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Untersuchungsmethoden und -ergebnisse

Im Dokument Und es schrie aus den Wunden (Seite 77-94)

7 Schmerz in ausgewählter Sagaliteratur: etymologische Einführung und Wortschatz

7.2 Untersuchungsmethoden und -ergebnisse

gewandelt (ursprünglich ist es nicht verwandt). Dabei mag auch die Bedeutungsentwicklung ‚erfahren‘ eine Rolle gespielt haben.255

Ein dem altnordischen Ausdruck leiðr ähnliches Wort, leiðendi ‚Unbehagen’, wird an einer Stelle in der Jóns saga helga (yngri gerð) verwendet. Es geht um einen Mann mit schmerzhaftem Hautausschlag am gesamten Körper, wobei es sich laut Sigurður Samúelsson um eine allergische Reaktion handelt.256 In der Saga heißt es:

„[…]; nun ist meine gesamte Haut ein einziger Ausschlag und ich habe Schmerzen und Fieber, daß ich nicht ein noch aus weiß mit dem schlimmen Juckreiz.“ Und danach beginnt er bitterlich zu weinen aus Kummer und Leid.257

An dieser Stelle wäre neben Unbehagen auch eine Übersetzung mit ‚Leid’ denkbar.

Ansonsten wird Leid in den untersuchten Sagas durch folgende Wörter vermittelt:

harmkvæli, harmkvôl, kvôl, meinlæti, meinsemd, -semi, óhœgendi, pína.

7.2 Untersuchungsmethoden und -ergebnisse

In der vorliegenden Analyse wird das Vorkommen körperlichen Schmerzes untersucht. Methodisch wird hierbei zwischen einer statistischen und einer qualitativen Untersuchung unterschieden. In der statistischen Untersuchung werden Schmerzausdrücke und –umschreibungen zahlenmäßig erfaßt. Jede Nennung wird registriert, wobei auch Wiederholungen in die Statistik einfließen.

Im Gegensatz dazu steht in der qualitativen Untersuchung das Schmerzerleben im Vordergrund. Das bedeutet, daß nach Hinweisen auf Schmerzereignisse gesucht wird. Unterschieden wird hierbei zwischen „potentiellen Schmerzereignissen“ und

„tatsächlichen Schmerzereignissen“. Unter „potentiellen Schmerzereignissen“

werden Textpassagen verstanden, die von ihrer Art her Schmerzschilderungen enthalten könnten, weil ganz offensichtlich Schmerzhaftes geschildert wird. Es bleibt offen, ob der Sagatext dieses Potential realisiert. „Tatsächliche Schmerzereignisse“

zeichnen sich dadurch aus, daß sich im Text Hinweise auf Schmerz der betroffenen Person finden.

255 Kluge 2002, 567.

256 Sigurður Samúelsson 1998, 70.

257 „[…]; nú er hörund mitt allt sem einn hrúðr sé, en sviðar þeir eru at mèr ok hitar, at ek veit eigi, hvat ek skal til taka með illakláða þeim”. Ok eptir þetta setr at honum grát mikinn af harmi ok leiðendum. Jóns biskups saga, hin elzta, 182 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).

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7.2.1 Statistische Untersuchung

In der statistischen Untersuchung wurden alle Ausdrücke katalogisiert, die sich direkt oder indirekt auf Schmerz beziehen. Zu den „direkten“ Schmerzbegriffen zählen alle Varianten des Wortes Schmerz (z.B. verkr, sárleikr = ‚Schmerz’) nebst verwandten (z.B. pínsl = ‚Peinigung, Qual, Folter’) oder bildlich verwendeten Begriffen (z.B.

guðs bardagi = ‚Gottes Kampf’).

Die Aufstellung enthält auch den nicht ganz unproblematischen Begriff harmr.

Baetke und Alexander Jóhannesson übersetzen ihn mit ‚Harm, Kummer, Schmerz’.258 Wie Sprenger aufzeigt, handelt es sich um einen in der Gefühlswelt verankerten Schmerz.259

In seltenen Fällen kann harmr jedoch auch körperliche Dimensionen annehmen, wie z.B. in der Guðmundar saga Arasonar eftir Arngrím Ábóta Brandsson:

Das dritte Mal kam zu ihm der Mann, der eine schmerzhaftere Erkrankung hatte, als die meisten anderen, weil er von unerträglichen Schmerzen in seinen Geschlechtsteilen gepeinigt wurde […].260

Harmr bezieht sich eindeutig auf die Schmerzen in den Genitalien des Mannes, so daß der Begriff für diesen und ähnliche Fälle in das Vokabelverzeichnis mit aufgenommen wurde. Alle anderen Textstellen, bei denen sich das Wort auf psychische Vorgänge bezieht, wurden nicht in die Untersuchung einbezogen. Die folgende Tabelle 1 gibt eine Übersicht der direkten Schmerzbegriffe:

258 Baetke 1993 [SSAWL 111], 234; Alexander Jóhannesson 1956, 255.

259 Sprenger 1992 [ERGA 6], 255 f.

260 Í þriðja tíma kom til hans sá maðr, er sárligra mein hafði en flestir aðrir, þvíat hann píndist með úbærligum harmi í sjálfum getnaðarliminum, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta , 25 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).

Tabelle 1: „Direkte“ Schmerzbegriffe

Schmerz

verkr, m. Schmerz; Leiden augnaverkr Augenschmerzen

bakverkr Rückenschmerzen beinverkr Knochenschmerzen

brjóstverkr Brustschmerzen fótarverkr Beinschmerzen

hjartverkr Herzschmerzen hôfuðverkr Kopfschmerzen

jaxlaverkr Zahnschmerzen ofverkr, m. sehr große Schmerzen

œðiverkr, m. heftige Schmerzen óðaverkr, m. rasender, wütender Schmerz

óðvirki, adj. von heftigen Schmerzen geplagt verkmikill, adj. sehr schmerzhaft

at verkja schmerzen at brenna brennen (i.S.v. schmerzen)

harmr, m. hier: Schmerz e-m verðr illt við hier: Schmerz

sárleikr, m. Schmerz sársauki, m. Schmerz

sárr, adj.

schmerzhaft, schmerzlich sárliga, adv.

schmerzhaft, schmerzlich

skurðr, m. schneidender Schmerz, Schneiden at skera schneiden (i.S. v. schmerzen)

stingi, m. stechender Schmerz, Stechen at stinga stechen

at súrna brennen, beißen sviði, m. Brennen, brennender Schmerz

svíðandi (schmerzhaft) brennend at svíða brennen, schmerzen

meinn, adj. schmerzhaft; Schmerz e-m verðr meint víð etw. verursacht jmd. Schmerzen Verwandte Wörter

at angra plagen, quälen harmkvæli, n.pl. Leiden, Qual, Marter

harmkvôl, f. Leiden, Qual, Marter hôrmung, f. Betrübnis, Kummer

at hnekkja mühsam (aus dem Kampf) zurück- at hruma zu schaffen machen gehen, -humpeln (von Verwundeten) kvôl, f. Qual, Pein, Leiden

at kvelja quälen, peinigen, plagen leiðendi, n.(pl.) Unbehagen; hier: Leid

at lima verstümmeln, zergliedern meiðing, f. Mißhandlung, Verstümmelung,

meinlæti, n. Peinigung, Leiden körperl. Verletzung

meinsemd, -semi, f. Leiden óhœgendi, n.pl. Leiden, Pein

óhœgiliga, adv.schmerzhaft, unangenehm at óhœgja unangenehm machen,

pína, f. Pein, Qual, Leiden Unbehagen bereiten

písl/pínsl, f. Peinigung, Qual, Folter at plága plagen, quälen

veinan, f. Gejammer, Wehklagen at væla jammern, wehklagen

at ymja jammern, klagen; lärmen, at œsa hier: quälen schreien

Bildliche Begriffe

bardagi Kampf bônd og bardagi “Fesseln und Kampf“

guðs bardagi „Gottes Kampf“

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Die Übersetzung der Begriffe beruht auf folgenden Nachschlagewerken: Walter Baetke: Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, Jan De Vries: Altnordisches Etymologisches Wörterbuch, Johan Fritzner: Ordbog over Det gamle norske Sprog, Alexander Jóhannesson: Isländisches Etymologisches Wörterbuch und Leiv Heggstad, Finn Hødnebø & Erik Simensen: Norrøn Ordbok.

Verkr liegt mit insgesamt 80 Nennungen in allen Sagagattungen an der Spitze.261 Es steht in der Tabelle daher an erster Stelle, gefolgt von seinen diversen Komposita.

Die übrigen Ausdrücke der Liste sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt.

„Indirekte“ Ausdrücke sind begrifflich schmerzneutrale Wörter, die im Kontext auf ein schmerzhaftes Ereignis hindeuten, wie z.B. þola = ertragen:

„Bist du verwundet?“ sagt Þormóðr. „Ich bin verwundet“, sagte jener. „Ihr habt schlecht an dem König gehandelt“, sagte Þormóðr und sticht nun mit dem Kurzschwert nach ihm. Er ertrug es schlecht. Þormóðr fordert ihn nun auf, es mannhaft zu ertragen, „und jetzt kannst du die Königsleute schmähen.“262

Eine Zusammenstellung der indirekten Schmerzbegriffe findet sich in Tabelle 2:

Tabelle 2: „Indirekte“ Schmerzbegriffe

at bera ertragen at blása við stöhnen, seufzen, schwer atmen

gaulan, f. Geheul, Heulen, Brüllen hryggr, adj. bekümmert, traurig, betrübt

at kalla rufen, schreien at kveða við Laut geben, schreien

óp, n. Rufen, Geschrei; Gejammer at œpa rufen, schreien, brüllen

skrækr, m. Schrei, Geschrei; Gebrüll snôrgl, n. Röcheln

stynr, m. Stöhnen, Seufzer at stynja (vor Schmerz) stöhnen, jammern

at vinna víð gegen etw. ankämpfen at þola aushalten, ertragen (können)

óþolandi unerträglich þrekraun, f. Erprobung der (Körper- u.

Seelen-)Stärke, der Mannhaftigkeit

Zusätzlich ergibt sich das Vorhandensein von Schmerz in einigen Fällen indirekt aus dem Kontext. Insgesamt wurden in den Quellen 58 dieser „Umschreibungen“

identifiziert.

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261 Ausnahme: Konungasögur; hier dominiert sárr.

262 Ertu úar úægõr þo¨moð¨ úar er ek úagðe hinn. Eõgõ færr íð¨ væl tõl konongsenú úagðe þo¨moð¨. Oc rekr nu at hanum úaxet. hann þolãe õlla. þo¨moð¨ bõð¨ hann nu þola væl oc a mæl þa konongs mannum.

Olafs saga hins helga, 88 (Johnsen 1922).

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Zur Verdeutlichung folgen zwei Beispiele:

Und jetzt drehen sie ihm einen Stock ins Haar. Und als es ihm schien, daß er nicht mehr lange auf den Schlag zu warten habe, da sprach er: „Widder“, sagte er. Þorkell stoppt den Schlag und fragte, warum er solches sage. „Weil“, sagte er, „es nicht allzuviele [Widder] sein werden für all die Schafe, die ihr Jarsleute gestern rieft, als ihr verwundet wurdet.“ 263

Es geht in dieser Stelle aus der Jómsvíkinga saga um die Hinrichtung mehrerer Wikinger. Der Delinquent verhöhnt seinen Scharfrichter, indem er die Schmerzäußerungen der im Kampf verwundeten Männer des Jarls mit dem Blöken von Schafen vergleicht.

Im zweiten Beispiel soll der Knecht Guðmundrs unter Anwendung von Gewalt zum Reden gebracht werden:

Dann ergriffen Valgarðr Hjartarson und seine Männer den Knecht Guðmundrs und wollten ihn zum Reden bringen und Sighvatr der Große wurde gegen ihn handgreiflich und hieb ihm den Arm ab, so daß er fortan einarmig war.264

Traditionell ist der Sinn von Gewalt/Folter das Zufügen von Schmerz und logischerweise muß hierin auch im Textbeispiel die Intention liegen, auch wenn dieses nicht extra erwähnt wird. Typisch für viele Gewaltszenen der untersuchten Sagas wird jedoch nicht der Schmerz, sondern das funktionelle Resultat hervorgehoben. Es wird nicht nur gesagt, daß der Knecht einen Schlag auf den Arm erhält, sondern zusätzlich noch einmal betont, daß er fortan einarmig ist. Dieser Zusatz spielt auf die Tatsache an, daß ein körperlich behinderter Knecht für die Arbeit auf dem Hof so gut wie wertlos ist.

Eine Untersuchung der Schmerzbegriffe muß auch die jeweilige Verteilung in den einzelnen Sagagattungen berücksichtigen, um mögliche Unterschiede sichtbar zu machen. Aus diesem Grund wurde für jede Sagafamilie eine Rangliste mit Häufigkeitsangabe der Schmerzbegriffe erstellt und im Folgenden in den Tabellen 3-6 wiedergegeben. Bei Gleichrangigkeit erscheinen die betreffenden Wörter in alphabetischer Reihenfolge.

263 Ok nu snua þeir uond j hár honum. ok er honum þotti sem skamt munde at bida h¹ggsins þa mællti hann. hrutr sagde hann. Þorkell st¹duar h¹ggit ok spurde hui hann mællti sligt. Þuí segir hann at þo mun æigi ofskipat med anum þeim sem þer nefnndud j gær jalls menn þa er þer fengud sárin.

Jómsvíkinga saga, 198 (Guðbrandur Vigfússon & Unger 1860).

264 Siþan tocv þeir Valgarð Hiartar son, huscarl Guðmundar, ok villðv navðga honum til sagna, oc vann Sighvatr inn micli a honum [ok] hio [a haun]d honum, sva at hann var ein-henndr siðan.

Guðmundar saga dýra, 199 (Kålund 1906-1911 (1)).

Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in den Byskupasögur

Auswertung: 40 verschiedene Wörter + 13 Umschreibungen

Tabelle 4: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in den Konungasögur Rang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl

Auswertung: 31 verschiedene Wörter + 8 Umschreibungen

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Tabelle 5: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in der Sturlunga saga Rang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl

1 Umscheibung 10 kvôl 1

2 verkr 8 at lima 1

3 meinn 3 meiðing 1

4 at hnekkja 2 óhægiliga 1

sárr 2 pína 1

at þola 2 at pína 1

5 at bera 1 snôrgl 1

brjóstverkr 1 at svíða 1

harmr 1 þrekraun 1

at kvelja 1

Auswertung: 18 verschiedene Wörter + 10 Umschreibungen

Tabelle 6: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in den Íslendingasögur Rang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl

1 Umschreibung 27 at veina 2

2 verkr 13 œðiverkr 2

3 at þola 9 10 at angra 1

4 augnaverkr 7 bakverkr 1

5 e-m verðr illt við 6 beinverkr 1

6 at stynja 5 at blása við 1

7 at kveða við 4 hryggr 1

8 at kvelja 3 meiðing 1

meinn 3 meinsemi 1

at svíða 3 óðvirki 1

at æpa 3 óhægendi 1

9 at hnekkja 2 at pína 1

at hruma 2 sárr 1

kvôl 2 at súrna 1

at óhægja 2 sviði 1

sárliga 2 at verkja 1

skrækr 2 verkmikill 1

stingi 2 at væla 1

Auswertung: 35 verschiedene Wörter + 27 Umschreibungen

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Die Aufstellung verdeutlicht, daß die Byskupasögur über die größte Vielfalt an Schmerzbegriffen verfügen. Dahingegen werden in der Sturlunga saga weniger als halb so viele unterschiedliche Wörter verwendet. Vom Textumfang ähneln sich die beiden Sagagattungen, so daß sich dieser rein quantitative Vergleich anbietet.265 Die Íslendingasögur haben etwa den vierfachen Umfang der Byskupasögur und weisen doch eine geringere Variabilität der Ausdrücke auf. Jedoch finden sich in ihnen wesentlich mehr Schmerzumschreibungen als in jeder anderen Sagafamilie. Als einzelnes Wort ist verkr der am häufigsten vorkommende Begriff. Trotzdem taucht er im gesamten Textcorpus nur 13 Mal auf, während es in den Byskupasögur 46 Nennungen sind. Auch für alle anderen Ausdrücke wird ein deutlich häufigeres Vorkommen in den Byskupasögur im Vergleich mit allen anderen Sagagattungen deutlich. Der Bereich der Ein- bis Zweifachnennungen beginnt in den Byskupasögur bei Rang 11. In den Íslendingasögur ist es Rang 9, in den Konungasögur Rang 7 und in der Sturlunga saga Rang 4. Die Gruppe der Wörter mit Ein- und Zweifachnennungen ist von quantitativer Bedeutung. Zwar ist jeder Begriff für sich selten im Text vertreten, aber zusammengenommen haben sie je nach Textgattung einen Anteil zwischen 51 und 89 % des gesamten Schmerzwortschatzes. Hierdurch tragen diese Wörter auch entscheidend zur sprachlichen Vielfalt bei. Andererseits reicht ein- bis zweifache Nennung innerhalb eines umfangreichen Textes nicht aus, das sprachlich vorherrschende Bild in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.

Verkr und ähnlich oft benutzte Wörter dominieren daher das Gesamtbild.

Die Zusammensetzung des Schmerzvokabulars folgt dem bereits beschriebenen Trend. In den Byskupasögur finden sich 20 direkt Schmerz bezeichnende Wörter, in den Íslendingasögur 16, in den Konungasögur 12 und in der Sturlunga saga 6.

Abschließend ist zu sagen, daß sich anhand der für diese Arbeit ausgewählten Sagas eine recht umfangreiche Auflistung unterschiedlicher Wörter und Ausdrücke zum Thema Schmerz erstellen läßt. Der am meisten verwendete Begriff ist verkr, der in Variation und Abwandlung insgesamt 15 Mal vertreten ist. Daneben gibt es weitere 9 Begriffe, die allesamt mit „Schmerz“ übersetzt werden. Darüber hinaus sind eine Reihe verwandter Begriffe und Umschreibungen zum Thema vorhanden.

Die Byskupasögur bilden die sprachlich ergiebigste Sagagruppe dieser Untersuchung. Hier findet sich nicht nur die größte Vielfalt an Schmerzbegriffen,

265 Auf die thematischen Unterschiede wird in der inhaltlichen Untersuchung eingegangen.

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sondern auch ihr häufigstes Vorkommen. Schlußlicht bildet die Sturlunga saga mit nur wenigen Ausdrücken und Nennungen.

Aus der sprachlichen Vielfalt eines Begriffs lassen sich Rückschlüsse auf seine Bedeutung ziehen. Je wichtiger ein Thema, desto häufiger wird in der Regel darüber gesprochen. Je mehr darüber gesprochen wird, desto mehr differenzierende Bezeichnungen bilden sich in einer Sprache im Laufe der Zeit heraus. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die große Anzahl unterschiedlicher Ausdrücke für Schnee und Eis bei den Inuit Kanadas, Alaskas und Grönlands. Da sie den meisten Teil des Jahres in schneebedeckter Landschaft zubringen, haben sich je nach Dialekt bis zu 49 Wörter für Schnee herausgebildet.266

Für die Byskupasögur mit ihrem größeren Schmerzwortschatz würde analog gelten, daß Schmerz inhaltlich eine größere Rolle spielt als in den anderen Sagagattungen. In der Tat gibt es erhebliche thematische Unterschiede zu den übrigen Sagafamilien.

Die Byskupasögur sind christlich geprägte Texte mit einem großen Anteil Wunderheilungen. Geringfügige Überschneidungen gibt es mit den Konungasögur durch die Sagas über den heiligen Óláfr und mit der Sturlunga saga durch die Prestssaga Guðmundar Arasonar. Diese haben jedoch zusammen mit den Íslendingasögur eine generell andere Thematik. Während die Byskupasögur Leben und Wirken isländischer Bischöfe beschreiben, erzählen die Konungasögur das Leben skandinavischer Herrscher. Die Sturlunga saga thematisiert die Ereignisse der Sturlungenzeit und die Íslendingasögur berichten über die Helden der Sagazeit. Von der literaturwissenschaftlichen Eingruppierung her gehören die Byskupa- und Konungasögur sowie die Sturlunga saga zu den Gegenwartssagas. Allein die Íslendingasögur werden den Vergangenheitssagas zugerechnet.

266 Derby 1994; Woodbury 1991. Auch die linguistische Zählmethode spielt eine Rolle. Manche Autoren kommen so auf 300 und mehr Wörter.

7.2.2 Inhaltliche Untersuchung

Der Schwerpunkt der inhaltlichen Analyse lag auf demographischen, sozialen, kulturellen und körperlichen Fragestellungen: Wie oft tritt Schmerz auf? Wer erleidet Schmerz? In welchem Zusammenhang ist er anzutreffen? Warum tritt er auf? Welche Körperregionen sind vorwiegend betroffen?

Abbildung 2 veranschaulicht das Verhältnis „potentieller“ zu „tatsächlichen“

Schmerzereignissen.

Abbildung 2: Häufigkeit von Schmerz in den untersuchten Sagas

0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600

Byskupasögur

Konungasögur

Sturlunga saga

Íslendingasögur

Potentiell schmerzhafte Ereignisse

Anteil

dokumentierten Schmerzes

Jedes Ereignis mit potentiell schmerzhaftem Charakter wurde registriert und auf das Vorkommen von Schmerz untersucht. „Tatsächliche Schmerzereignisse“ sind diejenigen „potentiellen Schmerzereignisse“, in denen Schmerz beobachtet wurde.

Wie aus der Abbildung anschaulich zu entnehmen ist, liegt die Anzahl der Textstellen mit potentiellem Schmerzinhalt in den Íslendingasögur um ein Vielfaches über denen der Byskupasögur (Faktor 9,2). Das erklärt sich aus dem hohen Verletzungs- und Gewaltanteil der Íslendingasögur. Aus demselben Grund gibt es in der Sturlunga saga über fünfmal mehr potentielle Schmerzstellen als in den Byskupasögur. Gleichzeitig sinkt der Schmerzanteil erheblich, sowohl in absoluten Zahlen, als auch prozentual. Während bei den Byskupasögur noch in etwa jeder zweiten potentiellen Textstelle Schmerz vorkommt, ist es in der Sturlunga saga nur noch jede 39.

Berechnet man den prozentualen Anteil der Schmerzereignisse an den insgesamt verzeichneten Textstellen, erhält man die „Schmerzquote“. Abbildung 3 zeigt, daß 77

die Quote bei christlichen Texten deutlich höher liegt, als in Sagas ohne christlichen Schwerpunkt. Die Konungasögur liegen mit 11,4 % im Mittelfeld. Dieser Wert erklärt sich vor allem durch die vielen Schmerzschilderungen im Zusammenhang mit der Schlacht von Stiklastaðir. Ohne diese Stellen würde auch dieses Ergebnis deutlich niedriger ausfallen.

Um die Ursachen des in den Sagas geschilderten Schmerzes weiter differenzieren zu können, wurden drei Kategorien gebildet: Krankheit, Verletzung und Tod. Hierbei wurde so verfahren, daß Krankheiten oder Verletzungen mit tödlichem Ausgang der Kategorie Tod zugeordnet wurden, unabhängig von der Länge der Krankheits-, bzw.

Verletzungszeit. Im Sagatext nicht näher benannte und bezifferte Tote und Verletzte wurden nicht in die Statistik aufgenommen.

Abbildung 4: Potentiell schmerzhafte Ereignisse im Überblick

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Abbildung 4 zeigt die prozentuale Zusammensetzung potentiell schmerzhafter Ereignisse für jede Sagagruppe. Auffällig ist der hohe Anteil an Krankheit in den Byskupasögur und die vielen Ereignisse mit Todesfolge in den anderen Sagagattungen. Dort wiederum spielt Krankheit nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Im Verletzungsanteil unterscheiden sich die Texte nicht wesentlich voneinander.

Das Bild ändert sich deutlich bei Untersuchung der Schmerzereignisse (Abb. 5):

Abbildung 5: Schmerzursachen im Überblick

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Byskupasögur

Konungasögur

Sturlunga saga

Íslendingagur

Ereignis mit Todesf olge V erletzung

Krankheit

Krankheit stellt eine wichtige Ursache für Schmerz dar. Bei den Byskupasögur hat sich der Anteil der Erkrankungen von 57 auf 71 % erhöht, in den übrigen Texten fällt die Steigerung noch deutlicher aus. Am ausgeprägtesten ist sie in den Konungasögur, von 7 auf 38 %. Der schmerzhafte Tod tritt in den Hintergrund zugunsten schmerzhafter Verletzung.

Der hohe Krankheitsanteil der Byskupasögur erklärt sich wiederum durch die diversen Wunderheilungen der Bischöfe. Wunderheilungen gibt es auch in den christlich geprägten Texten der Konungasögur (Olafssagas) und in der Sturlunga saga (Prestssaga Guðmundar Arasonar).

Auch die Geschlechter- und Altersverteilung war Gegenstand der Untersuchung.

Tabelle 7 und 8 zeigen die Ergebnisse für die potentiellen und tatsächlichen Schmerzereignisse:

79

80 Tabelle 7: Geschlecht und Alter in den „potentiellen Schmerzstellen“

Byskupasögur Konungasögur Sturlunga saga Íslendingasögur

Männer 116 175 888 1576

Frauen 34 1 10 35

Jungen 15 0 0 4

Mädchen 9 0 0 2

Tabelle 8: Geschlecht und Altersstruktur in den „tatsächlichen Schmerzstellen“

Byskupasögur Konungasögur Sturlunga saga Íslendingasögur

Männer 52 25 21 43

Frauen 23 1 2 4

Jungen 3 0 0 0

Mädchen 7 0 0 1

Alle Sagagattungen werden männlich dominiert. Frauen und Kinder sind in nennenswertem Ausmaß nur in den Byskupasögur vertreten. In den Konungasögur sowie der Sturlunga saga fehlen sie praktisch ganz. Die Íslendingasögur weisen genauso viele potentielle Schmerzstellen über Frauen auf wie die Byskupasögur.

Gemessen am Männeranteil machen sie jedoch nur rund 2 % aus, in den Byskupasögur sind es rund 29 %.

Wie Tabelle 8 zeigt, wird Schmerz mit Ausnahme der Byskupasögur fast ausschließlich bei Männern beschrieben. Die bereits in Abbildung 3 für alle Textstellen errechnete Schmerzquote ergibt sich nach Geschlecht und Alter wie folgt:

Tabelle 9: Schmerzquote nach Geschlechtern

Byskupasögur Konungasögur Sturlunga saga Íslendingasögur

Männer 44,8 14,3 2,4 2,7

Frauen 67,6 20 11,4

Jungen 20 0 0 0

Mädchen 77,8 0 0

Die Gesamtschmerzquoten der Konungasögur, Sturlunga saga und Íslendingasögur decken sich mit den Schmerzquoten der Männer. Da in diesen Sagagattungen der Frauenanteil äußerst gering ist, hat deren Schmerzquote auf das Gesamtresultat keine Auswirkungen. Aufgrund der geringen Fallzahlen bei den Frauen in den Konungasögur und den Mädchen in den Íslendingasögur, sind die resultierenden

81 Schmerzquoten irreführend und werden aus diesem Grunde nicht aufgeführt. In den Byskupasögur liegt die Männerschmerzquote unter der Gesamtschmerzquote von

81 Schmerzquoten irreführend und werden aus diesem Grunde nicht aufgeführt. In den Byskupasögur liegt die Männerschmerzquote unter der Gesamtschmerzquote von

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