Geschlechtervergleich depressive suizidale Frauen wesentlich seltener vorzufinden wa-ren, während der Prozentsatz der Männer fast unverändert war. (Vgl. Rihmer et al., 1995, S. 147-152)

In einer Studie von Wide et al., 2011, wurde erforscht, inwiefern sich eine Gender-Sozialisierung auf die Erscheinungsform der Depression auswirkt, wie sich also sozio-kulturelle, traditionell maskuline Normen, die durch die Familie, die Schule und Peer-groups erlernt worden sind, in weiterer Folge in Symptomen der „Male Depression“

manifestieren. Getestet wurden 97 über 19-jährige Männer, die in einer Arztpraxis in Vancouver warteten. Die meisten von ihnen waren alleinstehende Männer mit niedri-gem Bildungsniveau, die wenig verdienten oder arbeitslos waren. Es wurden das BSI (=

Brief Symptom Inventory, online), die „Gotland Scale of ‘Male Depression’“ und die CMNI (= Conformity to Masculine Norms Inventory, online) getestet. Weiters wurden Daten der Teilnehmer bezüglich ihrer psychiatrischen Vorgeschichte erhoben. In der Folge wurde der Arzt, den die Patienten danach aufsuchten, ebenfalls mittels Fragenbo-gen interviewt. Er wurde bezüglich der von den Patienten geäußerten Emotionen, wie Ärger, Traurigkeit, Irritabilität, Angst, Substanzmissbrauch, Suizidgedanken und andere Probleme, befragt. Laut dieser Studie gehen mit einer traditionell maskulinen Einstel-lung typische „Male Depression“-Symptome einher. Von 97 Männern haben sich nur 4 mit ihrem Arzt über emotionale Belange unterhalten. Dies zeigt, dass die GSMD (Zierau et al., 2002, S. 256-271, Appendix A) sehr gut geeignet ist, um die maskierten Symptome der „Male Depression“ zu entdecken. (Vgl. Wide et al., 2011, S. e74-e78) Depressive Männer in stationärer Behandlung sind durchschnittlich älter als Frauen, sie schätzen sich weniger depressiv ein, klagen weniger über somatische Beschwerden und fühlen sich weniger erschöpft, aber wesentlich hoffnungsloser als Frauen. Sie leben auch signifikant häufiger als weibliche Depressive in Partnerschaften. (Vgl. Wolfers-dorf et al., 2009, S. 11)

Suizid, Aggression und Gewalttätigkeit sollen nun als weitere Charakteristika näher er-läutert werden. Ein hoher Prozentsatz aller Suizide ist ursprünglich auf eine behand-lungsbedürftige psychische Erkrankung, am häufigsten auf Depressionen zurückzufüh-ren. Bis zu 4% aller Personen, die an Depressionen erkranken, sterben infolge suizidaler Handlungen. (Vgl. Neuner et al., 2010, S. 42)

Depressionen, darunter die „Bipolare Depression II“, sind der wichtigste Risikofaktor bei Suizid. Glücklicherweise kommt es nicht schon in den ersten Tagen oder Wochen der affektiven Störung zum selbstzerstörerischen Verhalten, so können Wochen und Monate genutzt werden, um eine adäquate Diagnose und Therapie zu gewährleisten, wenn die Betroffenen Hilfe suchen. (Vgl. Rihmer et al., 2009, S. 47-56)

Dazu sagt der Europäische Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz:

''Mental illness is just as deadly as physical illnesses like cancer. More Euro-peans die from suicide each year than are killed in car accidents or as a result of murder. Yet mental health receives surprisingly little attention – you could say mental illness is Europe’s unseen killer. I am determined to change that.“

(Kyprianou, EU, online)

Die bis vor kurzem höchste Suizidrate weltweit wiesen die baltischen Staaten auf, an der Spitze Litauen. Ursachen sind gesellschaftlicher Veränderungsstress und hoher Al-koholkonsum bei Männern, geringes Hilfesuchverhalten und niedrige Diagnosezahlen von Depressionen. 90% der Suizidanten waren Männer, die in ländlichen Gebieten leb-ten. (Vgl. Rutz, 2010, S. 48)

Nach dem Jahresbericht der „Statistik Austria“ sind im Jahr 2009 in Österreich 1.273 Personen, davon 968 Männer, an Selbstmord verstorben. Dies sind insgesamt 11,7% der Toten in diesem Jahr. Der höchste Prozentsatz liegt bei 25- bis 35-Jährigen, von denen 20,4% männlich sind. In Kärnten starben 99 Personen an Suizid, davon sind 72 Männer.

Eine hohe Risikogruppe sind Menschen, die unter chronischer Angst und Depressionen leiden (davon sind 23,2% arbeitsunfähige Männer). (Vgl. Statistik Austria, 2009, S.

153-157)

Es ergibt sich aus Studien, dass 70-90% aller Suizide in einem depressiven Zustand verübt werden. Obwohl, wie schon ausführlich geschildert, Depressionen wesentlich seltener bei Männern als Frauen auftreten, wollen Männer in Europa paradoxerweise drei- bis zehnmal häufiger ihrem Leben ein Ende setzen und verüben Selbstmord.

Dadurch ergibt sich unter anderem eine stark verkürzte Lebenserwartung für Männer, die eines der Probleme der öffentlichen Gesundheit in Europa darstellt. (Die Lebenser-wartung liegt zwischen 5 bis 15 Jahren unter jener von Frauen.) Die Erklärungen dafür werden in der Maskierung der „Male Depression“ gesehen, die sich - wie schon mehr-mals dargelegt - durch aggressives, antisoziales, teilweise sogar psychopathisches Ver-halten darstellen kann und auch SuchtverVer-halten zu den Symptomen zählt. Mangelnde Hilfesuche und Alexithymie unterstreichen noch die oft ausweglose Situation. (Vgl.

Rutz, 2010, S. 46)

Für die Suizidalität von Männern sind oft Lebensveränderungskrisen, psychosoziale, emotionale oder narzisstische Krisen Ausgangssituationen. Durch den Verlust des seeli-schen Gleichgewichts bei Konfrontation mit nicht zu bewältigend erscheinenden

Ereig-nissen sind Männer oftmals so überfordert, dass sie ohne vorherige Depressionen durch Suizid sterben. Ein Fallschirm, der sich nicht öffnet, ein Sturz vor die Eisenbahn oder das Sich-überfahren-Lassen sind oft Auswege von berühmten Männern, um ihre Krisen zu beenden und somit auch den Verlust ihres Ansehens in der Öffentlichkeit zu mini-mieren. Es kommt, zusammenfassend dargestellt, zu einer unerträglichen Belastung, auf die mit Depressivität reagiert wird. Dadurch verändern sich Wahrnehmung und Bewer-tung, dies führt in eine Situation, die als nicht bewältigbar erscheint. Negative soziale Rückmeldungen, mangelnde Hilfe bzw. ein unzureichendes Hilfesuchverhalten führen zu einer Hoffnungslosigkeit, die mit seelischen Schmerzen, Wut- bzw. Rache- und Schamgefühlen gepaart, in einem Selbstmord enden kann. Suizidalität kann somit die Aggression sein, die eigentlich gegen einen anderen gerichtet ist und sich nur gegen sich selbst ausleben lässt, daher der Begriff „Selbst-Mord“. Er kann auch eine Folge von destruktiven Beziehungserfahrungen, einer tiefen Selbstwertkränkung bzw. einer existenziell bedrohlichen Situation sein. Gefühle von Verlust oder Selbstverlust sind kennzeichnend für Depressionen, die zum Suizid führen können. Auch sozial zuge-schriebener Perfektionismus erhöht das Risiko. (Vgl. Wolfersdorf, 2010, S. 36-41) Laut WHO-Version 2011 der ICD-10 unterscheidet man vorsätzliche Selbstbeschädi-gung basierend auf den Methoden des Selbsttötens. Es wird zwischen harten Methoden, wie Erhängen, Erschießen, Ertrinken und Sich-überfahren-Lassen, und weichen Metho-den, wie Einnehmen einer Überdosis von Medikamenten, Erstechen oder Aufschneiden der Pulsadern, differenziert. Zur dritten Methode zählen Selbstvergiftungen mit Lö-sungsmitteln bzw. Chemikalien, Selbstverletzungen mit explosiven Materialien oder mit stumpfen Gegenständen und absichtlich verursachte Verkehrsunfälle. (Vgl. ICD-10, X60-X84).

Männer nehmen sich weltweit deutlich häufiger als Frauen das Leben. (Nur in China sterben Frauen häufiger an Selbstmord.) Frauen bedienen sich der sozialen Funktion des Suizids: Weibliche Selbstmordkandidaten nutzen motivational den Selbstmordversuch als Hilfeschrei. Sie dürfen sich in unserer Gesellschaft als hilfsbedürftig und schwach zu erkennen geben. Somit entsprechen Sie dem appellativen Typ der Parasuizidanten.

Männer hingegen sind bezüglich parasuizidaler Handlungen kompromissloser und lö-sungsorientierter, sie besitzen weniger Fähigkeiten zur Konfliktlösung. Dies entspricht dem ambivalenten, desperaten oder dranghaften Typ. Männer bevorzugen härtere

Me-thoden und verletzen dadurch deutlicher ihre körperliche Integrität. Auch hinsichtlich der Gefährlichkeit des Suizidversuchs sind Männer häufiger in echter Lebensgefahr und lassen wesentlich seltener als Frauen Hilfe zu. Männer wollen sich aufgrund von Prob-lemen, die ihre Leistung oder die Gesellschaft und Anerkennung betreffen, umbringen.

So stellen berufliche Konflikte, Angst vor Schande und Bestrafung einen hohen Anteil der männlichen Motive. Bei Frauen sind es eher Beziehungsprobleme oder der Verlust von wichtigen Lebensmenschen. Zum Zeitpunkt des Entschlusses, das Leben selbst enden zu wollen, sind Männer häufig alkoholisiert. Sie werden während einer schon be-ginnenden Krisenintervention öfter als weiterhin suizidal eingeschätzt und erleiden häu-figer als weibliche Patienten ein tödliches Rezidiv. (Vgl. Israel Felber und Winiecki in Freytag & Giernalczyk, 2001, S. 34-37)

Weitere Risikofaktoren für suizidale Handlungen von Männern sind z.B. Selbstmorde in der Familie, Drogenmissbrauch und frühe Trennung von den Eltern. Die Betroffenen neigen zu aktivistischen und impulshaften Handlungen durch Externalisieren von so-wohl Auto- als auch Fremdaggression, suizidale Aktionen sind dann einsame Suizid-handlungen mit hoher Impulsivität. Psychodynamisch gesehen werden sie als narzissti-sche Wutaktionen und zerstörende Racheaktionen betrachtet. (Vgl. Wolfersdorf et al., 2009, S. 12)

Um ihren geringen männlichen Selbstwert zu retten, sehen viele Männer einen Suizid als einzige Lösung. Bei depressiven Erkrankungen sind Männer wesentlich stärker als Frauen gefährdet, sich zu suizidalisieren (Verhältnis 6:1). Die Ursache dafür liegt wahr-scheinlich an einer biologisch anderen Prädisposition: Aggressionen, Serotoninmangel und geringe Impulskontrolle sollen dies begründen. (Vgl. Möller-Leimkühler, 2010, S.

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Menschen aus allen Bevölkerungsschichten laufen Gefahr, in scheinbar ausweglose Si-tuationen zu kommen. So gehören möglicherweise mehr oder weniger erfolgreiche Männer - Schauspieler, Entertainer, Musiker, Filmemacher, Sänger und Maler, aber

Menschen aus allen Bevölkerungsschichten laufen Gefahr, in scheinbar ausweglose Si-tuationen zu kommen. So gehören möglicherweise mehr oder weniger erfolgreiche Männer - Schauspieler, Entertainer, Musiker, Filmemacher, Sänger und Maler, aber