• Keine Ergebnisse gefunden

Die Theorie: Bezüge zur Ethik- und

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 127-130)

Ethos und Berufsverständnis in Biografien von Pflegenden

3. Die Theorie: Bezüge zur Ethik- und

Voraussetzung des moralischen Wandels eine Relativierung von starren Ausgangseinstellungen. Erst durch sie scheint ethische Arbeit möglich zu sein.

Grundeinstellungen für den ethischen Diskurs im Klinischen Ethik-Komitee sind also die Achtung und Akzeptanz des Anderen, die Horizonterweiterung durch andere Perspektiven und Argumente sowie eine situationsorientierte Ethik, die starre Ideal- bzw. Moralvorstellungen relativieren kann und muss. Diese Erwartungen an das Ethik-Komitee sind zugleich eine Konkretion der inhaltlichen Grundorientierung und Wertsetzung der „Menschlichkeit“, die gegenüber Patientinnen und Patienten genauso wie im Miteinander des Personals gelten soll.

Im Folgenden sollen diese empirischen Ergebnisse in die ethische Theorie eingezeichnet werden und Bezüge zur Professionalisierungsdebatte in der Pflege hergestellt werden, so dass das Geflecht von Ethik und Professionalisierung der Pflege am Ort Klinischer Ethik-Komitees greifbar und konkretisiert werden kann.

Ver-Antwortung zentral, das mit Buber als Antwort auf den Anruf des Anderen bestimmt wird. Dieser wird in einer dialogischen Form wahrgenommen, so dass im Anschluss an Hans Jonas gerade die ungleiche Machtkonstellation der Pflegebeziehung zur Verantwortung ruft. Damit stellt die Pflegebeziehung den grundlegenden Maßstab des Handelns dar: „Entscheiden und Handeln soll keineswegs jenseits der Normen stattfinden, aber weder Gewohnheit noch Maximen haben in der konkreten Situation, in der die oder der Andere als Gegenüber ernst genommen wird, verbindlichen Charakter in dem Sinne, daß der Dialog vermieden werden kann zugunsten eines Rekurses auf Überliefertes. ... Der moralische Konflikt stellt die ,höchste Probe‘ nicht für Werte und Wissen, sondern für die ver-antwortende Person dar.“7 Wie in diesem pflegeethischen Entwurf Schwerdts steht auch in den besprochenen Interviews die personale Dimension im Mittelpunkt der Werte- und Grundorientierungen. Sie ist bei Ruth Schwerdt letztlich der sog. „technischen Dimension“ der Pflege, die sich in Fachwissen, Können und Techniken ausdrückt, übergeordnet und stellt gegenüber Normen und Regeln den ausschlaggebenden Punkt des Handelns dar. Analog wird in den Interviews eine Priorität des Menschen vor der Technik betont und ein umfassendes Wahrnehmen des Menschen gefordert. In den Erwartungen an ethische Kommunikation werden diese Werte schließlich expliziert, indem die Achtung vor dem Anderen im Sinne einer dialogischen Beziehung als zentral angesehen und einer situations- und prinzipienorientierten Ethik bei gleichzeitiger Absage an starre Moralkonzepte das Wort geredet wird.

Auch wenn an dieser Stelle lediglich Andeutungen im Blick auf die ethische Theoriedebatte möglich sind, dürfte die Nähe des im Klinisches Ethik-Komitee vertretenen Ethos der Pflege zu einer postkonventionellen Entwicklungsstufe des moralischen Urteils, allzumal im Unterschied zu einer an festen Regeln und Normen orientierten konventionellen moralischen Entwicklungsstufe deutlich sein. Kennzeichnend für dieses Ethos ist die Orientierung an der personalen Dimension, die das Handeln je nach Situation im Diskurs mit Grundprinzipien neu verantwortet sein lassen muss und sich nicht von festgelegten Normenkatalogen und Regeln vollständig bestimmen lassen kann.

3.2. Verantwortungsethos und Professionalität in der Pflege

Für die Professionalisierungsdebatte ist ein wichtiges Kennzeichen, dass gerade auf die selbstständigen Beurteilungs- und Entscheidungskompetenzen besonderer Wert gelegt wird, die sich u.a. in der postkonventionellen Stufe moralischer Ent-wicklung abbilden. Dabei bezieht sich die pflegewissenschaftliche Diskussion vor allem auf die (struktur-) funktionalistische und interaktionistische Professions-theorie im Anschluss an Ulrich Oevermann, in der sich eine Reaktion auf Kritik an den klassischen Professionen in den 70er Jahren abzeichnet und die nicht

7 A.a.O., 278.

zuletzt deswegen von der aus der traditionellen Perspektive höchstens als Semiprofession zu bezeichnenden Pflege konsequenterweise aufgegriffen wurde.

Oevermann bestimmt als die Prinzipien professionellen Handelns zum einen ganz klassisch die wissenschaftliche Kompetenz des Verständnisses von Theorien und Konstruktionsverfahren, zum anderen die hermeneutische Kompetenz des Fall-verstehens in der Sprache des Falles selbst und eben nicht im Sinne deduktiver Theorieanwendung.8 Damit wird Professionalität „als eine situative Kompetenz verstanden, bei der unter Abschwächung der berufsständischen Aspekte des Professionalisierungsbegriffes die Anforderungen an das Berufshandeln als harter Kern definiert werden.“9 Die Komponente des hermeneutischen Fallverstehens in Oevermanns Professionsbegriff wird deshalb in aktuellen pflegewissenschaftlichen Professionstheorien als zentraler Aspekt professionellen Handelns aufgenommen.

So unterscheidet Frank Weidners Ansatz10 den traditionellen Typus des Pflege-handelns, der von einem unselbstständigen Dienstethos geleitet ist, von einem modernen eigenständigen und reflektierten Typus, der mit professioneller Kompetenz medizinisches, administrativ-organisatorisches und pflegerisches Fachwissen in konkreten Beziehungskonstellationen umsetzt. Diese pflegewissen-schaftlichen Aspekte der Professionstheorie werden z.B. von Ruth Schwerdt in ihrer „Ethik für die Altenpflege“ in den Zusammenhang mit ethischen Überlegungen gestellt, wenn sie als Voraussetzungen für eine professionelle Altenpflege zwei Dimensionen bestimmt, zum einen „berufsspezifische ... Fach-kenntnisse sowie pflegepraktische (methodische) Fertigkeiten und Techniken“11 und zum anderen „die personale Dimension der Pflegebeziehung“, welche gegenüber der ersten Dimension „den Maßstab für – eben nicht quantifizierbare –

‚Pflegequalität’“12 bildet. Diese personale Dimension der Pflegebeziehung als wesentliche Dimension des professionellen Handelns bildet wiederum, wie oben aufgezeigt, den Kern des pflegeethischen Entwurfs Schwerdts.

Einen ähnlichen Konnex zwischen ethischen und professionstheoretischen Pflegetheorien bildet Christa Olbrich in ihren Ausführungen zur „Pflege-kompetenz“13, indem sie vier Stufen der Pflegekompetenz aus deutlich ethischer Perspektive entwickelt: das regelgeleitete, das situativ-beurteilende, das reflektierte

8 Vgl. Oevermann, Ulrich (1978): Probleme der Professionalisierung in der berufsmäßigen Anwendung sozialwissenschaftlicher Kompetenz. Einige Überlegungen zu Folgeproblemen der Einrichtung berufsorientierter Studiengänge für Soziologen und Politologen, Frankfurt am Main, 6f.

9 Weidner, Frank (1995a): Professionelle Pflegepraxis – ausgewählte Ergebnisse einer Untersuchung auf der Grundlage eines handlungsorientierten Professionalisierungsverständnisses, in: Pflege 8. Jg., 49-58, 52.

10 Weidner, Frank (1995): Professionelle Pflegepraxis und Gesundheitsförderung. Eine empirische Untersuchung über Voraussetzungen und Perspektiven des beruflichen Handelns in der Krankenpflege, Frankfurt a. M..

11 Schwerdt (1998), 300.

12 A.a.O., 302.

13 Olbrich, Christa (1999): Pflegekompetenz, Bern.

und schließlich das aktiv-ethische Handeln. Analog zu Kohlbergs Entwicklungsstufen entspricht die postkonventionelle erst der zweiten oder gar dritten bis vierten Kompetenzstufe, ist also auch hier eindeutig einer größeren Professionalität zugeordnet.

Das postkonventionelle Ethos, wie es sich in den vorliegenden empirischen Er-gebnissen konkretisiert findet, steht also in engem Zusammenhang mit einem professionellen Berufsverständnis nach der pflegewissenschaftlichen Professions-debatte. Die Forderung einer situations-orientierten Ethik, die sich von festen Moralvorstellungen unterscheidet und stattdessen an der personalen Dimension als wesentlichem Aspekt pflegerischen Handelns orientiert ist, korrespondiert mit der professionellen Dimension des „hermeneutischen Fallverstehens“ bei Oevermann und deren Rezeption im pflegewissenschaftlichen Professionsdiskurs.

4. Die Konsequenzen: Klinische Ethik-Komitees als

Im Dokument Ethik als Kommunikation (Seite 127-130)