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II. Auswirkungen von Abwanderung auf die (EU-)Herkunftsländer

1. Einleitung

2.3. Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs

Die Abwanderung einer beträchtlichen Zahl an Einwohner*innen wirkt sich indi-rekt auch auf die örtliche Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge, sowie auf Sozial- und Rentensysteme aus. Dabei ist zu beobachten, dass diese Entwick-lungen oftmals auch mit Prozessen der Binnenmigration zusammenhängen und sich innerhalb der EU-Staaten regional stark unterscheiden. In ihrer Studie zu Auswirkungen von Emigration in den östlichen und südöstlichen EU-Staaten (EU-8+2) stellt die Europäische Kommission (2012) fest, dass einige ländliche Regio-nen bereits seit den 1980er-Jahren von Abwanderung in die Städte und einem Suburbanisierungstrend geprägt sind (a. a. O.: 48). Oftmals handelt es sich dabei um entlegene ländliche Regionen (bspw. Grenzgebiete) oder deindustrialisierte Gebiete, in denen sich aufgrund fehlender regionaler Wachstumszentren eine nur schwach ausgebaute Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge (v. a.

auch Transportmöglichkeiten) sowie mangelnde Arbeitsmöglichkeiten finden, was wiederum eine niedrigere Beschäftigungsquote bedingt (ebd.). In Polen, Bul-garien und Rumänien finden sich darunter insbesondere Regionen, die stark von der Agrarwirtschaft geprägt sind und in denen ein bedeutender Anteil der Be-schäftigten in der Landwirtschaft tätig ist, i. d. R. mit einem sehr geringen Ein-kommen und hohem Armutsrisiko. Abwanderung steht in allen untersuchten Re-gionen in starkem Zusammenhang mit dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (s.

Infobox II, Kap. II.3): Dieses liegt deutlich unter dem nationalen Durchschnitt und noch deutlicher unter dem EU-Durchschnitt (a. a. O.: 49).

Hohe Abwanderungsraten haben in bestimmten Regionen sogar zur Entvölke-rung einzelner Dörfer oder auch größerer Landstriche geführt: Dies betrifft bspw.

28 Der Altenquotient bezeichnet das Verhältnis der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren oder älter (d. h.

im Allgemeinen ökonomisch inaktive Personen) zur Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre). Dieser Wert wird pro 100 Personen im erwerbsfähigen Alter angegeben, d. h. bei einem Alters-quotienten von 50 % kommen auf eine ältere Person lediglich zwei jüngere Personen im erwerbsfähi-gen Alter (Eurostat 2020p).

Gebiete in Westbalkanstaaten und östlichen EU-Mitgliedsländern, insbesondere einzelne Regionen in Rumänien und Bulgarien (Europäische Kommission 2012:

48). In den Volkszählungen Rumäniens 2002 wurde die Abwanderung von mehr als 1,1 Millionen Menschen innerhalb eines Jahrzehnts festgestellt, insbeson-dere aus städtischen Gebieten, die von Deindustrialisierung geprägt waren (Santa 2019: 171). Im rumänischen Zensus 2011 wurde für die 2000er-Jahre hin-gegen eine andere Entwicklung verzeichnet: Die Bevölkerung aus Städten war um 5 %, diejenige in ländlichen Gebieten hingegen um 9,6 % gesunken (ebd.).

Auch in einigen Regionen Polens wurden entsprechende Prozesse beobachtet, bspw. in den Woiwodschaften Opolskie, Podkarpackie und Świętokrzyskie, in de-nen die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter deutlich zurückging (Europäische Kommission 2018: 120, 308).

Kroatien als jüngster EU-Mitgliedstaat verzeichnete bis 2008 eine positive Mig-rationsbilanz. Die anhaltende Rezession und die steigende Arbeitslosigkeit in-folge der Wirtschaftskrise führten allerdings dazu, dass seit 2009 mehr Men-schen Kroatien verließen als zuwanderten. Mit dem EU-Beitritt stiegen die Aus-wanderungszahlen erneut deutlich an, während die ZuAus-wanderungszahlen wei-testgehend gleichblieben (Draženović et al. 2018: 419ff.). Da etwa 85 % der kro-atischen Emigrant*innen nach Deutschland, Österreich oder Irland ziehen, ge-ben auch die Daten dortiger Behörden zu Zuzügen kroatischer Staatsangehöriger Auskunft über das Migrationsgeschehen, das deutlich stärker ausfällt als die amtlichen Daten in Kroatien es nahelegen: Etwa 230.000 Personen emigrierten aus Kroatien zwischen 2013 und 2016 allein in die drei hauptsächlichen Ziellän-der. Demgegenüber berichten die offiziellen Daten kroatischer Behörden von le-diglich 61.000 Fortzügen in diese drei Staaten sowie insgesamt 102.000 Fortzü-gen für diesen Zeitraum. Betrachtet man allein die Personen, die in dem Fortzü- genann-ten Zeitraum nach Deutschland, Österreich oder Irland ausgewandert sind und sich dort registriert haben (230.000), entspricht dies einer Auswanderung von ca. 5,5 % der 4,2 Millionen Einwohner*innen Kroatiens zwischen 2013 und 2016.

Darunter finden sich insbesondere jüngere Personen (im Durchschnitt zwischen 30 und 37 Jahren), sodass sich der Bevölkerungsrückgang vermutlich zusätzlich infolge einer niedrigen Geburtenrate verstärken wird (Berlin-Institut für Bevöl-kerung und Entwicklung 2018; Draženović et al. 2018: 423ff.). Angesichts dieses Umstandes und gepaart mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge

bis 2050 auf etwa 50 % erwartet, d. h. zwei arbeitende Personen müssen für die Rente einer Person im Ruhestand aufkommen (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2018). Angesichts der vergleichsweise schwachen Wirtschaft Kroatiens – das Land liegt auf dem drittletzten Platz in der EU, nach Rumänien und Bulgarien – stellt eine solche Entwicklung eine gravierende Belastung der Sozialsysteme dar (ebd.).

Problematisch wird es insbesondere in Staaten bzw. Regionen, in denen mehrere Entwicklungen kumulieren und sich verstärkende Spiralen aus der Abwanderung erwerbsfähiger Personen, niedrigen Geburtenraten, einer schrumpfenden Wirt-schaft und steigender Arbeitslosigkeit entstehen. Die Bedingungen, die oftmals Ursache für Abwanderung sind, bspw. wenig Arbeitsmöglichkeiten und schlech-tere Lebensbedingungen, verschärfen sich in diesen Fällen durch Abwanderung weiter. Aufgrund vergangener und aktueller Prozesse von Urbanisierung, inter-nationaler und inländischer Migration betrifft dies v. a. ländliche Gebiete:

„Whilst rurality per se is not equivalent to decline and to increased poverty and social exclusion, a cycle of disadvantage involving significant out-migra-tion, especially of the better educated, higher skilled, and working-age pop-ulation, is." (Europäische Kommission 2012: 51)

Der vor Ort bleibenden Bevölkerung steht im Zuge dessen ein immer kleiner wer-dendes soziales und institutionelles Netzwerk zur Verfügung und auch die öffent-liche Daseinsvorsorge in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Bildung und Kultur verschlechtert sich. In den von der Europäischen Kommission untersuchten ost-europäischen Mitgliedstaaten wurde insbesondere eine Verschlechterung der verfügbaren Bildungsangebote sowie z. T. des Zugangs zur Gesundheitsversor-gung und sozialen Dienstleistungen auf dem Land im Vergleich zur Stadt beo-bachtet (a. a. O.: 52f.).

Abwanderung und der demografische Wandel betreffen die Mitgliedstaaten der EU in unterschiedlichem Maße, vorwiegend jedoch Regionen in den (süd)östli-chen EU-Staaten, die mehrheitlich geringere Zu- als Fortzüge und niedrige Ge-burtenraten aufweisen. Hervorgerufen werden diese Entwicklungen nicht nur durch Emigration ins Ausland, sondern auch durch Binnenmigration, deren Aus-wirkungen sich teilweise ähneln. Allerdings wirken sich die negativen Konse-quenzen der Abwanderung erwerbsfähiger Personen ins Ausland für Wirtschaft und Arbeitsmarkt auch auf Steuereinnahmen und somit nationale Haushalte aus,

die folglich – im Gegensatz zur Binnenmigration – in geringerem Maße zur Um-verteilung zugunsten benachteiligter Regionen im eigenen Land genutzt werden können.

3. Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche