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Tiermodelle für Temporallappenepilepsie

2. Literaturübersicht

2.7 Tiermodelle für Temporallappenepilepsie

Um Substanzen auf ihr antiepileptogenes Potential hin zu untersuchen, sind geeignete Tiermodelle notwendig. Ein ideales Tiermodell der Temporallappenepilepsie sollte die Konditionen der Temporallappenepilepsie beim Menschen widerspiegeln, d.h. die Epilepsie sollte infolge eines Hirninsults und nach

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einer gewissen Latenzzeit auftreten, die Tiere sollten komplex fokale und sekundär generalisierte Anfälle haben, mit Ursprung im Temporallappen, und es sollten pathologische Veränderungen im Hippokampus auftreten (hippokampale Sklerose) (CURIA et al. 2008). Ferner sollten die Tiere Verhaltensauffälligkeiten zeigen, welche den psychiatrischen Komorbiditäten der Humanpatienten ähnlich sind.

Ein geeignetes Modell sollte Prädiktivität hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit der getesteten Arzneimittel aufweisen. Es gibt kein „ideales“ Epilepsiemodell, welches allen Anforderungen genügt und zusätzlich praktikabel ist, aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, verschiedene Modelle ergänzend zu nutzen, um falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse zu vermeiden (LÖSCHER und BRANDT 2010 a). Es gibt eine Vielzahl an Epilepsie- und Anfallsmodellen, nicht alle sind jedoch gleichermaßen für Antiepileptogenestudien geeignet. Schädel-Hirn-Trauma-Modelle spiegeln die Ätiologie der humanen Epilepsie gut wider. Sie sind jedoch aufgrund von Praktikabilitätsgründen (lange Latenzzeit und die geringe Anzahl an epileptischen Tieren nach Insult) nur bedingt für Antiepileptogenesestudien geeignet (BOLKVADZE und PITKÄNEN 2011, PITKÄNEN et al. 2011 ). Die NIH/NINDS (National Institutes of Health/National Institute of Neurological Disorders and Stroke) empfehlen das Kindling-Modell und post SE-Epilepsiemodelle zur Erforschung von antiepileptogenen Therapien (STABLES et al. 2002). Im Kindling-Modell sind die Tiere nicht chronisch epileptisch, sie haben keine spontanen Anfälle, sondern nur akut induzierte. Trotzdem kommt es bei den Tieren zu chronischen Veränderungen (Senkung der Krampfschwelle). In post SE-Epilepsiemodellen sind die Tiere chronisch epileptisch und haben spontane epileptische Anfälle. Da in dieser Arbeit ausschließlich post SE-Epilepsiemodelle an der Ratte verwendet werden, wird auf diese im Weiteren näher eingegangen.

In post SE-Epilepsiemodellen ist ein SE der initiale Hirninsult. Dieser kann elektrisch, durch Stimulation bestimmter Hirnareale oder chemisch, durch Krampfgifte ausgelöst werden. Diese können entweder systemisch oder fokal also direkt in Zielareale des Gehirns verabreicht werden. Nach einer modellabhängig unterschiedlich langen Latenzzeit kommt es bei den Tieren zu spontanen, wiederkehrenden epileptischen Anfällen. Die Epilepsie bleibt meist lebenslänglich bestehen (LÖSCHER 2002).

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2.7.1 Das Lithium-Pilokarpin-Modell

Pilokarpin ist ein Parasypathomimetikum welches die Blut-Hirn-Schranke passieren kann und dadurch sowohl periphere, als auch zentrale Wirkungen entfaltet. Das systemische Pilokarpin-Modell, als Rattenmodell für Temporallappenepilepsie, wurde erstmals von TURSKI et al. (1983) beschrieben.

Die Applikation von Pilokarpin führt über eine Aktivierung von muskarinergen M1-Rezeptoren zu Krämpfen, die in einen SE übergehen (HAMILTON et al. 1997). Der pilokarpin-induzierte SE wird nicht ausschließlich über eine Aktivierung von muskarinergen Rezeptoren vermittelt, eine Aktivierung der NMDA-Rezeptoren ist für die Aufrechterhaltung des SE verantwortlich (NAGAO et al. 1996, SMOLDERS et al.

1997). Die Pilokarpin-Applikation kann entweder als Bolus (400 mg/kg) oder fraktioniert (10 mg/kg in 30 min Abständen) erfolgen (TURSKI et al. 1983, GLIEN et al. 2001). Die fraktionierte Pilokarpin-Gabe ermöglicht es, durch eine individuelle Dosisanpassung die ansonsten hohe Mortalitätsrate zu senken (GLIEN et al. 2001).

Eine weitere Möglichkeit der Dosissenkung besteht bei einer Vorbehandlung der Tiere mit Lithium. Lithium, das in der Humanmedizin als Antipsychotikum Verwendung findet, führt über eine periphere Entzündungsreaktion zu Schädigungen der Blut-Hirn-Schranke. Es kommt zu einer Ausschüttung von Interleukin 1β und Monozyten, die die Blut-Hirn-Schranke schädigen. Aus diesem Grund kann 12-16 h vor Pilokarpin-Applikation eine Behandlung mit Lithium erfolgen, um durch die Vorschädigung der Blut-Hirn-Schranke die Pilokarpin-Dosis zu senken (MARCHI et al. 2009). Der SE wird für gewöhnlich nach 60-120 min pharmakologisch (meist durch Diazepam) unterbrochen, da die Tiere sonst sterben würden. Nach einer Latenzzeit von Tagen bis Wochen kommt es bei den Tieren zum Auftreten von spontanen, wiederkehrenden epileptischen Anfällen, die lebenslang bestehen bleiben (LEITE et al. 1990 a). Die epileptischen Tiere zeigen hyperexzitables Verhalten sowie kognitive Störungen (RICE et al. 1998, LEITE et al. 1990 b). Bei den Tieren kommt es außerdem zu histopathologischen Veränderungen im Gehirn, die dem Bild der hippokampalen Sklerose des Menschen entsprechen. Die Neuronenverluste sind jedoch stärker ausgeprägt und sind nicht ausschliesslich auf Strukturen des Temporallappens beschränkt (SLOVITER 2005). Zusammenfassend kann man sagen, dass das Lithium-Pilokarpin-Modell ein gutes, durch die systemische Applikation einfaches und praktikables Modell der

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Temporallappenepilepsie darstellt, welches viele der Konditionen der humanen Temporallappenepilepsie widerspiegelt (CURIA et al. 2008). Wie jedes Modell hat es auch Nachteile, das sind vor allem das Ausmaß und die Ausprägung der histologischen Veränderungen und Verhaltensänderungen.

Es wird auch vermutet, dass der pilokarpin-induzierte SE einen derart schweren Insult darstellt, dass es nur bedingt möglich ist, in diesem Modell antiepileptogene Stoffe zu entdecken (SLOVITER 2005). Aus diesem Grund haben wir beschlossen, unsere Arbeit vergleichend an zwei Rattenmodellen für Temporallappenepilepsie durchzuführen.

2.7.2 Das fokale Kainsäure-Modell

Kainsäure ist ein aus der Alge Dignea simplex gewonnenes Glutamat-Analogon, welches, wie Glutamat selbst, erregend wirkt. Es entfaltet seine Wirkung über ionotrope Glutamat-Rezeptoren (Kainat-Rezeptoren) (OLNEY et al. 1974, LODGE et al. 1979, BEN-ARI und COSSART 2000). Eine fokale intracerebrale Kainsäure-Applikation führt bei den Tieren zu epileptischen Anfällen (komplex fokal und sekundär generalisiert), die in einen limbischen SE übergehen (BEN-ARI 1985). Der SE wird in diesem Modell nicht unterbrochen und kann mehrere Stunden andauern.

Trotzdem ist die Mortalitätsrate sehr gering (RAEDT et al. 2009). Die meisten Arbeiten zu diesem Modell wurden in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführt. Neuere Arbeiten wurden von Bragin et al. (1999, 2004, 2005 und 2007) und RAEDT et al. durchgeführt. Die Kainsäure-Applikation kann entweder unter Narkose oder an wachen Ratten erfolgen (CAVALHEIRO et al. 1982, BRAGIN et al.

1999, RAEDT et al. 2009). Eine Applikation unter Narkose ist zwar einfacher durchzuführen, die Narkose kann aber einen insultmodifizierenden Effekt haben und dadurch die spätere Entstehung von epileptischen Anfällen beeinflussen. In einer Studie von CAVALHEIRO et al. (1982) konnte ein kainsäure-induzierter SE zwar spontane epileptische Anfälle auslösen, diese hörten jedoch nach 30 Tagen auf (spontane Remission). Vermutlich ist dies auf einen insultmodifizierenden Effekt der Narkose zurückzuführen. Aus diesem Grund haben wir uns für eine SE-Induktion an wachen Ratten entschieden. Auch in diesem Modell kommt es zur Ausprägung von epileptischen Anfällen nach einer Latenzzeit von Tagen bis Wochen (BABB et al.

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1995, RAEDT et al. 2009). In der Studie von RAEDT et al. (2009) konnte eine Progression der Krankheit gezeigt werden. Die Tiere zeigen Verhaltensänderungen wie gesteigerte Aggressivität und kognitive Dysfunktionen (HANDELMANN und OLTON 1981, CAVALHEIRO et al. 1982).

Eine einseitige Kainsäure-Injektion in die CA3-Region des Hippokampus führt primär zu Schäden der ipsilateralen Injektionsseite. Betroffen sind vor allem die CA3a- und CA3c-Region, sowie die Hilusneurone des Gyrus Dentatus. Die CA1-Region und die Körnerzellschicht des Gyrus Dentatus werden relativ verschont (RAEDT et al. 2009).

Die Veränderungen treten dosisabhängig auf (HANDELMANN und OLTON 1981, CAVALHEIRO et al. 1982) . Die histopathologischen Veränderungen spiegeln das Bild der hippokampalen Sklerose bei Humanpatienten gut wider (BABB et al. 1995, RAEDT et al. 2009). Dadurch, dass der SE in diesem Modell nicht abgebrochen wird, variiert die SE-Länge von Tier zu Tier, was einen Nachteil des Modells darstellt.

Durch die fokale Applikation der Kainsäure sind die Neurodegeneration und die Verhaltensänderungen moderater als in systemischen post SE-Epilepsiemodellen.

Aus diesem Grund wollten wir dieses Modell für unser Labor etablieren.