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2. Literaturübersicht

2.6 GABA und Epilepsie

GABA ist als wichtigster inhibitorischer Neurotransmitter von besonderem Interesse für die Epilepsieforschung. Lange wurde Epilepsie als Ungleichgewicht zwischen Inhibition und Exzitation gesehen und die Anfallsentstehung wurde als Konsequenz von Veränderungen des GABAergen Systems beschrieben (ENGEL 1996 b, DALBY und MODY 2001). Eine Reihe von antikonvulsiven Stoffen (Phenobarbital, Diazepam, Vigabatrin, Valproat) wirkt zumindest teilweise über eine Verstärkung des GABAergen Sytems. Neuere Hypothesen belegen jedoch, dass GABA auch

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proepileptogen wirken kann (COHEN et al. 2002, KHAZIPOV und HOLMES 2003, KLAASSEN et al. 2006).

2.6.1 Theorie der exzitatorischen GABA

Es konnte gezeigt werden, dass GABA nach Insult depolarisierend und somit exzitatorisch wirken kann. Bei Epilepsiepatienten kann es zu einem GABA-switch von inhibitorisch zu exzitatorisch kommen. Dieser beruht auf einer veränderten Exprimierung von Chlorid-Cotransportern in bestimmten Hirnregionen (Subiculum).

Eine Hochregulierung von NKCC1 (Subtyp 1 Natrium-Kalium-Chlorid-Cotransporter) bei gleichzeitig gesenkter Exprimierung von KCC2 (Sybtyp 2 Kalium-Chlorid-Cotransporter) an Neuronen führt zu Veränderungen des Chloridhaushaltes. Der intrazelluläre Chloridgehalt steigt an. Das hat zufolge, dass GABA depolarisiered wirkt (COHEN et al. 2002, PALMA et al. 2006). Dieser Zustand ist neonatal physiologisch (BEN-ARI et al. 1989). Es wird vermutet, dass das Gehirn nach einem Insult auf neonatale Funktionsweisen zurückgreift. Somit wird während der Epileptogenese die Ontogenese wiederholt. Dieser ursächlich als Reparaturmechanismus bestehende Prozess ist in diesem Fall kontraproduktiv (KÖHLING 2002, BEN-ARI und HOLMES 2005). In reseziertem humanen Temporallappengewebe von chronisch epileptischen Patienten konnte eine depolarisiernde Wirkung von GABA im Subiculum gezeigt werden (COHEN et al.

2002). In einer Studie von PALMA et al. (2006) konnte die unphysiologische Exprimierung von NKKC1 und KCC2 in Temporallappengewebe von chronisch epileptischen Patienten auf RNA-Ebene gezeigt werden. Ein GABA-switch nach Hirninsult konnte auch tierexperimentell gezeigt werden (PATHAK et al. 2007). In der Studie von PATHAK et al. (2007) konnte bereits 24 h nach pilokarpin-induziertem SE ein positiver EGABA-Shift (GABA Umkehr-Potential) im Hippokampus festgestellt werden. Das lässt auf eine depolarisiernde Wirkung von GABA schließen. Zwei weitere Arbeiten geben indirekt Hinweise auf den GABA-switch (LI et al. 2008, BRANDT et al. 2010). In der Studie von LI et al. (2008) wurde im Maus Pilokarpin-Modell (chemisches post SE-Epilepsiemodell) eine NKCC1-Expression im Hippokampus bereits einen Tag nach SE auf RNA- und Protein-Ebene gezeigt. In der Arbeit von BRANDT et al. (2010) konnte die NKCC1-Expression 24 h sowie vier

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Tage nach pilokarpin-induziertem SE bei Ratten immunhistochemisch gezeigt werden. All das lässt vermuten, dass es nach einem Insult durch eine Veränderte Exprimierung von Chlorid-Cotransportern zu einem GABA-switch von inhibitorisch zu exzitatorisch kommt.

Da eine depolarisiernde Wirkung von GABA neonatal physiologisch ist, lassen sich Anfälle bei Kleinkindern nur schwer mit traditionellen Antikonvulsiva unterdrücken. In verschiedenen tierexperimentellen in vivo und in vitro Studien konnte eine pharmakologische Blockade des Transporters mit dem selektiven NKCC1-Inhibitor Bumetanid Anfälle bei Neonaten unterdrücken (DZHALA et al. 2005 und 2008, GLYKYS et al. 2009). Es wurden ebenfalls Epileptogenesestudien mit Bumetanid vorgenommen, sowohl im modifizierten Kindlig-Modell, als auch in einem post SE-Epilepsiemodell (MAZARATI et al. 2009, BRANDT et al. 2010). In der Kindling-Studie von MAZARATI et al. (2009) gab es Hinweise auf einen antiepileptogenen Effekt einer Bumetanid-Behandlung bei neonatalen Ratten. In der Studie von BRANDT et al. (2010) konnte im Pilokarpin-Modell kein antiepileptogener Effekt mit einer Bumetanid-Behandlung erzielt werden. Dies könnte jedoch an methodischen Schwierigkeiten liegen (kurze Plasmahalbwertszeit und schlechte Penetration der Blut-Hirn-Schranke durch Bumetanid).

Der Einsatz von GABAA-Rezeptor-Antagonisten wäre in Hinsicht auf diese Theorie ebenfalls eine Möglichkeit, um durch antagonistische Wirkung am GABAA-Rezeptor depolarisierende GABA-Aktionen zu verhindern.

2.6.2 Synchronisations-Theorie

GABA kann auch proepileptogen wirken, ohne direkte exzitatorische Eigenwirkung zu entfalten. Nach einem Insult kommt es initial zu einem kompensatorischen Anstieg der GABAergen Inhibition (GREEN 1986). Dadurch werden erregende glutamaterge Neurone zunächst gehemmt. Die gesteigerte GABAerge Inhibition kann jedoch nicht lange aufrechterhalten werden. Nach ihrem Kollaps werden viele erregende glutamaterge Neurone gleichzeitig aus ihrer Hemmung entlassen und können synchron feuern (MANN und MODY 2008). Diese Netzwerk-Synchronisierung führt zu einer Übererregbarkeit in der betroffen Hirnregion, was die Entstehung von epileptischen Anfällen begünstigen kann (MANN und MODY 2008).

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Der Einsatz von GABAA-Rezeptor-Antagonisten wäre in Hinsicht auf diese Theorie sinnvoll, um den initialen Anstieg der GABAergen Inhibition zu verhindern. Das würde in Konsequenz die Netzwerk-Synchronisierung und die daraus resultierende neuronale Übererregbarkeit verhindern.

Es wurden bereits Studien zum Einsatz von GABAA-Rezeptor-Antagonisten in der Epilepsieforschung durchgeführt. In einer Studie von KHAZIPOV und HOLMES (2003) wurden elektrophysiologische Untersuchungen des Hippokampus in vivo an anästhesierten Ratten durchgeführt. Epileptiforme Aktivität wurde mittels Kainsäure erzeugt. Eine Zugabe des GABAA-Rezeptor-Antagonisten Bicucullin konnte die epileptiforme Aktivität unterbinden. Es wurde postuliert, dass GABA zu einer Netzwerk-Synchronisierung führte, die durch Bicucullin-Gabe unterbrochen wurde.

Somit hatte in dieser Untersuchung die Behandlung mit einem GABAA -Rezeptor-Antagonisten einen antikonvulsiven Effekt. In einer Studie von KLAASSEN et al.

(2006) wurden Untersuchungen in einem genetischen Mausmodell für humane autosomal dominante nokturnale Frontallappenepilepsie durchgeführt. In dieser Studie konnte eine subkonvulsive Dosis des GABAA-Rezeptor-Antagonisten Picrotoxin die klinische und elektrographische Anfallsausprägung unterdrücken. In diesen Studien konnte in zwei verschiedenen Modellen und Untersuchungsdesigns gezeigt werden, dass GABAA-Rezeptor-Antagonisten antikonvulsiv wirken können.

Der antikonvulsive Effekt wird auf eine Verhinderung der Netzwerk-Synchronisierung zurückgeführt. Es wurden jedoch bislang keine Antiepileptogenesestudien mit GABAA-Rezeptor-Antagonisten durchgeführt, obwohl es nach einem Insult wahrscheinlich zu einer Übererregbarkeit infolge von Netzwerk-Synchronisierung kommt. Aus diesem Grund haben wir entschieden eine Behandlung mit dem GABAA -Rezeptor-Antagonisten Pentylentetrazol (PTZ) als Strategie der Epilepsieprävention durchzuführen.