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3.2 Gesundheitsschutzfaktoren, Persönlichkeit und Emotionen

3.2.3 Hardiness und Kohärenzgefühl

befruchtet. Die Autoren bieten sowohl Ansätze zum assessment von Kontrollüberzeugungen in verschiedenen Inhaltsbereichen als auch Anregungen zur Förderung eines positiven, zwi-schen Selbstdurchsetzung und Nachgiebigkeit wohlbalancierten Maßes an Kontrollüberzeu-gung bzw. Kontrollverhalten. Ein großer Vorteil des von ihnen entwickelten Vier-Quadranten-Modells besteht darüber hinaus darin, dass es erlaubt, zwischen verschiedenen Formen opti-maler und suboptiopti-maler Kontrolle zu differenzieren und so Bezüge zu solchen Persönlich-keitsdispositionen wie dem Typ-A-Verhaltensmuster oder der erlernten Hilflosigkeit herstel-len zu können.

Parallelen zum Selbstwirksamkeitskonzept werden vor allem dort deutlich, wo es um die Er-fassung und Förderung von Kompetenzerwartungen in ganz spezifischen Verhaltens- und Leistungsbereichen geht. Zugleich gehen die Autoren aber über das Selbstwirksamkeitskonzept weit hinaus, wenn sowohl die sozioökonomischen Bedingungen von Kontrolle (vgl. ebd., S. 91) als auch die existentiellen Begrenzungen, denen menschliches Kontrollbemühen unter-liegt, berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass wir ungeachtet all der menschlichen Bestre-bungen, das Leben zu kontrollieren, doch alle sterben müssen, macht nach Ansicht der Autoren deutlich, wie wichtig es für den Menschen ist, eine Balance zu finden zwischen Aktivität und die Umwelt beeinflussendem Handeln einerseits und dem Akzeptieren von Unabänderlichem und Selbstkontrolle andererseits. So schreiben sie im Vorwort, dass es für den Menschen, der nun zu Beginn des dritten Jahrtausends bereits ein beträchtliches Maß an Kontrolle über die äußere Welt erlangt habe, nun ganz zentral darum gehe, auch die innere Welt zu kontrollieren.

Persönlichkeits-konzept als Einheit aus drei miteinander verbundenen Komponenten (vgl. dazu Kobasa, 1979, Kobasa u. a., 1982; vgl. a. Antonovsky, 1997, S. 48):

commitment (Engagement und Selbstverpflichtung): Damit ist das Bestreben einer Person gemeint, sich selbst mit allem, was sie tut oder was ihr begegnet, zu identifizieren und da-für zu engagieren. Commitment ist das Gegenteil von Passivität und Vermeidungsverhalten und bedeutet Neugier auf das Leben und eine hohe Motivation, etwas zu bewerkstelligen und zu verwirklichen.

control (Kontrolle): Damit ist das Gegenteil von Hilflosigkeit gemeint. Person mit hoher Kontrolle glauben, Einfluss auf den Lauf der Ereignisse ihrer Erfahrung nehmen zu können.

Sie erleben Ereignisse nicht als etwas Fremdes, sie Überwältigendes, weil sie sehen, dass ihnen verschiedene Möglichkeiten der Reaktion und Entscheidung zur Verfügung stehen.

challenge (Herausforderung) meint schließlich, dass Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als positive Chance wahrgenommen werden. Wandel und Veränderung gehören für solche Menschen zum Leben, und sie sehen darin eher eine Gelegenheit für neue Erfahrun-gen und Anreiz zu weiterem Wachstum denn eine Bedrohung ihrer Sicherheit und Stabili-tät. Schwierigkeiten werden als Anlass genommen, daraus zu lernen.

Die belasteten, aber gesunden Angestellten unterschieden sich in den genannten Merkmalen von den belasteten, aber kranken Angstellten. Bei Letzteren fanden sich Entfremdung statt Selbstverpflichtung, Nihilismus und Machtlosigkeit statt eines Gefühls eigener Kontrollmög-lichkeiten und Angst vor Risiken statt Freude an neuen Herausforderungen (vgl. Kobasa u.a., 1979, S. 8). Kobasa schlussfolgert aus dieser Untersuchung, dass die Persönlichkeit einen wichtigen Mediator im Stressgeschehen darstellt. „Hardiness“ wird als ein Persönlichkeitsfak-tor angesehen, der Menschen trotz großer Belastungen und trotz sogenannter kritischer Le-bensereignisse vor Krankheit zu schützen vermag. Weitere Untersuchungen haben inzwischen bestätigt, dass „hardiness“ weniger anfällig gegen Stress macht und effektives Bewältigen be-günstigt. Das Konzept wird allerdings wegen seiner Breite und aufgrund von Schwierigkeiten, die sich bei der Messung ergeben, heute eher kritisch gesehen (vgl. Kaluza, 1996, S. 45; vgl. a.

Bengel u.a., S. 56 f.).

Kohärenzgefühl

Einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem positiven Gesundheitsverständ-nis stellt Antonovskys Konzept des Kohärenzgefühls dar, ein Ansatz, den viele Gesund-heitswissenschaftler für einen der tragfähigsten und interessantesten halten. Vielen gilt das Konzept „als Spitzenreiter“ (Franke, 1997, S. 170). Antonovsky, ein israelischer Medizinso-ziologe, führte Anfang der siebziger Jahre in Israel an Frauen verschiedener ethnischer Grup-pen eine Untersuchung über die Auswirkungen des Klimakteriums durch. Ein Teil der unter-suchten Frauen war in Zentraleuropa geboren und teilweise in einem Konzentrationslager in-haftiert gewesen. Dennoch – trotz des unvorstellbaren Schreckens, den sie im Konzentrati-onslager erlebt hatten, trotz der teils jahrelangen Odyssee, um sich dann ein neues Leben in einem neuen Land aufzubauen, und trotz der drei Kriege, die sie in Israel gegen die palästinen-sischen Nachbarn erleben mussten – waren 29 % der Frauen in einem guten psychischen und physischen Gesundheitszustand. Dieser Befund war für Antonovsky der Anlass, sich mit der Salutogenese zu befassen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 15; vgl. vorne 1.5.2.), einem Modell und

einem Wechsel der Blickrichtung, mit denen er eine imponierende Entwicklung angestossen hat (vgl. Franke, 1997, S. 169).

Als Ergebnis seiner Forschungen stellt er das zentrale Konzept des Kohärenzgefühls (sense of coherence)69 vor, das er wie folgt definiert: Das Kohärenzgefühl (SOC) „ist eine globale Ori-entierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass (1) die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklär-bar sind; (2) einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; (3) diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstren-gung und Engagement lohnen“ (Antonovsky, 1997, S. 36; Hervorh. i. Original/U. F.).

Antonovsky unterscheidet drei Komponenten, aus denen sich das Kohärenzgefühl zusammen-setzt:

Verstehbarkeit (sense of comprehensibility) „bezieht sich auf das Ausmaß, in welchem man interne und externe Stimuli als kognitiv sinnhaft wahrnimmt, als geordnete, konsisten-te, strukturierte und klare Information und nicht als Rauschen – chaotisch, ungeordnet, willkürlich, zufällig und unerklärlich. Die Person mit einem hohen Ausmaß an Verstehbar-keit geht davon aus, dass Stimuli, denen sie in Zukunft begegnet, vorhersagbar sein werden oder dass sie zumindest, sollten sie tatsächlich überraschend auftreten, eingeordnet und er-klärt werden können. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass damit nichts über die Er-wünschtheit von Stimuli impliziert ist. Tod, Krieg und Versagen können eintreten, aber solch eine Person kann sie sich erklären“ (Antonovsky, 1997, S. 34).

Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (sense of manageability) meint „das Ausmaß, in dem man wahrnimmt, dass man geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um den Anforde-rungen zu begegnen, die von den Stimuli, mit denen man konfrontiert wird, ausgehen. ´Zur Verfügung` stehen Ressourcen, die man selbst unter Kontrolle hat oder solche, die von legi-timierten anderen kontrolliert werden – vom Ehepartner, von Freunden, Kollegen, Gott, der Geschichte, vom Parteiführer oder einem Arzt – von jemandem auf den man zählen kann, jemandem dem man vertraut. Wer ein hohes Maß an Handhabbarkeit erlebt, wird sich nicht durch die Ereignisse in die Opferrolle gedrängt oder vom Leben ungerecht behan-delt fühlen. Bedauerliche Dinge geschehen nun einmal im Leben, aber wenn sie dann auftre-ten, wird man mit ihnen umgehen können und nicht endlos trauern“ (ebd., S. 35). Zusam-menfassend beschreibt diese Komponente also die Überzeugung eines Menschen, dass Herausforderungen und Schwierigkeiten bewältigbar und lösbar sind (vgl. Bengel u.a., S. 29).

Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness) bezieht sich „auf das Ausmaß, in dem man das Leben emotional als sinnvoll empfindet: dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforderungen es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet, dass sie eher

69 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass für den „sense of coherence“ unterschiedliche Überset-zungen vorliegen. So sprechen beispielsweise Becker u. a. (vgl. 1994) von „Kohärenzsinn“ oder Rimann u.

Udris (vgl. 1998) von „Kohärenzerleben“. Die vorliegende Arbeit, in der meistens vom „Kohärenzgefühl“

gesprochen wird, folgt ohne weitere Diskussion dem Vorschlag der Antonovsky-Übersetzerin A. Franke (vgl.

Antonovsky, 1997; Franke, 1997).

kommene Herausforderungen sind als Lasten, die man gerne los wäre. Dies bedeutet nicht, dass jemand mit einem hohen Ausmaß an Bedeutsamkeit glücklich ist über den Tod eines Nahestehenden, über die Notwendigkeit sich einer schweren Operation zu unterziehen o-der darüber, gefeuert zu werden. Aber wenn solch einer Person diese unglücklichen Erfah-rungen auferlegt werden, nimmt sie diese Herausforderung bereitwillig an, wird ihr eine Be-deutung beimessen können und ihr Möglichstes tun, sie mit Würde zu überwinden“ (ebd., S. 35 f.). Antonovsky hält diese Komponente für besonders wichtig. Sie repräsentiert die motivationale Komponente und stellt in gewisser Weise einen emotionalen Gegenpol ge-genüber „einer zu starken Betonung des kognitiven Aspekts des Kohärenzgefühls“ dar (ebd.). An anderer Stelle beschreibt er das Bedeutsamkeitsgefühl auch als „a priori Annah-me ..., dass die Auseinandersetzung mit dem Stressor lohnt und dass sie eher eine will-kommene Herausforderung ist als eine Last, vor der man fliehen sollte“ (ebd., S. 131).

Antonovsky sieht den Sense of coherence (SOC) bzw. das Kohärenzgefühl eindeutig nicht als spezielle Coping-Strategie, sondern als eine „generelle Lebenseinstellung“ (Antonovsky, 1993, S. 4) und als eine „dispositionale Orientierung“ (ders., 1997, S. 165). Das SOC „(ist) eine sta-bile, dauerhafte und generalisierte Orientierung gegenüber der eigenen Welt, die eine Person durch das ganze Erwachsenenalter hindurch charakterisiert, falls nicht radikale, bleibende Ver-änderungen in der Lebenssituation eintreten“ (ebd., S. 163 f.). Antonovsky sieht manche Pa-rallelen zwischen dem SOC-Konzept und den Schlüsselkonzepten anderer Kollegen, z.B. zum

„Hardiness“-Konzept von Kobasa, zu der Theorie der Selbstwirksamkeit von Bandura und zum Ansatz von Meichenbaum70 (vgl. S. 58 ff.).

Kohärenzgefühl und Salutogenese

Das Konzept des Kohärenzgefühls ermöglicht es, gesundheitsförderliche Variablen zu identifi-zieren, ohne gleichzeitig definieren zu müssen, was Gesundheit ist.71 Antonovskys übergrei-fende Hypothese lautet, dass mit der Stärke des Kohärenzgefühls auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass Menschen sich auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum in Richtung des Gesundheitspols bewegen (vgl. Antonovsky, 1993, S. 4). Grundsätzlich „(liefert) eine Ein-stellung gegenüber der Welt, in der Stimuli als bedeutsam, verstehbar und handhabbar gesehen werden, die motivationale und kognitive Basis für Verhalten, mit dem von Stressoren gestellte Probleme wahrscheinlicher gelöst werden können als eine, die die Welt als beschwerlich, chao-tisch und überwältigend ansieht“ (ders., 1997, S. 137). Ein starkes SOC ist keine „Wunderwaf-fe“, die einem ermöglicht, alle im Leben gestellten Probleme vollständig zu lösen. „Abgesehen davon, dass nur wenige von uns ein sehr starkes, authentisches SOC haben, sind viele

70 Meichenbaum hat einen verhaltenstherapeutischen Ansatz entwickelt, der sich auf die Vermittlung von Co-pingfertigkeiten, zum Beispiel Selbstentspannung, Problemlösen und Selbstinstruktionen, konzentriert und dadurch „zumindest implizit darauf ab(zielt), beim Klienten das Gefühl für Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit zu stärken“ (Antonovsky, 1997, S. 68). Dies gibt Menschen „das Rüstzeug an die Hand ..., innerhalb ihres Lebensbereiches etwas ausfindig zu machen, was ich SOC-verbessernde Erfahrungen nen-nen möchte. Dies träfe auf jedes therapeutische Vorgehen zu, das eine langanhaltende, konsistente Verände-rung in den realen LebenserfahVerände-rungen, die Menschen machen, erleichtert“ (ebd. S. 119 f.; vgl. a. unten Kap.

7.2.1.2).

71 Antonovsky war sich der ethischen und moralischen Gefahren einer solchen Definition sehr bewusst und hat nach Meinung seiner Übersetzerin Alexa Franke nie definiert, was er unter Gesundheit versteht. „Alle Versu-che, Gesundheit zu definieren, werfen nach Antonovsky unweigerlich die Gefahr auf, eigene Werte bzw. die Werte der Mächtigen, die Werte derer, die die Definitonsmacht innehaben, als gesund auszugeben“ (Franke, 1997, S. 188).

me im Leben hartnäckig und einer vollständigen Lösung nicht zugänglich, wie stark das SOC auch immer sein mag. Was ich annehme, ist, dass Personen mit einem starken SOC sich bei der Bewältigung dieser Probleme besser bewähren als solche mit einem schwachen SOC; dass sie, wenn es für ein Problem keine Lösung gibt, angemessener mit ihm weiterleben können und dass sie fähig sein werden, ihr Leben mit geringerem Schmerz zu führen“ (ebd., S. 138).

Bezogen auf das transaktionale Modell von Lazarus erläutert Antonovsky, welche Unter-schiede seiner Ansicht nach zwischen Personen mit starkem Kohärenzgefühl und solchen mit schwachem Kohärenzgefühl bestehen. Eine Person mit einem starken Kohärenzgefühl wird sich von möglichen Stressoren weniger bedroht oder herausgefordert fühlen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 129) und diese eher als irrelevant oder günstig definieren, weil sie darauf vertraut, dass sich das Problem als durchaus lösbar erweisen wird (vgl. ebd., S. 127). Wenn nun aber eine solche Person einen solchen Stimulus doch als Stressor definiert, wird sie gegenüber einer Per-son mit schwachem Kohärenzgefühl dennoch im Vorteil sein, weil sie auch hinsichtlich der Einschätzung ihrer Bewältigungschancen einen Vorsprung hat. „Wieder einmal stellt das zugrundeliegende Vertrauen, dass die Dinge sich schon gut entwickeln werden, dass man Co-pingressourcen hat, dass das Verwirrende verständlich wird, dass man die Spannung wird auf-lösen können, eine relevante Ressource dar“ (ebd., S. 129). Eine Person mit einem starken Ko-härenzgefühl „sieht die gleichen Probleme, aber mit größerer Klarheit, größerer Spezifität und präziserer Differenzierung“ (ebd., S. 129). Sie ist „wahrscheinlicher in der Lage, der Situation Ordnung und Bedeutung zu verleihen“ (ebd., S. 130). Zudem werden „die Probleme nicht nur als verstehbarer und handhabbarer gesehen, sondern auch eher als Herausforderungen, denn als Last“ (ebd., S. 129).

Die Auswirkungen des Kohärenzgefühls auf das Erleben von Emotionen

Auch in Bezug auf den Umgang mit Emotionen sieht Antonovsky Unterschiede zwischen Personen mit starkem und solchen mit schwachem Kohärenzgefühl. Zunächst geht er davon aus, dass bei Personen mit unterschiedlich starkem Kohärenzgefühl auch die Emotionen auf unterschiedliche Weise angesprochen werden. Personen mit einem starken Kohärenzgefühl werden eher zielgerichtete, fokussierte Emotionen wie Traurigkeit, Schmerz und Wut erleben, solche Emotionen also, die eine motivationale Handlungsbasis schaffen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 129) und bei denen das Gefühl an ein relativ eindeutiges Ziel gebunden ist: Man ärgert sich über etwas, und der Ärger löst sich wieder auf (vgl. ebd., S. 139). Gerichtete Emotionen

„stimmen eindeutig eher mit dem Gefühl überein, dass Probleme verstehbar sind“ (ebd., S. 129;

vgl. a. ebd., S. 139). Eine Person mit starkem Kohärenzgefühl hat „auf negative Stressoren keine starken Gefühle von emotionalem Disstreß. Wenn überhaupt wird sie ihnen eher erlau-ben an die Oberfläche zu kommen und sie offen auszudrücken als sie zu unterdrücken. Auf diese Weise kann man sowohl leichter handeln, um mit dem instrumentellen Problem umzuge-hen, als auch das Problem der Emotionsregulierung leichter bewältigen. Spannung wird viel weniger wahrscheinlich in Stress umgewandelt“ (ebd., S. 140).

Personen mit schwachem Kohärenzgefühl erleben als Reaktion auf Stressoren eher diffuse Emotionen wie Angst, Verlassenheit, Verwirrung, Verzweiflung – Emotionen also, die nach Ansicht von Antonovsky eher paralysieren als auf ein Ziel hin zu orientieren (vgl.

Anto-novsky, 1997, S. 129).72 Unterschiede zwischen Personen mit starkem und schwachem Kohä-renzgefühl sieht Antonovsky auch in dem Ausmaß, in dem Emotionen bewusst sind oder un-bewusst bleiben. Die Person mit einem starken Kohärenzgefühl „wird sich ihrer Emotionen eher bewußt sein, kann sie leichter beschreiben, fühlt sich durch sie weniger bedroht“ (ebd., S. 139). Auch wird sie nicht zögern, andere zu beschuldigen, wenn dies der Realität entspricht.

Bei Personen mit schwachem Kohärenzgefühl führen diffuse Emotionen wahrscheinlich eher zu unbewussten Abwehrmechanismen (vgl. ebd., S. 129). Eine Person mit schwachem Kohä-renzgefühl wird „in ihrer tiefen Verunsicherung bezüglich ihrer persönlichen Kompetenz“

(ebd., S. 140) „eher einen anderen oder etwas anderes beschuldigen, oftmals ein vages ´sie`oder das Pech. ... Aber dies drückt den oft ineffektiven Abwehrmechanismus der Projektion aus, eine ängstliche Flucht vor der Übernahme von Verantwortung, was ein nagendes Gefühl von Unbehagen zurückläßt“ (ebd., S. 139).

Auch mit Blick auf das Copingverhalten, das entscheidend dafür ist, ob Probleme bewältigt und Emotionen reguliert werden oder Spannungen und Stress bestehen bleiben (vgl. hinten Kap. 6.2.2.), sieht Antonovsky große Unterschiede zwischen Personen mit starkem und sol-chen mit schwach ausgeprägtem Kohärenzgefühl. Während die Person mit starkem Kohärenz-gefühl der Überzeugung ist, dass Probleme geordnet und verstanden werden können, und sich daran macht, Ordnung in das Chaos zu bringen, gibt die Person mit einem schwachen Kohä-renzgefühl, die davon überzeugt ist, dass das Chaos unvermeidlich ist, schon von vorneherein jeden Versuch auf, dem Stressor einen Sinn abzugewinnen und die Situation effektiv zu bewäl-tigen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 132). „Was folgt ist ein halbherziger ... Copingversuch – oder, wahrscheinlicher, die ausschließliche Konzentration darauf, irgendwie mit dem emotionalen Problem umzugehen“ (ebd.). Eine Person mit schwachem Kohärenzgefühl „neigt dazu, ver-wirrt und bar des Wunsches nach Coping, von Beginn aufzugeben“ (ebd., S. 130). Antonovsky betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Verstehbarkeitskomponente, der Überzeu-gung, dass Probleme geordnet und verstanden werden können (vgl. ebd.). Auch hebt er hervor, dass ein starkes Bedeutsamkeitsgefühl, also die Fähigkeit, einer Situation Bedeutung zu verlei-hen, den „entscheidende(n) Faktor im Prozeß der Mobilisierung von Ressourcen“ darstellt (ebd., S. 131). Das „Ausmaß, in dem man seine Wahrnehmung des Stressors kognitiv und emo-tional ordnen (kann), (trägt) zu erfolgreichem Coping bei“ (ebd., S. 130).

Bei seiner Betrachtung des Coping favorisiert Antonovsky keinen bestimmten Coping-Stil (vgl. Antonovsky, 1997, S. 130). Eher sieht er eine Schlüsselfrage darin, wieviele Coping-Strategien zum Repertoire eines Individuums gehören und wie flexibel eine Person bei der An-wendung verschiedener Strategien ist. Zwar nimmt Antonovsky an, dass sich eine Person mit starkem SOC eher auf die Problemlösung und eine Person mit schwachem SOC eher auf die Emotionsbewältigung konzentrieren wird. Dabei favorisiert er aber keine dieser Copingvarian-ten. Eine Person mit einem starken SOC wird potentiell viele alternative Coping-Strategien haben und sie flexibel und angemessen verwenden. Sie ist in der Lage, die bestimmte Coping-strategie und die Ressource oder die Ressourcenkombination auszuwählen, die ihr angesichts eines bestimmten Stressors am geeignetsten erscheinen. Entscheidend ist nicht, über wieviele Widerstandsressourcen (vgl. oben 1.5.2.), also z.B. soziale Beziehungen jemand verfügt,

72 Die Unterscheidung zwischen gerichteten und diffusen Emotionen erscheint vor dem Hintergrund von Kap.

6.1.1.3 einleuchtend und auch hilfreich. Die Zuordnung der Emotionen aber, die Antonovsky in diesem Zu-sammenhang vornimmt, ist nicht widerspruchsfrei und wirkt etwas zufällig.

dern ob er sie zu mobilisieren und zu nutzen weiß (vgl. ebd., S. 130 ff.). (Hier deutet sich be-reits ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsfaktoren, Bewältigungsverhalten, sozialer Unterstützung und Emotionen an, der unten in 3.2.4 noch ausgeführt wird.)

Forschungsergebnisse zum Kohärenzgefühl

Das Modell der Salutogenese und das Konzept des Kohärenzgefühls haben zwar die wissen-schaftliche Diskussion sehr angeregt und in vielen Disziplinen einen Perspektivwechsel hin zu Fragen der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit angeregt (vgl. Bengel u.a., S. 89 f.), den-noch haben sie nicht die rege Forschungstätigkeit angestoßen, die aufgrund der großen Reso-nanz zu erwarten gewesen wäre (vgl. ebd., S. 86).

Forschungsergebnisse beziehen sich insbesondere auf Maße psychischer Gesundheit. Einige dieser Befunde, insbesondere solche zum Zusammenhang zwischen Kohärenzgefühl und Emo-tionen, sollen hier abschließend zusammengetragen werden. Das Kohärenzgefühl korreliert negativ mit Angst. „In zahlreichen Studien wurde ein enger Zusammenhang zwischen psychi-scher Gesundheit respektive Krankheit und dem SOC festgestellt. Insbesondere haben sich in diversen Studien hohe negative Korrelationen mit Trait-Angst73 und Depression herausge-stellt“ (ebd., S. 183). Auch zeigten sich in Studentengruppen mit hohem, mittlerem und niedri-gem SOC „signifikante Unterschiede für Stress, State-Angst und Ärger“ (ebd., S. 187). Weil die Korrelationen zwischen Ängstlichkeit bzw. Depressivität und Kohärenzgefühl zum Teil sehr hoch sind, stellt Bengel sogar die Frage, „ob die SOC-Skala anderes oder mehr mißt, als die gängigen Instrumente zur Erfassung der genannten Dimensionen psychischer Gesundheit bzw.

Krankheit“ (Bengel u.a., S. 46). Bei Bengel u.a. finden sich ebenfalls zahlreiche Hinweise dar-auf, dass das Risiko psychischer Beschwerden bei Personen mit hohem Kohärenzgefühl gerin-ger ist als bei Personen mit niedrigem SOC (vgl. den Überblick bei Bengel u.a., S. 44 u. die aus-führliche Übersicht über Studien zum Kohärenzgefühl ebd., S. 115 ff.). Viele Studien zeigen signifikante Zusammenhänge zwischen Kohärenzgefühl und psychischen Symptomen sowie solchen positiven Aspekten psychischer Gesundheit wie Wohlbefinden und Lebenszufrieden-heit (vgl. ebd., S. 44; vgl. a. den Überblick bei Sack u. Lamprecht, S. 331). Beispielsweise machte eine Untersuchung an 559 Angestellten aus zehn Betrieben des Dienstleistungssektors deutlich, dass sich Menschen, die ihr Leben als kohärent erleben, signifikant häufiger risiko-vermeidend und präventiv verhalten (vgl. Rimann u. Udris, 1998, S. 363). Auf der anderen Seite sind solche – allerdings vorläufigen – Befunde zu erwähnen, die „darauf hin(deuten), dass das SOC bei Menschen mit Abhängigkeitsproblemen erniedrigt ist“ (Franke, 1997, S. 183; vgl.

a. Franke u.a., 2001). Diese Zusammenhänge werden vor dem Hintergrund der folgenden Kapi-tel noch eine Erklärung finden.

Während das Kohärenzgefühl einen hohen Zusammenhang mit Maßen psychischer Gesundheit zeigt, ist ein Zusammenhang zwischen SOC und Parametern körperlicher Gesundheit weniger eindeutig (vgl. den Überblick bei Bengel u.a., S. 44 ff.). Beispielsweise konnten Becker u. a.

(vgl. 1994) anlässlich einer pfadanalytischen Überprüfung des von Becker entwickelten An-forderungs-Ressourcen-Modells (vgl.vorne 1.5.3) entgegen ihren Erwartungen „keinen Pfad vom Kohärenzsinn zur körperlichen Gesundheit“ (ebd., S. 25) finden. Dies ist umso erstaunli-cher, als Antonovsky selber nur den Zusammenhang zwischen Kohärenzgefühl und

73 Die Forschung differenziert zwischen situationsspezifischen Angstgefühlen, der sogenannten Zustandsangst („State-Angst“) und der Ängstlichkeit als Persönlichkeitsdiposition („Trait-Angst“) (Mayring, 2003, S. 163).

cher Gesundheit herausstellte und es – so Bengel anlässlich einer kritischen Bewertung des Modells – ablehnte, den Aspekt des seelischen Wohlbefindens in sein Modell zu integrieren (vgl. ebd., S. 90). Als Schwachstellen des Modells haben sich daher u.a. „die ungenügende the-oretische Analyse der Beziehungen zwischen körperlicher und seelischer Gesundheit“ (Becker, 1992 a, S. 97) herausgestellt und die „nur skizzenhafte Ausarbeitung der Bindeglieder und vermittelnden Mechanismen zwischen Kohärenzsinn und Gesundheit-Krankheit“ (ebd.). In diese Richtung weist auch eine Kritik von Siegrist, der im Kohärenzsinn „im wesentlichen ein kognitionspsychologisches Konzept“ sieht, „dessen emotionstheoretische und streßphysiolo-gische Fundierung fehlt“ (Siegrist, 1997, S. 101, vgl. a. ders. 1993).

Trotz dieser und vieler anderer Kritiken (vgl. zusammenfassend Bengel u.a., S. 89 ff.) sind die Arbeiten Antonovskys aber erstaunlicherweise nicht wie viele andere „in den Schubladen ver-schwunden“ (Kolip u.a., S. 11), sondern haben eine vertiefte Auseinandersetzung und Weiter-entwicklung nach sich gezogen (vgl. Wydler u.a., 2000). Damit das Modell der Salutogenese mitsamt seinem zentralen Konzept, dem Kohärenzgefühl, aber wirklich zur Rahmentheorie für die Gesundheitsforschung werden kann, wird ein großer Bedarf an weiterer theoretisch-kon-zeptioneller Fundierung dieses Gesundheitskonzepts gesehen (vgl. Faltermaier, 2000; vgl. a.

Abel u.a., 2000). Zu den theoretisch-konzeptionellen Problemstellungen, die weiterer Klärung bedürfen, gehört u.a. die Frage, ob das Kohärenzgefühl eine generalisierte Ressource ist, die anderen übergeordnet ist, oder ein Konzept neben anderen, wobei die empirischen Befunde bisher eher gegen „die These von der Zentralität des Kohärenzgefühls“ sprechen (Faltermeier, S. 191) und bei verschiedenen Autoren die Meinung überwiegt, dass das Konzept neben ande-ren einzureihen ist (vgl. Noack, 1997) bzw. sich mit etablierten Konstrukten wie „Selbstwirk-samkeits- und Kompetenzerwartung“ sowie „Kontrollüberzeugungen“ überschneidet (vgl.

Siegrist, 1997, S. 101). Schließlich müsste auch geklärt werden, ob das Messkonzept des Ko-härenzgefühls tatsächlich das misst, was es zu messen vorgibt. Theoretisch erscheint das Kon-strukt sehr vielversprechend. Auf der anderen Seite wird aber auch Kritik daran geäußert, dass

„der SOC mit Gefühlen ´kontaminiert` sei“ (Sack u. Lamprecht, S. 332) und dass „der Kohä-renzsinnfragebogen ... nicht viel mehr als die Abwesenheit von Symptomatik mißt“ (Maercker, S. 197). Möglicherweise werden daher die positiven Bestimmungsmerkmale von Gesundheit durch Konzepte wie das der „persönlichen Reifung“ (vgl. ebd.) oder das Konstrukt der seeli-schen Gesundheit von Becker (vgl. hinten Kap. 6.3.) adäquater erfasst.

Ungeklärt ist auch die wichtige Frage nach der Entstehung und Stabilität des Kohärenzgefühls vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen, die für die Menschen mit den Heraus-forderungen von Individualisierung mit all ihren Chancen und Risiken verbunden ist (vgl. Fal-termaier, S. 192). In diesem Zusammenhang wird besonders auch vor einer einseitigen Kon-zentration auf das Kohärenzgefühl und der damit verbundenen „Gefahr, einer Individualisie-rung des Themas Gesundheit Vorschub zu leisten“ gewarnt (Abel u.a., S. 200). Über der Aus-einandersetzung mit dem Kohärenzgefühl dürften die strukturellen Voraussetzungen von Ge-sundheit (vgl. ebd.) und der gesamte komplexe Prozess der Bedingungen von GeGe-sundheit, die Antonovsky im Salutogenesemodell zu erfassen gesucht hat, nicht aus dem Auge verloren werden (vgl. Faltermaier, S. 188 ff.). Diese Anforderungen gilt es gerade auch im Hinblick auf die Gesundheitsförderung zu berücksichtigen, weil eine nur individuelle Stärkung des Kohä-renzgefühls „wohl als praktischer Zynismus zu bezeichnen (wäre)“ (Abel u.a., S. 200).