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TQM und Systemnormen

Im Dokument Masing Handbuch Qualitätsmanagement (Seite 67-70)

Die Messtechnik wurde laufend verfeinert und die Regel­

kartentechnik der Statistischen Qualitätskontrolle immer breiter eingesetzt. Das PDCA­Prinzip bildete die Grund­

lage für kontinuierliche Verbesserung. Nun war es die ja­

panische Wirtschaft, aus der auf Basis US­amerikanischer Wirtschaftshilfe die nächsten Innovationen auf dem Weg hin zu Entwicklung des Qualitätsmanagements kamen.

Japan, das wie Deutschland Verlierer des von beiden be­

gonnenen zweiten Weltkriegs war, hatte seine Wirtschaft ab 1945 mit Hilfe US­amerikanischer Berater und Pro­

gramme recht schnell wiederaufbauen und internationa­

lisieren können. Zunächst galten japanische Industrie­

produkte als billige Kopien hochwertiger Originale und hatten somit ein schlechtes Qualitätsimage. Zunehmend wurde jedoch deutlich, dass sich japanische Produkte durch hohe Qualität und Zuverlässigkeit auszeichneten.

Made in Japan wurde zum weltweit anerkannten Gütesie­

gel. US­Berater wie W. Edwards Deming hatten japani­

schen Unternehmen dabei geholfen, hochwertige Serien­

produktionen aufzubauen.

Kiichiro Toyoda6, Inhaber und Vorstandsvorsitzender von Toyota, führte das Just­in­Time­Prinzip ein und der Toyota­

Produktionsleiter Taiichi Ohno baute Toyodas Ansatz zum legendären Toyota­Produktionssystem aus. Prinzipien wie Kaizen („Veränderung zum Besseren“) und Qualitäts­

zirkel, die durch Kaoru Ishikawa eingeführt wurden, der auch die sieben Qualitätswerkzeuge (Q7) beschrieb, fan­

den Eingang in westliche Managementkonzepte. Aus Kaizen wurde kontinuierliche Verbesserung (Continuous Improvement), ein – neben PDCA – weiteres prägendes Prinzip des Qualitätsmanagements.

W. Edwards Deming, ein Schüler Shewharts, griff – wie auch seine japanischen und in Japan wirkenden Kollegen, so zum Beispiel Joseph Juran, der als Berater Toyodas fun­

gierte – Feigenbaums Idee der Total Quality Control (TQC) auf und erweiterte sie zum Total Quality Management (TQM). Deming, der in den USA kaum Beachtung fand, genoss in Japan höchstes Ansehen. Bereits 1951 wurde der weltweit erste nationale Qualitätspreis, der Deming Prize der Japanese Union of Scientists and Engineers (JUSE), nach ihm benannt.

Toyota spielte eine Schlüsselrolle in der japanischen Wirt­

schaft. Viele japanische und später auch internationale Unternehmen orientierten sich an dessen Konzepten.

Japanische Unternehmen überflügelten zunehmend ihre Lehrmeister. US­amerikanische und deutsche Manager pilgerten nach Japan, um deren Erfolgsrezepte zu stu­

dieren. Die japanisch­amerikanischen Qualitätsmanage­

ment­Ansätze zeichneten sich durch ihre systemische Ganzheitlichkeit aus. Sie bezogen die gesamte Organisa­

tion, also nicht nur die produktnahen Wertschöpfungs­

prozesse, sondern alle Prozesse im Unternehmen ein. Sie reichten auch über das Unternehmen hinaus, indem sie weit in die Zulieferkette wirkten. Sie waren wirkliche Managementkonzepte, die zu ihrer Zeit von der Unterneh­

mensleitung ausgingen und Führungskräfte aller Hierar­

chieebenen umfassten.

Sehr spät erst, in den Achtziger­ und Neunzigerjahren, erreichten die Prinzipien des japanischen TQM die USA und dann auch Europa. 1991 erschütterte eine Studie des renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technolo­

gy) die US­amerikanische Wirtschaft und Wirtschafts­

politik. Unter dem Titel „The Machine That Changed the World: The Story of Lean Production – Toyota’s Secret Wea­

pon in the Global Car Wars That Is Now Revolutionizing World Industry“ beschrieben die Autoren, darunter der MIT­Professor für Systems Reengineering James Womack, wie sehr japanische Unternehmen, insbesondere Toyota, den US­amerikanischen überlegen waren (Womack et al.

6 Das Unternehmen Toyota wurde von der Familie Toyoda gegründet. Im Japanischen hat Toyota im Vergleich zu Toyoda eine vereinfachte Schreib­

weise.

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2 Die Entwicklung des Qualitätsmanagements im 20. und 21. Jahrhundert

1991). Die Studie identifizierte „Lean Production“ als er­

folgsinduzierendes Konzept. Im Kern war Lean Produc­

tion die konsequente Weiterentwicklung und seinerzei­

tige moderne Interpretation des TQM.

Zu den bedeutendsten Manifestationen des TQM wurden der US­amerikanische Malcolm Baldrige National Quality Award (MBNQA, seit 1987) und im Zuge dessen der Euro­

pean Excellence Award (heute EFQM Award) und die die­

sen zugrunde liegenden Modelle (MBNQA­Modell und EFQM­Modell). Sie bilden bereits den Übergang zum Or­

ganisationssystemfokus, der in Abschnitt 2.2.4 vertieft wird. Doch bevor sie eine vergleichbare Wirkung wie in der japanischen Industrie erreichen konnten, hatte eine andere Entwicklung ihren Lauf genommen, die in Deutsch­

land die TQM­Bewegung schnell überflügelte: die Einfüh­

rung der Managementsystemnorm DIN EN ISO 9001 im Jahr 1987 und die auf sie gestützte Managementsystem­

Zertifizierung.

Die Entwicklung der ISO 9001 hatte eine längere Vorgeschichte. Hans-Dieter Zollondz beschreibt sie als Entwicklung in vier Phasen (Zollondz 2014, S. 22):

1. „Die im April 1959 in Kraft getretene MIL-Q 9958 (Anmerkung: Military Specification der US Army mit dem Titel „Quality Program Requi-rements“) bildet die Basis für alle Folgeregel-werke.

2. Der 1979 in Kraft getretenen und von Großbri-tannien für den zivilen Bereich entwickelten Qualitätsmanagementnorm BS 5750 diente die MIL-Q 9958 als Vorlage.

3. Das 1979 von der ISO in Genf gegründete ISO/

TC 176 (TC steht für Technical Committee)war für die Entwicklung von QM-Systemen zu-ständig. Es orientierte sich bei seiner Entwick-lungsarbeit am BS 5750-Standard von Groß-britannien. Die erste Sitzung fand 1980 statt.

Die Terminologienorm ISO 8402 wurde bereits 1986 veröffentlicht.

4. ISO/TC 176 entwickelte in den Folgejahren die erste internationale QM-Norm mit der Be-zeichnung ISO 9000, die 1987 in Kraft trat. Die Darlegung umfasste drei Darlegungsstufen (9001, 9002, 9003), von denen die ISO 9001 die umfassendste war und sich dann auch welt-weit durchgesetzt hat.“

Eignerin der ISO 9001 ist die International Organization for Standardization (ISO), die internationale Normungs­

organisation. Das Deutsche Institut für Normung ist das

deutsche Pendant, das die ISO 9001 als deutsche DIN­

Norm übernommen hat. Darüber hinaus wird sie auch als europäische Norm geführt (Bezeichnung EN im Namen).

Zunächst hat die Einführung der ISO 9001 dazu geführt, dass die großen internationalen Unternehmen, die eigene vergleichbare Regelwerke hatten, diese zugunsten der internationalen Norm zurückfuhren, denn diese schuf die Option, den eigenen immensen Auditieraufwand bei ihren Lieferanten zu reduzieren. Sie bauten eigene Auditoren­

ressourcen zurück und stützten sich fortan auf die Third Party Certification, die Zertifizierung durch die auf­

kommenden neuen Dienstleister, die Zertifizierungsge­

sell schaft en. Auch war es einfacher, die dringend erfor­

derliche Kompatibilität der lieferkettenübergreifenden Pro dukt ent stehungsprozesse zu verbessern, wenn viele Lieferanten sich am gleichen Standard orientierten, an­

statt für viele ihrer großen Kunden viele verschiedene Standards und Varianten zu erfüllen. Allerdings sind heutzutage doch wieder zahlreiche Varianten im Spiel, wie z. B. IATF 16949 für die Automobilzulieferer, IRIS (In­

ternational Railway Industry Standard) für die Schienen­

fahrzeugzulieferer, DIN EN 9100 für die Luftfahrtzuliefe­

rer, DIN EN 15224 für Einrichtungen des Gesundheits­

wesens oder DIN ISO 29990 für Bildungsdienstleister.

Immerhin beziehen sich alle genannten Standards expli­

zit auf die ISO 9001 und gehen oft mit branchenspezifi­

schen Anforderungen darüber hinaus.

Als neueste Innovation der Entwicklung der sogenannten Managementsystemnormen gilt die Einführung der High Level Structure durch die ISO im Jahr 2012 (Annex SL der ISO/IEC Directives). Sie schafft eine einheitliche Glie­

derung für alle Managementsystemnormen, von denen es seit einigen Jahren neben der ersten, der ISO 9001 für Qualitätsmanagementsysteme, eine wachsende Zahl wei­

terer gibt, wie z. B. für Umweltmanagementsysteme (ISO 14000) oder Arbeitssicherheitsmanagementsysteme (ISO 450001). In diesem Zusammenhang wird seit den 1990er Jahren zunehmend auch das Thema „integrierte Manage­

mentsysteme“ adressiert. Gemeint ist damit eine Inte­

gration mehrerer themenfokussierter Managementteil­

systeme zu einem stimmig verzahnten Gesamtsystem. Oft wurden mehrere Themen in einer Funktion gebündelt und viele ehemalige Leiter Qualitätsmanagement wurden fortan Leiter Integriertes Managementsystem genannt.

Die ISO 9001 wird seit 1987 circa alle 5 bis 8 Jahre revi­

diert und hat im Laufe dieser Revisionen eine deutliche Weiterentwicklung erfahren. Die erste Revision hat z. B.

das Thema Statistik noch intensiv und eigens adressiert.

Die Revision aus dem Jahr 2000 brachte eine vollständige Neustrukturierung entlang eines generischen Prozessver­

ständnisses der Organisation. Seit 2000 ist die Norm auch deutlich besser für Dienstleistungsunternehmen geeignet.

Von Beginn an sind Prinzipien des TQM in die Entwick­

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2.2 Das Gestern: Die Genese des Qualitätsmanagements

lung der Norm eingeflossen. Auch die TQM­Modelle, wie z. B. das EFQM­Modell haben die IS0 9000­Normenfami­

lie, zu der neben der 9001 auch die 9004 gehört, stark beeinflusst. Die 9004 wurde sehr stark am EFQM­Modell gespiegelt.

Die Entwicklung der ISO 9001 spiegelt sogar in weiterer Hinsicht die geschichtliche Entwicklung des Qualitäts­

managements wider. Die allererste Version der ISO 9001 trägt den Titel „Qualitätssicherungssysteme; Qualitäts­

sicherungs­Nachweisstufe für Entwicklung und Konstruk­

tion, Produktion, Montage und Kundendienst“ („Quality systems; model for quality assurance in design/develop­

ment, production, installation and servicing“). Seit der Revision aus dem Jahr 2000 heißt sie „Qualitätsmanage­

mentsysteme  – Anforderungen“ („Quality management systems  – Requirements“). Die Namensgebung der ISO 9001 zeichnet also mit etwas Verspätung den Namens­

wechsel von der Qualitätssicherung (Quality Assurance) zum Qualitätsmanagement nach, den in der Zeit zwischen 1990 und 2000 viele Unternehmen für ihre „Qualitäts­

abteilungen“ vollzogen. Auch die Leiter Qualitätssiche­

rung erhalten bzw. bemühen sich um die neue, attraktiv erscheinende Bezeichnung Qualitätsmanager. Da die ISO 9001 die – 2015 aufgegebene – Anforderung formulierte, es müsse einen Beauftragten der (obersten) Leitung für Qualität geben, kommt auch die Bezeichnung Qualitäts­

beauftragte(r) ins Spiel. Insbesondere in kleinen Unter­

nehmen ist dies eine gängige Funktionsbezeichnung.

Auch die Qualifizierung ändert sich signifikant. Mit dem Aufkommen der ISO 9001 als Zertifizierungsgrundlage entsteht ein großer Bedarf, den eine große Unsicherheit und fehlende Erfahrung mit dem neuen Zertifizierungs­

verfahren befeuert. Viele Qualitätsmanager, Qualitäts­

beauftragte aber auch Qualitätsingenieure absolvieren in den frühen Neunzigerjahren eine Qualifizierung zum Qualitätsmanager, die im Wesentlichen den jeweiligen Stand der ISO 9001 behandelt. Das ist für die neuen The­

men und veränderten Aufgaben nützlich, hat aber einen hohen Preis. Die bis dahin die Qualitätssicherung prägen­

de Qualifizierung in Statistik bricht ein und wird wenige Jahre später in der bisherigen Form eingestellt. Auf diese Weise ging sehr viel Wissen und Kompetenz über die im­

mer noch relevanten statischen Methoden der Qualitäts­

sicherung verloren. Aufkommende Statistiksoftware hat diesen Prozess begünstigt, da aufwendige Berechnungen, die Qualitätsingenieure zuvor auf der Basis von Tabellen, Diagrammen und Formelsammlungen durchführten, au­

tomatisiert wurden. Zunehmend fehlte nun die mathe­

matisch­statistische Kompetenz, um auf Basis plausibler Prämissen Statistiken softwaregestützt zu berechnen und erzeugte Ergebnisse zu interpretieren und zu bewerten.

So wie TQM zeichnet sich die ISO 9001 durch einen Ma­

nagementsystemfokus aus, der den Produkt­ und Wert­

schöpfungsprozessfokus integriert und noch weit darüber hinausgeht. Die Bezeichnung TQM ist heutzutage aller­

dings weitgehend aus deutschen Unternehmen ver­

schwunden. Nach wie vor stützt sich das Qualitätsma­

nagement jedoch auf dessen Innovationen und Prinzipien.

Die ISO 9001 und die darauf referenzierenden Branchen­

standards gehören für die meisten Unternehmen auch heute zum Qualitätsmanagementinventar. Ganze produ­

zierende Branchen sind bis tief in die Lieferkette „durch­

zertifiziert“. In anderen Branchen, zunehmend auch in Dienstleistungsbranchen, ist der Zertifizierungsgrad eben falls gestiegen. Laut ISO selbst, die jährlich weltweit mittels des sogenannten ISO Survey die Zahl der auf Basis der ISO 9001 erteilten Zertifikate erhebt (ISO 2018), wa­

ren 2018  – dem letzten Stand der Erhebung  – 878 664 Unternehmen mit 1 180 965 Standorten nach der ISO 9001 zertifiziert. In Deutschland sind es 5,4 % davon, also 47 482 Unternehmen mit 73 559 Standorten. Zertifizie­

rungen nach Branchenstandards oder Normvarianten sind dabei allerdings nicht mitgezählt. Sie dürften in Deutschland aufgrund seiner Branchenschwerpunkte recht zahlreich sein.

Tabelle 2.2 zeigt Unterschiede des ISO 9001­ und des TQM­Ansatzes. Die Mitglieder der die ISO 9001 entwi­

ckelnden und weiterentwickelnden Gremien haben die TQM­Konzepte gekannt und durchaus Elemente daraus in die Ausgestaltung der ISO 9001 einfließen lassen.

Dieser letzte Absatz sei dem Qualitätsmanagement in der Dienstleistung gewidmet. Die Entwicklungen sowohl des TQM als auch der Qualitätsmanagementsystemnormen erfolgten in und für Industriebranchen, spezieller noch für Serienfertiger. Begriffe, Methoden und beste Prakti­

ken im Qualitätsmanagement spiegelten bis in die 1990er Jahre die Bedarfe und Gewohnheiten produzierender Unternehmen wider. Schon zuvor waren Messtechnik und Statistische Qualitätskontrolle auf produzierende Unter­

nehmen zugeschnitten. Dienstleistungen und Dienstleis­

tungsbranchen wie Gesundheitswesen, Bildungswesen oder Beratung unterscheiden sich sehr viel stärker von­

einander als produzierende Branchen. Das machte eine Integration der Dienstleistungsbranchen in die Praktiken und Regelwerke des Qualitätsmanagements schwierig.

Natürlich gab es auch für die Dienstleistung zu jeder Zeit  die Notwendigkeit, Kunden Qualität zu bieten. Das Qua litätsmanagement stand durchaus im Fokus der Ver­

antwortlichen, allerdings gab es lange Zeit ganz eigene Lösungsansätze und zudem Rollen, die sich von denen in produzierenden Unternehmen deutlich unterschieden.

Die Sprache der ISO 9002 war in Sprache und Themen­

setzung bis zur Revision 2015 derart stark auf produ­

zierende Unternehmen ausgerichtet, dass sich Dienst­

leister sehr schwer taten, mit ihr zu arbeiten. Natürlich ließen sich die Anforderungen der Norm sinngemäß auf

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2 Die Entwicklung des Qualitätsmanagements im 20. und 21. Jahrhundert

Dienstleister übertragen, die Akzeptanz litt dennoch er­

heblich.

Managementsystemfokus heute

Neben dem Produkt und dem Prozess hat sich das Managementsystem als Wirkungsfeld des Qualitätsmanagements etabliert. Naturgemäß integriert es die Produktqualitätsprüfung und - sicherung ebenso wie das Prozessqualitätsma-nagement. Die ISO 9001 und ihre Varianten prä-gen heute das Managementsystemverständnis des Qualitätsmanagements. Obwohl viele TQM-Prinzipien mittlerweile in die Qualitätsmanage-mentsystemnormen und in TQM-Modelle ein-geflossen sind, spielt in Deutschland TQM als solches keine nennenswerte Rolle mehr. Auch in Japan, dem Ursprungsland des TQM, haben die mittlerweile schon viele Jahre andauernden Schwierigkeiten der japanischen Wirtschaft, ins-besondere die Qualitätsprobleme und massiven Rückrufaktionen des Flaggschiffs Toyota, Zweifel geweckt. Das Qualitätsmanagement ist im Um-bruch und Unternehmen suchen nach neuen An-sätzen für eine neue Zeit.

2.2.4  Der Organisationssystemfokus:

Im Dokument Masing Handbuch Qualitätsmanagement (Seite 67-70)