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2.5 Die Biologie der Emotionen

2.5.1 Die Stressregulation

2.5.1.1 Die beiden Achsen der Stressreaktion

Alles, was wir über unsere Sinnesorgane aufnehmen, wird zunächst im Gehirn in eine Ner-venzellaktivität umgewandelt. Alle Signale von den Sinnesorganen, wie Augen, Ohren oder Haut39, passieren zunächst den Thalamus, der in der Mitte des Gehirns als Zentralvermittlung fungiert und die Signale an die entsprechenden Zentren, z.B. an das limbische System und an den Cortex (das Großhirn) weiterleitet. Das limbische System – dessen Bedeutung im Teil 2.5.3. noch genauer betrachtet wird – gilt als das für unser Gefühlsleben zuständige System und besteht aus der Amygdala (Mandelkern), dem Hippocampus und dem Hypothalamus. Im Hypothalamus, dem Zentrum des limbischen Systems, findet sich konzentriert eine Viel-zahl von Funktionen. Hier werden die vegetativen und die endokrinen Systeme koordiniert.

Der Hypothalamus ist einerseits das Befehlszentrum des vegetativen oder autonomen Nerven-systems, das die unwillkürlichen Funktionen z.B. des Herzens, der Atmung, der Darmtätigkeit etc. steuert. Andererseits ist er durch Nervenbahnen und durch Blutgefäße eng mit der Hypo-physe, der Hirnanhangdrüse verbunden, die als wichtigste Drüse des endokrinen Systems gilt.

Dadurch ist eine Achse gebildet, die die wichtigste Schaltzentrale für die Regulation des Hor-monhaushaltes darstellt. Der Hypothalamus produziert verschiedene Hormone, die ihrerseits in der Lage sind, über die Hypophyse oder die Blutbahn andere Hormone freizusetzen oder zu hemmen. (Eines dieser Hormone ist der Corticotropin Releasing Factor, das CRF, auf dessen Bedeutung weiter unten noch eingegangen wird.) Das vegetative Nervensystem und die Hor-mone fungieren als wichtige Vermittler zwischen Gehirn und Körper.

38 Eine Unterscheidung zwischen positiven und negativen Emotionen erscheint zwar mit Blick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen angemessen. Aus einer psychologischen oder philosophischen Perspektive aber sollte sie vermieden werden, weil alle Emotionen, „positive“ wie „negative“, eine Orientierungsfunktion ha-ben und uns über unsere Beziehung zu uns selbst und zur Welt aufklären.

39 Nur „der Geruchssinn hat über den Riechnerv der Nase eine direkte Verbindung zum limbischen System“

(Miketta, 1997, S. 37).

Die erste Stressachse (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenmark)

Das vegetative oder autonome Nervensystem geht aus dem Rückenmark hervor und stellt eine Verbindung her zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Eingeweide- und Drü-sensystem. Das autonome Nervensystem besteht aus zwei Hauptsträngen, dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Diese beiden kontrollieren die vom Willen unabhängigen Körper-funktionen und regulieren die Funktionen der inneren Organe, wie Atmung, Herztätigkeit, Darm- und Blasenentleerung, Drüsentätigkeit etc., wobei sie entgegengesetzt wirken. Je nach-dem, welche Anteile des Hypothalamus gereizt werden, kommt dem Sympathikus oder dem Parasympathikus, mit seinem Hauptvertreter, dem Vagusnerv, größere Bedeutung zu. Über die Innervierung der Nebenniere, genauer des Nebennierenmarks, setzt das sympathische Nerven-system die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin frei, die in Sekundenbruchteilen be-stimmte Abläufe im Körper ankurbeln, andere dagegen hemmen. Je nachdem, mit welchen Re-zeptoren die Organe ausgestattet sind, sorgen Adrenalin und Noradrenalin für eine Leistungs-und Aktivitätssteigerung in einigen Teilen des Körpers Leistungs-und für abbauende, katabolische Stoff-wechselvorgänge in anderen Teilen, die für die Stressreaktion nicht unmittelbar gebraucht wer-den. Unter dem Einfluss des Sympathikus steigt beispielsweise die Herzfrequenz, und es erweitern sich bestimmte Arterien, damit mehr Blut in die Lunge sowie in die Herz- und Ske-lettmuskulatur fließt. Die Aktivität des Magen-Darm-Traktes wird dagegen gesenkt. Wenn der Stress schließlich abflaut, kehren sich die Verhältnisse um. Dann überwiegt der Einfluss des Parasympathikus, der als Neurotransmitter das Acetylcholin benutzt, und wirkt sich genau gegenteilig aus. Er leitet Ruhe, Regeneration, Erholung und eher anabole, d.h. aufbauende Stoffwechselvorgänge ein. Es kommt zu einer Senkung der Herzfrequenz, zu einer Verengung der Atemwege und zu einer Steigerung der Magen-Darm-Bewegung.

Die zweite Stressachse (Hypothalamus – Hypophyse – Nebennierenrinde)

Neben dieser ersten Hypothalamus-Sympathikus-Nebennierenmark-Achse ist eine zweite Hormonachse für das psychoemotionale Geschehen von großer Bedeutung.Der Ausdruck Hormon stammt vom griechischen Wort „hormao“, was soviel bedeutet wie stimulieren, an-treiben. Diese zweite wichtige Achse verläuft vom Hypothalamus über die Hypophyse zur Nebennierenrinde. In einem Kerngebiet des Hypothalamus wird zunächst das CRH, das Corti-cotropin-Releasing-Hormon produziert. Dieses CRH wandert in den Hypophysenvorderlap-pen und aktiviert dort die Ausschüttung des ACTH (des adrenocorticotroHypophysenvorderlap-pen Hormons, auch Corticotropin genannt), welches seinerseits über das Blut zur Nebennierenrinde gelangt und dort unter anderem die Produktion von Cortisol fördert. Die zuletzt beschriebene Hormonach-se wird auch als CRH-ACTH-Cortisol-AchHormonach-se beschrieben. CRH ist allerdings nicht alleine für den Start der Reaktionskette verantwortlich. Daran arbeiten auch andere Transmitter wie No-radrenalin oder Vasopressin und Botenstoffe aus dem Immunsystem mit.

Das Cortisol wird zusammen mit einer Reihe anderer Glucocorticoide, z.B. Cortison, von der Nebennierenrinde in den Blutkreislauf abgegeben. Die Nebennnieren sitzen als kleine Drüsen oben auf jeder Niere. Bei Stress, aber auch bei verschiedenen anderen Reizen wie Kälte, Hitze, Lärm und körperlicher Anstrengung wird die Produktion von Cortisol gefördert. Cortisol be-einflusst viele Gewebe- und Stoffwechselprozesse im Körper und stattet den Menschen für kurze Stressphasen mit Energie aus, indem z.B. Fett und Blutzucker aus den Depots freige-setzt werden. Hunger, Durst und Sexualtrieb werden unterdrückt. Damit es nicht zu über-schießenden Reaktionen kommt, ist durch einen Feedback-Mechanismus gleichzeitig dafür

gesorgt, dass das Cortisol durch seine Konzentration im Blut die CRH- und ACTH-Ausschüt-tung hemmt, also die Produktion jener Hormone, die der Cortisol-AusschütACTH-Ausschüt-tung vorangehen.

Sobald also der Hypothalamus und die Hypophyse eine erhöhte Cortisol-Konzentration re-gistrieren, wird die Produktion dieses Hormons gestoppt. Das Cortisol hat sehr vielfältige Funktionen. Die positive Wirkung, die das Cortisol im kurzzeitigen Einsatz auf den Körper hat, verkehrt sich aber ins Gegenteil, wenn der Cortisolspiegel über längere Zeit erhöht ist.40 Wie Stress den Organismus schädigen kann

Diese Mechanismen, die über das Nervensystem einerseits und das Hormonsystem anderer-seits ablaufen, sind im Zusammenhang mit dem Auftreten von Stress vielfach beschrieben worden. Dabei wurde die Summe aller sich im Körper abzeichnenden Stressauswirkungen von Selye, dem Entdecker des Mechanismus, als allgemeines Adaptationssyndrom bezeichnet.

Demnach entwickelt sich der Stressprozess in drei Phasen. Einer Alarmphase folgt die Phase eines erhöhten Widerstandes, die mit einer kurzfristigen Mobilisation aller Reserven und einer erhöhten Resistenz gegen den ursprünglichen Stressor einhergeht, während es in der anschlie-ßenden Erschöpfungsphase zur „Dekompensation des Systems“ (Tewes, 1996, S. 117; vgl. a.

Hennig, S. 73 ff.) mit all seinen schädlichen Auswirkungen für die Gesundheit kommt. Vor diesem Hintergrund wird von einigen Forschern auch zwischen Kurzzeit- und Langzeitfolgen (vgl. Birbaumer u. Schmidt, 1999, S. 94) bzw. zwischen gesundheitsförderlichem Eustress und krankheitsbegünstigendem Disstress differenziert. Dabei ist es allerdings schwierig, eine Gren-ze zu ziehen, wo die physiologisch-adaptiv wirkende Funktion von Stress, die hilft, Energien für neue Herausforderungen zu mobilisieren, umschlägt in die krankmachende Dauerspannung, die zur Energieerschöpfung mit all ihren Folgen führt (zur Abgrenzung vgl.: Seefeldt, S. 51 ff.;

vgl. a. Sapolsky, S. 31 ff.; Siegrist, 1996, S. 37 f. und die sehr systematischen Ausführungen bei Stück, S. 20 ff.).

Betrachtet man nun die beteiligten Prozesse zusammenfassend, dann wird deutlich, in wie umfassender Weise der gesamte Organismus an der Stressreaktion beteiligt ist. Der ganze Kör-per ist auf die energieverbrauchende Leistungsphase orientiert, während gleichzeitig die

40 Ein langfristig erhöhter Cortisolspiegel hat u.a. negative Auswirkungen auf die Libido bei Frauen und die Potenz bei Männern. Impotenz und Störungen des Menstruationszyklus können die Folgen sein (vgl.

Herbrich u. Possemeyer, 2002; vgl. a. Rüegg, S. 90 f. u. Sapolsky, S. 141 f.). Außerdem vermutet man, dass das Schlafverhalten durch Stresshormone gestört wird und dass langandauernder Stress mit entsprechen-der Erhöhung des Cortisols sich negativ auf das Lernen und die Gedächtnisfunktionen auswirkt, weil entsprechen-der Hippocampus, der an diesen Funktionen zentral beteiligt ist und dessen Nervenzellen die meisten Rezeptoren für Cortisol im gesamten Nervensystem enthalten, durch Stress erheblich beeinträchtigt wird (vgl. Birbaumer u. Schmidt, S. 97; Miketta, 1997, S. 119). In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass der Hippocampus bei chronisch erhöhtem Cortisol schrumpft. Beispielsweise hat man bei von chronischem Jetlag gestresstem Flugpersonal erhöhte Cortisolspiegel und eine Verkleinerung der zuständigen Hirnstrukturen gefunden. Auch nimmt man an, dass alles, was – wie etwa Stress – das Gedächtnis belastet, die Gefahr einer Demenz erhöht (vgl. Wolf, 2003). Ein wichtiger Zusammenhang besteht schließlich zwischen chronisch erhöhtem Cortisol und Depressionen. Es hat sich gezeigt, dass bei 50-70 % aller Patienten mit schweren Depessionen das Cor-tisol erhöht und die Stresshormonachse gestört ist (vgl. Miketta, 1997, S. 66). Während sich normalerweise nach einem Stresserlebnis die Hormonproduktion von selbst reguliert, ist bei Depressionspatienten dieser Feedback-Mechanismus offensichtlich gestört. Es wird angenommen, dass eine langfristig erhöhte Cortiso-lausschüttung den Hippocampus so schädigt, dass dessen Nervenzellen ihre Fähigkeit einbüßen, die Stress-hormonproduktion überhaupt noch zu regulieren. Allerdings weiß niemand genau, wo der Beginn des Teu-felskreises liegt (vgl. Pert, S. 413; Sapolsky, S. 300 ff.; Miketta, 1997, S. 159; vgl. a. McEwen, 1998).

Von wesentlicher Bedeutung ist das Cortisol schließlich auch für das Funktionieren des Immunsystems (vgl.

dazu die Fußnote 42).

lungsphase blockiert ist und beispielsweise Verdauungsprozesse eingeschränkt und sexuelle Funktionen herabgesetzt sind. Dabei kann dieselbe Reaktion, die uns kurzfristig darin unter-stützt, alle unsere Reserven zu mobilisieren, für den Organismus schädlich werden, wenn ein Mensch ständig unter Stress steht und jeden Tag als Krise erlebt. Chronischer Stress, genauer:

eine chronisch eingeschaltete Stressantwort wirkt sich schädigend auf das Herz-Kreislauf-System aus und aktiviert die Muskulatur, was zu Verspannungen und beispielsweise zu Rü-ckenschmerzen führen kann (vgl. Possemeyer u. Herbrich, S. 152 f.; Hasenbring, 2002). Zu-dem beeinträchtigt Stress das Gedächtnis (vgl. Birbaumer u. Schmidt, S. 97 f. u. Fußnote 40) und steigert das Risiko für Magen-Darm-Geschwüre.41 Schließlich hat er auch Fortpflanzungs-störungen zur Folge (vgl. Sapolsky, S. 141 ff.) und kann den Energiehaushalt beeinträchtigen, d.h. bestimmte Formen von Diabetes begünstigen (vgl. Possemeyer u. Herbrich, 2002; vgl. a.

McEwen, 1998, S. 172). Darüber hinaus liegen Hinweise vor, dass dauerhafter Stress das Kno-chenwachstum hemmen, das Osteoporoserisiko erhöhen und Knochenschwund verursachen bzw. die Reparatur von Knochen hemmen kann (vgl. Sapolsky, S. 130 ff.). An anderer Stelle diskutiert der Stressforscher Sapolsky auch die Folgen von Stress für das menschliche Gehirn und mögliche Konsequenzen, die dies für das Altern, die Alzheimer-Krankheit, Depression und eine Reihe von neurologischen Störungen hat (vgl. Sapolsky, 1998, S. 418). Von zentraler Bedeutung sind schließlich auch die Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem, die wie-derum das Risiko zu erkranken vervielfältigen können.42

Da die beteiligten Mechanismen, bis in die komplizierten Zusammenhänge des Immunsystems hinein, immer genauer aufgedeckt werden, nehmen viele Forscher an, dass sich perspektivisch psychosomatische Reaktionen und Erkrankungen eindeutiger erklären lassen (vgl. Seefeldt, S. 48; für eine differenzierte Diskussion der krankheitsverursachenden Wirkungen von Stress vgl. Birbaumer u. Schmidt, 1999; Hellhammer u. Buske-Kirschbaum, 1997; Huber, A., 2001;

McEwen, 1998; Rüegg, 2003 und Sapolsky, 199843). Birbaumer u. Schmidt (1999, S. 99) ver-treten vor diesem Hintergrund sogar den Standpunkt, dass „eine Unterscheidung zwischen

41 Beispielsweise nimmt man mit Blick auf stressverursachte Magenstörungen an, dass durch die verringerte Durchblutung bei Stress nur wenige Immunzellen in den Magen gelangen und, so eine Theorie, der Erreger der Magenschleimhautentzündung sich ungestört vermehren kann. Zudem reagiert der Magen bei Stress wo-möglich überempfindlich auf Magensäure. Dehnt sich die Magenwand nach dem Essen, entstehen Schmerzen und Übelkeit (vgl. Possemeyer u. Herbrich, 2002; vgl. für eine biopsychosoziale Sicht der Entstehung von Magenulcera auch: Birbaumer u. Schmidt, S. 97; Levenstein, 2000).

42 Während bei kurzfristiger Stressinduktion bzw. in der Alarmphase eher mit Aktivierungen des Immunsys-tems und mit Stimulierungen zumindest von Teilen des ImmunsysImmunsys-tems zu rechnen ist, schwächen chronisch erhöhte Cortisolwerte das Immunsystem (vgl. Hennig, S. 76; vgl. a. Schedlowski u. Tewes, 1996) mit der Folge, dass wir anfälliger für verschiedene Infektionskrankheiten und möglicherweise auch für Krebs werden.

Andererseits werden in manchen Fällen aber auch überschießende Immunreaktionen beobachtet, die auf einen Mangel an Cortisol und auf eine möglicherweise geschwächte und hyporeaktive Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse zurückgeführt werden. Ein Erklärungsansatz besteht darin, dass in den Fällen, in denen ein System nicht ausreichend auf Stress reagiert, ein anderes aktiviert werden kann und beispielsweise statt des Cortisol die Entzündungszytokine ansteigen, die normalerweise durch das Cortisol gegenreguliert werden (vgl. McEwen, S. 173; vgl. zum Hypocortisolismus a: Huber, 2001). Solche Mechanismen werden insbesondere mit Blick auf einige entzündliche Erkrankungen (Polyarthritis und Colitis ulcerosa) sowie in Bezug auf verschiedene allergische Erkrankungen (wie z.B. Bronchialasthma oder Neurodermitis) diskutiert (vgl. Birbaumer u. Schmidt, S. 52; vgl. a. Rüegg, 2003, S. 101ff.; Sapolsky, 1998). Beispiele für eine hy-poreaktive HNA-Achse fanden sich auch bei Patienten mit Fibromyalgie und Chronic Fatigue Syndrom (vgl.

McEwen, S. 175).

43 Bei Sapolsky (1998) findet sich im Anhang eine ausführliche, kommentierte und nach Themen geordnete Literaturliste zum Zusammenhang von Stress und Krankheit.

psychosomatischen und rein somatischen Krankheiten, wie sie bis heute in der Medizin und Psychologie üblich ist und wie sie in der sogenannten ´psychosomatischen Medizin` zum Ausdruck kommt, weder theoretisch noch empirisch eingehalten werden (kann)“. Ein wichtiger Faktor für das Verständnis psychosomatischer Reaktionen sind dabei sicherlich die Emotio-nen, deren Entstehung eng mit den beschriebenen Stressmechanismen zusammenhängt.