• Keine Ergebnisse gefunden

Ein literarisches Paradebeispiel für die verborgene Depression des Mannes ist der My-thos des Narziss. Ovid beschreibt einen von allen Mädchen begehrten Jüngling, der alle seine Verehrerinnen jedoch zurückweist. Aus Rache bittet eine davon Aphrodite, ihn mit der Pein einer Liebe, die unerwidert bleibt, zu bestrafen. So verliebt er sich in sein eigenes Spiegelbild und schmachtet im Bann der Eigenliebe, bis er an ihr stirbt. Obwohl man mit Narziss oft symbolisch übertriebenes Selbstwertgefühl meint, erzählt Ovid in seinen „Metamorphosen“ genau das Gegenteil: Wenn sich Narziss wirklich selbst ge-liebt hätte, hätte er sich von seiner eigenen Erscheinung losreißen können und wäre nicht, von seinem Selbstbild abhängig und besessen, in eine Bewegungsunfähigkeit ver-fallen, die ihn das Leben kostete. (Vgl. Ovid, online)

So sieht Real (2001) eine Störung des Selbstwertgefühls als Kern der verborgenen männlichen Depression. Ein normaler Selbstwert inkludiert die Fähigkeit, sich selbst zu schätzen, trotz seiner eigenen Unzulänglichkeiten und nicht wegen der Dinge, die man hat oder kann. Der Ursprung der Fähigkeit zur Selbstliebe liegt in der bedingungslosen Liebe der Eltern zu ihrem Kind. Wenn in der Kindheit nicht erlernt wird, sich auf die inneren Werte zu verlassen, wird man süchtig nach Anerkennung von außen. Macht, gutes Aussehen und Reichtum sind die Faszinationen, denen Männer in Ermangelung des eigenen Selbstwerts erliegen. Im Vergleich zu Narziss, der seinem Spiegelbild er-liegt, ist es auch eine Flucht vor Schmerz, Leere und dem Gefühl der Wertlosigkeit.

Durch „Grandiosität“ wird Scham und somit die Befürchtung abgewehrt, das eigene Selbst könnte minderwertig, wertlos sein. Wenn Surrogate wie Erfolg, Schönheit und

„Berühmtheit“ nicht ausreichen, um sich in seinem Selbstwert zu bestätigen, wenden sich Betroffene gegen sich selbst. Das ist die Dynamik der maskierten Depression. (Vgl.

Real, 2001, S. 40-42 und 54-55)

Zu diesem Thema schreibt Real, 2001:

„Da die verborgene Depression bei solchen Männern auf einem Mangel an innerer Vitalität beruht, ist das Spiegelbild des eigenen Ruhms selten ein er-folgversprechendes Hilfsmittel. Jedesmal wenn Narziss das Objekt seiner Be-gierde umarmen will, führt diese Geste nur zu einem Rückzug. Selbst seine Tränen, der Ausdruck seines Leidens, zerstören nur das schöne Bild und kön-nen deshalb nicht geduldet werden. Narziss muss alle seine echten Gefühle, alle Bedürfnisse auf dem Altar des vergötterten Spiegelbilds opfern, er muss ,der Flamme huldigen, die ihn verzehrt‘. So unerbittlich wie ein Süchtiger ist auch Narziss gefangen in einem Teufelskreis, aus dem er sich nicht befreien kann, nicht einmal im Angesicht des Todes. Genau das ist die grundlegende Dynamik der verborgenen Depression.“ (Real, 2001, S. 42)

Depressionen waren schon immer ein Thema, das die Menschen interessierte. So steht im Alten Testament im Buch Ijob eine Metapher:

„Sind nicht gering die Tage meines Lebens? Blick weg von mir, daß ich mich etwas freue, Bevor ich fortgeh` ohne Wiederkehr ins Land des Dunkels und des Schattens, Ins Land der Finsternis, da keine Ordnung, wo, wenn es leuch-tet, ist`s tiefe Nacht.“ (Die Bibel, Buch Ijob 10, Seite 674)

Hildegard von Bingen wies bereits im 12. Jahrhundert in einem ihrer Werke, das über die Ursachen und die Behandlungen von Krankheiten belehrt, auf Unterschiede zwi-schen weiblichen und männlichen Melancholikern hin. Dies ist ein literarisches Beispiel für eine präzise wissenschaftliche Beschreibung von Depressionen. Sie erklärt die Me-lancholie als Krankheit, die sich vom Phlegma des Melancholikers unterscheidet. Dieser wird als schwermütig, ängstlich und stimmungsschwankend beschrieben. Die Melan-cholie als eine Krankheit, die sich aufgrund der Schwarzgalle auf Herz und Hirn aus-wirkt, bringt Schwermut. Sie lässt die Menschen zweifeln, dass Trost möglich ist.

Dadurch können die Betroffenen keine Freude am Leben haben. Sie gehöre zum Wesen von allen Menschen, da Eva vom Apfel kostete und somit Gottes Gebot übertrat, und sie sei die „Ursache jeder ernsten Erkrankung bei den Menschen“ (Pawlik, 1990, S.

65). Wenn jedoch ein Melancholiker an der Melancholie erkranke, könne er nicht ihre Kraft unterdrücken wie die übrigen Menschen, die einem anderen von ihr beschriebenen Phlegma entsprechen. Sie erlebt diese Menschen als eingekerkerte Personen, die an der Krankheit nicht sterben, aber auch nicht völlig belebt wirken. (Vgl. Pawlik, 1990, S. 65)

Sie beschreibt weiters depressive Männer mit düsterer Gesichtsfarbe, feurigen Augen und harten, starken Gefäßen. Sie seien nicht fähig, richtig zu lieben, auch „ausschwei-fend in ihrer Leidenschaft und ohne Mäßigung im Verkehr mit Frauen“ (Pawlik, 1990, S. 103), verbittert und habgierig. (Vgl. Pawlik, 1990, S. 103)

Ihre Stimmung soll von ihrer Leidenschaft mit Frauen beeinflusst werden, da ihr Ge-hirn, wenn enthaltsam, krank wird. Hildegard von Bingen bemerkte, dass sie eigentlich Frauen hassen und weder Liebe noch Zärtlichkeit empfinden können. Sie können auch sehr hart arbeiten, leiden unter Halluzinationen und meiden Menschen. Diese „männli-che Depression“ sei an die Kinder vererbbar, die ebenfalls nicht lieben und ehren kön-nen. (Vgl. Pawlik, 1990, S. 104)

Forschungen aus diesem Jahrhundert ergaben ähnlich Interessantes: Bemerkenswert ist beispielsweise, dass es in Kulturen, die Alkohol nicht akzeptieren, Unterschiede bezüg-lich der Prävalenz und Symptomatik von Depressionen gibt: Eine Studie von Jaku-baschk aus dem Jahre 1994 erfasste, dass Depressionen bei Amish People doppelt so oft auftreten wie in anderen Kulturen, jedoch verhalten sich diese weniger aggressiv. Die Depressionsrate und Symptomatik von Männern unterscheiden sich nicht von jenen der Frauen. Die Begründung dafür ist, dass Alkohol und Suizid gesellschaftlich tabuisiert sind und die Amish People in einer Gesellschaft leben, in der Homogenität, eindeutig definierte Rollen und direkte Kommunikation und Interaktionen streng egalitär sind.

(Vgl. Jakubaschk, 1994, S. 590-597)

Eine andere Kultur, auf die ich eingehen möchte, ist die jüdische: Menschen jüdischer Ethnizität stellen, obwohl sie über die ganze Welt verteilt leben, ebenfalls eine homoge-ne Gruppe dar, da sie gleicher biologischer Herkunft und durch ihre Religion verbunden sind. Jüdische Menschen sind laut Studien anfälliger als andere Religionsgruppen, an affektiven Störungen zu erkranken, im Speziellen werden bei ihnen häufiger eine „Ma-jor Depression“ (Näheres dazu untenstehend) und „Dysthyme Störungen“ und seltener Alkoholabhängigkeit diagnostiziert. Auch suchen sie diesbezüglich häufiger Hilfe bei Ärzten und machen öfter Therapien als nichtjüdische Vergleichsgruppen. Einige For-schungen belegen, dass es eine weit höhere Depressionsrate bei Männern in der jüdi-schen Bevölkerung gibt. Es wird angenommen, dass sich männliche Juden zur Kom-pensation für ihre schlechte Stimmung jedoch nicht mit Alkohol Abhilfe schaffen. Aus

diesen Erkenntnissen wird abgeleitet, dass Männer, die unter Depressionen leiden, auch ein höheres Risiko haben, alkoholabhängig zu werden. Daraus kann geschlossen wer-den, dass die Prädisposition für Depressionen nicht ausschließlich in den Genen liegt.

Die Berücksichtigung von sozialen Normen und kulturellen Regeln, wie etwa Prohibiti-on vProhibiti-on Alkohol, ist besProhibiti-onders wichtig, um die Art der Störung zu eruieren. (Vgl. Loe-wenthal et al., 2003, S. 122-127)

Hinsichtlich der Diagnostik der „Major Depression“ unterscheiden sich die Symptome der Erwachsenen von denen der Jugendlichen. Auch werden Jugendliche seltener be-handelt, weil Depressionen in der „schwierigen“ Pubertät oft nicht als solche erkannt werden. Die Forschungsgruppe um Wang erforschte 2008 in ihrer Studie an Adoleszen-ten aus einer Privatschule in Sao Paolo, ob es bei jüdischen Jugendlichen vermehrt af-fektive Störungen und hinsichtlich deren Geschlecht Unterschiede gab und wie sich diesbezüglich die depressiven Symptome auswirkten. Die Ergebnisse waren, dass es bei Mädchen der nichtjüdischen Vergleichsgruppe ab 13 Jahren vermehrt zu Depressionen kam. Bei den jüdischen Jugendlichen ist das Verhältnis gleich, jedoch gab es vermehrt jüdische jugendliche Männer im Vergleich mit der nichtjüdischen Kontrollgruppe. Ob-wohl bei jüdischen Teenagern Depressionen bei Mädchen gleich häufig auftraten wie bei Jungen, waren die Symptome bei beiden Geschlechtern unterschiedlich. Dabei wur-den negative Einstellungen, wie Pessimismus, Schuldgefühle, Selbstbeschuldigungen und sozialer Rückzug, typischerweise für die männlichen Jugendlichen genannt. Zwei der DSM-IV-Merkmale der „Major Depression“, nämlich Reizbarkeit und gestörter Appetit, die typische Symptome von Jugendlichen sind, trafen bei den jüdischen Ju-gendlichen nicht zu. Sie waren eher passiv und internalisierten ihre Probleme durch Ängste. Dies wird damit begründet, dass Juden glauben, dass gewaltloses, sanftes Ver-halten Männer vor dem Verlust von Selbstkontrolle und vor Hemmungen bewahrt. So wäre Reizbarkeit gefährlich. Die Studie ist insofern interessant, als es prädisponierend für die Entwicklung einer depressiven Störung im Erwachsenenalter ist, wenn bereits in der Jugend Symptome einer Depression auftreten. (Vgl. Wang, Lederman, Andrade &

Gorenstein, 2008, S. 79-80 und 83-85)

Im Gegensatz zu Kulturen, die Alkohol tabuisieren, sank nach dem Ende der UDSSR in den Transformationsländern die Lebenserwartung deutlich, besonders bei der

männli-chen Bevölkerung. Gründe dafür waren das Ansteigen von Kriminalität und erhöhter Alkoholkonsum, Unfälle und Suizide. Es wird angenommen, dass es durch die Locke-rung der sozialen Umstände zu einer Art Hilf- und Hoffnungslosigkeit durch Verlust der sozialen Identität bei den Männern kam. (Vgl. Hausmann, Rutz & Meise, 2008, S. 45) Aber auch Männer, die „von der halben Welt bewundert werden“ und eigentlich frei von Sorgen sein sollten, leiden unter Depressionen und Ängsten. So berichtete Robbie Williams in einem Interview, er habe über lange Zeit Alkohol, Kokain und Ecstasy kon-sumiert, die Pillen triggerten seine Depression. Die Antidepressiva bremsten ihn, aber sie kontrollierten seine Stimmung:

"When you take ecstasy, your brain releases an awful amount of serotonin, and it makes you go‘great!‘. The serotonin in your head's going ‚wey hey hey, loads of it!‘, and then you use it all up and your brain's got nothing to bathe in." (Williams, 2011, online)