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III. Auswirkungen von Rückwanderung auf die (EU-)Herkunftsländer

4. Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmärkte der Herkunftsländer 136

4.4. Unternehmensgründungen von Rückkehrer*innen

Neben einer Reintegration in den Arbeitsmarkt durch Erwerbsarbeit, wird in Stu-dien und im politischen Diskurs dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Po-tential von Unternehmensgründungen durch Rückkehrer*innen große Bedeu-tung beigemessen (Vlase/Croitoru 2019: 778f.). Positive wirtschaftliche Auswir-kungen entstehen vor allem dadurch, dass Unternehmensgründungen mit Inves-titionen und einer Schaffung neuer Arbeitsplätze einhergehen. Rückkehrer*in-nen wird in zahlreichen Studien zudem eine größere Neigung zugeschrieben, un-ternehmerisch tätig zu werden (Martin/Radu 2012; Piracha/Vadean 2009; Croi-toru 2020: 2). Begründet wird dies oftmals damit, dass Rückkehrer*innen im Zuge ihrer Migration finanzielles Kapital ansammeln, bspw. mittels Rücküberwei-sungen („Remittances“) oder Ersparnissen, die sie bei ihrer Rückkehr für den Auf-bau einer Selbstständigkeit nutzen können. Eine weitere Erklärung bezieht sich auf ausgeprägtere unternehmerische Fähigkeiten und Ideen, die Migrant*innen

häufiger selbstständig tätig sind und inwiefern sich entsprechende Unterneh-mensgründungen positiv auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt der Herkunftsländer auswirken, wird im Folgenden erörtert.

Hausman und Nedelkoska (2017) konstatieren für das EU-Beitrittskandidaten-land Albanien, dass Rückkehrer*innen, deren Haushalte im Zeitraum 2012-2014 befragt wurden, überdurchschnittlich oft selbstständig tätig sind.120 Insbeson-dere in der Landwirtschaft, aber auch im Bausektor, Handel, Hotellerie und Gast-ronomie bauen sie eine Selbstständigkeit auf und schaffen im Zuge dessen neue Arbeitsplätze. Eine frühere Studie zu Albanien (Germenji/Milo 2009) unter-suchte die Beschäftigungssituation von 1.000 Rückkehrer*innen zwischen 1999 und 2006 und damit verbundene wirtschaftliche Auswirkungen. Das finanzielle und Humankapital, das die Rückkehrer*innen mitbringen, wird zum Teil in die Gründung kleiner Unternehmen investiert, hat allerdings nur sehr begrenzte Auswirkungen auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse (Ger-menji/Milo 2009, zit. n. Hausman/Nedelkoska 2017: 10).

In der Studie von Martin und Radu (2012) zur Arbeitsmarktintegration von Rück-kehrer*innen in Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn und Litauen findet sich ein höherer Anteil an Selbständigen unter Rückkehrer*innen im Vergleich zur nicht migrierten Bevölkerung, wenn relevante demografische Einflussfaktoren (bspw. Geschlecht und Qualifikationsniveau) berücksichtigt werden (a. a. O.:

117, 122). Zusammengenommen mit der durchschnittlich höheren Arbeitslosig-keit unter Rückkehrer*innen (s.o.) führen Martin und Radu folgende mögliche Erklärung an:

„[…] return migrants lack characteristics that are valued on the home labour market (e.g. network ties, specific labour market experience and local hu-man capital) and possess others that make them prone to becoming self-employed (e.g. entrepreneurial skills and risk proclivity)". (a. a. O.: 124)

Inwiefern tatsächlich die Migrationserfahrung selbst entscheidend bzw. vorteil-haft für die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten ist, wird unterschiedlich bewertet. Im Gegensatz zu den o. g. Studien werfen Vlase/Croitoru (2019) mit

120 Piracha und Vadean (2009) zeigen dies ebenfalls auf Grundlage des 2005 Albanian Living Standards Measurement Survey, einer repräsentativen Befragung von 3.640 Haushalten und 17.302 Personen.

ihrer qualitativen Studie zu Rückkehrer*innen in Rumänien einen kritischen Blick auf die vermuteten Lernerfahrungen durch Migration und deren Nutzbarma-chung im Rahmen von Unternehmensgründungen: Ihre Ergebnisse liefern kei-nen deutlichen Hinweis auf eikei-nen migrationsbedingten Kompetenztransfer, son-dern betonen die komplexe Bedeutung verschiedener biografischer und gesell-schaftlicher Aspekte für das Verfolgen unternehmerischer Tätigkeiten (Vlase/Croitoru 2019: 793f.). Uneindeutig ist auch, inwiefern sich die beruflichen Netzwerke von Rückkehrer*innen positiv oder negativ auf ihre unternehmeri-schen Erfolge auswirken: Während sie zwar ggf. mehr Kontakte im Ausland knüp-fen konnten, liegt die Vermutung nahe, dass Rückkehrer*innen aufgrund ihrer zeitweisen Abwesenheit Kontakte und Netzwerke im Herkunftsland verloren ha-ben, die für eine unternehmerische Tätigkeit von Nutzen sein könnten (Mar-tin/Radu 2012: 122).

Rückkehrer*innen sind eine heterogene Gruppe, die sich bspw. mit Blick auf ihre Qualifikationen und Fähigkeiten, ihre finanzielle Situation und den Aufbau beruf-licher Netzwerke vor und während der Migration unterscheidet. Diese Unter-schiede können einen Einfluss darauf haben, ob Rückkehrer*innen sich selbst-ständig machen und inwiefern sie damit wirtschaftlich erfolgreich sind (Croitoru 2020: 2f.). Neben ihren individuellen Voraussetzungen spielen auch strukturelle Bedingungen im Herkunftsland eine Rolle, bspw. die allgemeine wirtschaftliche Lage, staatliche Unterstützung und Offenheit für Innovationsvorhaben und Un-ternehmensgründungen, die sich zwischen Staaten, aber auch je nach Region unterscheiden können (Eurofund 2012: 37). Zudem ist der Übertritt in die Selbst-ständigkeit per se nicht mit wirtschaftlichem Erfolg der Rückkehrer*innen selbst bzw. mit daraus resultierenden positiven Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Herkunftsregionen gleichzusetzen: Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Selbstständigkeit auch eine Bewältigungsstrategie bzw. Über-brückungsoption angesichts von Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche bzw. -auf-nahme darstellen kann.

Piracha und Vadean (2009: 18) untersuchen Unternehmensgründungen durch Rückkehrer*innen in Albanien auf Grundlage des 2005 Albanian Living Standards Measurement Survey, einer repräsentativen Befragung von 3.640 Haushalten mit 17.302 Personen. Bei genauerer Betrachtung der unterschiedlichen Gruppen

mer*innen mit eigenen Angestellten – wird deutlich, dass die Gruppe der Unter-nehmensgründer*innen durch höhere Bildung, Fremdsprachenkenntnisse, Wohnort mit besserer Infrastruktur und Aufbau von Ersparnissen während der Migration im Vergleich zu Soloselbstständigen und Rückkehrer*innen in anderen Beschäftigungsverhältnissen gekennzeichnet ist. Soloselbstständige verdienten nur etwa halb so viel wie Unternehmer*innen und etwa ein Drittel weniger als jene Rückkehrer*innen, die sich in einem Angestelltenverhältnis befanden (a. a.

O.: 3, 14, 17, 24). Allerdings stellen Piracha und Vadean ebenfalls fest, dass mit zunehmender Zeit Arbeitslose und Soloselbstständige unter den Rückkehrer*in-nen den Weg in die Lohnarbeit finden (a. a. O.: 3, 16). Dies werten sie als Bestä-tigung der ‚Parkplatz-Hypothese‘ („parking lot hypothesis“) nach Harris/Todaro (1970), gemäß derer Menschen in sogenannten Entwicklungsländern, deren Ar-beitsmärkte durch wenige Arbeitsmöglichkeiten im formellen Sektor geprägt sind, eine kleine (oftmals informelle) Selbstständigkeit aufbauen, um im richti-gen Moment in eine formelle Anstellung wechseln zu können (zit. n. Pi-racha/Vadean 2009: 3).

Croitoru (2020) untersucht auf Grundlage von Befragungsdaten (2015-2018) von 840 Rückkehrer*innen in mehreren rumänischen Regionen121 selbst gewählte unternehmerische Aktivitäten („opportunity-driven entrepreneurship“) gegen-über einer Selbstständigkeit als ‚Notfalloption‘ („necessity-driven entrepreneu-rship“; a. a. O.: 13; siehe hierzu auch Valliere/Pederson 2009: 2, zit. n. Croitoru 2020: 13). Mehrere Faktoren scheinen eine freiwillige und geplante unterneh-merische Selbstständigkeit seitens der befragten Rückkehrer*innen zu begünsti-gen: Dazu zählen bereits vor der Migration erfolgte unternehmerische Tätigkei-ten, eine selbst gewählte und auf wirtschaftlichen Abwägungen basierende Rückkehr sowie Investitionen, die vor der Rückkehr getätigt wurden. Zudem wa-ren Männer, Personen mit einem längewa-ren Aufenthalt im Ausland und Personen mit einem akademischen Abschluss häufiger in der Gruppe der „opportunity-dri-ven entrepreneurs“ vertreten (a. a. O.: 13).

121 Die Befragten waren bei ihrer Rückkehr im Erwachsenenalter, jedoch nicht in Rente. Die untersuch-ten Regionen (Alba, Mures, Sibiu, Brasov, Valcea, Hunedora) werden als durchschnittlich bzw. stark entwickelt eingestuft, d. h. Unternehmensgründungen von Rückkehrer*innen in wenig entwickelten Regionen wurden nicht untersucht. Dementsprechend sind die Ergebnisse nur bedingt auf andere Re-gionen Rumäniens bzw. auf andere Staaten übertragbar (Croitoru 2020: 13).

Auch die Re-Turn-Fallstudie zu Polen zeigt, dass der Aufbau einer Selbständigkeit in vielen Fällen aufgrund begrenzter anderweitiger Arbeitsmöglichkeiten erfolgt (Lang 2013: 40). Während die Ergebnisse der Fallstudien des Eurofund (2012) zu Polen und Ungarn keine Hinweise darauf liefern, dass Selbstständigkeit eine ver-breitete Beschäftigungsform unter Rückkehrer*innen ist, stellte sie in Rumänien hauptsächlich für gering qualifizierte Menschen und in erster Linie Männer eine Option dar. Häufige Gründe hierfür waren ein Mangel an anderweitigen Arbeits-möglichkeiten und niedrige Löhne (a. a. O.: 36f.).

Besonders positive gesamtgesellschaftliche Auswirkungen von Unternehmens-gründungen durch Rückkehrer*innen lassen sich auf Grundlage der hier erörter-ten Studien für die EU-Staaerörter-ten nicht belegen. Es erscheint allerdings nahelie-gend, dass neu geschaffene Arbeitsplätze den jeweiligen Gemeinschaften auf lo-kaler bzw. regionaler Ebene zugutekommen.

5. Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration von