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2.6 Fazit

3.1.2 Typ-C-Verhaltensmuster, Depression, Hilf- und Hoffnungslosigkeit

Analog zum Typ-A-Verhaltensmuster, das einen bestimmten Umgang mit Belastungssituatio-nen beinhaltet, der langfristig zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt, ver-muten manche Forscher auch ein Typ-C-Verhaltensmuster (vgl. Temoshok, 1987), das die Entstehung von Krebserkrankungen zu begünstigen scheint. Diesen Typ-C-Bewältigungsstil charakterisieren laut Temoshok unter anderem folgende Persönlichkeitszüge: Bescheidenheit, Angepasstheit, Perfektionismus, Förmlichkeit im Umgang, Schwierigkeit im Ausdruck von Emotionen und eine Tendenz zur Hilf- und Hoffnungslosigkeit (vgl. ebd., S. 547). Das Indivi-duum neigt dazu, sich sozial angepasst zu verhalten, andere nicht zu belästigen, mangelndes Wohlbefinden, Einsamkeit, Traurigkeit und Furcht zu unterdrücken (vgl. Schwenkmezger, 1997, S. 310 f.). Mit diesen Charakteristika stellt das Konzept in vieler Hinsicht ein Gegen-stück zu dem zuvor beschriebenen Typ-A-Verhaltensmuster dar.

Die Wirkung einer solchen psychischen Disposition auf die Herausbildung von Krebs ist aller-dings sehr schwer nachzuweisen, weil in der Diskussion um die Ätologie sehr viele Faktoren differenziert werden müssen und die beteiligten Prozesse sehr komplex sind. Diskutiert wer-den u.a. krebsauslösende Substanzen wie Tabakrauch, Nahrungsmittel und Alkohol, Karzino-gene, denen einige Berufsgruppen ausgesetzt sind, erbliche Vorbelastung, die soziale Situation und eben auch Persönlichkeitseigenschaften (vgl. Larbig u.a., 2000). Während allerdings un-bestritten ist, dass genetische und chemisch-physikalische Faktoren wesentliche Ursachenvari-ablen für die Krebsentstehung darstellen, ist die mögliche Bedeutung psychosozialer Faktoren bisher nicht hinreichend belegt (vgl. ebd., S. 32).

Vielfach ist zwar versucht worden, Zusammenhänge zwischen der Typ-C-Persönlichkeit und einem erhöhten Krebsrisiko nachzuweisen (vgl. den Überblick bei Temoshok, 1987, vgl. a. den sehr persönlich eingeleiteten Forschungsüberblick bei Traue, Kap. 8). Viele dieser Untersu-chungen unterliegen aber einer zentralen Kritik: Sie sind retrospektiv angelegt, so dass im Nachhinein nicht mehr zu unterscheiden ist, ob die beschriebenen Persönlichkeitsveränderun-gen tatsächlich eine Ursache der Krebserkrankung sind oder ob sie sich möglicherweise als Folge der Auseinandersetzung mit der Krankheit entwickelt haben. Darüber hinaus liegen häu-fig auch weitere methodische Probleme vor, wie z.B. die mangelnde Erfassung anderer Risiko-faktoren, sehr kleine Stichproben oder fehlende Kontrollgruppen (vgl. Larbig u.a., 2000, S. 38).

Prospektive Studien zur Krebsentstehung

Um wirklich einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsdispositionen und Krebsentste-hung nachzuweisen, sind prospektive UntersucKrebsentste-hungen notwendig. Eine solche UntersucKrebsentste-hung wurde von Wirsching u.a. (1982) durchgeführt. Dazu wurde bei 65 Frauen mit Verdacht auf Brustkrebs vor einer Probebiopsie ein halbstrukturiertes Interview durchgeführt. Dabei konnte einerseits das oben beschriebene Verhaltensmuster aus Gefühlsunterdrückung, hoher Rationali-tät, Konfliktvermeidung, übermäßiger Selbstgenügsamkeit (superautonomous self-sufficiency), demonstrativem Optimismus und anderen Merkmalen nachgewiesen werden. Andererseits wurden auf Basis der Interviewergebnisse 83 % (Einschätzung der Interviewer) bzw. 94 % (Einschätzung durch Unabhängige) der Krebsdiagnosen, ebenso 71 % bzw. 68 % der gutartigen Fälle korrekt vorhergesagt. Allerdings war das identifizierte psychologische Muster nicht nur bei allen Patientinnen mit anschließender Krebsdiagnose zu finden, sondern auch bei ca. 25-30

% der Frauen mit gutartigem Befund. Obwohl das Ergebnis eindrucksvoll war, kann nach An-sicht der Autoren keine Signifikanz bezüglich der Entstehung von Krebserkrankungen daraus abgeleitet werden.

In einer weiteren Untersuchung, die von Antoni und Goodkin durchgeführt wurde, wurden Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs nach der ärztlichen Untersuchung und noch bevor die Ergebnisse der Biopsie bekannt waren, getestet. Die Studie ergab, dass ein größeres Ausmaß an Dysplasie bei Frauen mit einem eher passiv-vermeidenden, pessimistischen und angepassten Bewältigungstil assoziiert war, während sich die Frauen mit einem optimistischen und aktiven Bewältigungsverhalten widerstandsfähiger gegenüber dem Fortschreiten der Dysplasie zeigten.

Die Bewältigungsstile konnten auch nicht als Folge einer schwereren Erkrankung bewertet werden, da eine solche Dysplasie symptomlos ist (vgl. Antoni u. Goodkin, 1988; vgl. zu wei-teren Hinweisen auf prospektive Untersuchungen, die bei Patientinnen mit Cervix- und Mam-makarzinom erhöhte Werte für Ängste und pessimistische Einstellungen vor Krankheitsaus-bruch feststellten: Larbig u.a., S. 38).

Die prospektive Heidelberger Interventionsstudie

Eine große prospektive Studie, die 33.854 Menschen einbezog, wurde bereits in den siebziger Jahren von dem Medizinsoziologen und Verhaltenstherapeut Grossarth-Maticek in Heidelberg und Jugoslawien initiiert. Diese Heidelberger Interventionsstudie setzt bei zwei Gruppen an, die zufällig zusammengesetzt wurden und bei denen sich Risikofaktoren für eine Krebserkran-kung in etwa gleicher Weise und Stärke ermitteln ließen. Eine dieser Gruppen blieb unter Be-obachtung und, soweit notwendig, in konventioneller medizinischer Behandlung, während die andere Gruppe an einer präventiven Therapie teilnahm. Im Verlauf der Studie wurde mit un-terschiedlichen Interventionen wie Raucherentwöhnung, Ernährungsberatung, Anleitung zu mehr Bewegung, Multivitamingaben etc. experimentiert. Als wirksamste Intervention kristalli-sierte sich schließlich das sogenannte Autonomietraining heraus, welches darauf abzielt, die Selbstregulation insbesondere solcher Patienten zu optimieren, bei denen die Selbststeuerung und Selbstorganisation der vielfältig vernetzten Prozesse des Nerven-, Immun- und Hormon-systems aufgrund spezifischer Verhaltens- und Erlebnisvariablen blockiert waren. Ein solches Autonomietraining stellte nach Ansicht der Forscher eine wirksame Form der Prävention dar, gerade auch bei Personen, die sich über längere Zeit verstärkt den verschiedenen Risiken ausge-setzt hatten und als besonders krebsgefährdet galten. Außerdem erhöhte sie die

Überlebens-chancen bei Krebs um ein Vielfaches (vgl. Stierlin u. Grossarth-Maticek, 1998, vgl. a. dies., 2000).

Als besonders krebsgefährdet identifizierten die Forscher den Krebstyp I, den sie zusammen-fassend als einen Menschen beschreiben, dem es schwer fällt, die Befriedigung eigener Bedürf-nisse zu realisieren. So werden etwa BedürfBedürf-nisse nach freier Entspannung und Regeneration oder danach, eigene Wege zu gehen, über sich selbst zu bestimmen und sich gegen andere abzu-grenzen, als selbstsüchtig empfunden und unterdrückt. Typ-I-Menschen fühlen sich „leblos und gestresst, nach außen hin aber zeigen sie sich harmonisierend, verständnisvoll, überfleißig und überbesorgt. Dadurch vermögen sie zwar ihre Angst einzudämmen, aber nicht den Folgen zu entgehen, die aus der eigenen chronischen Überlastung resultieren: dauernder Selbstüberfor-derung, Gefühlsunterdrückung, Subdepression, Antriebsdämpfung etc.“ (Stierlin u. Grossarth-Maticek, 1998, S. 52). Die Studienergebnisse zeigen nun, dass „Typ-I-Menschen demnach achtmal stärker krebsgefährdet (sind) als der Typ IV“ (ebd.), der sich u.a. durch solch günstige Verhaltensweisen und Erlebnisvariablen wie soziale Anerkennung und Integration, Selbststän-digkeit, ausgeprägte Selbstregulation, Ausgeglichenheit, anhaltendes Wohlbefinden und immer wiederkehrende euphorische Zustände, durch ausgeprägte Lebensfreude und großen Lebens-willen auszeichnet (vgl. ebd.).

Auf den ersten Blick scheint das Heidelberger Typ-I-Konzept dem der Krebspersönlichkeit sehr verwandt. Die Heidelberger Forscher betonen aber, dass sie selber auch die Kritik am Konzept der Krebspersönlichkeit teilen, weil dieses von einem statischen, naturgegebenen, unveränderbaren Konzept der Persönlichkeit ausgehe und für den Betroffenen bedeute, dass er aufgrund seines Wesens den Krebs verursacht habe und daher mehr oder minder selber schuld sei. Im Fall des Typ-I-Verhaltens geht es dagegen darum, dass das eigentlich persönlichkeits-bestimmende schöpferische, gesunde Potenzial eines Menschen durch einen chronisch gewor-denen krankmachenden Zustand der Hoffnungslosigkeit und des Sich-nicht-Wohlfühlens un-terdrückt wird. Wenn es gelingt, diesen Zustand zu verändern, indem solche Menschen lernen, darauf zu achten, was ihnen gut tut, und sich um ihr Wohlbefinden zu kümmern, kann der Teu-felskreis durchbrochen werden und ein positiver, selbstheilender Prozess entstehen. Ein „sol-ches Lernen kann zu schnellen Resultaten führen. In der systemischen Therapie spricht man von einem discontinuous change, einem sprunghaften Wandel. Durch den Anstoß eines Ele-ments in einem komplex vernetzten System verändern sich auch alle anderen Elemente“ (Stier-lin u. Grossarth-Maticek, 1998, S. 54, Hervorh. i. Original/U.F.).

Diese Untersuchung, in der Beobachtung und Intervention verknüpft wurden, greift an dieser Stelle bereits weit vor, indem sie auch Anregungen für die Therapie und Gesundheitsförderung gibt. Zudem müssen die Ergebnisse mit Vorbehalt betrachtet werden. So weisen Spiegel und Kato (vgl. S. 132) auf Kritiken an diesen Studienergebnissen hin, die 1991 eine ganze Nummer, Heft 2, der Psychological Inquiry in Anspruch nahmen. Andererseits machen sich aber auch renommierte Wissenschaftler, wie Helm Stierlin, Hans-Jürgen Eysenck, Norbert Bischof und andere mehr für die Stimmigkeit dieser Daten stark (vgl. Huber, 1998 a, S. 55; vgl. a. Gros-sarth-Maticek, 1999; vgl. a. Stierlin u. Grossarth-Maticek, 2000, S. 7 f.).

Psychosoziale Variablen und Krebsprogression

Während der Einfluss psychosozialer Variablen auf die Krebsentstehung insgesamt als wenig gesichert gilt, stützt die Literatur eher eine Verbindung zwischen psychosozialen Variablen und dem Verlauf der Krebserkrankung.60

Von Weisman und Worden liegt eine Untersuchung zur Überlebenszeit bei 35 Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen vor. Dabei zeigte sich, dass diejenigen mit längerer Ü-berlebenszeit gute soziale Beziehungen aufwiesen, sich um medizinische Hilfe und um emotio-nale Unterstützung bemühten und selten Ärger oder Niedergeschlagenheit erlebten, während diejenigen mit kürzerer Überlebenszeit u.a. vermehrt durch Depression, Apathie und Pessi-mismus, durch den Wunsch zu sterben, durch unbefriedigende soziale Kontakte und durch geringere Compliance charakterisiert wurden (vgl. Weisman u. Worden, 1975).

In einer Studie von Stavraky und Mitarbeitern (1988) an Lungenkrebspatienten wurde bei Patienten, die sich durch psychologische Merkmale wie Zurückhaltung und Nüchternheit aus-zeichnen, ein deutlich höheres Mortalitätsrisiko festgestellt als bei solchen, die als enthusiasti-sche Persönlichkeit beschrieben wurden.

Aufsehen erregen auch immer wieder Berichte von Patienten, die ihre Krebserkrankung durch einen ausgeprägten Lebenswillen überwinden (vgl. z.B. Barasch, 1996). Die Krebsforscher vermuten hier einen „Fighting Spirit“, eine kämpferische Einstellung, die möglicherweise zur Stärkung des Immunsystems und damit zur Hemmung des Krebswachstums beiträgt. Gegen-über dem eingangs beschriebenen Typ-C-Bewältigungsstil stellt der „Fighting Spirit“ eine akti-ve, durch „Optimismus, Selbstsicherheit und Entschiedenheit bei der Bekämpfung“ der Krebs-erkrankung gekennzeichnete Einstellung dar (Spiegel u. Kato, S. 119).

Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Untersuchung von Greer, Morris und Pet-tingale, die im Rahmen einer prospektiven Studie herausfanden, dass Brustkrebs-Patientinnen mit Kampfgeist die weitaus besten Überlebenschancen hatten. Interviewdaten, die 3 Monate nach der Brustamputation erhoben wurden, ergaben, dass signifikant mehr Frauen mit kämpfe-rischem Umgang mit ihrer Krankheit die Folgeerhebungen 5, 10 und 15 Jahre später überlebten als diejenigen Frauen, die mit stoischer Akzeptanz oder mit Gefühlen von Hilf- und Hoff-nungslosigkeit auf ihre Erkrankung reagierten (vgl. Greer u.a., 1979 u. 1990).

Dieselbe Tendenz zeigt sich auch in einer neueren prospektiven Untersuchung, die von dem Psychoonkologen Faller durchgeführt wurde. Faller, der den Einfluss psychosozialer Faktoren eher zurückhaltend beurteilt, gibt an, von den eigenen Ergebnissen überrascht worden zu sein.

Diese „zeigen, dass ein aktives Coping im Sinne eines Fighting Spirit bei Lungenkrebskranken mit einer längeren Überlebenszeit einhergeht, während umgekehrt emotionale Belastung und Depressivität mit einer kürzeren Überlebensdauer verbunden scheint – und zwar statistisch unabhängig vom Einfluß biomedizinischer prognostischer Faktoren“ (Faller im Gespräch mit Huber, in: Huber, 1998 b, S. 53, Hervorh. i. Original/U.F.; vgl. a. Faller u.a., 1997; Faller u.

Bulzebruck, 2002). Seiner Ansicht nach sollten allerdings diese Ergebnisse kritisch betrachtet und durch weitere aussagekräftige prospektive Interventionsstudien überprüft werden.

60 Bei Tschuschke (2002) finden sich neben einer umfassenden Bestandsaufnahme von Psychoonkologie und Psychoneuroimmunologie auch tabellarische Übersichten über alle wichtigen internationalen Forschungser-gebnisse der Psychoonkologie.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch verschiedene Untersuchungen von Levy u.a.. Diese berichten bei Brustkrebs-Patientinnen mit einer erhöhten Anzahl tumorbefallener Lymphknoten deutlich erniedrigte Werte der Aktivität natürlicher Killerzellen, wobei dies wiederum mit Variablen wie mangelhafte Anpassung an die Erkrankung, Mangel an sozialer Unterstützung, Fatigue und depressiver Symptomatik erklärt wurde (vgl. Levy u.a., 1987). In einer Folgestudie zeigte sich, dass die Aktivität der natürlichen Killerzellen eine weitgehende Vorhersage von Krebsrezidiven bzw. krankheitsfreien Intervallen emöglichte (vgl. Levy u.a., 1991).

Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Befunde besteht unter vielen psychoonkologischen Forschern einerseits zwar weitgehende Übereinstimmung darin, dass „aktives, ´kämpferisches`

Bewältigungsverhalten positive Effekte auf verlängerte Überlebensraten (hat), während Hilflo-sigkeit und HoffnungsloHilflo-sigkeit, Depression und fehlende soziale Unterstützung ... sich negativ auf das Krankheitsgeschehen mit verringerter Überlebenszeit auswirken“ (Larbig u.a., S. 40 f., Hervorh. i. Original/U.F.; vgl. a. Spiegel u. Kato, S. 121; Traue, S. 290 f.). Andererseits ist aber zugleich einschränkend festzuhalten, dass „man aus Studien bei einzelnen Diagnosegruppen nicht ohne weiteres auf andere Gruppen schlussfolgern (kann)“ (Weis im Gespräch mit Huber, in: Huber, 2000, S. 57). So zeigte sich zum Beispiel in einer Untersuchung von Wirsching, dass verschiedene psychologische Variablen (u.a. emotionale Öffnung, Ausdruck eigener Bedürfnis-se, familiäre Unterstützung) zwar bei brustbiopsierten Patientinnen die Gesundheitsentwick-lung beeinflussten, dies aber bei Patienten mit Bronchialkarzinom nicht der Fall war. Bei diesen Patienten hatte alleine die Tumorart (kleinzelliges oder nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom) eine prognostische Bedeutung (vgl. Wirsching, 1990, S. 7, vgl. a. Wirsching u.a., 1990; für ei-nen Überblick über psychosoziale Faktoren und Interventionsmöglichkeiten beim Bronchial-karzinom: Fritzsche u.a., 2000).

Emotionsrelevante Einzelfaktoren und die Entstehung bzw. der Verlauf von Krebs Viele Forschungsergebnisse beziehen sich zwar auf das Bewältigungsverhalten, den Copingstil.

Geht man aber aus der Perspektive einer „emotionstheoretisch ausgerichteten, neurowissen-schaftlich fundierten Stressforschung“ (Siegrist im Gespräch mit Huber, in: Huber, 1998 c, S. 56) davon aus, dass es bei der Bewältigung von Krankheit genau genommen immer um Emo-tionsbewältigung geht (vgl. 6.2.2), dann bieten die genannten Forschungsergebnisse zum Be-wältigungsverhalten zugleich auch schon Hinweise auf die Bedeutung emotionaler Faktoren für das Krankheitsgeschehen. Darüber hinaus werden in der Literatur verschiedene Einzelfaktoren, die das emotionale Erleben und die emotionale Verarbeitung betreffen, in ihrer Bedeutung für das Krankheitsgeschehen diskutiert. So legen einige Studien einen ungünstigen Effekt der Un-terdückung von Emotionen für das Langzeitüberleben nahe. Beispielsweise konnten Temoshok u.a. am Beispiel von 59 Melanompatienten zeigen, dass Aspekte des Typ-C-Verhaltens (u.a.

Schicksalsergebenheit, Konflikte und den Ausdruck von Emotionen vermeidendes Verhalten) mit größerer Tumordicke und Tumorinvasivität einhergingen, wobei die Korrelationen für Per-sonen unter 55 Jahren weit stärker waren (vgl. Temoshok, 1985; vgl. a. Temoshok u.a , 1985, sowie den Überblick bei Temoshok, 1987 u. bei Traue, Kap. 8). In dieselbe Richtung weisen auch Arbeiten von Derogatis u.a. (1979) und Rogentine u.a. (1979). Dementsprechende

Resü-mees werden aber von allen Forschern nur mit großer Vorsicht vorgenommen (vgl. Kubzansky u. Kawachi, 2000 a; vgl. a. Spiegel u. Kato, S. 114 u. 123).61

Wenig eindeutig ist die Forschungslage auch, wenn man den Zusammenhang zwischen Stress und Krebsrezidiv bzw. zwischen Stress und Krebsentstehung betrachtet. So gehen Spiegel und Kato in ihrem Überblick über psychosoziale Einflüsse auf Inzidenz und Progression von Krebs davon aus, dass zwar die Evidenz einer Beziehung zwischen den beiden Aspekten Stress und Auftreten bzw. Fortschreiten von Krebs ständig zunimmt, dass aber das Bindeglied zwischen beiden Aspekten noch nicht eindeutig identifiziert ist (vgl. Spiegel u. Kato, S. 130).

Ein Forschungsproblem besteht darin, dass in vielen Untersuchungen die Patienten nicht nach ihrer Einschätzung von stressreichen Lebensereignissen befragt wurden (vgl. ebd.), eine vor dem Hintergrund der transaktionalen Stresstheorie unerlässliche Voraussetzung für die Erfas-sung von Stress. Andererseits sind mehrere Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen starker subjektiver Stressbelastung und Krebsentstehung hinweisen, nach Spiegel u. Kato des-halb nicht abschließend zu beurteilen, weil solche Risikofakoren wie Rauchen oder sexuelle Aktivität nicht mit einbezogen wurden (vgl. ebd., S. 117).

Depression und Hoffnungslosigkeit werden häufig als Begleiterscheinung des Typ-C-Bewäl-tigungsstils beschrieben. Beide Aspekte scheinen für Erkrankungen im Allgemeinen und für Krebserkrankungen im Besonderen eine bedeutende Rolle zu spielen. Depressionen gehen mit einer verminderten Effizienz des Immunsystems und einer gestörten Stesshormonachse einher (vgl. Fußnote 40 u. 42), wobei ein ausgeprägter Grad an Depression Voraussetzung dafür zu sein scheint, dass nennenswerte immunsuppressive Effekte auftreten (vgl. O‘Leary, S. 369).

Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Studie von Kiecolt-Glaser und Kollegen, bei der 69 Personen untersucht wurden, die mit hohem körperlichen und psychischen Einsatz und häufig über viele Jahre an Alzheimer leidende Angehörige pflegten. Schon zu Beginn der Studie erfüllten 25 % der pflegenden Angehörigen die Kriterien einer Depression, nach 13 Monaten sogar 32 % im Unterschied zur Kontrollgruppe, in der zu Beginn niemand an einer Depression litt und zum zweiten Untersuchungszeitpunkt nur 6 % die Kriterien einer Depression erfüll-ten. Darüber hinaus zeigten sich bei den pflegenden Angehörigen im Vergleich mit der Kon-trollgruppe, die nicht diesem dauernden Stress ausgesetzt war, gemessen an verschiedenen Parametern eine schwächere Immunabwehr und häufigere Infektionen, v.a. Atemwegserkran-kungen. Dies war der Fall, obwohl das soziale Netz der pflegenden Angehörigen weniger Men-schen und Kontakte umfasste als das der Kontrollgruppe (vgl. Kiecolt-Glaser u.a., 1991). In einigen Studien, bei denen weniger die Depression erfasst wurde als vielmehr Einsamkeitszu-stände und mangelnder sozialer Rückhalt, die ja häufig mit depressivem Erleben gekoppelt sind (vgl. 3.2.4), konnten Kiecolt-Glaser und Kollegen ebenfalls Reduktionen der Immunfunktionen nachweisen (vgl. Kiecolt-Glaser u.a., 1984 u. 1988 b; Kennedy u.a., 1988). Zusammenhänge zwischen Depression und herabgesetztem Immunstatus einer Person konnten schließlich auch in einer Metaanalyse von Herbert und Cohen (vgl. 1993, S. 480 ff.) eindrucksvoll bestätigt werden (vgl. a. den Übersichtsartikel von Kiecolt-Glaser u. Glaser, 2002).

61 Ein in diesem Zusammenhang interessanter Hinweis, dem aber hier nicht nachgegangen werden kann, findet sich sowohl bei Spiegel u. Kato (S. 123) als auch bei Traue (S. 284 ff.). Demnach wirkt sich Verleugnung anders als Gefühlsunterdrückung unter bestimmten Umständen positiv auf die Überlebenschancen aus.

Verursacht Depression auch Krebs?

Häufig wird nun darüber hinausgehend angenommen, dass bei Patienten mit Depressionen auch erhöhte Krebsraten auftreten. Einen ersten Hinweis, auf welchem Wege Depression mögli-cherweise zur Krebsentstehung führt, gibt eine Untersuchung von Kiecolt-Glaser u.a., die zeigt, wie bei depressiven Patienten Mechanismen der Schädigung direkt an Zellen ablaufen. 28 psychisch kranke Patienten, die unbehandelt in ein Krankenhaus aufgenommen wurden, waren bereit, sich Blut abnehmen und untersuchen zu lassen. Mithilfe eines psychologischen Tests wurden die Patienten in zwei Gruppen eingeteilt: eine depressive und eine weniger depressive.

Dann wurden den Patienten Lymphozyten entnommen, die durch Bestrahlung geschädigt wurden. Es zeigte sich, dass die Reparaturaktivität an der DNA der Lymphozyten umso ge-ringer war, je deprimierter die Personen waren (vgl. Kiecolt-Glaser u.a., 1985).

Zum Beleg eines Zusammenhangs zwischen Depression und Krebsentstehung wird weiterhin auch eine amerikanische Langzeitstudie von Shekelle u.a. zitiert. Bei über 2000 Männern mitt-leren Alters, alles Angestellte der Western Electric Company in Chicago, wurden zunächst verschiedene psychologische Faktoren, u.a. Depressionen ermittelt. 20 Jahre später zeigte sich im Rahmen einer Nachfolgestudie, dass bei den Teilnehmern, die bei der ersten Untersuchung unter Depression gelitten hatten, die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung mehr als dop-pelt so hoch war. Dieser Zusammenhang wurde auch durch die Untersuchung verschiedener Einzelfaktoren (Alter, Rauchen, Alkoholkonsum, Krebserkrankungen in der Familie) nicht verändert (vgl. Shekelle u.a., 1981; vgl a. Persky u.a., 1987). Allerdings führen Spiegel und Kato (S. 117) auch einen Kritiker dieser Studie namens Fox an, der meint, dass das Ergebnis auf hohe Krebsraten in einer kleinen Untergruppe von Personen zurückzuführen sein könnte, die unter sehr schwierigen Bedingungen mit Krebsrisikostoffen arbeiteten.

Insgesamt sind die empirischen Befunde zum Zusammenhang zwischen Krebs und Depression eher widersprüchlich und wenig konsistent, so dass es „wenig Unterstützung für die These einer Beziehung zwischen Depression und Krebsinzidenz (gibt)“ (Spiegel u. Kato, S. 118; Her-vorh. i. Original/U.F.). Spiegel u. Kato führen dies darauf zurück, dass dieses Forschungsgebiet unter erheblichen methodologischen Schwächen leidet (vgl. ebd.). Möglicherweise sind aber auch noch ganz andere Zusammenhänge zu berücksichtigen. So zeigen einige Befunde der jün-geren Zeit zwar einen eher schwachen Zusammenhang zwischen depressiver Stimmung und Krebsentstehung. Zugleich weisen sie aber darauf hin, dass Depressionen in hohem Maße mit dem Rauchen und möglicherweise auch mit anderen Risikofaktoren verknüpft sind und auf diesem indirekten Wege das Krebsrisko erhöhen (vgl. zusammenfassend: Carney u. Freedland, S. 193 f.).

Eine weitere für die Wahrscheinlichkeit, eine Krebserkrankung zu überleben, sehr wesentliche Variable, der soziale Rückhalt bzw. die soziale Unterstützung, die zudem mit weitreichenden Implikationen für das emotionale Erleben und das Copingverhalten verbunden ist, wird noch nicht an dieser Stelle, sondern erst dann berücksichtigt, wenn das Konzept an entsprechender Stelle eingeführt ist (vgl. 3.2.4, vgl. zum Einfluss des „sozialen Rückhalts“ auf die Inzidenz und Progression von Krebs: Spiegel u. Kato, S. 114 u. 124, Tschuschke, 2002).

Abschließende Betrachtung

Betrachtet man nun die vorliegenden Untersuchungsbefunde noch einmal abschließend, dann wird deutlich, dass der Einfluss psychosozialer Faktoren für die Krebsentstehung u.a. aus

me-thodologischen Gründen insgesamt als wenig gesichert gilt. Einfache Erklärungen nach dem Muster der Typ-C-Persönlichkeit wurden dabei abgelöst durch Erklärungsansätze, die psychi-sche Faktoren im Rahmen eines multifaktoriellen Verständnisses der Krebskrankheit untersu-chen (vgl. Schwarz, 1994). In diesem Rahmen sind auch „psychologisch zu definierende Dis-positionen aus dem Risikokontext keineswegs ausgeschlossen, wobei allerdings kompliziertere Interaktionen zu erwarten sind und nicht lineare Entsprechungen wie Stress = Krebs“ (ebd., S. 110). Anders sieht dies die Literatur zum Verlauf der Krebserkrankung. Sie spricht „für eine nicht zufällige Beziehung zwischen emotionalem Ausdruck, sozialer Unterstützung und Über-lebenszeit bei Krebserkrankungen. Obwohl mehr Forschung dringend erforderlich ist, um diese Beziehungen aufzuklären, scheint die Belastung durch negative Affekte oder deren Unterdrü-ckung ungünstigere Krankheitsverläufe im Langzeitverlauf zu bewirken“ (Spiegel u. Kato, S. 140). Vor diesem Hintergrund empfehlen beispielsweise Spiegel u. Kato der zukünftigen Forschung, sich verstärkt mit der Belastung durch negative Affekte bzw. deren Unterdrückung sowie mit der Aufklärung der Beziehung zwischen emotionalem Ausdruck und sozialer Unter-stützung zu befassen (vgl. ebd.).

Viele der hier genannten Faktoren waren von der bisherigen Forschung zumindest isoliert kaum zu erfassen. Vielmehr wurden Bewältigungsmuster fokussiert, wobei weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass ein aktives, „kämpferisches“ Bewältigungsverhalten sich positiv auf die Krankheitsentwicklung auswirkt im Unterschied zu einem Bewältigungsstil, bei dem Passivi-tät, Depression, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und fehlende soziale Unterstützung über-wiegen. Eine solche Sichtweise wird auch durch Interventionsstudien gestützt, die darauf ab-zielten, das Copingverhalten im Umgang mit der Erkrankung zu verbessern und dadurch affek-tiven Disstress abzubauen (vgl. Fawzy u. Fawzy, 2000; vgl. a. Spiegel u.a., 1981 u. 1989).

All diese Faktoren werden nun nicht nur von Krebsforschern untersucht. Ihnen kommt auch in anderen Bereichen der Krankheits- und Gesundheitsforschung große Aufmerksamkeit zu. Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, die Diskussion um das Typ-C-Verhaltensmuster und die damit assoziierten Emotionen an dieser Stelle zu beenden und den Blick auf weitere For-schungsfelder zu richten, die die hier zur Diskussion stehenden komplexen Verhaltensmuster vor einem anderen Theoriehintergrund untersucht haben und wichtige Beiträge zu ihrem Ver-ständnis geleistet haben und leisten. Dabei sollte wie schon beim Typ-A-Verhalten auch bei den hier diskutierten Charakteristika in Erwägung gezogen werden, dass diese möglicherweise gar nicht so krebsspezifisch sind, wie es häufig impliziert wird. So werden beispielsweise E-motionsunterdrückung und Depression auch als relevante Ursachen für die koronare Herz-erkrankung diskutiert (vgl. Kubzansky u. Kawachi, 2000 a).