• Keine Ergebnisse gefunden

III. Auswirkungen von Rückwanderung auf die (EU-)Herkunftsländer

4. Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmärkte der Herkunftsländer 136

4.3. Beschäftigung unter Qualifikationsniveau im europäischen Vergleich

Die Problematik einer Beschäftigung unter Qualifikationsniveau und deren Aus-wirkungen im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland stehen im Zentrum mehre-rer Fallstudien zu Polen: Eine Studie zu dieser Thematik wenige Jahre nach dem EU-Beitritt Polens (Iglicka 2009) kommt zu dem Schluss, dass viele junge Men-schen, die nach dem EU-Beitritt ins Ausland migrierten, um ihre beruflichen Vor-stellungen zu realisieren, dort oftmals Schwierigkeiten hatten, qualifikationsent-sprechende Stellen zu finden. Diese Personengruppe entscheide sich oftmals für eine Rückkehr, insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, aber ihre dortige Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt gestalte sich ebenfalls schwierig, da sie länger-fristig unterhalb ihres Qualifikationsniveaus gearbeitet haben (Iglicka 2009, zit.

n. Kaczmarczyk 2015: 41f.). Viele entschieden sich aufgrund dessen für eine er-neute Auswanderung und blieben gewissermaßen in einer ‚Migrationsfalle‘

(„migration loop trap“, Kaczmarczyk 2015: 42, siehe auch Eurofund 2012: 36) gefangen, ohne Aussicht auf eine qualifikationsentsprechende und zufrieden-stellende berufliche Perspektive. Auch die Studien des Eurofund (2012) und von Coniglio/Brzozowski (2018)118 berichten von Rückkehrer*innen, die im Zielland

unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt waren und aufgrund dieser Lü-cken in ihrer beruflichen Biografie von Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche im Herkunftsland betroffen waren (Eurofund 2012: 39; Coniglio/Brzozowski 2018:

94ff.). Coniglio und Brzozowski (2018) bewerten die Arbeitsmarktintegration der Rückkehrer*innen in Schlesien zwar grundsätzlich als erfolgreich, u. a. aufgrund der allgemein guten wirtschaftlichen Lage der Region (a. a. O.: 100), allerdings hatten diejenigen Personen, deren Tätigkeit im Ausland nicht ihren Qualifikatio-nen entsprach, auch nach ihrer Rückkehr häufiger Schwierigkeiten auf dem Ar-beitsmarkt und waren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ohne Beschäftigung bzw. gingen einer Arbeit nach, in der sie ihre zusätzlichen im Ausland erworbe-nen Kompetenzen nicht anwenden konnten (a. a. O.: 94, 97).

Andere Studien zu Rückkehrmigration in Polen deuten hingegen darauf hin, dass die These eines Brain-Waste nicht eindeutig als zutreffend bewertet werden kann: So ergab eine Befragung von Rückkehrer*innen mit einem akademischen Abschluss in Schlesien im Jahr 2011, die zwischen 2004 und 2011 emigriert wa-ren, dass zwar 55 % im Ausland unterhalb ihres Qualifikationsniveaus gearbeitet hatten, dass allerdings die Mehrheit der Befragten zum Zeitpunkt ihrer Auswan-derung Absolvent*innen ohne Vollzeitarbeitserfahrung waren (Kaczmarczyk 2015: 42).

Einen Hinweis für die Vermutung, dass die Humankapitalgewinne auch für an-dere europäische Staaten eher gemischt ausfallen dürften, liefert eine Studie der Europäischen Kommission und der OECD zur Integration von Zugewanderten:

Die Überqualifizierungsquote119 von hochqualifizierten Zugewanderten gibt Aus-kunft über die Problematik von Beschäftigung unter Qualifikationsniveau, indem das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit und das Ausbildungsniveau abgeglichen werden. Auf Grundlage dieser Daten zeigt sich, dass in den meisten EU-Ländern hochqualifizierte EU-Zugewanderte häufiger als im Inland geborene Personen Tätigkeiten ausüben, für die sie überqualifiziert sind: Von den 5,5 Mil-lionen hochqualifizierten Zugewanderten in der EU (Unionsbürger*innen aus

an-119 Die Überqualifizierungsquote ergibt sich aus dem Anteil der hochqualifizierten abhängig Beschäf-tigten zwischen 15 und 64 Jahren, die sich nicht in Ausbildung befinden und die einen Beruf ausüben, der nach der ISCO-Klassifikation ein niedriges oder mittleres Qualifikationsniveau erfordert, d.h. ISCO 4-9. (Europäischen Kommission/OECD 2018: 86).

deren Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörige) sind 33,8 % unter ihrem Qua-lifikationsniveau beschäftigt, d. h. ihre Überqualifizierungsquote liegt knapp 13 Prozentpunkte über der für im Inland geborene hochqualifizierte Personen in der EU (20,9 %) (OECD/Europäische Kommission 2018: 86). Dabei sind Neuzugewan-derte, Frauen, Drittstaatsangehörige und Personen, die ihren Abschluss außer-halb des Ziellandes erworben haben, im Durchschnitt stärker von dieser Proble-matik betroffen (a. a. O.: 86, 166).

Dennoch ist auch der Abstand zwischen im Inland geborenen, hochqualifizierten Beschäftigten und EU-Zugewanderten deutlich: Im EU-Durchschnitt liegt er bei 10 Prozentpunkten (21 % zu 31 %). Finnland, Estland und Slowenien sind dieje-nigen EU-Staaten, in denen EU-Zugewanderte etwas seltener als im Inland gebo-rene Personen Tätigkeiten ausüben, für die sie überqualifiziert sind. Die höchste Überqualifizierungsquote von hochqualifizierten Beschäftigten, die im EU-Aus-land geboren wurden, weist Spanien mit 45 % auf, während die Quote in Luxem-burg mit 5 % am geringsten ausfällt (Abbildung 31; OECD/Europäische Kommis-sion 2019: 13). Im Jahr 2018 stellten Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Spanien und Italien die beliebtesten Zuwanderungsländer für Uni-onsbürger*innen dar (Europäische Kommission 2019: 5). Es sind – mit der Aus-nahme von Frankreich – insbesondere diese Länder, in denen besonders hohe Überqualifizierungsquoten unter hochqualifizierten EU-Zugewanderten zu ver-zeichnen sind: In Deutschland beträgt der Abstand zwischen den Überqualifizie-rungsquoten beider Gruppen ganze 15 Prozentpunkte (31 % gegenüber 16 %;

Abbildung 31).

Abbildung 31: Überqualifizierungsquoten in den EU-Staaten

In Prozent der hochqualifizierten abhängig Beschäftigten in den EU-Staaten im Alter von 15 bis 64 Jahren nach Geburtsort. Eigene Darstellung nach OECD/Europäische Kommission 2019:

13. © Minor

Auch im Rahmen einer von Minor im Jahr 2019 durchgeführten Umfrage unter ca. 2.700 Neuzugewanderten aus Bulgarien, Frankreich, Spanien, Italien, Polen

und Rumänien in Berlin zeigt sich, dass knapp ein Drittel der Befragten (30,7 %) angeben, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus tätig zu sein. Unter den spani-schen und bulgarispani-schen Befragten fällt der Anteil mit jeweils über einem Fünftel deutlich höher aus als bei den anderen Gruppen. Etwa zwei Drittel der Befragten (62,8 %) geben an, dass ihre Qualifikationen ihrer derzeitigen Arbeit entsprechen und 6,4 % bezeichnen sich als unterqualifiziert für ihre derzeitige Tätigkeit.

Ein erheblicher Anteil an EU-Zugewanderten ist somit qualifikationsinadäquat beschäftigt, was auch für die Zielländer ein Problem darstellen kann: In der Ten-denz sind es die überqualifizierten Beschäftigten, die im Vergleich zu ähnlich qualifizierten, aber qualifikationsadäquat Beschäftigten, eher dazu bereit sind, die Arbeitsstelle zu wechseln (Quintini 2011: 32f.) und somit möglicherweise auch das Land zu verlassen (Zaiceva/Zimmermann 2012: 12). Die geschilderten Studienergebnisse deuten somit darauf hin, dass Rückkehrmigration nicht not-wendigerweise mit einem Gewinn an Humankapital für die Herkunftsländer ein-hergeht. Zukünftige Forschung in diesem Bereich sollte folglich bei der Analyse von Einflussfaktoren auf den beruflichen Erfolg von Rückkehrer*innen systema-tischer die Bedingungen und den Verlauf ihrer (Arbeits-)Migration berücksichti-gen (siehe auch Coniglio/Brzozowski 2018: 90).