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3. Fragestellungen der vorliegenden Evaluationsstudien

3.1 Das Training nach Lauth und Schlottke

Das Training liegt seit 1993 in publizierter Form vor. Lauth und Schlottke (1997) verstehen Aufmerksamkeit als zielgerichtetes und stetiges Verhalten. Sie ist demnach keine vorhandene Fähigkeit, sondern wird durch eine Abfolge von Handlungen (z.B. Aufgabe verstehen – relevante Informationen erkennen – Lösungsmöglichkeiten entdecken – ständige

Kontrolle des eigenen Vorgehens (Monitoring)) „aktuell“ (S. 12) hergestellt.

Aufmerksamkeitsstörungen können diesem Ansatz zufolge dadurch entstehen, dass grundlegende Fertigkeiten (z.B. visuelle Reize diskriminieren), Wissen und Vorerfahrungen sowie metakognitive Fähigkeiten der Handlungssteuerung nur unzureichend vorhanden sind oder eingesetzt werden können.

Die Therapie baut auf dem Selbstinstruktionsansatz auf. Durch Kombination mit verhaltenstherapeutischen Grundtechniken (Feedback, positive und negative Verstärkung) und Übungsanteilen soll eine Verbesserung der „Fähigkeit des Kindes, eigenständig, selbstreflexiv und situationsangemessen zu handeln“ (Lauth & Linderkamp, 2000, S. 136), erreicht werden.

Ausgehend von einem multifaktoriellen Störungsmodell entwickelt sich die Hyperkinetische Störung durch ein komplexes Zusammenspiel biologischer, psychischer und sozialer Bedingungen. Die Entstehung und Aufrechterhaltung von Hyperkinetischen Störungen wird in diesem Modell auf verschiedenen Ebenen erklärt (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Psychophysiologisch-behaviorales Modell zur Entstehung und

Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeitsstörungen (Lauth & Schlottke, 1997, modifiziert nach Roth, Schlottke & Klepel, 1992)

Störungsebene I: Als Ausgangspunkt und grundlegender Entstehungsfaktor wird eine defizitäre zentralnervöse Aktivierungsregulation (Über- oder Untererregung) auf der psychophysiologischen Ebene angenommen, die auf eine unspezifische biologische Vulnerabilität zurückgeführt wird.

Störungsebene II: Die Unfähigkeit, die eigene Aktiviertheit auf die jeweilige Situation auszurichten, führt auf der Ebene der Verhaltensregulation unmittelbar zu verringerten Selbststeuerungsfähigkeiten, die sich als Einschränkung der Daueraufmerksamkeit, als mangelnde inhibitorische Kontrolle sowie Tendenz zur vermehrten Reizsuche äußern. Auf der Verhaltensebene kann dies als Impulsivität, motorische Unruhe und leicht ablenkbares, trödelndes Verhalten direkt beobachtet werden.

Störungsebene III: Als Folge dieser Beeinträchtigungen entwickeln sich Defizite in der Verhaltensorganisation, die sich in Form mangelnder Ausbildung und Anwendung von Problemlösestrategien, eingeschränkter Wissenssysteme und unzureichender metakognitiver Prozesse zeigen.

Störungsebene IV: Durch bestimmte disponierende Umweltbedingungen (z.B.

unstrukturiertes familiäres Umfeld) und negative Umweltreaktionen (Zurückweisung, Bestrafung, Missbilligung), die häufig zu ungünstigen reaktiven Verarbeitungsweisen der betroffenen Kinder (Wutausbrüche, Trotzverhalten, „Kaspern“, sozialer Rückzug, negatives Selbstbild) führen, wird die Gesamtproblematik weiter verschärft. Psychosoziale Faktoren (negative Umweltreaktionen, ungünstige Verarbeitungsweisen der vorhandenen Beeinträchtigungen, soziales Umfeld) werden folglich nicht als ursächliche, sondern als verstärkende und aufrechterhaltende Bedingungen betrachtet.

Das Therapiekonzept des Programmes von Lauth und Schlottke setzt in erster Linie auf den Ebenen der Verhaltensregulation, der Verhaltensorganisation und den verhaltensorganisierenden Wissensanteilen an. Es werden außerdem Veränderungen der Umweltreaktionen und -bedingungen durch die Zusammenarbeit mit wichtigen Bezugspersonen der Kinder (Eltern, Lehrer) angestrebt.

Lauth und Schlottke (1997) empfehlen einen individuellen Therapieeinstieg je nach Ausprägung des Störungsgrades. Wenn ein Kind bestimmte Fertigkeiten erworben hat, soll mit den Inhalten eines anderen Therapiebausteins weiter gearbeitet werden. Wenn ein Kind nur langsam vorankommt, sollen Therapiesitzungen wiederholt werden.

Das Programm beinhaltet verschiedene Bausteine, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. Im Basistraining werden dem Kind Grundfertigkeiten vermittelt (z.B. genau hinschauen, genau zuhören, Wahrgenommenes wiedergeben) sowie Reaktionskontrolle durch allmählich verinnerlichte Reaktionsverzögerung aufgebaut. Zur Vermittlung der Reaktionsverzögerung wird eine Stop-Signalkarte eingeführt, die den Kindern zunächst real (vor Augen) und später imaginativ als Hinweis zur Reaktionskontrolle „Stop − Aufpassen, Nachdenken und Überprüfen“ dienen soll. Mit dem Basistraining wird überdies der Aufbau verbaler Handlungsregulation eingeleitet. Die Kinder sollen lernen, ihre Handlungen durch verbale Selbstanweisungen zu steuern. Als therapeutische Verfahren werden operante Verstärkung, Diskussionen und Gespräche mit den Kindern, Modellierungen und Demonstrationen durch den Trainer/Therapeuten sowie Übungs- und Spielphasen eingesetzt.

Ziel des Basistrainings ist die Verbesserung der Verhaltensregulation.

Der Ablauf des Basistrainings sieht folgende Schritte vor:

1. Ableitung förderlicher Vorgehensweisen: Ziele und Aufbau des Trainings sowie Hintergrundwissen über die Störung werden mit den Kindern anhand von standardisierten Videobeispielen erarbeitet.

2. Genau hinsehen und das Gesehene so genau wie möglich beschreiben.

3. Genau hinhören, d.h. Informationen trotz Hintergrund- und Störgeräuschen wahrnehmen.

4. Genau zuhören, d.h. Gehörtes aufnehmen, speichern und wiedergeben.

5. Wahrgenommenes genau wiedergeben: Aufnahme verbaler Informationen von anderen Personen und eigene Umsetzung dieser Informationen.

6. Reaktionsverzögerung: Erlernen einer überlegten Handlungsdurchführung und Bekanntgabe des Ergebnisses nach (verzögerter) Überprüfung der Ergebnisse.

7. Selbständige Reaktionsverzögerung zur Festigung des „Überprüfens“ sowie Üben des Transfers in den Alltag.

8. Differenzierte Reaktionsverzögerung, d.h. Lösungen sollen prozessbezogen überprüft werden.

9. Prüfprozesse: Übertragung der Reaktionsverzögerung und des Überprüfens auf schulische Inhalte durch verinnerlichte Selbstanweisung (verbale Handlungsregulation).

10. Ablenkung: Anwendung der bis hierher erworbenen Kompetenzen unter ablenkenden Bedingungen.

Laut Trainingsmanual ist das Basistraining nur dann indiziert, wenn sich bei einem Kind Schwierigkeiten bezüglich der Grundfertigkeiten andeuten bzw. seine Selbststeuerungsfertigkeiten unzureichend sind.

Mit dem Strategietraining werden der Erwerb und die Umsetzung von Problemlösestrategien angestrebt. Dazu werden Signalkarten eingesetzt, die einzelne Problemlöseschritte (z.B. Analyse der Anforderung, Planung des Vorgehens, Überprüfung des eigenen Handelns) veranschaulichen. Die Kinder sollen handlungssteuernde Selbstinstruktionen erlernen. Schwerpunktmäßig wird damit an den Einschränkungen der Verhaltensorganisation angesetzt. Als Therapietechniken kommen Methoden des Selbstinstruktionstrainings (Modellierung förderlichen Vorgehens durch den Therapeuten und Anleitung zur verbalen Selbstanweisung, die allmählich in ein „inneres Sprechen“ überführt werden soll), Übungsphasen und verhaltenstherapeutische Grundtechniken (Rückmeldung, soziale Verstärkung und Selbstverstärkung) zur Anwendung.

Der Ablauf des Strategietrainings sieht folgende Schritte vor:

1. Erklärung der Ziele und der Struktur des erweiterten Trainings:

• (vertiefte) Vermittlung von Wissen über die Aufmerksamkeitsstörung anhand von Beispielen,

• Einführung spezieller Signalkarten,

• Modelldemonstration anhand der Signalkartenanwendung,

• Übungsphase der Kinder an eigenen Aufgaben.

2. Flexibler Einsatz des „Lauten Denkens“ und kooperative Aufgabenlösung: Übertragung der Therapieinhalte auf andere Lebensbereiche (Schule, Hausaufgaben).

3. Flexibilisierung der bisherigen Bearbeitungsstruktur: Strategien festigen und lernen, diese auf inhaltsähnliche Probleme zu übertragen.

4. Übertragung der Bearbeitungsstruktur: Bisheriges Lösungsvorgehen verallgemeinern und auf neue Problemstellungen übertragen.

5. Übertragung auf abstrakte Probleme: Gedankliche Modelldemonstration wird gefördert durch die Anwendung verschiedener Analyseschritte zur Lösungsfindung.

Weitere Therapiebausteine, die eingesetzt werden können, sind Einheiten zur Wissensvermittlung sowie Einheiten zur Vermittlung sozialer Kompetenzen. Der Baustein der Wissensvermittlung fokussiert auf die Übertragung erlernter Trainingsinhalte (v.a. des Strategietrainings) auf schulische Aufgaben. Es werden außerdem Lernstrategien vermittelt.

Mit dem Baustein „Vermittlung sozialer Kompetenzen“ wird versucht die Selbststeuerungsfähigkeit des Kindes zu erhöhen, die Wahrnehmung und Verarbeitung sozialer Informationen zu verbessern, die Verfügbarkeit sozialer Fertigkeiten zu erreichen und das Selbstvertrauen zu erhöhen.

Die Therapiebausteine bestehen aus einzelnen Trainingseinheiten (Basistraining: 13 Einheiten; Strategietraining: 12 Einheiten). Es ist vorgesehen, dass die Einheiten adaptiv durchlaufen werden, d.h. zu einer neuen, komplexeren Einheit wird erst übergegangen, wenn das Zielverhalten der vorhergehenden Sitzungen von dem Kind übernommen wurde. Die einzelnen Trainingseinheiten weisen dabei eine identische Struktur auf (einleitende Bemerkungen und Feststellung der jeweiligen Sitzungsziele; Modelldemonstration oder gemeinsame Ableitung förderlicher Vorgehensweisen; Übungen der Kinder zur Umsetzung des angestrebten Vorgehens; spielerischer Ausklang, in dem die Sitzungsinhalte nochmals auf spielerische Weise aufgegriffen werden, ggf. Entspannungsübungen).

Neben der Elternanleitung wird außerdem eine Zusammenarbeit mit Lehrern angestrebt. In der Elternanleitung wird zunächst über die Diagnose Aufmerksamkeitsstörungen (Besonderheiten der Kinder, Bedingungsfaktoren und Auswirkungen) und die Therapie (Ziele, Vorgehen) informiert, um die Zusammenarbeit und die Akzeptanz der Intervention zu fördern und damit die Übertragung der Trainingsinhalte auf das Alltagsverhalten der Kinder zu ermöglichen. Die Eltern sollen überdies Fähigkeiten erwerben, mit denen sie ihre Kinder im Alltag unterstützen können (z.B. durch veränderte Erziehungsmaßnahmen oder alternative Interpretationen konfliktreiche Situationen anders zu gestalten). Die jeweiligen Inhalte der Elternanleitungen sind an den Stand der gerade mit den Kindern durchgeführten Therapie orientiert. Die Zusammenarbeit mit den Lehrern zielt auf ein angemessenes Störungsverständnis und die Unterstützung der therapeutischen Bemühungen sowie der Kinder im Schulalltag ab. Günstig ist es eine Unterstützung der Therapie durch den Lehrer (z.B. durch besondere Zuwendung bei erwünschtem Verhalten des Schülers) sowie auch eine Verbesserung der Lernfähigkeit des Kindes anzustreben, in dem

„prozessorientierte Hilfen“ gegeben werden (z.B. Modelldemonstrationen).

Laut Programmautoren ist es möglich, das Trainingsprogramm als Einzel- und Gruppentraining durchzuführen. Das Training in der Gruppe hat nach Meinung von Lauth und Schlottke (1997) den Vorteil, alltagsnähere Therapiebedingungen zu schaffen und soziale Lernprozesse des Kindes zu ermöglichen. In einer Gruppe sollten jedoch nur maximal drei

Kinder zusammengefasst werden. Dabei sollten die Kinder in einer Gruppe hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Störungsschwerpunkte homogen sein.

Ein wesentliches Element bei der Durchführung des Trainings ist die Verstärkung der Kinder mit Büroklammern, welche sie für erwünschtes Verhalten bekommen. Pro Sitzung können die Kinder sich bis zu fünf Klammern verdienen. Wenn sie 15 Klammern gesammelt haben, können sie diese gegen ein kleines Geschenk aus einer „Schatzkiste“ eintauschen.

Dieses Token-System erweist sich bei der Verstärkung der Kinder für gewünschtes Verhalten als sehr wirksam.

Durch das Manual ist dem Anwender eine gut durchschaubare Anleitung an die Hand gegeben, die auf der einen Seite genaue Durchführungsrichtlinien zur erleichterten Anwendung bietet, auf der anderen Seite aber auch eine gewisse flexible Therapiegestaltung zulässt.

3.1.2 Wirksamkeitsuntersuchung

Das Trainingsprogramm liegt mittlerweile in der fünften Auflage vor. Es hat im deutschsprachigen Raum eine weite Verbreitung gefunden. Es liegen insgesamt 11 Studien zu diesem Programm vor, die in der Mehrzahl von den Autoren selbst durchgeführt wurden (vgl.

Lauth & Linderkamp, 2000; Lauth & Schlottke, 1997). In einer kontrollierten Studie (Schlottke, 1984, zitiert nach Lauth & Schlottke, 2002), in der Kinder mit einer hyperkinetischen Störung einer Therapiegruppe (Basis- oder Strategietraining mit begleitender Elternanleitung) oder einer Wartegruppe (ohne Behandlung) zugewiesen wurden, wurde im Eltern- und Lehrerurteil eine Verbesserung des Alltagsverhaltens der trainierten Kinder festgestellt. In der Mehrzahl der Studien führte die Intervention sogar zu Störungsfreiheit. Der Effekt war in Nachuntersuchungen zum Teil noch nach sechs Jahren nachzuweisen (Linderkamp, 2002). Es waren aber vor allem die Eltern, welche ihre Kinder dann als störungsfrei einschäzten, von den Lehrern wurde keine Störungsfreiheit beobachtet.

Die Lehrer berichteten zum Teil, dass die Intervention keine Auswirkungen auf das Schul- und Unterrichtsverhalten hatte (Kausch, 2002).

Beck und Mock (1995, 1996) konnten in ihrer Studie keine verbesserte Aufmerksamkeitsleistung feststellen, was von Lauth und Schlottke (2003) so erklärt wird, dass die Gruppen nicht klinisch auffällig gewesen seien, die Kinder starr dem Basistraining zugeordnet wurden und die Gruppen inhomogen waren.

Im Alltagsverhalten treten Verbesserungen ein, besonders bei den Hausaufgaben und bei den Mahlzeiten (Lauth & Fellner, 1998; Schlottke, 1984).

Lauth (1996) führte in einer Studie das Strategietraining (ohne und mit Elternanleitung) durch und verglich die Ergebnisse mit einer unbehandelten Kontrollgruppe, die das gleiche Material bearbeitete. Die Intervention wurde zweimal pro Woche in Gruppen von zwei bis vier Kindern durchgeführt. Einschließlich Datenerhebung umfasste die Intervention einen Zeitraum von fünf Monaten. In der Eltern- und Lehrerbefragung wurden nach dem Training in den Interventionsgruppen Verbesserungen im Aufmerksamkeits- und Unterrichtsverhalten berichtet: Verbesserte Problemlösereflexivität, das Vorgehen war besser organisiert, und sie erreichten bei Problemlöseaufgaben mehr richtige Lösungen, die Sorgfalt und Bedachtheit im Unterricht wurde von den Lehrern als höher eingestuft.

Die Durchführungspraktikabilität kann als hoch eingestuft werden. Lauth und Linderkamp (1998) ließen das Training von Nicht-Psychologen nach entsprechender Einweisung und unter Supervision durchführen. Die Studentinnen bewerteten das Programm hinsichtlich Vorbereitungsaufwand, Zufriedenheit der Trainingsleiter und Therapieschwierigkeiten als zufrieden stellend.

In Einzeltherapien konnten Lauth, Naumann, Roggenkämper und Heine (1996) eine verbesserte Aufmerksamkeitsleistung sowie eine positive Beeinflussung der zentralnervösen Aktivierung nachweisen. In einer katamnestischen Untersuchung nach zwei bis drei bzw. vier bis sechs Jahren wies Linderkamp (2002) stabile Effekte in Bezug auf die Störungssymptomatik nach, unabhängig davon, ob die Kinder zwischendurch weitere Interventionen erhalten hatten oder nicht. Das Training hatte jedoch keinen oder nur geringen Einfluss auf oppositionelle Verhaltensstörungen und verminderte Schulleistungen, die bereits vor der Intervention bestanden. Kritisch ist aber zu bemerken, dass es sich hier nicht um eine kontrollierte Studie handelt.

3.2 Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem