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Untertreibung des Grenzgewinns bei der Abgabenlösung

Teil II: Die Internalisierung externer Effekte durch eine Zentralinstanz

4. Informationsprobleme beim Einsatz traditioneller Lenkungs-

4.2 Strategisches Verhalten des Schädigers

4.2.2 Untertreibung des Grenzgewinns bei der Abgabenlösung

Das Verhalten des Schädigers bei einer Steuerlösung bedarf einer etwas ge-naueren Betrachtung. Klar ist, daß eine Übertreibung des Grenzgewinns nun nicht mehr in Frage kommt, weil dadurch der Pigou-Steuersatz ansteigen würde, so daß sich der Schädiger im Vergleich zu einer wahrheitsgemäßen Offenbarung schlechter stellen würde. Nur eine Untertreibung kann in diesem Fall eine sinnvolle Strategie sein. Ausmaß und Wirkung dieser Untertreibung auf das implementierte Extemali-tätsniveau gilt es im folgenden zu bestimmen.

DM

0 X

Abbildung 16

-

-MC

=

d'(x) + d"(x)x

x* A X

X

Es scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein, daß der Schädiger bei An-wendung einer Pigou-Steuer seinen marginalen Gewinn so stark wie möglich unter-treiben wird, um die Zentralbehörde dazu zu bewegen, einen niedrigen Steuersatz zu wählen und somit die privaten Grenzkosten einer Erhöhung seines Produktionsni-veaus zu minimieren. Bei diesem falschen Steuersatz würde er dann entsprechend

seiner tatsächlichen Gewinnfunktion einen Output wählen, der höher ist als der, den die Zentralinstanz in Anbetracht der erhaltenen Informationen eigentlich durchsetzen wollte. Diese Möglichkeit ist in Abbildung 16 dargestellt.

Wenn

b

'(x) eine beliebige Grenzgewinnkurve bezeichnet, die der Schädiger angeben kann, ohne unglaubwürdig zu erscheinen, könnte er zunächst den Steuersatz bis auf

t

drücken, dann aber den gemäß seiner wahren Grenzgewinnkur-ve b'(x) optimalen Output x mit b'(x) =

t

produzieren. Falls diese Rechnung auf-ginge, könnte er gegenüber der korrekten Angabe von b'(x), die den Steuersatz t*

zur Folge hätte, einen Zusatzgewinn erzielen, der in Abbildung 16 der Fläche t*

t

AB entspricht. Es ist jedoch aus folgendem Grund nicht zu erwarten, daß diese Strategie den erwünschten Erfolg hat: Wenn der Schädiger beim Steuersatz

t

die Menge x herstellen würde, so würde er der regulierenden Behörde damit signalisie-ren, daß seine Angaben zur Grenzgewinnfunktion nicht der Wahrheit entsprochen haben. Bei den hier unterstellten Kurvenverläufen könnte die Behörde anhand der Produktionsentscheidung auf die wahre Grenzgewinnfunktion schließen, den Steu-ersatz künftig auf t* anheben und dem Schädiger nachträglich eine Geldbuße aufer-legen. Durch eine solche Geldbuße, beispielsweise in Höhe des durch die Täuschung erlangten Zusatzgewinns, könnten die Vorteile der Falschangabe voll-ständig neutralisiert werden.

Wenn der Schädiger derartige Strafmaßnahmen antizipiert, kann er ihnen da-durch begegnen, daß er sich so verhält, als habe er tatsächlich die angegebene Grenzgewinnfunktion

b

'(x). Dazu müßte er die Menge

x

in Abbildung 16 produzieren. Die Zentralbehörde könnte ihm in diesem Fall nicht beweisen, die Unwahrheit gesagt zu haben, selbst wenn sie seine Strategie durchschaut. Auf diese Weise könnte er zumindest den niedrigen Steuersatz

t

durchsetzen, wenngleich er sich mit einer Beschränkung seines Outputs zufrieden geben müßte. Daß sich dieses Verhalten bei geeigneter Untertreibung des Grenzgewinns dennoch auszahlen würde, ist aus Abbildung 16 ersichtlich: Hätte der Schädiger die Wahrheit gesagt, so hätte er nach Steuern einen Gewinn in Höhe des Inhalts der Fläche t*BD erzielen können. Demgegenüber steht ein Nettogewinn in Höhe des Inhalts der Fläche t ECD bei Angabe der falschen Grenzgewinnkurve. Welche Strategie vorteilhafter ist, hängt davon ab, ob die schraffierte Rechtecksfläche kleiner oder größer ist als die schraffierte Dreiecksfläche. Hier ist offensichtlich die Untertreibung die bessere Wahl. Das folgende Kalkül zeigt, daß eine Untertreibung bis zu einem gewissen Punkt immer besser ist, als die wahrheitsgemäße Offenbarung:

Der Schädiger wird das Ausmaß der Untertreibung so wählen, daß der Output x, den er einhalten muß, um seine Angaben glaubwürdig erscheinen zu lassen, den Gewinn

(4.1) n(x) = b(x)- t(x)x

maximiert. Da der Staat den Pigou-Steuersatz t(x)

= d

'(x) setzen wird und

d

"(x) >

0 ist, muß der Schädiger berücksichtigen, daß eine Steigerung des Outputs um eine Einheit seine Produktionskosten in zweifacher Hinsicht erhöht: Zum einen steigt die Steuerlast bei konstantem Steuersatz um

d

'(x), zum anderen wird der Steuersatz selbst in die Höhe getrieben. Dieser Effekt ist mit der Gesamtproduktion zu multi-plizieren, so daß sich eine zusätzliche Belastung in Höhe von

d

"(x)x ergibt. Die notwendige Bedingung für das optimale Produktionsniveau x lautet demnach (4.2) b'(x) = t(x) + t'(x)x =

a

'(x) +

a

"(x)x.

Die Kurve MC =

d

'(x) +

d

"(x)x, die die marginale Veränderung der Steuerlast be-schreibt, liegt wegen

d

"(x) > 0 oberhalb der angegebenen Grenzschadenskurve

d

'(x). Falls

d

'(x) wie in Abbildung 16 linear verläuft, halbiert MC den Winkel, der von Ordinate und Grenzschadenskurve eingeschlossen wird. Das optimale Produktionsniveau liegt dort, wo MC und b'(x) sich schneiden. Da an dieser Stelle b'(x) >

d

'(x) ist, ist x kleiner als das Produktionsniveau x*, das sich bei wahr-heitsgemäßer Offenbarung eingestellt hätte. Um sein persönliches Optimum durch-zusetzen, muß der Schädiger dem Staat die Grenzgewinnkurve

b

'(x) nennen, die die Grenzschadenskurve

d

'(x) bei x schneidet.

Das Nash-Gleichgewicht bei der Steuerlösung ist also dadurch charakterisiert, daß der Schädiger seine Grenzgewinnfunktion wie soeben beschrieben untertreibt5, während der Geschädigte seine Schadensfunktion wieder so stark wie möglich über-treibt. Beide Strategien führen zur Implementation einer Produktionsmenge, die im Vergleich zum Paretooptimum zu niedrig ist.

Es sollte noch darauf hingewiesen werden, daß der Anreiz, Falschangaben zu machen, auf Seiten des Schädigers verschwindet, wenn dieser davon ausgeht, den Steuersatz nicht beeinflussen zu können. In diesem Fall wäre aus seiner Sicht

d

"(x) 5Natürlich ist auch hier wieder eine Randlösung möglich, wenn das optimale Ausmaß der Unter-treibung unglaubwürdig wirken würde.

= 0 und die Optimalitätsbedingung (4.2) würde zu b'(x) =

d

'(x), d.h. es wäre für ihn optimal, x* zu produzieren. Dazu müßte er aber keine Falschangabe machen. Damit stellt sich außerhalb des hier untersuchten Szenarios die Frage, inwieweit in Fällen mit sehr vielen Schädigern, die den Steuersatz als gegeben betrachten, überhaupt ein Informationsproblem besteht. Tatsache ist, daß es in dieser Situation aus der Sicht des einzelnen Schädigers keine Rolle spielt, welche Grenzgewinnkurve er angibt, da er durch sein isoliertes Handeln den Steuersatz ohnehin nicht verändern könnte. Ge-geben das Verhalten seiner Opponenten könnte er also genauso gut die Wahrheit sa-gen. Ein positiver Anreiz, den Grenzgewinn zu untertreiben, besteht aber im Rah-men dieser nicht-kooperativen Betrachtungsweise nicht. Dies wäre anders, wenn sich die Individuen kooperativ verhalten und sich gemeinsam auf eine Strategie der Untertreibung festlegen würden. Unter dieser Voraussetzung könnten sie den Steu-ersatz drücken und sich alle gegenüber einer wahrheitsgemäßen Offenbarung ver-bessern. In diesem Fall würden sie den Steursatz aber von vornherein nicht mehr als gegeben betrachten.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen weist die Literatur über Informati-onsenthüllungsverfahren bei Externalitätsproblemen in "großen Gruppen" eine In-konsistenz auf. Dies zeigt sich beispielsweise in einer Arbeit von Sinn (1993), in der ein einfaches lnformationsenthüllungsverfahren vorgeschlagen wird, bei dem u.a.

angenommen wird, daß die (vielen) Verursacher den Pigou-Steuersatz als gegeben betrachten. Das Problem an diesem Mechanismus scheint mir das folgende zu sein:

Einerseits ist nicht klar, ob das Verfahren überhaupt nötig ist, wenn

"Preisnehmerverhalten" vorliegt, da die Möglichkeit, den Steuersatz zu manipulie-ren, den eigentlichen Anreiz bietet, Falschangaben zu machen. Andererseits kann man zeigen, daß Sinns Mechanismus seine Enthüllungseigenschaft verliert, wenn die Annahme des Preisnehmerverhaltens fallengelassen wird. Diese Inkonsistenz hätte m.E. vermieden werden müssen.6

Wenn man die Ergebnisse dieses kurzen Kapitels zusammenfaßt, muß man feststellen, daß die Ausgestaltung von Internalisierungsmaßnahmen auf der Basis von Informationen, die auf dem Wege einer einfachen Befragung der beteiligten In-dividuen gewonnen wurden, zu ineffizienten Allokationen führt. Bei einer

6Eine ähnliche Inkonsistenz weisen auch ältere Arbeiten, wie z.B. die von Roberts und Spence (1976) oder Kwerel (1977) auf, die Enthüllungsverfahren u.a. unter Verwendung von Zertifikaten vorschlagen. Die kritische Annahme ist hier Preisnehmerverhalten auf dem Markt für Zertifikate.

Auflagenlösung ist trotz des Anreizes des Geschädigten, seinen Grenzschaden zu übertreiben, ein ineffizient hohes Aktivitätsniveau zu erwarten, wenn der Schädiger seinen Grenzgewinn hinreichend stark übertreiben kann, ohne unglaubwürdig zu er-scheinen. Das Aktivitätsniveau ist in diesem Fall mit dem isolierten Gewinnmaxi-mum des Schädigers identisch. Ist die Glaubwürdigkeitsrestriktion dagegen bindend, kann das Aktivitätsniveau kleiner, größer oder auch zufällig gleich der pareto-optimalen Allokation sein.

Bei einer Steuerlösung ist unter allen Umständen mit einem ineffizient niedri-gen Aktivitätsniveau zu rechnen. Dafür spricht sowohl der Anreiz des Geschädigten, seinen marginalen Schaden zu übertreiben, als auch das Bestreben des Schädigers, den Pigou-Steuersatz durch eine Untertreibung des Grenzgewinns zu drücken. Da-bei wurde davon ausgegangen, daß letzterer seine falschen Angaben durch eine ent-sprechende Produktionsentscheidung bestätigen muß, um eventuellen Strafmaßnah-men des Staates zu entgehen. Dieser Zwang, den Betrug zu kaschieren, führte letz-tendlich zur eindeutigen Unterschreitung des pareto-optimalen Aktivitätsniveaus.

Wie nicht anders zu erwarten, können mit Hilfe dieser denkbaren aber naiven Methode der Informationsgewinnung keine vernünftigen Allokationsergebnisse er-zielt werden. Daraus leitet sich der Bedarf an Mechanismen ab, die besser dazu ge-eignet sind, an die benötigten Daten heranzukommen. Die Diskussion solcher Me-chanismen wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein.