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3.3 Stand der Forschung zur „Male Depression“

3.3.4 Therapie und Copingstrategien

Eine wesentliche Grundlage zur Behandlung von depressiven Erkrankungen ist ein the-rapeutisches Begleitkonzept der pharmakologischen Depressionstherapie. Auch die krankheitsspezifischen Reaktionsmuster und die Bedürfnisse der sozialen Umgebung des Patienten müssen miteinbezogen werden, um bestmögliche Erfolge zu erzielen.

Psychoedukative Arbeit hinsichtlich der Verbesserung des Selbstwerts und unter Be-rücksichtigung der Konflikte und Beziehungsproblematik, unter denen der Patient lei-det, kann gute Erfolge bringen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die

Verunsiche-rung des Patienten zu richten, die zu erheblichen Problemen hinsichtlich der Compli-ance bzw. der Abwehr des Kranken führen kann, wenn nicht wertschöpfend und empha-tisch auf ihn eingegangen wird. (Vgl. Scholz & Zapotoczky, 2009, S. 67-68)

Man kann hinsichtlich der Arbeit mit depressiven Männern zwischen zweierlei Typen unterscheiden: Einerseits gibt es die „Ein-Indianer-kennt-keinen-Schmerz“-Männer, die sich über Leistungsorientierung, vorgegebene familiäre Normen und ein rigides Über-Ich als nicht genügend oder unzureichend empfinden und daher einen Veränderungs-prozess nur schwer zulassen. Andererseits gibt es die chronisch gekränkten und ge-mobbten Männer, die sich als Opfer sehen und sich kritisiert und verlassen vorkommen, dabei aber ihre eigenen Anteile am Entstehen von Problemen ausblenden. So können sich nicht nur hinsichtlich der Diagnose und Inanspruchnahme von Therapie einige Probleme ergeben, sondern auch hinsichtlich der Compliance. (Vgl. Wolfersdorf et al., 2009, S. 13)

Eine geschlechtersensible Therapie sollte das Wissen über die Zusammenhänge der Ge-schlechterrollen und das daraus resultierende Krankheitsverhalten berücksichtigen und in vorhandene Konzepte integrieren. Die spezifische Lebenssituation ist auf jeden Fall zusätzlich zu beachten, ebenso Alter und sozialer Kontext. (Vgl. Möller-Leimkühler, 2005, S. 34)

Bezüglich der Therapie der „Male Depression“ gibt es jedoch wenig Forschung. Auch die Erforschung von Antidepressiva in Bezug auf deren geschlechtsspezifische Wirkung ist noch nicht vollständig ausgereift. Es wird derzeit eher symptomorientiert behandelt, doch es gibt bereits Studien, die Medikamente auf ihre Wirkung auf Symptome wie Aggression, Irritabilität und Ärger testen. Weiters wird angenommen, dass Psychothe-rapie als eine Methode, bei der es um das Verbalisieren von eigenen Gefühlen und Kon-flikten geht, besser auf Frauen wirkt. Forschungen ergaben jedoch, dass die Kombinati-on vKombinati-on Medikamenten und kognitiver und interpersKombinati-oneller Verhaltenstherapie bei Män-nern und Frauen gleich effizient waren. So liegt die größte Schwierigkeit wohl darin, die Männer zu einer Therapie zu motivieren. (Vgl. Möller-Leimkühler, 2010, S. 18-19) Männer haben Probleme mit Kränkungen, Frauen eher mit Trennungen. Wenn sich Männer in ihrem Wert gekränkt und im Selbstwert zurückgestuft fühlen, können sie sich so wütend verhalten, dass sie sich selbst zerstören bzw. das, was für sie von

Bedeu-tung ist. Eine Trennung wirkt auf sie so bedrohlich, weil sie diese mehr als Kränkung denn als Verlust empfinden. Dies beruht auf einer narzisstischen Wut, die eigentlich ihnen selbst gilt und nicht dem Objekt. Daher sollte im Zuge der Suizidprävention und auch bei Kriseninterventionen besonders auf die Wiederherstellung und die Unterstüt-zung der männlichen „Grandiosität“ geachtet werden. (Vgl. Kind in Freytag & Giernal-czyk, 2001, S. 95-105)

Laut Emslie et al., 2005, wiesen einige der Befragten darauf hin, dass es ihnen bezüg-lich ihres verunsicherten männbezüg-lichen Selbst wichtig sei, sich als „One of the Boys“ zu fühlen. Ein Verein oder ein Club förderten bei ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl, das ihnen guttat. Andere fanden schon die Vorstellung, in einer Gruppe plötzlich in Tränen auszubrechen, peinlich. Wichtig für die Männer war ebenfalls, dass sie aus der Abhän-gigkeit der Depression heraus wieder UnabhänAbhän-gigkeit und Kontrolle erlangen konnten.

Das Reduzieren von Medikamenten und anderen Suchtmitteln, von denen sie abhängig waren, oder das Absetzen brachten ihnen Besserung. Einige Männer nahmen den Kampf mit ihrer Depression auf und wehrten sich gegen sie wie gegen einen Feind.

Dies gab ihnen ein Gefühl von Stärke. Andere wenige wiederum fanden die Lösung ih-rer Probleme im Ändern der Strukturen ihih-rer männlichen Identität. Es war ihnen nicht mehr wichtig, stark und hart zu sein, sondern sie betonten ihre Kreativität und Sensibili-tät. Sehr viele gaben an, dass ihnen die Familie eine wichtige Stütze und Hilfe war. Für einige stellte sie zwar eine Belastung dar, aber den meisten gab die Unterstützung durch den Partner und das Verantwortungsgefühl gegenüber den Verwandten Kraft, sich von der Depression zu erholen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass ein zu großer diesbezüglicher Druck die gegenteilige Wirkung haben kann. Vorrangig ist, dass man depressive Männer dabei unterstützt, ihren Selbstwert zu stärken. Therapeutisch sollte man den Männern helfen, dem gesellschaftlichen Druck bezüglich Männlichkeit zu widerstehen, wenn es um ihre Lebensziele geht. Positive männliche Eigenschaften wie der Mut, über Gefühle zu sprechen oder vorzuleben, wie man Emotionen zulassen kann, müssen gefördert werden, er wäre hilfreich, um eine andere männliche Identität zu schaffen. (Vgl. Emslie et al., 2005, S. 2253)

Eine Schlafentzugstherapie, die Patienten zweimal wöchentlich nachts nicht schlafen lässt, ist eine gute Therapieergänzung bei Schlafproblemen, da ein Zehntel der depressi-ven Patienten nicht zu wenig, sondern zu viel schläft. (Vgl. Benkert, 2009, S. 85)

In Anbetracht der oben genannten hohen Anzahl an männlichen Suizidanten ist es laut Studien notwendig, für Männer akzeptable Hilfsarenen und Plattformen zu errichten, die sich von konventionellen psychotherapeutischen und klinischen Hilfsangeboten we-sentlich unterscheiden. Auch sollte auf traditionelles Selbstverständnis von Maskulini-tät, Stärke und Selbstbestimmtheit der Männer Rücksicht genommen werden. Am Land könnten Gewerkschaften, Bauernverbände, Fischereiorganisationen, Betriebe und Sportvereine neue Möglichkeiten eröffnen, um Hilfe zu bieten. Für die Betroffenen ist es von größter Bedeutung, wenn sie familiäre und freundschaftliche Unterstützung in der schwierigen Phase ihres Lebens bekommen. (Vgl. Rutz, 2010, S. 49)

Witte, 2001, hält die folgenden Rahmenbedingungen für Beratungssettings für Männer innerhalb einer Gruppe für nützlich:

 Halböffentliche Beratungsaktionen ähnlich der Gesprächssituation am Ar-beitsplatz oder im Gasthaus, Vertrautheit und Rückzugsmöglichkeit soll-ten gegeben sein

 Sachfragen und nichts Persönliches als Einstieg für die erste Kontaktauf-nahme

 Beobachten der Gespräche und des Beraters, eigene Auswahl des Beraters in der Gruppe

 Individuelle Interpretationsmöglichkeiten der Gespräche über allgemeine Themen und dadurch den persönlichen Zugriff auf Probleme

 Verlassen des Settings jederzeit zuzulassen

 Auch bezüglich der Auswahl des Beraters/der Beraterin sei zu erwähnen, dass es bei männlichen Klienten oft zu einer Konkurrenzsituation mit dem Berater kommen kann. (Vgl. Witte in Freytag & Giernalczyk, 2001, S.

117-128)

Problemorientiertes und emotionsorientiertes Coping können hinsichtlich Stress als gute Bewältigungsstrategien dienen: Beim problemorientierten Coping wird eine neue Be-wertung für die problembelastete Situation gesucht, indem der Betroffene versucht, die Stressoren durch Aktivität zu verändern. Bei Schwierigkeiten mit dem Computer könnte z.B. ein Fortbildungskurs für den PC besucht werden. Auch die Arbeitszeit kann besser eingeteilt werden, wenn man sich gut organisiert. Das emotionsorientierte Coping löst

Probleme durch die Bewältigung von Angst oder Ärger durch Entspannungsverfahren.

(Vgl. Benkert, 2009, S. 166-167)

Als sinnvolles Coping wird es ebenfalls angesehen, Humor in Interventionen bei De-pressionen einzubinden, seine Funktion genauer zu besprechen und einen adaptiven Humorstil zu erarbeiten. Im Zuge von kognitiv orientierten therapeutischen Maßnahmen wäre er als hilfreiche Kompensationsstrategie zu erarbeiten. Auch hinsichtlich stressiger Situationen wäre es möglich, einen humorvollen Umgang zu erlernen und somit eine Dekompensation des angespannten Zustands zu erreichen. (Vgl. Dozois et al., 2009, S.

595)

Es gibt innovative Psychotherapien, die speziell für Männer konzipiert sind und auf spezifische Themen wie partnerschaftliche Trennungen, Scham und Verlust eingehen.

Sie weisen auch auf die spezielle Verbindung zur Depression hin, ohne sie vorrangig zum Hauptthema zu machen. Sie sollten Männer eher ansprechen. Weil Männer typi-scherweise Psychotherapien nicht praktizieren, da dies als „unmännlich“ gilt, erhofft man sich jedoch aufgrund des speziellen Eingehens auf Männerthemen vermehrten Er-folg als Alternative zu einem einsamen Leben und stiller Verzweiflung. Auch Paarbe-handlungen haben sich als erfolgreich erwiesen, da sie sowohl auf die Depression ein-gingen als auch auf eine Reduktion des Alkoholkonsums und anderer Substanzmiss-bräuche und der Gewalt gegen den Partner. . (Vgl. Cochran & Rabinowitz, 2000, S.

132-133)

Zusätzlich zum klinischen Interview gibt es eine Anzahl von populären Selbsteinschät-zungsmessungen, z.B. das BDI (= Beck-Depressions-Inventar: Beck, Ward, Mendel-sohn, Mock & Erbaugh, 1961) oder die MMPI (= Minnesota Multiphasic Personality Inventory) Depression Scale in revidierter Form (Butcher, Dahlstrom, Graham, Tellgen

& Kaemmer, 1989), die sich gut eignen, um den Zustand des Patienten besser erfassen zu können. Es gibt auch spezielle Erfassungsmethoden für depressive Männer. Pollack, 1998, hat, wie unten im Detail zum Erfassen der „Major Depression“ des männlichen Typus aufgelistet, versucht, die Maskierung der Depression besonders hervorzuheben.

Er ging auch auf die Rolle der Komorbiditäten bei männlichen Patienten, die unter af-fektiven Störungen leiden, ein. (Vgl. Cochran & Rabinowitz, 2000, S. 89-91)

4 D

AS

M

ÄNNLICHE

S

ELBST

Zum Begriff des Selbst gehören nach Ottomeyer, 2007, folgende Komponenten:

„Erstens die Erfahrung, geliebt zu werden und zu lieben. Zweitens die Erfah-rung zu arbeiten, über Arbeit gebraucht zu werden. Und drittens schließlich das Gefühl, einen ökonomischen Status als erwachsener Marktteilnehmer zu haben, im Kampf um die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum nicht ganz nach unten abzusacken. Lieben, Arbeiten, Kämpfen – das sind die drei Haupt-bestandteile der vielbeschworenen ‚Identität‘ der Erwachsenen in unserer Ge-sellschaft.“ (Ottomeyer, 2007, S. 5)

Aus dem Verständnis für die Sozialisierung der Männer ergibt sich, dass die „Male De-pression“ oft ein Resultat aus kombinierten Effekten biologischer Prädispositionen, Verlusten und Traumata in der frühen Kindheit, Einschränkungen, die sich aufgrund unterschiedlich normierter Geschlechterrollen ergeben, Enttäuschungen im Leben, un-verarbeiteter Trauer, schlechter sozialer Unterstützung und, für ältere Männer, dem Be-wusstwerden der eigenen Endlichkeit ist. Viele Studien belegen, wie wichtig kulturelle und soziale Faktoren bezüglich der Entwicklung von depressiven Störungen sind. Da-rum möchte ich im folgenden Teil näher auf diese Sozialisierung und den Selbst-Prozess bei Männern eingehen.

Warum Männer schwerer als Frauen einen Zugang zu ihren Emotionen finden, führt zum Thema Anlage - Umwelt. Natürlich gibt es anlagebedingte biologische Unterschie-de zwischen Unterschie-den Geschlechtern, obwohl Männer und Frauen zu einem großen Prozent-satz genetisch identisch sind. Der Rest bietet jedoch genügend Spielraum für Variatio-nen. Es ist jedoch falsch, einzelne Fähigkeiten und Verhaltensweisen grundsätzlich ei-nem Geschlecht zuzuordnen, denn Erziehung, Erfahrungen, Sozialisation und Bildung spielen eine bedeutende Rolle. Diese Komponenten werden deutlich von den Normen unserer Gesellschaft mitbestimmt.

Der Weg zum männlichen Selbst ist von vier wesentlichen Etappen geprägt:

 Entfremdung von der eigenen Innenwelt - Gendering, mangelnde Spiege-lung von Gefühlen, Zwang zur Umweg-Identifikation

 Männliche Außenorientierung - Externalisierung durch Rationalität, Selbstdarstellung oder Körperferne

 Dogmatismus und Hilflosigkeit - abstrakte Ideologien, hegemoniale Männlichkeit

 Männliches Dilemma, Hassliebe gegenüber Frauen und „Male Depressi-on“ - emotionale Bedürftigkeit, professionalisierte Gefühlsabwehr, Vemis-sen und Verachten von weiblichen Gefühlen. (Vgl. Süfke, 2010, S. 43-66)