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Brigitte Schulte-Fortkamp 1 und Regine Grafe 2

Im Dokument II. THEMENHEFT UMWELTGERECHTIGKEIT UMID (Seite 117-121)

Abstract: One key element of the new environmental justice approach in Berlin is its socio-spatial orienta-tion. It is applied in analyzing environmental impacts on a small scale as well as in first measures and pro-jects for entire quarters as part of a comprehensive socio-spatial strategy. The concept of the redevelopment of the Nauener Platz in Berli n-Mitte is an example which shows that consistent and early participation of those affected by local planning and decision-making processes can enhance environmental justice in urban quarters.

Einleitung

Der Umweltgerechtigkeitsansatz geht davon aus, dass als problembelastete Quartiere mit einem hohen umweltbezogene Fragestellungen im Zusammenhang Arbeitslosen- und Ausländeranteil (BBSR 2011).

mit sozialen Fragen gesehen werden müssen. In

diesem Zusammenhang kommt der angemesse- Betroffenenbeteiligung am Beispiel des nen Beteiligung der Betroffenen an Planungs- und „Soundscape“-Ansatzes

Entscheidungsfindungsprozessen eine herausragen- Neben der notwendigen Aufwertung des Freiraumes de Bedeutung zu (Bolte 2009). standen die Erhöhun g des S icherheit und die Steigerung der Attraktivität und Nutzbarkeit des Ein Beispiel für eine innovative und gelunge- Platzes im Vordergrund der Umgestaltungsziele.

ne Betroffenenbeteiligung ist die städtebauliche Von wesentlicher Bedeutung war die frühzeiti-Umgestaltung des Nauener Platzes in Berlin-Mitte. ge Einbindung beziehungsweise Beteiligung und Der Platz liegt in einem hochverdichteten vor allem Aktivierung der Anwohnerinnen und Anwohner. Die gründerzeitlich geprägten Wohnquartier im Ortsteil Beteiligung erfolgte gezielt bei der Ideenfindung Wedding. Die Aufenthaltsqualität war gering, die (2007), der Planungskonkretisierung (2008) bis hin Alkoholiker- und Drogenszene hatte sich etabliert zur Umsetzung der Maßnahmen. Im Rahmen von und zu Verdrängungsprozessen geführt, sodass der „Raumnutzungs- und Themenwerkstätten“ wurden Platz von den Anwohnerinnen und Anwohnern, vor Vorschläge und Ideen aus den unterschiedlichen allem von Kindern und älteren Menschen, zuneh- Beteiligungsverfahren zusammengeführt und konkre-mend weniger genutzt wurde. In dem Wohnquartier te Nutzungsideen und Objekte zu den Themenfeldern leben etwa 12.200 Einwohnerinnen und Einwohner, „Generationsübergreifende Elemente“, „Licht im öf-davon 21 % unter 18 Jahren, 17 % über 65 Jahren so- fentlichen Raum“ und „Klang im öffentlichen Raum“

wie etwa 43 % Zuwanderer. 24 % der Einwohnerinnen mit den Betroffenen entwickelt. Es wurden Aktionen, und Einwohner erhalten Transferleistungen. Der wie beispielsweise Bemalung des Platzes, monatli-Platz liegt im Kreuzungsbereich von zwei sehr che Flohmärkte, Putzaktionen, Brettspiel „Der fan-stark befahrenden Straßen und ist durch Lärm tastische Kiez“, durchgeführt (SenStadt 2011).

und Luftschadstoffe erheblich belastet. Die an den Nauener Platz angrenzenden Wohnbereiche gelten

1 Technische Universität Berlin (TU)

2 Bezirksamt Mitte von Berlin

Insbesondere das in enger Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin und unter-schiedlichen Zielgruppen entwickelte innova-tive Erhebungskonzept „Soundscape“ aus der Lärmwirkungsforschung gilt als Kernmodul der Umgestaltung und bundes weit als herausragen-des Beispiel eines gesundheitlich orientierten Konzeptes zur Steigerung der Aufenthaltsqualität.

Das Soundscape-Konzept stellt neben Strategien zur Einbeziehung von Betroffenen auch Strategien zur Verständigung über Lösungsprozesse bereit und erlaubt eine zuverlässige Bestimmung der Geräuschqualität der Umgebung. Soundscapes öffnen das Forum für neue transdiziplinäre For-schungsprozesse, die die Betroffenen mit einbe-ziehen – als Informanten über die Bewertung von Lebensraum und Schallquellen. Im Sinne des ge-sundheitsorientierten Umweltgerechtigkeitsansatzes sind die Anwohnerinnen und Anwohner gleichzei-tig die neuen und die eigentlichen Expertinnen und Experten, vor allem im Hinblick auf ihre Erfahrungen und ihren Erwartungen an das zu untersuchende Wohnquartier (Schulte-Fortkamp, Dubois 2006). Sie kennen die Geräuschabläufe und Geräuschereignisse und sind passiv oder aktiv beteiligt.

Bei der Umsetzung wurde die notwendige Multidisziplinarität durch Schallausbreitungsmes-sungen, Verkehrszählungen, Soundwalks und Interviews garantiert. Im Sinne des neuen sozialräum-lich ausgerichteten Umweltgerechtigkeitsansatzes folgt das Projekt „Umgestaltung des Nauener Platzes“ dem Prinzip der Betroffenbeteiligung von der ersten Stunde an. So konnte die „partizipieren-de akustische“ Untersuchung nahtlos in das Konzept eingebunden werden. Die Umgestaltung des Nauener Platzes im Bezirk Mitte ist somit ein Beispiel da-für, wie Betroffene an der Entscheidungsfindung be-teiligt und in die Umsetzung eingebunden wurden.

Das Projekt bündelt die Kompetenzen der kom-munalen Verwaltung, der Lands chaftsplanerin, der Fachplanenden und der lokalen Akteure als

„neue Experten“. Durch die Verfahrens- und Be-teiligungsgerechtigkeit, insbesondere durch die ko-operative Herangehensweise und die systematische und gezielte Integration der Betroffenen, konnten interaktive Maßnahmen entwickelt werden, um die Gesundheit und das Wohlbefinden im Quartier nach-haltig zu steigern. Auf Initiative des Bezirks Mitte von Berlin wurde das Projekt „Nauener Platz“ in das Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) aufgenommen, wodurch für die Sanie rungs- und Umgestaltungsmaßnahmen zusätzliche Mittel zur Verfügung standen. Durch das Engagement des Bezirks Mitte ist eine wesent-liche Grundlage zur sozialräumwesent-lichen Umsetzung des Umweltgerechtigkeitsansatzes gelegt worden.

Sozialraumorientierung im Bezirk Berlin-Mitte: Vorgabe für alle planungsrelevanten bezirklichen Fachämter

Die interaktive Umgestaltung des Nauener Platzes in Berlin-Mitte ist gleichzeitig ein Beispiel für eine Maßnahme im Kontext einer generellen räumli-chen und organisatorisräumli-chen Neuausrichtung im Bezirk – der Sozialraumorientierung –, die mit dem Bezirksamtsbeschluss vom 05.04.2011 für die be-zirklichen Fachämter festgelegt wurde. Seit län-gerem werden im Bezirk Mitte stadtteilorientierte Verfahren diskutiert, deren innovative Ansätze durch die Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung flan-kiert werden. In dieser Rahmenstrategie wird die Sozialraumorientierung als Grundsatz einer sozialen Stadtentwicklung festgeschrieben. Die Umsetzung des neu entwickelten Umweltgerechtigkeitsansatzes soll von 2011 bis 2014 modellhaft im Bezirk Berlin-Mitte erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist es von hoher Wichtigkeit, dass das Bezirksamt Mitte von Berlin im Jahr 2011 die Sozialraumorientierung als ein „prägendes Strukturelement der künftigen be-zirklichen Aufgabenwahrnehmung“ beschlossen hat.

Die Sozialraumorientierung setzt direkt bei den Bedürfnissen und damit der Expertise der Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil an und ist die Grundlage da-für, die Menschen vor Ort in den gesamten Prozess der Stadtentwicklung und Umweltplanung mit einzube-ziehen. Die Verwaltungen stehen hierbei im Zentrum einer neuen Netzwerkstruktur. Vorhandenes quar-tiersbezogenes Wissen, Kompetenzen vor Ort wer-den so durch raumbezogenes und fachübergreifendes Planen und Handeln der Fachämter vernetzt und für

Foto: Carla Schlösser.

die Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität im Stadtteil genutzt. Diese vom Bezirk beschlos-sene dauerhafte lebensweltliche beziehungswei -se sozialräumliche Ausrichtung der bezirklichen Aufgaben, Strukturen und Prozesse werden künf-tig vor allem bei den Themen Bedeutung bekom-men, die verstärkte ressort- und ämterübergreifende Handlungsansätze und Arbeitsformen erfordern – bei-spielsweise die Integration von Gesundheitsaspekten in die Bereiche Stadtentwicklung, Umwelt und Stadtteilarbeit. Dies bietet gleichzeitig die Mög-lichkeit, lokale Gegebenheiten und Quartiere auf-grund der Unterschiedlichkeit individuell zu betrachten, beispielsweise bei der Erarbeitung lo-kaler Entwicklungskonzepte, umweltgerech-ter Quartiersgestaltungen und stadtteilbezogener Gesundheitsförderung. Durch die ämterübergreifende Sozialraumorientierung werden im Bezirk Mitte künf-tig zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, die kom-plexen lebensweltlichen Probleme und Bedarfe der Bürger und Bürgerinnen zu bearbeiten, die Angebote bewohnernäher zu gestalten und deren Qualität im unmittelbaren Lebensumfeld zu verbessern.

Diese grundlegende Neuausrichtung in Berlin-Mitte stützt sich auf eine Vielzahl lokaler Kom-munikationsstrukturen, die in den letzten Jahren gebildet und mit denen neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit geschaffen wurden. Bei der Umsetzung der Sozialraumorientierung – auch mit Blick auf die Herstellung von mehr Umwelt-gerechtigkeit im Quartier – bekommt vor allem der

„bottom up“-Ansatz zentrale Bedeutung. Dieser Ansatz bezieht sich insbesondere auf das Aufgreifen von Ideen und bürgerschaftlichem Engagement auf den verschiedenen Ebenen, um diese Ressource für die Umsetzung von Projekten zu nutzen. Hierbei soll vor allem die lokale Expertise der von der Planung Betroffenen genutzt werden, indem sie an

der Planung interaktiv beteiligt werden. Die Vor-Ort-Kenntnisse werden genutzt, um neue Ideen und Lösungen zu finden. Gleichzeitig wird das lo-kale Wissen der Bürgerinnen und Bürger mit dem Fachwissen der Verwaltung kombiniert (Bezirksamt Mitte von Berlin 2011).

Ausblick

Die kleinräumigen Analysen zur Situation der „Um-weltgerechtigkeit im Land Berlin“ liegen inzwi -schen als „Umweltbelastungsanalyse“ (siehe Beitrag S. 45) vor und sollen im Rahmen von Strategien und Projekten in den kommenden Jahren im Bezirk Mitte von Berlin modellhaft weiterentwickelt und umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund wird die künftige so-zialräumliche Ausrichtung der bezirklichen Aufgaben, Strukturen und Prozesse erheblich dazu beitragen, den neu entwickelten Umweltgerechtigkeitsansatz im Bezirk zu implementieren. Die verbindlich festgelegte Sozialraumausrichtung betrifft alle Ebenen der bezirk-lichen Verwaltung und setzt gleichzeitig den Rahmen für die Entwicklung von quartiers- oder stadtteilbezo-genen praxistauglichen Strategien und Maßnahmen zur Minderung ungleich verteilter Umweltbelastungen.

Hierdurch bekommt der ebenfalls kleinräumig ausge-richtete Berliner Umweltgerechtigkeitsansatz für die inhaltliche Weiterentwicklung und Konkretisierung eine fundierte administrative, rechtliche und orga-nisatorische Grundlage. Dies gilt vor allem für res-sort- und ämterübergreifende Handlungsansätze und Arbeitsformen, für die eine bessere Abstimmung der einzelnen Fachplanungen erforderlich ist. Die neue Sozialraumorientierung im Bezirk Mitte schafft eine verbindende und ergänzende Grundlage und gibt gleichzeitig den Umsetzungsrahmen für das komplexe und interdisziplinäre Themenfeld

„Umweltgerechtigkeit im Bezirk Mitte von Berlin“

vor.

Foto: Carla Schlösser.

Foto: Regina Rossmanith.

Literatur Kontakt

Bezirksamt Mitte von Berlin (2011): Bezirksamtsbeschluss zur Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp Umsetzung der Sozialraumorientierung im Bezirk Mitte und Themenfeld „Soundscape“

Vorbereitung der Einrichtung der Organisationseinheit Sozi- Technische Universität Berlin

alraumorientierte Planungskoordination im Bezirksamt Mitte Fachgebiet Psychoakustik und Lärmwirkung

vom 05.04.2011. Einsteinufer 25 TA 7

10587 Berlin

Bolte G (2009): Umweltgerechtigkeit – Datenlage und Stadt E-Mail: b.schulte-fortkamp[at]tu-berlin.de der wissenschaftlichen Diskussion zum Thema

Umweltquali-tät, soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland: In:

Umweltgerechtigkeit – Die soziale Verteilung von

gesundheits-relevanten Umweltbelastungen, Dokumentation der BMU/ Dr. Regine Grafe

UBA-Fachtagung am 27. bis 28.10.2008 in Berlin, Bielefeld. Themenfeld „Umweltgerechtigkeit im Kontext der Sozialraumorientierung“

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Bezirksamt Mitte von Berlin

(Hrsg.) (2011): Nauener Platz – Umgestaltung für Jung und Leiterin des Leistungs- und Verantwortungszentrums Alt, Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquar- Umwelt und Naturschutz

tiere – Modellvorhaben. http://www.bbsr.bund.de/nn_21888/ Karl-Marx-Allee 31 BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschungsfelder/InnovationenFami- 10178 Berlin

lieStadtquartiere/Modellvorhaben/10__MV-B__BerlinNau- E-Mail: regine.grafe[at]ba-mitte.verwalt-berlin.de enerPlatz.html (Abrufdatum: 25.05.2011).

Schulte-Fortkamp B, Dubois D (eds.) (2006): Acta Acustica united with Acustica, Special Issue, Recent advances in Sound-scape research, Vol 92 (6).

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (SenStadt) (Hrsg.) (2011): Handbuch zur Partizipation (unveröffentlicht).

Im Dokument II. THEMENHEFT UMWELTGERECHTIGKEIT UMID (Seite 117-121)