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Sinn und dramaturgische Funktion von Schmerz

Im Dokument Und es schrie aus den Wunden (Seite 149-171)

Konungasögur

10 Zum Schmerzverständnis der Sagas

10.4 Sinn und dramaturgische Funktion von Schmerz

fühlt gleichzeitig, daß es sich bei dem Entzündungsschmerz nicht länger um den obligatorischen Wundschmerz handelt, da sich dessen Charakter verändert hat. Auch ein Held wie Grettir kann gegen diese übernatürlichen Mächte nichts ausrichten und ist gezwungen, Schmerzverhalten zu zeigen. Hierdurch werden dem Leser die unvorstellbaren Dimensionen dieses Schmerzes vor Augen geführt, denn im Laufe der Saga hat er erfahren, zu welch grandioser Selbstbeherrschung Grettir in Sachen Schmerz fähig ist. Unterstrichen wird die Macht des Zaubers durch die gleichzeitigen optischen Veränderungen der Verletzung. Das Bein ist innerhalb kurzer Zeit stark angeschwollen, blauschwarz verfärbt und die Wunde hat sich geöffnet.

10.4 Sinn und dramaturgische Funktion von Schmerz

Für Bakan ist die Sinnfrage ein elementarer Bestandteil des Schmerzes:

Der Versuch, das Wesen des Schmerzes zu begreifen, seinen Sinn zu finden, ist schon die Antwort auf den Imperativ des Schmerzes selbst. Keine andere Erfahrung fordert so beharrlich eine Deutung. Der Schmerz erzwingt die Frage nach seinem Sinn, und besonders nach seiner Ursache, da die Ursache ein wichtiger Teil seiner Bedeutung ist.449

Die Suche nach dem Sinn des Schmerzes ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem heutigen und dem bis ins 17. Jahrhundert geltenden Schmerzverständnis. Vor Leibnitz und Descartes hatte jeder Schmerz einen Sinn:

[…], sinnvoll in der Antike als Ausdruck widernatürlicher Vorgänge, sinnvoll später als Erbübel, als gottgewollte oder von Gott geduldete Prüfung, Strafe, Plage.450

Mit Aufkommen der Anästhesie „setzte eine kritischere und differenziertere Wertung des Schmerzes ein; es fand eine eigentliche Umbewertung statt. Nun konnte es auch sinnlosen Schmerz geben, wobei das keineswegs bedeuten soll, aller Schmerz sei ohne Sinn.“451 Jeglicher Schmerz in den Sagas gründet sich damit auf ein Schmerzverständnis, das ihm einen bestimmten Sinn zuweist. Allerdings ist der

„Sinn von Schmerz […] zuweilen so eng mit der historisch gewachsenen Kultur, in der er auftritt, verbunden, daß er Außenstehenden völlig verschlossen bleibt.“452

448 Grettir segir, at honum gerðisk illt í fœtinum, […]. Grettis saga Ásmundarsonar, 252 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).

449 Bakan 1968, 57 f.

450 Rüttimann 1987, 154.

451 Rüttimann 1987, 154.

452 Morris 1996, 62 f.

141 10.4.1 Schmerz als Strafe

In den untersuchten Textpassagen erfüllt Schmerz oft den Sinn einer Bestrafung für Unachtsamkeit im Umgang mit Wunden. Im genannten Beispiel von Þórðr Folason erscheint der heilige König Óláfr und tadelt seine Nachlässigkeit. Der Therapieschmerz bekommt den Charakter einer zusätzlichen Bestrafung, so als ob Óláfr den Schaden unwillig wieder in Ordnung brächte. Auch Jón (Íslendinga saga) und Nicolas af Vestnesi (Sverris saga) sterben, weil sie sich nicht um ihre Wunden kümmern. Die Botschaft dieser Stellen hat stark moralisierenden Charakter: „und die Moral von der Geschicht’: vernachlässige deine Wunden nicht!“

10.4.2 Schmerz als Indikator für Lebensgefahr

Ein Vergleich der Textbeispiele zu verkr läßt eine weitere Funktion von Schmerz zutage treten. Er warnt vor Lebensgefahr. In allen Fällen verläuft die Heilung zunächst unkompliziert, bis sich die Wundinfektion unter heftigen Schmerzen klinisch manifestiert. Die heldenhafte Indifferenz der Betroffenen gegenüber Wunde und Schmerz schlägt abrupt in ausgeprägtes Schmerzverhalten um. Jón und Nicolas sterben. Wahrscheinlich würde auch Þóðr ihnen in den Tod folgen, hätte er nicht Besuch vom heiligen Óláfr, der ihn in letzter Sekunde rettet. Aus dramaturgischer Sicht ist der Schmerz wichtig. Andernfalls wäre der Tod dieser drei Männer nur schwer nachvollziehbar, handelt es sich doch um absolut unbedeutende Wunden.

Daß solche Kratzer gestandene Männer umbringen, muß plausibel gemacht werden.

Schmerz eignet sich hervorragend für diesen Zweck. Er vermittelt, daß etwas nicht stimmen kann, wenn kampf- und leiderprobte Männer auf einmal zusammenbrechen und vor lauter Schmerz nicht mehr ein noch aus wissen. Auch bei der schlimmen Wunde Grettirs übernimmt Schmerz die Funktion, den nahenden Tod anzukündigen.

Im Laufe der Saga hat Grettir so viel körperliches Leid klaglos über sich ergehen lassen müssen, daß angesichts der starken Schmerzen klar wird: diesmal geht es nicht gut aus. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Sturlunga saga. In der Guðmundar saga dýra erhält Hrafn von seinem Bruder Hákon eine Speerverletzung im Bereich des Brustbeins sowie eine Fleischwunde an nicht näher benannter Stelle. Hákon hat ein Verhältnis mit Hrafns Frau Guðrún und will den Bruder auf ihre Initiative hin beseitigen:

Sie fragte, wie stark er verwundet sei. Er antwortet: „Die Fleischwunde ist nicht tief, aber am Brustbein brennt es manchmal.“ Hrafn lag drei Nächte

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verwundet und erhielt alle Sakramente und starb danach und wurde nach Möðruvellir gebracht.453

Auf Guðrúns Frage nach der Schwere seiner Verletzung spielt er den Schaden herunter. Auch hier gibt der Schmerz einen Hinweis auf die Schwere des Zustandes, denn drei Tage später ist Hrafn tot.

Eine im Handlungsverlauf der FóstbrÍðra saga weiter zurückliegende Verwundung Þormóðr Bersasons stellt ein seltenes Beispiel für Wunden dar, die trotz Entzündung schließlich ausheilen. Über die Begebenheit wird in der FóstbrÍðra saga und der Flateyjarbók berichtet und zeichnet sich in der Flateyjarbók durch die genaue zeitliche Beschreibung des Infektionsprozesses aus. In einem Kampf erhält Þormóðr eine Verwundung am Bein: „[…]; der Stoß trifft ihn am Bein unterhalb des Knies und das wird eine große Wunde.“454 In Bezug auf die weitere Entwicklung der Wunde unterscheidet sich die Handlung der FóstbrÍðra saga erheblich von den Zusätzen aus der Flateyjarbók. In der FóstbrÍðra saga findet sie nur anfangs und am Schluß Erwähnung. Direkt nach dem Vorfall verbindet Þormóðr die Wunde und versteckt sich danach im Bootshaus von Þórunn: „Þormóðr verbindet seine Wunde und begibt sich zum Bootshaus hinunter, das Þórunn gehörte; […].“455 Dort wartet er auf eine günstige Gelegenheit, über den Fjord zu fliehen (er wurde im Verlauf der Handlung geächtet). In der Nacht nimmt er ein Boot und rudert auf den Fjord hinaus.

Seine Todfeindin Þordís aus Löngunes sieht seine Flucht im Traum und nimmt mit ihrem Sohn und einigen Männern die Verfolgung auf. Þormóðr täuscht bei einer Schäre einen Bootsunfall vor und versteckt sich zwischen Steinen im Wasser. Þordís fällt auf diese List nicht herein und läßt das Gebiet mit Speeren sondieren, ohne ihn jedoch zu entdecken. Sie fahren wieder ab, nehmen das andere Boot mit und Þormóðr versucht, an Land zu schwimmen. Er schafft es nicht und rettet sich mit letzter Kraft auf eine andere Schäre („[…] und war danach so steif und erschöpft, daß er von dort aus nirgendwohin mehr gelangen konnte.”).456 Da erscheint der heilige

453 Hon spurdi, hve miog hann væri sarr. Hann svarar: „grvn verda svaðv-sar, enn svida get ek bringspala-dilann of stvnd.” Rafn la III nætr í sarum oc fecc alla reiðv oc andaþiz siþan oc var færdr a Moðrv-vollv. Guðmundar saga dýra, 277 (Kålund 1906-1911 (1)).

454 […]; kømr lagit í fót honum fyrir neðan kné, ok verðr þat mikit sár. FóstbrÍðra saga, 250 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

455 Þormóðr bindr sár sitt og ferr ofan til nausts þess, er Þórunn átti; […]. FóstbrÍðra saga, 251 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

456 […] ok var þá orðinn [bæði stirðr ok móðr], svá, at hann mátti hvergi þaðan komast. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 255 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

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König Óláfr dem Bauern Grímr aus Vík im Traum und befiehlt ihm, Þormóðr zu bergen. Die Rettungsaktion glückt und Þormóðr wird in Vík gesund gepflegt:

[…], bringen sie ihn nach Hause nach Vík und bewirten ihn dort heimlich und heilen ihn. Und als er sich von der Verletzung erholt hatte, die Ljótr ihm beigebracht hatte, da bringt Steinarr Þormóðr auf ihr Schiff.457

Sehr viel ausführlicher behandelt die Flateyjarbók Þormóðrs körperlichen Zustand.

Die Handlung setzt nach der primären Wundversorgung ein, so daß man nicht erfährt, ob er die Wunde verbunden hat. Þormóðr versteckt sich nicht im Bootshaus von Þórunn, sondern von Þordís in Löngunes. Erste Symptome einer Wundinfektion stellen sich im Laufe des Vormittags ein: „Þormódr blieb liegen wo er war, weil er wegen der Wunde wenig laufen konnte.“458 Seit der Verletzung sind knapp 24 Stunden vergangen. Den ganzen Tag harrt er in seinem Versteck aus und gegen Abend beginnt das Bein zu schmerzen: „Þormódrs Bein fing an, sehr weh zu tun.“459 Aus seinem Versteck heraus hat er die Knechte beobachtet, wie sie morgens zum Fischen auf den Fjord fuhren und abends wieder zurückkehrten. Als alle weg sind, will er ein Boot nehmen, wird dabei aber von einem der Knechte überrascht. Der läuft direkt zum Haus, um Alarm zu schlagen. Þormódr kommt wegen seines Beins nicht hinterher: „[…] und Þormódr will ihn verfolgen, aber sein Bein war so steif, daß er sich nicht vom Fleck rühren konnte.“460 Er wirft dem Flüchtenden eine Axt hinterher und verletzt ihn an der Wade. Dann flieht er selbst mit dem Boot auf den Fjord. In der Nacht träumt Þordís, daß er mit dem Boot geflohen ist und nimmt mit ihren Leuten die Verfolgung auf. Im Traum erhält sie detaillierte Informationen über Þormódrs Zustand:

[…] und er hat nun Kárr verwundet, deinen Verwandten, und dein Boot genommen und rudert nun über den Fjord und ich glaube, daß verkr in der Wunde ist, die Ljótr ihm zugefügt hat.461

457 […], fœra hann heim í Vík ok varðveita hann þar á laun ok grœða hann. Ok er hann var heill maðr orðinn þeira áverka, er Ljótr hafði á honum unnit, þá flytr Steinarr Þormóðr til skips þeira. FóstbrÍðra saga, 256 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

458 Þormóðr liggr sem áðr, þar sem hann var kominn, því at hann var lítt gengr fyrir sárinu. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

459 Þormóði gerðisk verkmikill fótrinn. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K.

Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

460 […], ok vill Þormóðr snúa eptir honum, en honum var svá stirðr fótrinn, at hann mátti hvergi komask. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

461 […], ok hefir hann nú unnit á Kár, frænda þínum, ok tekit bát þinn ok rœr nú yfir á fjörð, ok hygg ek, at honum sé verkr í sári því, er Ljótr veitti honum. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 253 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6)].

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Þormóðr hat sich nach gut einem Tag Inkubationszeit eine Wundinfektion zugezogen mit den im Text bezeichneten typischen Entzündungssymptomen dolor und functio laesia. Þordís vermutet, daß es sich um verkr handelt. Dies wird aber im weiteren Handlungsverlauf weder erneut aufgenommen noch bestätigt.

Þordís und ihre Knechte rudern auf den Fjord hinaus und finden das gekenterte Boot Þormódrs. Bei ihrer Suche unter Zuhilfenahme der Speere wird er in der Version der Flateyjarbók verletzt: „Þormóðr wurde an vielen Stellen von ihren Speeren verletzt.”462 Als er nach ihrer Abfahrt versucht, an Land zu schwimmen, nimmt die Flateyjabók detaillierteren Bezug auf Þormóðrs Zustand:

Und als es nicht mehr weit war bis zum Festland, da konnte Þormóðr auf eine Schäre gelangen und war da so steif und erschöpft, daß er von dort aus nirgendwohin mehr zu kommen vermochte.463

Der übrige Handlungsverlauf stimmt wieder überein mit der FóstbrÍðra saga.

Þormóðr wird gerettet und gesund gepflegt. Der Zustand seiner Wunde bleibt im Dunkeln. Indirekt steht die Heilung mit König Óláfr in Verbindung, der ein direktes Interesse an der Rettung Þormóðrs bekundet. Eine weitere Erwähnung der Wundinfektion erübrigt sich dadurch.

10.4.3 Magie als Ursache für Schmerz

Magie ist ein weiterer Anlaß für schmerzhafte Wunden in der untersuchten Sagaliteratur. Beth definiert Magie als „Operationen [mit] dem Zweck, egoistisch geartete Wünsche, deren Erfüllung gebieterisch gefordert wird, durchzudrücken.“464 Wie bereits dargestellt, zeichneten sich die Isländer von je her aus durch einen starken Glauben an Magie, Geister und andere übernatürliche Kräfte. Pettersson sieht hierin ein natürliches Bedürfnis des Menschen:

Der Mensch wünscht, mit den höheren Mächten in Kontakt zu kommen und von ihnen Hilfe zu erlangen. In seinem Sehnen nach einem erfüllten Leben spricht sich sein Wunsch aus, in lebendigem Kontakt mit der schöpferischen Quelle des Universums zu stehen. Er nähert sich dieser Quelle von Kraft und Leben auf verschiedene Weise: in Unterwerfung und Loyalität, durch Proteste, Gefälligkeiten oder durch Ansprüche. Wenn Forderungen und Gefälligkeiten überwiegen, sprechen die Wissenschaftler von „Magie“ –

462 Þormóðr skeindisk víða af spjótum þeira. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 254 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

463 Ok er sakmmt var til meginlands, þá komsk Þormóðr á eitt sker ok var þá orðinn bæði stirðr ok móðr svá, at hann mátti hvergi þaðan komask. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 255 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).

464 Beth 1978 [WDF 337], 33.

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wenn Unterwerfung und Loyalität die Hauptaspekte sind, sprechen sie von

„Religion“.465

Kaiser unterscheidet in ihrer Arbeit zwischen „Schaden-“ und „Heilmagie“. Darunter versteht sie „eine dem Menschen Schaden zufügende“ und „eine zum Heile des Menschen dienende“ Magie.466 Im Hinblick auf Schmerz ist für diese Arbeit in erster Linie die Schadenmagie von Bedeutung.

Auf Grettirs Beinwunde wurde bereits ausführlich eingegangen. Aufgrund des Runenzaubers der Hexe Þuríðr rutscht seine Axt beim Holzhacken ab und verletzt ihn am Bein. Es entwickelt sich eine lebensgefährliche Entzündung, begleitet von starken Schmerzen, die vor allem vor diesem magischen Hintergrund gesehen werden müssen.

Ein anderes Beispiel für Magie sind schmerzhafte Wunden durch Zauberschwerter.

Kaiser bezeichnet dies als „Kontaktmagie“:

Als letzte Anwendungsform der Magie wird die Kontaktmagie vorgestellt.

Die schadenmagischen Kräfte sind an ein persönliches Attribut des

‚Absenders’ gekoppelt, mit dem der ‚Empfänger’ in Kontakt kommen muß.

Die Distanz zwischen den an der magischen Handlung Beteiligten ist fast oder ganz aufgehoben, d.h. der Kausalitätszusammenhang ist besonders intensiv gefestigt.467

Unter den namhaften Schwertern der Sagaliteratur fällt besonders das Schwert Skôfnungr auf. In der LaxdÍla saga wird es folgendermaßen charakterisiert:

Aber das ist die Natur des Schwertes, daß die Sonne nicht auf die Parierstange scheinen darf und es darf nicht in Anwesenheit von Frauen gezogen werden. Wenn jemand eine Wunde durch das Schwert erhält, so verheilt diese Wunde nicht, es sei denn, sie würde mit dem beiliegenden Heilstein bestrichen.468

Der hier genannte Heilstein übernimmt die Funktion eines Antidots bei Verletzungen durch das Schwert. Außer Skôfnungr verfügt auch Hvítingr aus der Kormaks saga über einen solchen lyfsteinn. Von jeher hat man bestimmten Steinen Zauberkraft zugeschrieben, wie bereits aus frühen schriftlichen Quellen des 3. Jahrhunderts v. Chr. hervorgeht.469 In den Sagas kann ein „Heilstein“ auch aus einem

465 Pettersson 1978 [WDF 337], 316.

466 Kaiser 1998, 66.

467 Kaiser 1998, 70.

468 En sú er náttúra sverðsins at eigi skal sól skína á hjôltin og honum skal eigi bregða, svá at konur sé hjá. Ef maðr fær sár af sverðinu, þá má þat sár eigi grœða, nema lyfsteinn sá sé riðinn við, er þar fylgir. LaxdÍla saga, 172 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]).

469 Kaiser 1998, 74.

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kräutergefüllten Säckchen bestehen. Kaiser vermutet hinter dem Konzept des lyfsteinn pharmakologische Effekte in Form heilender Kräuter oder vasokonstriktiver Mineralien (Alaun, Hämatit).470

Daß die Schneide von Zauberschwertern als regelrecht giftig angesehen wird, verdeutlicht eine Passage aus Brot af Þórðar sögu hreðu:

Und als Þórðr nach Hause kam, sahen die Leute, daß er am linken Arm ein wenig verwundet war. Diese Wunde verheilte schlecht, so daß sie anschwoll und Beschwerden bereitete, und das führte zu seinem Tod, weil Gift an den Schwertschneiden Bárekrs gewesen war.471

Þórðr Hísingarskalli hat mit einem Berserker auf dem Holm gekämpft und eine kleine Wunde davongetragen. Berserker galten als zauberkundig und ihre Schwerter als magisch. Als Þórðr nach Hause kommt, schwillt die Wunde an und beginnt zu schmerzen, wofür das giftige Schwert verantwortlich gemacht wird. Offenbar handelt es sich um eine Wundinfektion mit anschließender Sepsis, die zum Tode führt.472 Gift wird in den Sagas als ätzende Säure dargestellt, die bei Kontakt Schmerzen verursacht. In der Gull-Þóris saga tropft Hyrningr beim Kampf mit einem Drachen Gift aufs Bein, gefolgt von heftigen Schmerzen:473

[…] das Gift tropfte Hyrningr aufs Bein und verursachte dort so heftige Schmerzen, daß er es kaum aushalten konnte.474

Vergleicht man die Verletzungen durch magische Schwerter, zeigen sich Unterschiede im zeitlichen Verlauf. Während sich im Brot af Þórðar saga hreðu die Infektion erst nach einer gewissen Inkubationszeit manifestiert, treten die Symptome Schmerz und Schwellung in der LaxdÍla saga im unmittelbaren Anschluß an das Ereignis auf.

Grímr sah den Schatten des Mannes auf dem Wasser und er springt schnell auf. Þorkell ist ihm da schon sehr nahe gekommen und schlägt nach ihm; der Hieb trifft den Arm oberhalb des Handgelenkes, aber das war keine große Wunde. […] Sie stehen nun beide auf und gehen heim zur Hütte. Þorkell sieht, daß Grímr vom Blutverlust geschwächt ist; er nimmt darauf den

470 Kaiser 1998, 76.

471 En er Þórðr kom heim, sá menn, at hann var sárr á vinstri hendi ok ekki mjök. Þat sár greri illa, svá at blástr hljóp ok illindi í, ok þat varð honum at bana, því at eitr hefði verit i sverðseggjum Báreks.

Brot af Þórðar sögu hreðu, 235 (Jóhannes Halldórsson 1959 [ÍF 14]).

472 Für eine medizingeschichtliche Analyse der Stelle siehe Kaiser 1998, 166.

473 Die Gull-Þóris saga gilt als einer der jüngeren Íslendingasögur (Schier 1969, 57), die sich mit ihren phantastischen Elementen den Vorzeitsagas annähert und darüber hinaus in stärkerem Maße romantisch geprägt ist als die älteren Sagas (Meulengracht Sørensen 1977, 151).

474 […] eitrit kom á fót Hyrningi, ok sló þar í æðiverk, svá at hann mátti trautt standast. Gull-Þóris saga, 188 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).

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Skôfnungsstein und bestreicht die Wunde damit und bindet ihn an Grímrs Arm und sofort verschwanden jeglicher Schmerz und Schwellung aus der Wunde.475

Eine Inkubationszeit von wenigen Minuten reicht zur klinischen Manifestation einer Infektion nicht aus. Hier weicht die Sagaschreibung von ihrer generellen Linie ab, Infektionsverläufe exakt festzuhalten. Indem sich die Symptome im Zeitraffer einstellen, wird die Zauberkraft der Klinge hervorgehoben. Dahinter läßt sich ein Placeboeffekt vermuten. Grímr empfindet mehr Schmerz als gewöhnlich, weil er weiß, welches Schwert ihn getroffen hat. Infolgedessen widmet er der Verletzung mehr Aufmerksamkeit als er es unter anderen Umständen tun würde. Es resultieren stärkere Schmerzen.

Entsprechendes läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Þórðar saga hreðu beobachten:

Skeggi schlug nach Þórðr und traf ihn an der Schulter; das war eine Fleischwunde. […] Þórðrs Arm wurde dick und schwoll an. Eiðr schnitt die Schnittfläche aus der Wunde; da verschwand aller Schmerz.476

Eiðr greift in den Kampf ein und beendet ihn. Wann genau Þórðrs Arm anschwillt und schmerzt, kann nicht mit Bestimmtheit geklärt werden. In Anbetracht des hohen Stellenwertes sofortiger Wundversorgung und der Lokalisation des Abschnittes im Text scheint die Behandlung noch auf dem Kampfplatz stattzufinden:

Und in diesem Augenblick kam Eiðr mit zehn Mann und ging sofort dazwischen und sprach, daß sie nicht länger kämpfen sollten. […] So geht es aus, daß sie Frieden schließen und Eiðr soll in ihrem Streit und der Totschlagsangelegenheit vermitteln. Þórðr, Ásbjörn und Skeggi gaben sich darauf die Hand. Þórðrs Arm wurde dick und schwoll an. Eiðr schnitt die Schnittfläche aus der Wunde. Da verschwand aller Schmerz. Eiðr setzt nun eine Bezirksversammlung an.477

475 Grímr sá skuggann mannsins, er bar á vatnit, ok sprettr hann upp skjótt. Þorkell er þá kominn mjôk svá at honum ok høggr til hans; høggit kom á hôndina fyrir ofan úlflið, ok var þat ekki mikit sár. […]

Standa þeir nú upp báðir ok ganga heim til skálans. Þorkell sér, at Grím mœðir blóðrás; tekr þá

Standa þeir nú upp báðir ok ganga heim til skálans. Þorkell sér, at Grím mœðir blóðrás; tekr þá

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