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Umweltgerechtigkeit im Land Berlin – Perspektiven einer neuen sozialräumlich orientierten Umweltpolitik

Environmental justice in the Land Berlin –

perspectives for a new socio-spatially orientated environmental policy

Benjamin-Immanuel Hoff

Mit der Unterzeichnung der „Charta von Aalborg“ und der „Charta von Valencia” hat sich das Land Berlin ver pflichtet, eine nachhaltige und zukunftsfähige Ent-wicklung im Sinne der Agenda 21 zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund hat die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zur Ent wicklung neuer umweltpolitischer Steuerungs-instrumente und Handlungsoptionen das Thema

„Umweltgerechtigkeit im Land Berlin“ auf den Weg gebracht. Ziel war die Erarbeitung einer sozialräum-lichen Umweltbelastungsanalyse als Grund lage für ressortübergreifende Strategien und Maßnahmen an der Schnittstelle der gesundheitsre levanten Bereiche Stadtentwicklung, Städtebau und Umwelt. Gleichzeitig sollten für die Senats- und Be zirksverwaltungen so-wie insbesondere für die Betrof fenen in den hoch-belasteten Quartieren Diskussionsgrundlagen für die Entwicklung eines sozialraumbezogenen um-weltpolitischen Leitbildes er arbeitet werden, um die Umweltpolitik in der Hauptstadt kleinräumig und bewohnerorientiert auszurichten. Hierdurch wer-den die Ausrichtung der Berliner Umweltpolitik an dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung und die Wahrnehmung der Ver antwortung für den Erhalt der Lebensräume deutlich. Die vorliegende kleinräumi-ge Belastungsanalyse (Abbildung 1) und die neuen fachlichen Erkenntnisse tragen dazu bei, die Arbeits- und Entscheidungsgrundlagen zu verbessern, sodass sich die unterschiedlichen Bereiche der Hauptstadt ge-zielter den Herausforderungen aufgrund der sich ver-ändernden Zukunftsbedingungen anpassen können.

Mit dieser methodischen Herangehensweise wird bundesweit in mehrfacher Hinsicht Neuland betre-ten. Erstmalig wurden für die Raumhierarchie der 447 „Lebensweltlich orientierten Räume“ (LOR) in Berlin die gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen dargestellt und mit Sozialdaten verschnitten. Als planerisches Früh warnsystem beziehungsweise als Übersichtsbild über die gesamtstädtische Situation stellt der neue Ansatz eine Erst einschätzung sowie wichtige Informations- und Argumentationsgrundlagen im Vorfeld von Ent scheidungen und vertiefenden

Planungsverfahren zur Verfügung. Für die planenden Fachverwaltungen im Land Berlin ist hiermit ein neu-es sozialräumlich-orientiertneu-es Steuerungsinstrument erarbeitet wor den, das vor allem bei der Entwicklung strategischer Konzepte in realitätsnaher Szenarienform – im Sinne der Modellierung denkbarer Entwicklungen für unterschiedlich belastete Stadtbereiche – zum Tra-gen kommt. Durch die Auswahl und gesundheitli-che Gewichtung der Themenfelder Lärmbelastung, Luftgüte, Bioklima und Grün flächenversorgung erfolg-te eine praxistaugliche Präzisierung des unbestimmerfolg-ten Rechtsbegriffs „Gesundheit“, der hierdurch zusätzli-che Relevanz für die prozessuale Stadtentwicklung und Umweltplanung bekommen soll.

Die vorliegenden ersten Ergebnisse zeigen, dass sich im Bereich der hochverdichteten Innenstadt der größ-te Teil der mehrfach belasgröß-tegröß-ten Gebiegröß-te befindet. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, neue zukunftsfähi-ge Instrumente und Steuerungsmöglichkeiten zu ent-wickeln. Die ersten orientierenden Untersuchungen be legen, dass ein Großteil der sozial benachteilig-ten Gebiete gleichzeitig auch von hohen gesund-heitsrelevanten Umweltbelastungen betroffen ist.

Die kleinräumigen Umweltgerechtigkeitsanalysen wer den vor allem Bedeutung im Rahmen des in-tegrierten Zusammenwirkens von Strategien und Maß nahmen mit stadtentwicklungs- und umweltpla-nerischem Bezug bekommen. Dies gilt insbesondere für die Etablierung neuer planungs- und umweltrecht-licher Umsetzungsinstrumente. Der Sensibilisierung der handelnden Akteure, insbesondere mit Blick auf die Notwendigkeit einer stärkeren Bündelung unter-schiedlicher gesundheitsrelevanter Strategien und ge-sundheitsfördernder Ansätze anderer Fachressorts, kommt in diesem Zusammenhang eine herausragen-de Beherausragen-deutung zu. Mit Blick auf die umwelt- und ge-sundheitspolitischen Zielsetzungen des Lan des Berlin wird deutlich, dass vor allem integrierte Strategien und Konzepte der ministeriellen Po litikfelder Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung, Städtebau und Umwelt stärker als bisher ressortübergreifend betrachtet und bearbeitet werden müssen. Hinsichtlich der

wei-Abbildung 1: Integrierte Umweltbelastung einschließlich Entwicklungsindex Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2009 (Bearbeitungsstand März 2011).

teren Entwicklung ist es not wendig, die Bereiche im Sinne eines integrierten gesundheitsfördernden Gesamtkonzeptes besser mit einander zu verzahnen.

Nur so kann es gelingen, die Gesundheitsorientierung in den Bereichen Stadt entwicklung, Städtebau und Umweltplanung nach haltig zu stärken. Es wird eine wichtige Zielsetzung in der kommenden Legis-laturperiode sein, diese neue informelle Be wertungs- und Be trachtungsebene in das gesamtstädtische und bezirkliche Verwaltungshandeln strukturell und ver-fah rensorganisatorisch zu imple mentieren.

Bereits jetzt ist erkennbar, dass die als mehrfach belas-tet identifizierten innerstädtischen Gebiete auch durch den Klimawandel – die zentrale Herausforderung, der sich Berlin künftig stellen muss – besonders betrof-fen sein werden. Die sozialstrukturell benachteiligten Quartiere, die bereits jetzt durch Umweltbelastungen besonders betroffen sind, werden künftig durch die Klimafolgen eine weitere zusätzliche Belastung erfah-ren. Um die Auswirkungen der Umweltbelastungen im Hinblick auf die menschliche Gesundheit kon-kreter beurteilen und gezielte ressortübergreifende Gesundheitsstrategien erarbeiten zu können, wird es in der nächsten Legislaturperiode unumgänglich sein, systematisch kleinräumige Gesundheitsdaten zu er-heben. Vor dem Hintergrund des neuen sozialraum-orientierten umweltpolitischen Leitbildes wird es eine wesentliche Aufgabe der Gesundheitsberichterstattung sein, wissenschaftlich abgesicherte und fundier -te Aussagen zu erarbei-ten. Dies ist gleichzeitig die Voraussetzung dafür, dass andere Fachressorts die Themenfelder Gesundheit und umweltbezogener Gesundheitsschutz in ihre Arbeitsfelder integrieren können. Die vorliegenden Analysen sind das Ergebnis erster orientierender Untersuchungen, die methodisch weiterentwickelt werden sollten. Im Jahr 2012 lie-gen zu den wesentlichen Themenfeldern Bioklima, Lärmbelastung, Luftgüte, Grünflächenversorgung, Wohnlagen und Sozialstruktur aktuelle Daten vor. Dies eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit, die Analysen zu einem kleinräumigen Umweltbelastungsmonitoring wei terzuentwickeln und die Aussagen stärker als bis -her mit dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung zu verschneiden. In diesem Zusammenhang wird da-rüber hinaus zu prüfen sein, inwieweit die vorhan-denen stadtentwicklungs- und umweltplanerischen Instrumentarien geeignet sind, das neue politische Handlungsfeld Umweltgerechtigkeit zu unterstüt-zen und rechtlich zu flankieren. Im Vordergrund stehen hierbei vor allem die Instrumente der infor-mellen Planungen und die Umweltprüfverfahren. Die Ergebnisse sind darüber hinaus geeignet, die

Dis-kussion um den integrierten Ansatz für eine Vielzahl einzelner Fördergebiete (z. B. Soziale Stadt) durch kleinräumige gesundheitsrelevante Umweltdaten zu untersetzen.

Das neue Themenfeld „Umweltgerechtigkeit im Land Berlin“, das erstmalig für das gesamte Stadt gebiet Umweltdaten auf Planungsraumebene zur Verfügung stellt, ist eine wichtige Grundlage, um Strategien und Maßnahmen für eine gesundheitsfördernde und öko-logisch tragfähige Stadt-, Raum- und Umweltplanung zu erarbeiten, disziplinäre Kommunikationsbarrieren zu überwinden und strategische ressortübergreifen-de Allianzen zu schaffen. Mit ressortübergreifen-der übergreifenressortübergreifen-den Leitbildvorstellung „sozialräumlich ausgerichte-te Umweltpolitik“ orientiert sich das Themenfeld an der internationalen Debatte zu „sustainable develop-ment“ und an der „Charta von Leipzig“. Durch die Aufnahme des Themas „Umweltgerechtigkeit im städ-tischen Raum“ in den Umweltforschungsplan 2011 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) bekommen die Berliner Umweltgerechtigkeitsanalysen als neuer Politikansatz zusätzliche (bundespolitische) Bedeutung. Gleichzeitig werden Möglichkeiten eröffnet, wissenschaftlich ge-stützt die Umsetzung dieses komplexen Themenfeldes mit bundesweiter Bedeutung als Modellvorhaben weiterzuführen.

„Ein Urteil darüber, ob das Wesen einer Stadt ge-sund oder ungege-sund ist, vermag nur das Studium ih-res Bebauungsplanes zu geben.“ Dies formulierte der Städtebauer Fritz Schumacher im Jahre 1929 mit Blick auf die gesundheitliche Situation in den Großstädten.

Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen, denen sich Berlin in den kommenden Jahrzehnten stellen muss, sollte diese Erkenntnis richtungwei-send sein. Mit den vorliegenden sozialräumlichen Umweltanalysen ist eine wichtige Grundlage zur nach-haltigen umweltbezogenen Gesundheitsförderung er-arbeitet worden, um die nachhaltige Entwicklung urbaner städtischer Räume sicherzustellen. Sie tra-gen dazu bei, die Lebensqualität und die Gesundheit im Land Berlin zu verbessern und die neue sozial-räumlich orientierte Umweltpolitik effektiver und be-wohnerorientiert zu gestalten.

Kontakt

Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff

Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Brückenstraße 6

10179 Berlin