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2.5 Die Biologie der Emotionen

2.5.2 Die Psychoneuroimmunologie

In jüngster Zeit häufen sich nun die Erkenntnisse, dass im Körper sehr viel mehr passiert, als dass nur „festverdrahtete Reflexe, verursacht durch elektrische Reizung an Synapsen, den Körper in mehr oder weniger mechanischer, reaktiver Weise (durchlaufen) – ein Entwurf, der wenig Raum für Flexibilität, Veränderung oder Intelligenz läßt“ (Pert, S. 283). Nach Ansicht verschiedener Wissenschaftler scheint es sich eher um ein „multidirektionales Kommunikati-onsnetz“ zu handeln, in dem die „drei herkömmlicherweise getrennten Disziplinen Neurowis-senschaft, Endokrinologie und Immunologie mit ihren verschiedenen Organen – einerseits Ge-hirn, andererseits Drüsen und schließlich Milz, Knochenmark und Lymphknoten ...(zusam-mengeschlossen sind)“ (ebd., S. 281). Die Wissenschaftsrichtung, die sich mit diesem multidi-rektionalen System befasst, wird Psychoneuroimmunologie genannt, wobei Candace Pert, eine bekannte Neurowissenschaftlerin, darauf hingewiesen hat, dass die Bezeichnung Psychoimmu-noendokrinologie eigentlich aussagekräftiger und weniger redundant wäre (vgl. ebd., S. 270).

Vorgeschichte und erste psychoneuroimmunologische Studien

Der Gedanke, dass es eine Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem geben muss, konn-te in der Wissenschaft nur schwer Fuß fassen und wurde durch eine Reihe von Unkonn-tersuchun- Untersuchun-gen und Experimenten gebahnt, die hier nur knapp dargestellt werden. Zunächst zeigten wis-senschaftliche Experimente, dass das Immunsystem konditioniert werden kann, ähnlich wie Pawlow es schon um die Jahrhundertwende beim Nachweis der klassischen Konditionierung mit Hunden demonstrierte. Z.B. wurde schon früh bei Experimenten an Kaninchen eine geziel-te Bakgeziel-terieninfektion mit Huptönen kombiniert. Nach wenigen Versuchen reagiergeziel-te das Im-munsystem auch ohne Infektion, alleine auf das Hupen hin, mit einer massiven Antikörper-produktion gegen die nicht vorhandenen Bakterien (vgl. Miketta, 1997, S. 107 ff.). Inzwischen gibt es Hinweise, dass solche Konditionierungen auch beim Menschen funktionieren. Zwei Wissenschaftler der Universität Trier führten z.B. das folgende Experiment durch: Einige Ver-suchspersonen erhielten über mehrere Tage eine harmlose Adrenalinspritze als unkonditionier-ten Reiz und unmittelbar vor der Injektion jeweils ein Brausebonbon als konditionierunkonditionier-ten Reiz.

Auf das Aufputschhormon Adrenalin reagierten die Killerzellen des Körpers wie erwartet mit einer gesteigerten Aktivität. Diese gesteigerte Aktivität trat allerdings auch ein, als die Ver-suchspersonen am fünften Tag des Versuchs gar kein Adrenalin mehr bekamen, sondern ihnen nur noch eine Salzlösung gespritzt wurde (vgl. Miketta, 1997, S. 111; vgl. a. Rüegg, S. 93 ff.).

Zeigen solche und weitere Versuche nur, dass eine Verbindung zwischen Gehirn und Immun-system existieren muss, so erbringen verschiedene Stressexperimente darüber hinaus den Be-weis, dass psychische Prozesse Immunfunktionen beeinträchtigen und sogar krank machen können, indem sie beispielsweise zur erhöhten Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen führen (vgl. Cohen u.a.; 1991). Hervorzuheben sind hier insbesondere die Studien, die von Kiecolt-Glaser und Kollegen durchgeführt wurden. Diese Forscher konnten an Studenten zeigen, dass Prüfungsbelastungen einerseits und Einsamkeit bzw. ein Mangel an sozialen Kontakten ande-rerseits das Immunsystem nachweislich schwächen können. In die gleiche Richtung weisen auch Arbeiten, welche die Auswirkungen belastender Lebensereignisse (Arbeitslosigkeit, Be-lastungen in der Ehe, Pflege eines kranken Angehörigen etc.) auf immunologische Funktionen untersuchten (vgl. Kiecolt-Glaser u. Glaser, 1995; Kiecolt-Glaser u.a. 1984, 1988 a u. b; 1991;

vgl. a. Kennedy u.a., 1988). Dabei scheint der gemeinsame Nenner darin zu bestehen, dass

„kurzfristige psychische und auch physische Belastung eher mit stimulatorischen Effekten auf immunologische Parameter verbunden sind, während längerfristige Belastungen ....eher mit einer Suppression der Immunkompetenz verbunden sind“ (Hennig, S. 124; Hervorh. i. Original / U. F.). (Für eine ausführliche Darstellung der Stresseffekte auf endokrine und immunologi-sche Parameter beim Menimmunologi-schen vgl. ebd., 1998; Schedlowski u. Tewes, 1996; Schulz u.

Schulz, 1996).

Gehirn und Immunsystem kommunizieren über Blut und Nervensystem

Solche und andere Untersuchungen sprechen dafür, dass es eine direkte physische Verbindung gibt, über welche die Emotionen auf das Immunsystem einwirken. Wie aber bemerkt eine Im-munzelle, „ob der Mensch, in dessen Körper sie lebt, gestreßt oder traurig ist“ (Miketta, 1997, S. 135)? Zunächst einmal konnte nachgewiesen werden, dass die Nervenfasern des autonomen Nervensystems, die vom Rückenmark ausgehend alle inneren Organe und die hormonproduzie-renden Drüsengewebe mit Informationen versorgen, auch die Gewebe des Immunsystems

„Thymus, Milz, Lymphknoten, das Knochenmark und das lymphatische Gewebe des Darms (innervieren). Die vielen und weitverzweigten Enden dieser Nervenfasern liegen direkt neben Immunzellen, die sich in diesen Geweben aufhalten.... Bei entsprechender Aktivierung werden Neurotransmitter als Überträgerstoffe ausgeschüttet, meist Adrenalin, Noradrenalin und Ace-tylcholin – also genau die Botenstoffe, die auch der Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn dienen“ (ebd., S. 136, vgl. auch Pert, S. 278). Nervenzellen schütten also Neurotrans-mitter aus, über die sie die Immunzellen regulieren (vgl. Pert, S. 212).

Die vegetativen Nervenfasern sind aber nur ein Kommunikationsweg zwischen Gehirn und Immunsystem. Den zweiten Weg bilden die Hormone und Neuropeptide, die über die Hypo-physe in den Blutstrom gelangen und so direkt mit den Immunzellen in Kontakt kommen. Es war eine unglaubliche Entdeckung, „dass jeder Neuropeptidrezeptor, den wir im Gehirn gefun-den hatten, auch auf gefun-den menschlichen Monozyten vorkommt“ (Pert, S. 278). Immunologen nehmen inzwischen an, dass auf jedem Lymphozyten 25000 Rezeptoren sitzen für Neuro-transmitter, also für die Hormone, die von der Hypophyse produziert werden, ebenso wie für Opiate, Endorphine oder für das Cortisol (vgl. Seefeldt, S. 64). Ebenso groß war die Überra-schung aber auch, als festgestellt wurde, dass Immunzellen selbst auch die Neuropeptide und Hormone produzieren, speichern und sezernieren (vgl. Pert, S. 279). Aufgrund dieser Fähigkeit werden sie auch als „kleine, bewegliche Hypophysen“ oder als „mobiles Gehirn“ bezeichnet (Miketta, 1997, S. 143). Die „Immunzellen stellen die gleichen Stoffe her, von denen wir wis-sen, dass sie im Hirn Gemütszustände kontrollieren. Mithin sind Immunzellen nicht nur für

die Unversehrtheit der Körpergewebe verantwortlich, sondern sie schütten auch Botenstoffe aus, die Stimmungen oder Gefühle regulieren können“ (Pert, S. 279). Auf diese Weise können Immunzellen Nachrichten aus dem Nervensystem empfangen und verstehen und selber Boten-stoffe ausschütten, die ihrerseits auf das Gehirn regulierend einwirken können (vgl. Miketta, 1997, S. 144). Ein System von sogenannten Signalstoffen oder Botenstoffen48 verbindet die drei „Informationssysteme“ (Seefeldt, S. 63): das Zentralnervensystem, das Hormonsystem und das Immunsystem.

ZNS, Hormon- und Immunsystem als multidirektionales Netzwerk

Pert beschreibt dieses Zusammenspiel der Systeme auch als multidirektionales Netzwerk, in dem unablässig Informationen ausgetauscht werden. Dort passiert also genau das, was ge-schieht, „wenn Neuropeptide und Rezeptoren über alle Systemgrenzen hinweg binden“ (Pert, S. 282). In ein Netzwerk „kann man theoretisch an jedem Knotenpunkt eindringen und rasch an jeden anderen Punkt gelangen“ (ebd., S. 285). Pert nimmt an, dass so beispielsweise die Heilwirkung einer bewusst gesteuerten Atmung oder auch das Biofeedback erklärt werden können, indem man die Peptide, die auch im Atemzentrum vorkommen – darunter körpereige-ne Opiate –, durch Atmung veranlasst, sich rasch in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit aus-zubreiten (vgl. Pert, S. 285 ff.). Ebenso hält sie es für denkbar, dass die Rezeptorendichte im Darm dafür verantwortlich ist, dass wir unsere Gefühle in diesem Teil unserer Anatomie recht deutlich spüren. Sie verweist auf Untersuchungen, nach denen Aufregung und Ärger die Darm-tätigkeit erhöhen und Zufriedenheit sie verlangsamt (ebd.). Etwas unorthodox spekuliert sie über die emotionale Stimmung, mit der verschiedene Peptide oder Botenstoffe verbunden sein könnten. Z.B. könnte das Endorphin die hormonale Manifestation von Glück und menschli-cher Bindung sein, das vasoaktive, intestinale Peptid (VIP) möglimenschli-cherweise das Substrat von Eigenliebe (vgl. Pert, S. 318) und das CRF, der Corticotropin-Releasing Factor das Peptid der negativen Erwartungen bzw. das Depressionspeptid (vgl. Pert, S. 414). Auch hängt das

GABA möglicherweise mit unterdrückter Angst zusammen (vgl. Pert, S. 458; vgl. a. Gahr, M., S. 481 f.; LeDoux, 1998, S. 283; Wagner u. Born, S. 500 ff.; vgl. für einen Überblick über die Effekte der verschiedenen Botenstoffe a. Birbaumer u. Schmidt, S. 87 u. Panksepp, 1998, S. 101).

So scheint das, was die Menschen aller Kontinente und Kulturen immer schon geahnt haben, nun allmählich durch die Wissenschaft nachvollziehbar zu werden: Werden Menschen gefragt, wo Gefühl, Emotion und Intuition am besten zu orten sind, weisen sie gleich welcher Herkunft

48 Die sich rapide entwickelnde Forschung zeigt zunehmend, dass „ die gesamte Nomenklatur der Botenstoffe revisionsbedürftig ist“ (Miketta, 1997, S. 147), da alle Systeme offensichtlich einen gemeinsamen Pool von Signalmolekülen nutzen (ebd.). Wenn Neuropeptide und Neurorezeptoren nicht nur im Gehirn und Rücken-mark anzutreffen sind, wie es ihre Bezeichnung nahe legt, dann ist es sinnvoll, auf diese sprachlichen Festle-gungen zu verzichten (vgl. Pert, S. 271). Als Alternative schlagen daher auch Pert und Mitarbeiter vor, durch die Verwendung der schlichten Termini „Peptide“ oder „Botenstoffe“ zu unterstreichen, dass es sich um ein körperweites Kommunikationssystem handelt, in dem das Gehirn oder die Neuro-Komponente „nur ein Teil des nicht hierarchisch organisierten Körpersystems zur Sammlung, Verarbeitung und Vermittlung von Infor-mation (wenn auch die bei weitem komplizierteste und raffinierteste Komponente)“ (Pert, S. 271) darstellt.

Pert verweist auch auf einen Vorschlag von Francis Schmitt, nach dem man unter einem neuen Gattungsbeg-riff wie z.B. dem der „Informationsstoffe“ sowohl lange bekannte Stoffe wie die klassischen Neurotransmitter und die Steroidhormone als auch neu entdeckte Substanzen wie Peptidhormone, Neuropeptide und Wachs-tumsfaktoren zusammenfassen sollte (vgl. Pert, S. 282; zur Unterscheidung der verschiedenen Transmitter-systeme vgl. a. Wagner u. Born, 2000).

und Hautfarbe auf die Mitte ihres Körpers. Ebenso zeigt eine Vielzahl von Sprichwörtern, welche zentrale Rolle der Bauch bzw. das Zentrum des Körpers für das Gefühlserleben dar-stellt. Im Bauch schlägt Ärger auf den Magen, drücken Anspannung und Überforderung auf den Darm, steigert sich Ekel bis zum Erbrechen, flattern die Schmetterlinge vor Aufregung und breiten sich Glück und Freude in leisem Kribbeln aus. Nachdem lange Zeit angenommen wur-de, dass der Darm nur eine Röhre mit einfachen Reflexen sei, zeigt sich nun, dass die Eingewei-de von unzähligen Nervenzellen umgeben sind und eine Quelle psychoaktiver Substanzen dar-stellen. Wissenschaftler sprechen daher auch von einem zweiten Gehirn in unserem Bauch, das, mit den gleichen Zelltypen, Wirkstoffen und Rezeptoren ausgestattet, quasi ein Abbild des Kopfhirns ist (vgl. Luczak, 2000).

Aufgrund ihrer langjährigen Forschungen hält Candace Pert es für möglich und wahrscheinlich, dass die Botenstoffe zwischen den verschiedenen Systemen des Körpers die konkrete, mate-rielle Substanz der Gefühle sein könnten. Viele „dieser Botenstoffe sind Neuropeptide, die ursprünglich in anderen Kontexten als Hormone, gastrointestinale Peptide oder Wachstums-faktoren untersucht wurden. Ihre Zahl übersteigt gegenwärtig die 50, und die meisten, wenn nicht alle, verändern Verhalten und Gemütszustände“ (Pert, S. 273). Sie verbinden „das Ge-hirn, die Drüsen und das Immunsystem zu einem Kommunikationsnetz, in dem Körper und Gehirn zusammengeschlossen sind, und bilden vermutlich das biochemische Substrat des Ge-fühls“ (ebd.). Candace Pert sieht ihre Annahmen nicht zuletzt auch dadurch bestätigt, dass die Botenstoffe an bestimmten Knotenpunkten besonders gehäuft auftreten. Hier zeigt sich inte-ressanterweise, dass „die Teile des Gehirns, in denen Peptide und Rezeptoren am reichlichsten vorkommen, auch die Hirngebiete sind, die mit dem Ausdruck von Gefühlen zusammenge-bracht werden“ (Pert, S. 271). Die Kernstrukturen des limbischen Gehirns, die Neurowissen-schaftler in einen engen Zusammenhang mit emotionalen Verhaltensweisen bringen, enthielten einen überwältigenden Anteil von 85 bis 95 % der verschiedenen untersuchten Neuropeptidre-zeptoren (vgl. Pert, S. 201 f.).